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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 1/1998
Henry Sokolsky (Hg.):
Fighting Proliferation. New Concerns for the Nineties
Alabama 1996
Air University Press, 377 S.

Die zunehmende Verbreitung moderner Waffentechnik um nahezu den gesamten Erdball stellt in der internationalen Politik ein herausragendes Problem dar. Dies muß insbesondere die einzig übriggebliebene Supermacht, die USA, sorgen. Sie sieht es als Bestandteil ihrer umfassenden Politikstrategie an, ihren Interessen gemäß militärische Macht auf allen denkbaren Schauplätzen der Welt zum Einsatz bringen zu können. Die dabei auftretenden Verluste sollen so weit wie möglich minimierbar sein. Das letzte große Beispiel dieser Art war der Golf-Krieg im Jahr 1991. Die Autoren des hier vorzustellenden Buches nehmen ausschließlich diesen amerikanischen Blickwinkel ein. Für den deutschen Leser mag eine solche Herangehensweise ungewohnt sein, sieht er sein Land doch nicht im gleichen Maße als global handelnden Akteur, doch ist es allemal interessant zu wissen, wie die Debatte beim atlantischen Alliierten geführt wird.

Hatte in der Vergangenheit der Versuch im Vordergrund gestanden, die Verbreitung von Kernwaffen zu unterbinden, so ist in jüngster Zeit das Feld der Nichtverbreitungspolitik wesentlich größer geworden. Sicherlich gehören dazu auch chemische und biologische Waffen, deren Problematik in diesem Band jedoch nicht thematisiert wird. Zunehmend geraten sogenannte konventionelle Rüstungen ins Blickfeld, da sie es einer Regionalmacht wie zum Beispiel dem Iran oder Irak gestatten könnten, den USA den Zugang zu einem Kriegsschauplatz unter kalkulierbaren Bedingungen zu verwehren. Besonders zielgenaue und effektive konventionelle Waffen könnten auf amerikanische Streitkräfte mit ebenso verheerenden Folgen wirken wie Nuklearwaffen. Die könnten den Einsatz dieser konventionellen Waffen mit Kernwaffen kaum wirkungsvoll abschrecken. Auch der verbesserte Schutz amerikanischer Streitkräfte dürfte - so David Blair - kaum ausreichend zu gewährleisten sein, da sie fernab von ihren Heimatstützpunkten immer angreifbarer seien als die auf den Schauplatz gut vorbereiten Einheiten der zu bekämpfenden Regionalmacht.

Besonders im Zuge der Verbreitung mit konventionellen Sprengköpfen ausgerüsteter Marschflugkörper könnten Luftwaffenstützpunkte ebenso wie amerikanische Flugzeugträger zunehmend verwundbar werden. Solche Marschflugkörper sind - wie Dennis M. Gormley und K. Scott McMahon darlegen - relativ preiswert zu erwerben und können problemlos von zivilen Flugzeugen oder Schiffen sowie Flughäfen aus verschossen werden. Im Zusammenhang mit der von Steve Berner analysierten Verbreitung des Zugangs zu Satellitentechnik wird auch die Zielgenauigkeit und Effektivität von Marschflugkörpern weiter zunehmen.

Mit diesen neuen Herausforderungen stellt sich mehr und mehr die Frage, welchen Gegenstand eine Nichtverbreitungspolitik eigentlich haben sollte. Die Verbreitung welcher Waffen soll eingedämmt werden? Henry Sokolsky legt überzeugend dar, daß dies nicht unbedingt eine Frage der Unterscheidung fortgeschrittener von weniger fortgeschrittener Waffentechnik sei. Denn mit einem konventionellen U-Boot könnten wichtige Komponenten der US-Marine versenkt werden, während umgekehrt technisch sehr ambitionierte Kampfflugzeuge trotz allen Aufwands gegen die US-Luftwaffe kaum eine Überlegenheit erzielen könnten.

