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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 3/1999

Vorläufige Fassung / Preliminary version

HERBERT DITTGEN
Amerikanische Demokratie und Weltpolitik. Außenpolitik in den Vereinigten Staaten
Paderborn u.a. 1998
Schöningh, 398 S.

Antworten auf zwei hochspannende und ebenso aktuelle Fragen könnte man sich von einem Buch erhoffen, das sich mit amerikanischer Demokratie und den Anforderungen und Chancen von Weltpolitik beschäftigt, zumal gerade dann, wenn der Autor durch eine Reihe früherer Studien auf diesem Gebiet als kompetent ausgewiesen ist.

Erstens Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Demokratie und Außenpolitik allgemein, die sich in viele Detailfragen herunterbrechen läßt: Soll und kann Außenpolitik wie jeder andere Politikbereich dem demokratischen Wettbewerb unterliegen oder verlangt sie größere Kontinuität? Sollen ihre Ziele von den (jeweils an eigenen Interessen orientierten) Bürgerinnen und Bürgern definiert werden? Und kann im demokratischen Wettstreit die Kompetenz zur Beurteilung außen- und auch sicherheitspolitischer Fragen aufgeboten werden? Hinter diesen Fragen steht die Einschätzung, daß Außenpolitik, deren Bereich die internationale Kooperation und Konfrontation, also Frieden und Krieg ist, ein besonderes politisches Feld auch angesichts immer stärkerer internationaler Verflechtung bleibt. Das ist keineswegs unstreitig, und die innenpolitischen Rückbindungen außenpolitischer Entscheidungen an Wahlkreisinteressen wird von Dittgen stets betont. Gleichwohl aber geht er für seine Untersuchung davon aus, daß Außenpolitik anderen Bedingungen unterliegt, gerade wenn es um Fragen nach Krieg und Frieden geht, die immer wieder als Fallstudien herangezogen werden.

Zweitens könnte man Antworten auf die Frage nach den Entwicklungen des mächtigsten Staates der internationalen Politik erwarten. Denn Dittgen analysiert nicht nur die Geschichte der amerikanischen Außenpolitik, sondern schließt aus den Veränderungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts auch auf die zukünftige Gesamtausrichtung. Wie wird sich die amerikanische Außenpolitik entwickeln, wer wird sie bestimmen und welche Folgen wird dies für die anderen Staaten und Gesellschaften haben? Wird sie vom Streben nach unilateraler Macht geprägt sein? Gar von einer Zukunft im Konflikt der Kulturen (wie Dittgen an einer Stelle meint (S. 343))? Oder wird sie sich an Leitbildern des Liberalismus orientieren (wie Dittgen an anderen Stellen meint (S. 335))? Und besteht hier möglicherweise eine Koinzidenz, als im Konflikt der Kulturen Demokratie mit dem Westen gleichgesetzt wird?

Beiden Fragen möchte der Autor anhand der Kategorien „demokratische Verantwortlichkeit" und „politische Legitimität", die er in der wissenschaftlichen Diskussion als vernachlässigt wertet (S. 25), nachgehen. Seine zu Anfang formulierte „Grundhypothese" lautet, daß sich die politische Legitimität und die demokratische Verantwortlichkeit bei verschiedenen Typen außenpolitischer Entscheidungen unterschiedlich gestalten (S. 28). Die Typologie, die Dittgens Untersuchung leitet, unterscheidet Routinepolitik, strategische Politik (langfristige Ziele) und Krisenpolitik (S. 27). Am Ende wird er zu dem Ergebnis kommen, daß Routineprozesse und die Definition strategischer Ziele sowohl die Exekutive als auch die Legislative (und noch weitere Interessengruppen, man erinnert sich an das „eiserne Dreieck") einbeziehen, die Krisenpolitik hingegen sehr stark auf den Präsidenten zugeschnitten ist, der sich nach der Krise öffentlich zu verantworten hat (S. 337).

Auf dem Weg zu diesem Ergebnis hat der Autor die besonderen Bedingungen des außenpolitischen Entscheidungsprozesses in den USA beschrieben. Häufig greift er auf die Ursprünge des politischen Denkens in den USA zurück, zitiert die „Gründungsväter" ebenso ausführlich wie Tocqueville. Auf die historischen und kulturellen Rahmenbedingungen des Entstehens der amerikanischen Verfassung und ihrer Ideale kommt Dittgen später zurück, wenn er zu seiner eigentlichen Hauptthese gelangt: daß die amerikanische Demokratie nach den Irrungen des Ost-West-Konflikts nun wieder zurück zu ihren liberalen Wurzeln findet. (Doch davon später mehr.) Diese kenntnisreichen Ausflüge in die Geschichte des politischen Denkens werden von knappen historischen Skizzen zu den Administrationen seit Richard Nixon abgelöst. Daran schließen sich ebenso knappe Darstellungen der exekutiven Institutionen an, die in den außenpolitischen Entscheidungsprozeß involviert sind: den Nationalen Sicherheitsrat (3 Seiten), das Department of State (5 Seiten), das Department of Defense (4 Seiten), die Geheimdienste (3 Seiten), allzu knappe Skizzen, wie die Anzahl der jeweils aufgewendeten Seiten verdeutlicht, die den gesamten monetären Bereich der Außenpolitik zudem ausblenden.

