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Politik und Gesellschaft Online International Politics and Society 1/1998 |
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Mittelman, James. H. (ed.):
Globalization: Critical Reflections. Boulder, Colorado und London 1996 Lynne Rienner Publishers, 271 Seiten Das Buch versammelt Beiträge eines Workshops zum Thema Globalisierung. Gefragt wird nach Erklärungsmustern, nach Gegenbewegungen und nach den Grenzen der Globalisierung. Immerhin hat der Herausgeber James H. Mittelman es geschafft, in dem inzwischen kaum noch übersehbaren Angebot von Globalisierungsliteratur Akzente zu setzen. Das Buch gehört somit zu den besseren Exemplaren des Genres. Dennoch entgeht es einem Mangel nicht, den es aber mit fast aller Literatur zur Globalisierungsfrage teilt: einer gewissen Provinzialität des Diskurses. Die Autoren, alle aus dem US-amerikanischen bzw. kanadischen Debattenkontext, nehmen fast keine nicht-englischsprachige Literatur zur Kenntnis, und selbst die in der globalen "lingua franca" geschriebenen Beiträge, die Punkte anrühren oder Perspektiven enthalten, die dem hegemonialen US-amerikanisch-kanadischen Diskurs fremd sind, werden nicht aufgegriffen. Nun trifft dieser Vorwurf nicht allein die Autoren dieses Sammelbandes, sondern ebenso viele Schriften aus anderen Diskurszusammenhängen und Sprachräumen, die sich mit Globalisierungstendenzen auseinandersetzen. Es ist eine auffallende Paradoxie, daß das Nachdenken über Globalisierung die Provinzialität der akademischen Diskursgemeinschaften bislang nicht hat auflösen können.
Der Herausgeber Mittelman verweist bereits im Vorwort auf die
Bedeutung von Karl Polanyis Analyse der "great transformation"
zur Marktwirtschaft im England des 19. Jahrhunderts: Die Marktwirtschaft
"entbettet" sich aus der Gesellschaft und unterwirft
sie ihrer Logik von abstrakten ökonomischen Sachzwängen.
Dagegen wiederum bilden sich soziale Bewegungen, die zur Regulierung
der "freien Marktwirtschaft" führen, die die "entbettete"
Marktwirtschaft durch den Wohlfahrtsstaat in die Gesellschaft
zurückholen. Zweifellos lassen sich Globalisierungsprozesse
und Deregulierung der Ökonomie mit dem Konzept der Entbettung
und der Gegenbewegungen gut erfassen. Bevor freilich Gegenbewegungen
auf den Plan treten, müssen erst die Sachzwänge als
von Menschen gemachte und daher als veränderliche dechiffriert
werden. Dies ist eine Leistung, die nicht in jeder historischen
Entwicklungsphase zu erbringen ist. Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste geht der Frage nach, was Globalisierung ist, und wie die Globalisierungstendenzen zu erklären sind. Der zweite Teil beschäftigt sich mit Gegenbewegungen gegen die Globalisierung, und der dritte, kürzeste Teil, mit Grenzen der Globalisierung. Für den Herausgeber James H. Mittelman, der das Buch einleitet und ein Resümee verfaßt, ist Globalisierung der schon dargelegte doppelte Prozeß von Entbettung und Gegenbewegung. Robert Cox interpretiert Globalisierung zunächst als Ideologie. Tatsächlich müssen viele Versprechungen aus der "großen weiten Welt" als solche eingestuft werden. Auch die durch die Globalisierung entstandenen Sachzwänge, sofern sie eben nicht entziffert werden, sind am "Standort" eine Herrschaft sichernde Ideologie. Die "Standortdebatte" legt davon Zeugnis ab. Freilich ist Globalisierung für Robert Cox nicht nur Ideologie. Vielmehr sind durch moderne Technologien, durch Deregulierung, durch die Ausweitung der Märkte und die Internationalisierung der Produktion Räume und Zeiten kompakter geworden, bis hin zur Entstehung einer abstrakten Zeit, die nichts mehr mit den historisch gewachsenen kulturellen Zeitregimen zu tun hat. Cox bezieht sich bei dieser Analyse