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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 3/1998
Adolf Kloke-Lesch
Funktionale Positionsbestimmung der Entwicklungspolitik

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Das Ende des Ost-West-Konfliktes, Globalisierung und globale Zukunftsaufgaben sowie die neue Stellung Deutschlands in der Welt haben zu Veränderungen im Selbstverständnis und zu einem Bedeutungswandel auswärtiger Politikfelder geführt (Paradigmenwechsel). Außenpolitik, Verteidigungspolitik und Entwicklungspolitik befinden sich gleichermaßen in einer Phase der Neuorientierung von Leitbildern, Aufgabenfeldern und Instrumenten. Daneben bauen die Fachressorts ihre internationalen Aktivitäten aus.

In der Außenpolitik sind an die Stelle von Leitbildern wie West-Bindung, deutsche Einheit und Entspannung neue getreten wie Rolle des vereinten Deutschland in der Welt, gesamteuropäische Integration, Bewältigung von Krisen in Europa und anderen Teilen der Welt und Flankierung der Standortpolitik z.B. im Rahmen der Asien- und Lateinamerika-Konzepte. Neue vertragliche Beziehungssysteme sind im Entstehen. Auf europäischer Ebene wird ein gebündelter Dialog mit anderen Regionen der Welt gesucht. Operativ hat das Auswärtige Amt im Rahmen der Ausstattungshilfe neue Instrumente wie Demokratisierungshilfe und Minenräumen entwickelt. Die humanitäre Hilfe ist immer deutlicher zu einem Instrument zwischen politischer Krisenbewältigung und Wiederaufbau geworden.

In der Verteidigungspolitik ist die Bundeswehr über die Aufgaben der Verteidigung hinausgewachsen. Humanitäre Einsätze und friedenserhaltende Maßnahmen im Ausland sowie die logistische Unterstützung von militärischen Einsätzen der Bündnispartner sind hinzugetreten. Weitergehende Einsatzfelder werden diskutiert, bis hin zur militärischen Sicherung ökologischer Ressourcen. Die militärische Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der NATO wird ausgebaut.

In der Entwicklungspolitik tritt das im Schatten des Ost-West-Gegensatzes gewachsene Selbstverständnis eines Anwaltes der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der sogenannten Entwicklungsländer hinter Leitbilder wie global nachhaltige Entwicklung oder Armutsbekämpfung zurück. Gleichzeitig sind der Entwicklungspolitik neue Aufgaben u.a. in Mittel- und Osteuropa, beim globalen Umweltschutzes und in der Förderung von Menschenrechten und Demokratie, aber auch im Rahmen der Standortpolitik zugewachsen. Entwicklungspolitik engagiert sich mit neuen Instrumente der Nothilfe stärker in der Bewältigung von Krisen und sucht nach Wegen, öffentliches und privatwirtschaftliches Engagement bei Gestaltungsaufgaben im Ausland zu verbinden. Der zunehmenden Differenzierung ihrer Partnerländer wird durch regional differenzierte Konzepte Rechnung getragen. Unter dem Aspekt der Kohärenz werden Korrekturen in anderen Politikbereichen und bei globalen Rahmenbedingungen gefordert.

Im Zuge der Globalisierung fachlicher Aufgaben ist ein Prozeß der fachlichen Ausdifferenzierung auswärtiger Beziehungen festzustellen, die immer intensiver auch als Fachpolitiken wahrgenommen werden. Hier wiederholt sich ein Prozeß aus dem Bereich der Innenpolitik, in dem schrittweise fachliche Aufgaben aus den Innenministerien ausgegliedert wurden. Im Außenverhältnis bauen die Fachressorts auf ihren Zuständigkeiten für internationale Fachorganisationen und Verträge auf, im Innenverhältnis auf der Verbindung zu den fachlichen Apparaten, zur Gesetzgebung und zur Lobby, die ihnen die Umsetzung international abgestimmter Politiken im Inland ermöglicht. Die Internationalisierung ihrer Aufgabenwahrnehmung kommt insbesondere in den sogenannten Weltkonferenzen und in der Entwicklung globaler Normen-2 und Regelwerke zum Ausdruck.

Die Bilanz der Verschiebungen von Leitbildern, Aufgabenfeldern und Instrumenten zeigt, daß traditionelle Zuordnungen keinen Bestand mehr haben. Gleiche Ziele werden in unterschiedlichen Aufgabenfeldern mit verschiedenen Instrumenten verfolgt. Instrumente einzelner Aufgabenfelder werden für verschiedenartige Ziele eingesetzt. Die Zusammenhänge zwischen und die Überschneidungen von Politikfelder nehmen zu. Den Chancen von Synergie und Kohärenz stehen die Risiken von Doppelarbeit und wechselseitiger Blockade gegenüber.

