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Politik und Gesellschaft Online International Politics and Society 1/1998 |
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Zbigniew Brzezinski
Unterhält man sich derzeit mit deutschen Diplomaten, so kommt früher oder später ein Thema zur Sprache: das oft unsensible, kompromißlose Auftreten der Amerikaner in nahezu allen aktuellen Fragen der Weltpolitik. Diese Art amerikanischen Weltmachtverhaltens kommt auch in Brzezinskis Buch - beileibe nicht nur im Titel - zum Ausdruck. Wer geglaubt hatte, Kategorien der Geopolitik seien verstaubt und hauptsächlich die Sache abgestiegener Großmächte wie Rußland oder Frankreich: hier ist amerikanische Geopolitik in Reinkultur. Doch was der ehemalige Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten Carter aufgeschrieben hat, ist schon der Lektüre wert. In sieben Kapiteln jagt der Autor den Leser geradezu um den Erdball. Kenntnisreich, oft geschichtlich untermauert, nie langweilig, jedoch immer einem archimedischen Punkt folgend: dem amerikanischen nationalen Interesse. Für den amerikanischen Leser ist dies eine schiere Selbstverständlichkeit, für den deutschen ist es dagegen eher ungewohnt. Brzezinski sieht Amerika als die erste, einzige und zugleich letzte echte Supermacht. Amerika sei die erste Weltmacht, weil frühere "Weltmächte" wie Rom, China, das Mongolenreich oder der britische Commonwealth einen viel geringeren Geltungsbereich gehabt hätten. Im Gegensatz dazu - und dies eben mache die USA zur einzigen Weltmacht - beherrsche Amerika sämtliche Ozeane und Meere, seine Wirtschaft sei global dominant, es verfüge über einen technologischen Vorsprung in den bahnbrechenden Innovationsbereichen, und schließlich finde amerikanische Kultur (der american way of life) weltweit nahezu ungebrochenen Anklang. Es sei aber nicht zu erwarten, daß Amerika diese Position auf Dauer halten könne. Wirtschaftliche Vorherrschaft sei im globalen Zeitalter notwendigerweise beschränkt, und zudem lasse es die demokratische Verfaßtheit der Weltmacht Amerika langfristig nicht zu, daß für die Weltmachtrolle seitens der Amerikaner Opfer aller Art erbracht werden. Brzezinski leitet aus dieser Erkenntnis eine dreistufige Strategie ab: zunächst sollten die USA vermeiden, daß es zu gegnerischen Koalitionen kommt; dann sollte auf zunehmend wichtigere, aber strategisch kompatible Partner größeres Gewicht gelegt werden; und schließlich sollte sich ein Kern echter gemeinsamer politischer Verantwortung herausbilden. Mit anderen Worten: die USA sollten ihre Einzigartigkeit nicht zuletzt dadurch unter Beweis stellen, daß sie - anders als vorangegangene "Weltmächte" - ihren allmählichen relativen Abstieg in ihrem Sinne kontrollieren. Diese Strategie ist in sich stimmig und wahrhaft vorausschauend. Doch was bedeutetet sie im Einzelnen? Für Brzezinski ist Eurasien "das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird." (S. 57) Lateinamerika, geschweige denn Afrika, kommen in seinen Ausführungen daher überhaupt nicht vor. In Eurasien gibt es dem Autor gemäß fünf geostrategische Hauptakteure, nämlich Frankreich, Deutschland, Rußland, China und Indien, sowie fünf geopolitische Dreh- und Angelpunkte: die Ukraine, Aserbaidschan, Südkorea, die Türkei und Iran. Wie bei einem Geopolitiker nicht anders zu erwarten, bilden nach wie vor Nationalstaaten die Grundlage der Analyse. Europa ist für Brzezinski der für Amerika unersetzliche demokratische Brückenkopf. Hauptinstrument dieser Beziehung ist die Atlantische Allianz. Deren Erweiterung sieht der Autor konsequent als Ausweitung des amerikanischen Geltungsbereiches. Für Amerika komme es darauf an, deutsch-französische Bemühungen um ein geeintes Europa zu unterstützen um somit eine Renaissance europäischer Nationalismen zu verhindern. Nur so könne Westeuropa zu einem Sprungbbrett werden, um Demokratie (und amerikanischen Einfluß) weiter nach Osten