auf Bergson und auf Braudel. Er hätte sehr gut Nicolas Georgescu-Rögen zitieren und dann seine eher hilflosen Bemerkungen über die Globalisierung ökologischer Krisenerscheinungen thermodynamisch härten können. Globalisierung, so Cox, erzeugt eine Reihe von Widersprüchen. Darunter vor allem die soziale Polarisierung, und zwar innerhalb einzelner Länder und zwischen den Großregionen dieser Welt. Ein weiterer Widerspruch ist der zwischen Deregulierung und Entstaatlichung einerseits und der bleibenden Bedeutung der Nationalstaaten als Regulatoren globaler Prozesse andererseits. Schließlich verweist er noch auf die Fragmentierungstendenzen sozialer Bewegunen. Saskia Sassen verweist gegen die These der alles umfassenden konturlosen Globalisierung auf die Bedeutung der materiellen Infrastruktur (des "built environment") für die Funktionsweise der globalen Netzwerke. Auch wenn der Globus raum- und zeitkompakt wird, verliert der Raum keineswegs seine Bedeutung. Vielmehr kommt es zu räumlichen Konzentrationsprozessen, in deren Verlauf eine "new geography of centrality" (35) entsteht. Die globalen Geschäfte werden in einem Netzwerk zwischen seinen Knotenpunkten abgewickelt. Diese Knotenpunkte sind die business districts der global cities. Deren räumliche, infrastrukturelle Funktionsweise ist für die Globalisierung entscheidend. Der Raum gewinnt unter Bedingungen der Globalisierung eine neue Bedeutung. Auch ist Globalisierung keineswegs gleichbedeutend mit dem Verschwinden der Nationalstaaten. Allerdings ändern diese ihre Funktion. Gerade eine globalisierte Wirtschaft bedarf der Regulation von Eigentumsrechten, von technischen und ökonomischen Standards etc. Dies ist ja zum Teil niedergelegt in der Welthandelsorganisation, zum Teil aber Aufgabe der Nationalstaaten im globalen Wettbewerb. Ein Gedanke, den Saskia Sassen auch an anderer Stelle vorgetragen hat, ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig. Wenn Regulation auf nationalstaatlicher Ebene im Zeichen der Deregulierung zurückgenommen wird, allerdings Regulierung eine Bedingung für friktionslosen Kapital-, Waren- und Personenverkehr auf globaler Ebene ist, stellt sich die Frage nach dem Recht, das diese Regulierung ermöglicht. Auch Rechtssysteme konkurrieren also in Zeiten der Globalisierung, und sie hält das US-amerikanische Rechtssystem für dasjenige, das den Herausforderungen der Globalisierung am ehesten genügen kann. Dies freilich ist eine Frage, die noch weiterer Reflexionen bedarf, an denen sich auch Juristen beteiligen müssen, die sich bislang zu wenig den Herausforderungen der Globalisierung gestellt haben. Gary Gereffi beschäftigt sich in seinem Beitrag mit den Konsequenzen der neuen globalen Arbeitsteilung für die Länder der Dritten Welt. Er kommt zu einem überraschenden Resultat: Die Länder der Dritten Welt haben bereits große Fortschritte der Industrialisierung erreicht und sind durchaus in der Lage, die Produktivitätslücke zu den entwickelten Industrieländern in absehbarer Zeit zu schließen, wenn sie denn von den "best practices" (79f.) zu lernen bereit sind. Das vorherrschende Industrialisierungsparadigma wird nicht in Frage gestellt. Folglich ist es auch nicht notwendig, ökologische Probleme - so wie es Robert Cox tut - als Herausforderungen der Globalisierung zu erwähnen. An diesem Beitrag zeigen sich besonders deutlich die negativen Konsequenzen einer diskursiven Hermetik. Leo Panitch beendet mit einem Beitrag über "rethinking the role of the state" den ersten Teil des Buches über "the thrust of globalization". Er läßt die Staatsdiskussion der 70er Jahre Revue passieren, bezieht sich insbesondere auf Ralph Miliband und Nicos Poulantzas. Auch wenn das staatliche Institutionensystem immer notwendig für