Nach der Exekutive beschreibt der Autor die Legislative, die außenpolitische Elite, Interessengruppen, öffentliche Meinung und Medien als Akteure im außenpolitischen Entscheidungsprozeß. Hier bereitet er die These vor, daß mit dem Ende des Ost-West-Konflikts die „Normalisierung" (S. 215) der amerikanischen Außenpolitik, d.i. ihre seit den siebziger Jahren zunehmende Demokratisierung, festzustellen ist. Mit dieser These schließt der Autor seinen ersten Teil.

Im zweiten Teil analysiert er entsprechend seiner Typologie Krisenpolitik einerseits und langfristige strategische Politik andererseits anhand von ausgewählten Beispielen aus der jüngeren Geschichte. In drei Fallstudien, zur Libanonpolitik der frühen achtziger Jahre, der Invasion in Grenada von 1983 und dem zweiten Golf-Krieg zu Beginn der neunziger Jahre belegt der Autor die These, daß trotz unterschiedlicher Wertungen des Instruments „militärische Intervention" in der Öffentlichkeit und bei den politischen Eliten der Präsident in Krisenzeiten mit breiter Unterstützung rechnen kann. Erst nach Abschluß der Aktionen werden kritische Fragen an die Krisenpolitik gerichtet und hat sich der Präsident vor der Öffentlichkeit zu verantworten. Der Autor analysiert die für eine positive Resonanz in der amerikanischen Gesellschaft wichtigen Faktoren: klare Zielsetzung des militärischen Einsatzes, Schnelligkeit und Erfolg (S. 255). Was bedeutet: erreicht die Exekutive die selbstgesetzten Ziele, ist sie und gilt sie dem eigenen Volk als erfolgreich. Die langfristig strategische Politik, die als Koalitionsspiel zwischen Exekutive, Legislative und Gesellschaft konstruiert wird, untersucht der Autor anhand der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen im Ost-West-Konflikt und einer (allzu) rasanten tour d´horizon über die Herausforderungen amerikanischer Außenpolitik nach dem Ende des Systemantagonismus. Daß Dittgen die Begriffe „Kalter Krieg" und „Ost-West-Konflikt" synonym benutzt, der Kalte Krieg in seiner historischen Periodisierung also 1989 endet, scheint kein Versehen zu sein, sondern vielmehr auf eine Darstellung schließen zu lassen, die auf eine weltpolitische Wegscheide hin konstruiert ist: daß nämlich die gesamte Dauer des weltpolitisch dominanten amerikanisch-sowjetischen Konflikts als Konfrontationsbeziehung interpretiert werden kann, die im politischen System der USA zu einer Entfremdung geführt hat, einer den demokratischen Boden verlassenden Prärogative der Exekutive im außenpolitischen Bereich.

Auch dieser Teil ist wieder sehr stark überblicksartig angelegt, zudem noch unübersehbar an der Zeit der Abfassung orientiert, was ihn inzwischen weitgehend veralten ließ. Und in die historische Darstellung haben sich einige Fehler eingeschlichen, die (sozusagen unfreiwillig) die Wahrnehmungsdistanz zwischen den USA und Europa symbolisieren könnten. Etwa wenn der Autor Slowenien und Serbien in der Darstellung des Ausbruchs der post-jugoslawischen Krise verwechselt (S. 297) und eine Reaktion auf die am 25. Juni 1991 erklärte Unabhängigkeit der jugoslawischen Sezessionsstaaten auf den 24. Mai datiert (S. 297). Dies ist die Konsequenz der Struktur dieser Studie, die das Ende Jugoslawiens beispielsweise auf weniger als zwei Seiten, die Herausforderungen nach dem Ost-West-Konflikt für die amerikanische Außenpolitik in „Afrika" auf weniger als einer Seite, Asien dann auf etwas mehr als einer Seite abhandelt. In dieser (freundlich formuliert) Knappheit müssen sich Undeutlichkeiten und Widersprüche einschleichen. So erklärt der Autor, daß sich der amerikanische Rückzugstrend aus Asien mit dem Ende des Kalten Krieges beschleunigt habe (S. 299), die amerikanische Außenpolitik in Asien aber weiterhin geostrategisch bestimmt sei und aus dem eigenen Status als Supermacht die Kraft zur Balancierung unterschiedlicher Staaten in der Region gewinne (S. 300). Dies wird der amerikanischen Asienpolitik ebensowenig gerecht wie den dortigen Regionalisierungsprozessen. APEC wird entsprechend gar nicht erst erwähnt.

Die breite Anlage der Untersuchung, die ebenso historisch, politisch-philosophisch, institutionenkundlich und IR-theoretisch geplant ist, und die sich daraus ergebende Kürze für die Behandlung der einzelnen Aspekte lassen die Lektüre leider unbefriedigend bleiben. Man möchte eigentlich mehr über die einzelnen Bereiche wissen. In einem Musik-Bild gesprochen: Der Autor streicht die Seiten seines Instrumentes, das er eigentlich gut beherrscht, nur leicht an, er läßt sie nicht wirklich erklingen und sie ergeben am Ende keinen Akkord, der nachklingen könnte.