Fragen an die Positionierung der Entwicklungspolitik

Entwicklungspolitik und BMZ müssen vor diesem Hintergrund wie andere auswärtige Politikfelder auch ihren Platz im Gesamtsystem des nach Außen gerichteten staatlichen Handelns neu bestimmen. Eine rationale Einordnung von Entwicklungspolitik und BMZ in das Gesamtsystem auswärtiger Politikfelder erfordert Antworten in drei Bereichen:

  • Erstens geht es um das Verhältnis zur Außenpolitik, mit der die Entwicklungspolitik den fachübergreifenden Blick nach außen teilt und von der sie gleichzeitig im Bezug auf ihre Aufgabenfelder und Instrumente grundverschieden ist.

  • Zweitens muß das Verhältnis zu den Fachpolitiken definiert werden, die einerseits Erwartungen an die Entwicklungspolitik und ihre Instrumente richten und die andererseits sich und ihre Instrumente mit Erwartungen der Entwicklungspolitik konfrontiert sehen.

  • Drittens geht es das geographische Mandat von Entwicklungspolitik, die einerseits in Mittel- und Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion neu gefordert und andererseits im Verhältnis zu sogenannten Schwellenländern in Frage gestellt wurde.

Entwicklungspolitik hat in der Vergangenheit ihr Selbstverständnis und ihre Position gegenüber anderen Politikfeldern in der Regel primär normativ definiert, d.h. aus den von ihr verfolgten Zielen abgeleitet. Damit unterschied sie sich von dem sonst üblichen funktionalen Selbstverständnis anderer Politikbereiche. So werden Außenpolitik oder Wirtschaftspolitik nicht ex definitione normativ als Friedenspolitik oder Vollbeschäftigungspolitik, sondern zunächst funktional als staatliche Gestaltung der Beziehungen zu anderen Staaten bzw. als staatliche Beeinflussung von Wirtschaftsordnung, - ablauf und -struktur verstanden. Die normativen Festlegungen erfolgen politisch und haben in diesen Fällen auch in Gesetzen (z.B. Gesetz über den Auswärtigen Dienst bzw. Stabilitäts- und Wachstumsgesetz) ihren jeweiligen grundsätzlichen Niederschlag gefunden, ohne daß damit allerdings abschließende politische Vorgaben gemacht werden.

Vor dem Hintergrund der breiten politischen Diskussion über Stärkung und künftige Rolle der Entwicklungspolitik muß überprüft werden, ob ein normatives Selbstverständnis die Entwicklungspolitik in Zukunft sinnvoll in das Gefüge der sonst primär funktional definierten anderen Politikfelder einordnen kann.

Das traditionelle normative Selbstverständnis von Entwicklungspolitik verstand diese als die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der sogenannten Entwicklungsländer. Ein solcher eingegrenzter Begriff von Entwicklungspolitik vernachlässigt die enorme geographische, fachliche und normative Verbreiterung und wechselseitige Verknüpfung der zu bewältigenden Aufgaben und führt zu einer Nischenpolitik mit gleichzeitigen Maximalansprüchen bei Zuständigkeiten und einseitigen Kohärenzforderungen an andere Politikfelder. Gleiches gilt um so mehr für eine zusätzliche normative Verengung des Selbstverständnisses auf Armutsbekämpfung.

Aber auch neuere normative Entwürfe von Entwicklungspolitik als der Politik global nachhaltiger Entwicklung sind für eine Positionsbestimmung ungeeignet. Solche Konzepte von Entwicklungspolitik als Weltentwicklungspolitik stellen nicht nur ebenfalls unrealistische Maximalansprüche dar, sie würden auch zur Herauslösung der internationalen Dimensionen aus den Fachpolitiken und damit zu deren Provinzialisierung führen. Außerdem muß eine Politik globaler Nachhaltigkeit auch auf die (Fehl-)Entwicklungen im Inland zielen. Im übrigen gibt es andere Gestaltungsaufgaben im Ausland, die dem Ziel global nachhaltiger Entwicklung zumindest nicht ohne weiteres zuzuordnen sind (Krisenprävention, Nothilfe, Menschenrechte u.a.) oder bei denen dieses Ziel nur den Charakter einer normativen Nebenbedingung haben kann (Migration, Wahrung von Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen).

Alle rein normativen Ansätze neigen zu Überheblichkeit gegenüber anderen Politikbereichen und haben ein ungeklärtes Verhältnis zu sonstigen Zielen und Interessen. Zu einer tragfähigen Einordnung von Entwicklungspolitik und BMZ in das Gesamtsystem der auswärtigen Politikfelder sind sie aufgrund von normativer Verengung und gleichzeitigen maximalen Zuständigkeitsansprüchen nicht in der Lage. Sie haben bereits in der Vergangenheit zu Kommunikations- und Abstimmungsproblemen geführt und eine angemessene Positionierung der Entwicklungspolitik eher behindert.