die kapitalistische Akkumulation ist (103 ff), ändern sich Staatsformen und Staatsinstitutionen und das Politische mit der Reichweite des kapitalistischen Akkumulationsprozesses. Im globalen Wettbewerb, so auch Panitch unter Bezug auf Robin Murray, wird der Nationalstaat zu einem Wettbewerbsstaat, der sein "indigenous capital" (so Poulantzas) gegen die "indigenous capitals" anderer Nationalstaaten schützt. Die staatliche Organisierung des Wettbewerbs jedoch schützt keineswegs gegen den "race to the bottom" (103). Das politische System ist gegenüber den ökonomischen Prozessen beschränkt autonom. Dies war die These von Miliband und von Poulantzas. Die Aufgabe ist noch nicht gelöst, worin die beschränkte Autonomie des nationalen Staats im Zusammenhang mit internationalen Institutionen in Zeiten der Globalisierung besteht. Im zweiten Teil über "The Counterthrust to Globalization. Political and Cultural Resistance" sind verschiedene Beiträge versammelt, die eher exemplarisch Gegenbewegungen gegen die Globalisierung behandeln. Zunächst wird der Aufbau der Gewerkschaften im südlichen Afrika am Ende der Apartheid unter Bedingungen der Globalisierung beschrieben. Ohne aktive Gewerkschaftsbewegung wäre die Demokratisierung in Südafrika nicht zustandegekommen. Ob es allerdings sinnvoll ist, die Gewerkschaftsbewegung mit den Theorien der neuen sozialen Bewegungen zu erklären (123), sei als Frage an den Autor Glenn Adler formuliert. Den neuen sozialen Bewegungen und demokratischen Kämpfen in Afrika widmet sich der nächste, sehr interessante Beitrag von Fantu Cheru. Ausgangspunkt der Überlegungen ist das "verlorene Jahrzehnt" in den 80er Jahren, das in Afrika, wie in Lateinamerika auch, einen Rückgang der Prokopf-Einkommen, Eingriffe in die nationale Souveränität durch strukturelle Anpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds und eine damit einhergehende soziale Polarisierung gebracht und einen inzwischen sehr bedeutsamen informellen Sektor hervorgebracht hat. Die durch die structural adjustment programmes beabsichtigte Modernisierung kann nicht funktionieren, wenn die Löhne und Masseneinkommen abgesenkt werden (149). Die Informalisierung großer Teile der Ökonomie, insbesondere südlich der Sahara (aber keineswegs nur dort), sollte nicht als ein Rückfall in prämoderne Wirtschaftsformen, sondern als eine höchst flexible Anpassung an die Herausforderungen der Globalisierung erstanden werden. Der Autor schließt mit einer Agenda alternativer Wirtschafts- und Sozialpolitik unter dem Titel "Back to the Drawing Board" (160 ff.). Diese Agenda sollte durchaus in entwicklungspolitischen Diskussionen hierzulande eine Rolle spielen. Der Beitrag von June Nash und Christine Kovic beschäftigt sich mit den Konsequenzen der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA für die Transformationen im ländlichen Mexiko. Dabei ist die Gleichzeitigkeit des Inkrafttretens von NAFTA am 1. Januar 1994 und des Aufstands der Zapatistas in Chiapas Anlaß, über den Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen nachzudenken. Die Autorinnen zeigen sehr genau, daß die Freihandelszone das ländliche Mexiko radikal verändert, insbesondere dadurch, daß der Artikel 27 der mexikanischen Verfassung, der das Gemeindeland gegen Veräußerung sicherte ("ejido"-System), der NAFTA und der Globalisierung geopfert werden mußte. Die Versuche der mexikanischen Regierung, statt dessen neue Institutionen der nationalen Solidarität (pronasol) zu errichten, dürften allesamt gescheitert sein. Die mexikanische Krise von 1994 hat dies mehr als deutlich gezeigt. Ein weiterer Beitrag in diesem Abschnitt über Bewegungen gegen die Globalisierung ist der Wiederauferstehung des Islam gewidmet. Hier wird eine differenziertere