Hinter der gesamten Darstellung aber wird gleichsam eine zweite Debatte geführt, zwischen der realpolitischen Einschätzung von Außenpolitik als Machtkonflikt, zwischen Staaten und der liberalen Sicht als Förderung für die Durchsetzung bestimmter Werte. Und hier wartet der Autor mit sehr spannenden Thesen auf. Der Ost-West-Konflikt war Dittgens Ansicht nach der Grund dafür, daß die Exekutive den Kongress bewußt durch Fehlinformationen irreführte. Oder schlicht die Außenpolitik zum Geheimnis der Regierung erhob. In den siebziger Jahren sei dann, parallel zu Vietnam und Watergate sowie der internationalen Fragmentierung und gesellschaftlichen Differenzierung der USA die Demokratisierung der Außenpolitik eingeleitet worden. So richtig erklärt der Autor die Ursachen für diesen Prozeß nicht, um so deutlicher lautet sein Urteil: "Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes, dem Wegfall der militärischen Bedrohung, ist die Rechtfertigung für die verbliebenen undemokratischen Entscheidungsprozeduren endgültig entfallen." (S. 291) (In Parenthese: Hier hätte ein Blick in die Literatur zur Entspannungspolitik der siebziger und auch der späten achtziger Jahre zu einem differenzierteren Urteil geführt. Der Kalte Krieg endete lange vor dem Ost-West-Konflikt, der diesem zeitlich auch vorausging. Und Dittgens Periodisierung selbst hätte hier weitere Argumente für die Korrespondenz von „innen"- und „außen"-politischen Prozessen gewinnen können.) Will sagen: das amerikanische politische System und die internationale Politik verhielten sich spiegelbildlich (S. 335): der Ost-West-Konflikt habe den Handlungsspielraum der Exekutive erweitert; die Repluralisierung der internationalen Politik führe nun zu einer „größeren Fragmentierung des außenpolitischen Entscheidungsprozesses" (S. 335). Das Zeitalter der Staatsraison sei damit endgültig verschwunden (S. 336).

Zweifel hegt der Autor allerdings, ob Menschenrechte und Demokratie den Grundkonsens für eine aktive internationale Politik der USA sein können (S. 305). Andererseits sei eine „überzeugende Alternative zum liberalen Internationalismus" nicht zu erkennen (S. 335). Leider bleiben diese Einschätzungen einsame Thesen hinter den Thesen. So richtig kommt keine theoretische Auseinandersetzung zwischen neorealistischem (der Autor spricht etwas ungenau stets von realpolitischem) und liberalem Ansatz zustande, schon gar keine Diskussion, die die apodiktischen Setzungen (Realpolitik ist ausschließlich (!) am status quo ausgerichtet (S. 341)) rechtfertigen würde. So bleibt etwas undeutlich, wie der Autor zu seinen Einschätzungen gelangt, daß für die Zukunft mit einer deutlicher liberalen Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik gerechnet werden sollte. Und seine Beispiele selbst können diese These ebenfalls nur schemenhaft untermauern. Von strategischer Bedeutung sei zukünftig die Auslandshilfepolitik (S. 312), mit deren Hilfe nach den Verfehlungen der Machtpolitik im Ost-West-Konflikt nun eine an Demokratie und Menschenrechten ausgerichtete internationale Ordnungspolitik betrieben werde (S. 318), wobei allerdings fraglich sei, ob diese Politik überhaupt die Unterstützung der Bevölkerung finde, weil der Bezug zum „Interesse des eigenen Landes" (S. 320) schwerer herzustellen sei. Hier springt der Autor heftig zwischen den Theorien herum. Den Widerspruch jedenfalls, daß die zukünftige amerikanische Außenpolitik seiner Einschätzung nach sowohl an eigenen Interessen als auch an Demokratie und Menschenrechten orientiert bleibt, thematisiert er am Beispiel der Chinapolitik, ohne ihn in seine perspektivischen Überlegungen zu übertragen. Das Ergebnis wäre ein wenig säuerlicher, zumindest nicht so überschwenglich und damit hätte sich auch die manichäistisch geprägte historische Periodisierung erledigt, die die Machtpolitik in den Ost-West-Konflikt, die demokratische Außenpolitik in die Zeit danach inkorporiert.
Seit Ernst-Otto Czempiels Band über die amerikanische Außenpolitik aus den siebziger Jahren hat es kein vergleichbares Buch in Deutschland gegeben. Es wäre nach dem Ende der bipolaren Auseinandersetzung an der Zeit, eine derartige orientierende Darstellung auf neuestem Stand zu lesen. Leider hat sich Dittgen in zu viele Themen verzettelt und zu viele Facetten der Frage nach dem Verhältnis von Demokratie und Außenpolitik angesprochen.

Thomas Jäger
Philipps-Universität
Marburg


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