voranzutreiben. Auf diese Weise sollte auch Rußland an Europa herangeführt werden. Moskau gegenüber sollte Washington deutlich machen, daß ihm die Voraussetzungen für eine globale Partnerschaft mit den USA fehlen. Es gebe für Moskau auch weder die Option der Bildung einen Allianz gegen Amerika, noch einer politischen Re-Integration des Raumes der ehemaligen Sowjetunion. Vielmehr bestehe Rußlands einzige Möglichkeit darin, sich auf ein transatlantisches Europa zuzubewegen. Daher müsse Moskau jeglichen neo-imperialen Träume abschwören. Dies werde von westlicher Seite besonders dadurch verdeutlicht, in dem die Ukraine, ein Schlüsselland in dieser Hinsicht, massiv bei der Stärkung seiner Unabhängigkeit unterstützt werde. Andererseits sollte der Westen gemeinsam mit Rußland Möglichkeiten eines transkontinentalen Sicherheitssystems ausloten, das weit über die derzeitige OSZE hinausgehen könne. Brzezinski schwebt offenbar sogar die Bildung eines speziellen Sicherheitsausschusses unter Beteiligung der USA, Rußlands und ausgewählter europäischer Länder vor, womit er bisweilen geäußerten russischen Überlegungen, die in die gleiche Richtung zielen, weit entgegenkommt. Nicht zuletzt wegen des kaspischen Öls kommt der zentralasiatischen Region erhöhte Bedeutung zu. Hier sollte der Einfluß Rußlands, aber auch des Iran möglichst minimiert und der freie Zugang des Westens zu Erdöl und Erdgas sichergestellt werden. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, daß Europa der Türkei nicht die Tür vor der Nase zuschlage, damit auch für die Länder des Transkaukasus die Option besteht, sich auf den Westen und nicht nur auf Rußland zu orientieren. In Asien bleibt für Amerika das Bündnis mit Japan ebenso unerläßlich wie ein kooperatives Verhältnis zu China. In dieser Region, die wirtschaftlich immer mehr an Bedeutung gewinne, komme es für die USA darauf an, verschiedene Interessen auszutarieren. China werde zwar nicht zur Weltmacht, wohl aber zu einer bestimmenden Regionalmacht aufsteigen, was Konflikte mit Rußland, Indien und Japan heraufbeschwören könnte. Japan sollte Amerikas vorrangiger Partner in der Region bleiben, doch sollten die USA der Versuchung widerstehen, mit ihm gemeinsam ein Bündnis gegen China zu schmieden. Dies würde nur den chinesischen Nationalismus weiter anfachen und zu großen Komplikationen führen. Daher komme es gerade darauf an, China einzubinden, um ein regionales Machtgleichgewicht herzustellen. Obwohl Brzezinski heute Professor für amerikanische Außenpolitik an der Johns Hopkins Universität in Washington, D.C., ist, dürfte sein Buch die Mehrzahl seiner deutschen Akademikerkollegen kaum zufrieden stellen. Sie werden ihm Theorielosigkeit und Einseitigkeit unterstellen. Sicher, ein Beitrag zur Fortentwicklung der Theorie internationaler Beziehungen ist das Buch nicht. In vielerlei Hinsicht bleibt es holzschnittartig. Und es bezieht einen klaren, einen amerikanischen Standpunkt. Dennoch zeugt es von Intelligenz, Konsequenz, und vor allem weiter Voraussicht, wenn Brzezinski zwar für die nächste Zukunft an amerikanische Dominanz denkt, aber eben darüber hinaus langfristig kooperative Strukturen vorsieht, die es Amerika ermöglichen würden, sich der Bürde der Weltherrschaft wieder zu entledigen. Der Einfluß des Buches auf die praktische Politik dürfte um ein Vielfaches größer sein, als die Bücher deutscher Professoren auf deutsche Außenpolitik.
Das Lamento deutscher Diplomaten über das bisweilen herrische
amerikanische Auftreten dürfte durch Brzezinskis Ausführungen
verstärkt werden. Aber Amerika ist derzeit de facto
die einzige Weltmacht. Die von Brzezinski eröffnete langfristige
kooperative Perspektive ist jedoch durchaus vorhanden. Doch müssen
die Europäer dazu auch ihren eigenen Beitrag in Form größerer
europäischer Gemeinsamkeiten leisten.
Oliver Thränert, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn |
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