Selbst beim klassischen Element der Nichtverbreitungspolitik, dem nuklearen Nichtverbreitungsabkommen, bleiben trotz dessen unbefristeter Verlängerung im Jahr 1995 eine Reihe von Fragen offen. Sie werden detailliert von Leonard Weiss untersucht. So verbietet der Vertrag nicht explizit einem Nicht-Nuklearstaat, einem anderen Nicht-Nuklearstaat bei der Beschaffung von Kernwaffen zu assistieren. Schwerwiegender dürfte noch sein, daß Inspekteure bei der Überprüfung der Einhaltung der Vertragsbedingungen nicht deklarierte, nicht-nukleare Einrichtungen nicht besuchen dürfen. Schließlich sieht der Vertrag keine konkreten Sanktionen gegen Vertragsverletzer oder solche Staaten vor, die den Vertrag verlassen wollen.

Ein solcher Fall lag mit Nordkorea vor, seit dieses Land 1992 damit begann, sich nicht mehr an die Regeln des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages zu halten und waffenfähiges Plutonium abzuzweigen. Die USA standen damit vor der Frage, entweder kooperativ eine Lösung zu suchen, oder im Zuge der Konfrontation letztlich einen Krieg zu riskieren, der auch den Alliierten Südkorea betroffen hätte. Washington entschied sich für die erste Option und handelte mit Pjöngjang ein Abkommen aus, das die Beendigung des nordkoreanischen Waffenprogramms vorsieht. Im Gegenzug sollen Nordkorea von einem internationalen Konsortium unter Beteiligung der USA, Japan und Südkorea Leichtwasserreaktoren zur Energieversorgung zur Verfügung gestellt werden. Während dieses Abkommen von Walter B. Slocombe nicht zuletzt unter Hinweis auf nordkoreanische Verpflichtungen, die weit über den Nichtverbreitungsvertrag hinausgehen, verteidigt wird, meint Victor Gilinsky, die Übereinkunft komme einer Belohnung Nordkoreas für nicht normgerechtes Verhalten gleich. Überdies sei es schwer erklärbar, warum es gut sei, Nordkorea Leichtwasserreaktoren zu liefern, während es schlecht sei, wenn Rußland dem Iran solche Reaktoren zu Verfügung stelle.

Tatsächlich ist der Iran aus amerikanischer Sicht besonders verdächtig, ein Kernwaffenprogramm zu unterhalten, wie auch Geoffrey Kemp meint. Darüber und eine Reihe anderer Fragen sollten die USA - so Gary Slick - mit Iran reden, doch sei vorher die Befreiung aus der gegenseitig verschuldeten Propagandafalle erforderlich. Sie habe dazu geführt, daß sich beide Seiten gegenseitig immerfort alles Schlechte unterstellten.

Was bleibt global gesehen zu tun, will man die Verbreitung von Rüstungen unterbinden? Sicherlich die Stärkung von Rüstungskontrollregimen, zu denen auch die Exportkontrolle gehört. Darüber hinaus schlug der damalige amerikanische Verteidigungsminister Les Aspin im Dezember 1993 eine "Counterproliferation Strategy" vor, die es sich zum Ziel setzte, mit neuen militärischen Kapazitäten der Bedrohung zu begegnen. Doch traf diese Initiative, wie Chris Williams beschreibt, nicht nur auf die Skepsis der amerikanischen Abrüstungsgemeinde, sondern auch das Außenministerium reagierte zögerlich, da es dadurch seine Federführung in der Nichtverbreitungspolitik gefährdet sah, während die Militärs die Initiative als zu überhastet empfanden.

Als Fazit bleibt festzuhalten, daß die Bedrohung durch die Verbreitung moderner Rüstungen zunimmt, und eine umfassende Strategie, dieser Gefahr zu begegnen, bislang fehlt. Dies muß einen global handelnden Akteur wie die USA weitaus mehr beunruhigen als den NATO-Partner Deutschland. Wer sich dennoch einen Einblick in die amerikanische Diskussion verschaffen möchte, sollte das vorgestellte Buch zur Hand nehmen. Positiv an ihm ist, daß gerade im Hinblick auf die politische Strategie gegenüber Staaten wie Iran oder Nordkorea ganz unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen. Anderseits sind einige Beiträge recht technisch orientiert. Insgesamt ist das Buch aber für diejenigen auch in Europa wichtig, die die so wichtige Debatte um die Verbreitung von Rüstungen nicht allein den Amerikanern überlassen wollen.

Oliver Thränert, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn


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