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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 3/1999

Vorläufige Fassung / Preliminary version

REINHARD RODE
Die Integration Mittelosteuropas in die Weltwirtschaft
Amsterdam 1998
Verlag Fakultas, 285 S.

Vorwort und einführender Beitrag des Herausgebers laden den Leser zur weiteren Lektüre ein. Das Vorwort gibt einen angemessen knappen Überblick über die einzelnen Beiträge dieses Sammelbandes, der aus einem der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt hervorgegangen ist. Rodes eigener Eröffnungstext analysiert den Transformationsprozeß Mittelosteuropas (MOE) als nachholende Modernisierung. Obwohl der Herausgeber eher für seine weltwirtschaftlichen, insbesondere transatlantischen Forschungen und Veröffentlichungen bekannt ist, liefert er hier eine umfassende und präzise Darstellung der Probleme der postkommunistischen Reformstaaten, die durch ihre interdisziplinäre Vielfalt beeindruckt.

Der zweite Beitrag von Michael Sturm zur deutschen Ostwirtschaftspolitik nach 1990 gibt einen guten Überblick über Handel, Hilfe und Investitionen sowie die institutionellen und politischen Grundlagen der deutschen Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa. Man vermißt aber eine mehr politökonomische Betrachtung, die auch die Interessen der Partnerländer berücksichtigt. So wird der Zusammenhang zwischen der effizienten, massiven deutschen Exportförderung, die vor erheblichen Risiken nicht zurückschreckte, und dem deutschen Handelsüberschuß sowie der wachsenden Verschuldung der Empfängerländer nicht problematisiert. Auch daß ein großer Teil der deutschen Hilfe vereinigungsbedingt an die UdSSR/Rußland floß, wird kaum deutlich. So entsteht ein Bild harmonischer Interessen an offenen Märkten, das die Realität nur partiell widerspiegelt.

Der Aufsatz von Heiko Prange zur Osterweiterung der EU gibt eine realistische, in den Augen von Erweiterungsoptimisten vielleicht zu skeptisch eingestufte Einschätzung der Interessen der EU-Mitglieder und der Entwicklung der Beziehungen der EU zu den östlichen Nachbarländern, der die Schwierigkeiten und den Reformbedarf auf der EU-Seite gut beleuchtet. Ausgeblendet bleibt weitgehend die Interessenlage der Beitrittskandidaten. Selbst die sonst oft betrachtete Beitrittsfähigkeit findet nur kursorische Behandlung. Die Kopenhagener Kriterien werden kaum erwähnt (nur auf S.62 findet der dortige EU-Gipfel in einer Fußnote Beachtung).

Clarissa Gorickis Beitrag zu IWF und Weltbank hat eine ähnlich „Westlastigkeit". Politisch-institutionelles Umfeld und Tätigkeit der beiden Bretton-Woods-Institutionen (in MOE) werden klar und umfassend beschrieben. Aber die Auswirkungen und die Politik der Empfängerländer bleibt unterbelichtet. Warum gab es für Polen einen Schuldenerlaß, während das ebenfalls hoch verschuldete Ungarn von einer Austeritätspolitik in die nächste treibt? Lohnte sich die zusätzliche Verschuldung? Waren die Auflagen angemessen und welchen Interessen in den Transformationsländern dienten sie? Antworten auf solche Fragen bleibt der Aufsatz schuldig.

Der institutionelle „bias" setzt sich auch bei Cossette und Rode fort, die die Länder Mittel- und Osteuropas in der WTO betrachten, sowie bei Stefan Drößlers Artikel zur „Osteuropabank". Der Leser bekommt einen guten Einblick in die Handelspolitik der MOE-Staaten, sowohl auf einzelstaatlicher Ebene als auch im Verhältnis zu multilateralen Institutionen. Erstaunlich ist, trotz des Aufsatzes von Prange, die geringe Berücksichtigung der EU-Assoziierung, obwohl sie wahrscheinlich für die reale Marktöffnung bedeutender war und ist als die Mitgliedschaft in GATT und WTO. Darüber hinaus erfährt man wenig über die Entwicklung des Außenhandels allgemein. Statistisch findet man gerade eine Graphik zur regionalen Struktur des Jahres 1995, die nicht einmal den spektakulären Wandel abbildet, den die Umorientierung vom COMECON zum Weltmarkt mit sich brachte. Weitere wichtige Aspekte wie die sektorale Komposition, wichtige Einflußfaktoren wie Wechselkurs- und Inflationsentwicklung sowie unterschiedliche Konjunkturverläufe in MOE und seinen wichtigsten Handelspartnern, ganz zu schweigen von der Analyse der Herkunftsseite (welche Unternehmen exportieren was ...) fallen praktisch völlig unter den Tisch. Der Aufsatz von Drößler konzentriert sich auf die Westinteressen und ihren Einfluß auf Aufbau und Politik der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

Der letzte Beitrag über die sicherheitspolitische Dimension setzt diesen Ansatz fort, womit - von Rodes Einführung abgesehen - nur der vorletzte Aufsatz von Minhorst sich stärker den inneren Verhältnisse der MOE-Länder selbst widmet. Minhorst analysiert ihren Entwicklungsstand nach einem von Menzel und Senghaas entworfenen Raster und konstatiert, daß die Länder sich auf einem sehr unterschiedlichen Niveau befinden, wobei Tschechien, Ungarn und Polen schon Schwellenländer sind, die daher auch eine EU-Beitrittsreife aufweisen. Aber auch bei Minhorst überwiegt die Perspektive des außenstehenden Bewerters, der prüft, wie weit die Kandidaten sind, anstelle einer politökonomischen Innensicht, die sozioökonomische Strukturen und Prozesse mit politischen Interessen verknüpft .

Im Ergebnis erhält der Leser mit dem hier besprochenen Sammelband einen sehr guten Einblick in die vom Westen getragene Institutionenwelt, in die sich die MOE-Länder integrieren. Der Leser darf aber nicht erwarten, eine umfassende und kritische Analyse der wirtschaftlichen Integration selbst (Handels-, Kapital- und Migrationsströme, Anpassungsprozesse in MOE, etc.) vorzufinden. Mit dieser Hoffnung wäre er enttäuscht. Ebensowenig findet er eine Analyse des Integrationsprozesses aus Sicht der MOE-Länder, die deren Interessenlage erhellen würde. Mit dieser Einschränkung ist das Buch in dem von ihm abgedeckten Bereich aber ausgesprochen solide gearbeitet und empfehlenswert.

Michael Dauderstädt
Friedrich-Ebert-Stiftung
Bonn


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