Sicht auf den sogenannten "islamischen Fundamentalismus" vorgetragen als in der wissenschaftlichen Debatte im Anschluß an Huntington´s "Clash of Civilizations" oder in der aktuellen Journalistik üblich. Der Islam hat ja große kulturelle Leistungen hervorgebracht, ohne die dem westlichen Europa ("dem Abendland") der Anschluß an die Antike Griechenlands gar nicht hätte gelingen können. Es handelt sich auch um eine Religion, die der Gemeinschaft große Bedeutung beimißt. Im Zuge der Säkularisierung haben die modernen Nationalstaaten die Aufgabe der Gemeinschaft der Gläubigen (der Umma) übernommen. Die Krise der Nationalstaaten, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Schuldenkrise der 80er Jahre, hat diese Funktion untergraben, ohne daß die alte Gemeinschaft noch lebendig wäre. An deren Stelle sind jene fundamentalistischen Kräfte getreten, die wie in Algerien mit ihren Terrorakten die Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit bestimmter Antiglobalisierungstendenzen zeigen. Im letzten Abschnitt des Buches geht es um "potential and limits of neoliberal globalization". Stephen Gill beschäftigt sich vor allem mit Globalisierung und Demokratisierung. Dabei zeigt er zum einen, daß sich Globalisierung und Demokratisierung widersprechen (207), zum anderen, daß im Zuge der Globalisierung die Welt demokratischer geworden ist. In der zwischenstaatlichen Entwicklungspolitik gelten die Errichtung und Erhaltung einer demokratischen Ordnung, die Einhaltung der Menschenrechte und "good governance" als "Konditionalität". Doch dies ist nur die formale Seite des Prozesses. Globalisierung ist auch verbunden mit einer "sozialen Pathologie" der globalen Ordnung. Diese findet ihren Ausdruck in den Gegensätzen von "islands of privilege" und "seas of poverty, insecurity and violence" (219). Stephen Gill bemüht ebenfalls die schon erwähnte und auf Polanyi zurückgeführte Formel von dem doppelten Prozeß. Und so kommt er in seiner Schlußfolgerung zu der Forderung: "new concepts of collective power are required ... mobilization of people`s abilities to create viable and practical sets of alternatives and capacities for social choice" (225). Das ist ganz voluntaristisch formuliert nicht zuletzt deshalb, weil auch Steven Gill die Mystifikationen, mit denen die Sachzwänge der Globalisierung "verkleidet" sind, nicht zur Kenntnis nimmt.
Der letzte Beitrag ist ein Resümee des Herausgebers James
H. Mittelman mit dem Titel "How does globalization really
work?". Die Frage hätte auch am Anfang des Bandes stehen
können. So aber zeigt sie, daß nach vielen klugen und
weiterführenden Beiträgen eine Fülle von Fragen
offen bleiben. So findet man in dem Band nichts über die
weltweiten Tendenzen der regionalen Blockbildung, nichts über
die Herstellung eines neuen "Limes", der die neuralgischen
Konfliktherde in Quarantäne hält. Mittelman bezieht
sich in seinem Schlußbeitrag noch einmal positiv auf den
Beitrag von Gereffi und die Ausführungen über das technologische
Paradigma, obwohl er gerade zuvor, wenn auch eher beiläufig
und in den Diskurs nicht integriert, auf globale Umweltprobleme
aufmerksam gemacht hat. Die "Grenzen des Umweltraums"
und die sozialen Bewegungen (Umweltbewegungen etc.), die sich
in Konflikten um dessen Grenzen entwickelt haben, kommen in dem
Band nicht vor. Sowohl Cox als auch Stephen Gill und Mittelman
erwähnen "Governance without Governments" als eine
Tendenz, widmen ihr allerdings keine systematische Analyse. Dies
ist durchaus ein Nachteil, denn Globalisierung bedeutet nicht
nur Abbau staatlicher Souveränität, sondern auch Emergenz
globaler Institutionen der Regulation und Partizipation. Elmar Altvater Freie Universität Berlin |
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