In engem Zusammenhang mit dem traditionellen normativen Selbstverständnis von Entwicklungspolitik steht ein teleologisches (zielgerichtetes) Verständnis des Entwicklungsbegriffes selber. Entwicklung wird dabei als Weiter-Entwicklung, als ein nach Vorne, zum Besseren gerichteter Prozeß verstanden, dessen Richtung bereits begrifflich vorgegeben ist. Eine solche begriffliche Vorfestlegung ist heute allein schon angesichts der Vielzahl unterschiedlicher qualitativer Entwürfe von Entwicklung nicht mehr möglich. Auch die Vorstellung, die Richtung von Entwicklung könne allein aus der Entfaltung der inneren Anlagen des Entwicklungssubjektes abgeleitet werden, findet ihre Grenzen sowohl in den Schwierigkeiten, diese authentisch zu definieren, als auch in der Tatsache der wechselseitigen wert- und interessensorientierten Beeinflussung von Entwicklungen. Entwicklung muß heute begrifflich als ergebnisoffener Prozeß verstanden werden, dessen Richtung auf der Grundlage von Zielen und Interessen beeinflußt werden kann, die im politischen Diskurs national wie international zu formulieren sind.

Der Versuch einer rationalen Einordnung der Entwicklungspolitik erscheint auf der Grundlage der Bestimmung von Motiven, Zielen und Interessen nicht mehr möglich, sondern setzt zunächst eine Besinnung auf die Funktion von Entwicklungspolitik im Gesamtsystem auswärtiger Politiken voraus. Die Kernfrage ist nicht "Was soll Entwicklungspolitik?", sondern "Was ist Entwicklungspolitik?". Die Ziele und Interessen hingegen, die Entwicklungspolitik verfolgen soll, sind im politischen Prozeß zu definieren und ergeben sich nicht aus ihrer funktionalen Aufgabenbestimmung. Nur so können Antworten gefunden werden, die auch von den anderen Politikbereichen verstanden werden und mit denen Entwicklungspolitik und BMZ einen optimalen Beitrag im Gesamtsystem auswärtiger Politiken leisten können.

Wenn Entwicklungspolitik und BMZ selber sich von einem primär normativen Selbstverständnis lösen und ihre künftige Rolle zuerst funktional, d.h. von ihren Aufgabenfeldern und Instrumenten her definieren, können sie sich für die Breite der Ziele und Interessen Deutschlands im Ausland öffnen und ihre Ansprüche bei funktionaler Zuständigkeit und inhaltlicher Federführung auf eine neue Grundlage stellen.

Aufgabenfelder, Instrumente und Ziele nach außen gerichteten staatlichen Handelns

Das Gesamtsystem des nach Außen gerichteten Handelns eines Landes umfaßt verschiedenste Bereiche wie Handel, Investitionen, Technologie, Migration, Umwelt, Gesundheit, Kultur sowie politische und militärische Macht. In der Mehrzahl dieser Bereiche sind überwiegend private Personen, Unternehmen und Institutionen tätig. Staatliches Handeln in diesen Bereichen hat grundsätzlich zwei Aufgabenfelder:

  • Mitgestaltung der Beziehungen der Länder untereinander und

  • Mitgestaltung der Verhältnisse in anderen Ländern.

Ihm stehen grundsätzlich sowohl nach Außen wie nach Innen gerichtete Instrumente zur Verfügung, die entweder der Regulierung nichtstaatlichen Handels dienen oder eigene staatliche Tätigkeit darstellen:

  • Nach Außen: Diplomatie einschließlich bi- und multilateraler Vertragswerke, Zusammenarbeit, Androhung und Einsatz militärische Gewalt.

  • Nach Innen: Setzung von Rechtsnormen einschließlich ihrer Durchsetzung, finanzielle und sonstige Förderung, Bewußtseinsbildung.

Die Ziele nach außen gerichteter Politik sind sehr vielgestaltig und unterschiedlich. Sie können mittelbarer und unmittelbarer Natur sein, im In- wie im Ausland liegen und wie alle politischen Ziele einem zeitlichen Wandel unterliegen. Entsprechend verändern sich die Bedeutung von Aufgabenfeldern und die Zuordnung und Ausrichtung von Instrumenten.

Es ist damit zu unterscheiden zwischen dem funktionalen (aufgabenfeld- und instrumentenbezogenen) Verständnis nach außen gerichteter Politikbereiche und den von ihnen verfolgten, politisch zu formulierenden Zielen. Dabei kann ein Ziel in verschiedenen Aufgabenfeldern und mit unterschiedlichen Instrumenten verfolgt werden. Genauso steht ein Aufgabenfeld oder Instrument zur Erreichung unterschiedlicher Ziele zur Verfügung (Fungibilität).

Funktionale Einordnung von Entwicklungspolitik

Aufgabenfelder

Im Hinblick auf die Aufgabenfelder auswärtiger Politiken unterscheiden sich Entwicklungspolitik und Außenpolitik dadurch, daß

  • Außenpolitik in erster Linie auf die Mitgestaltung der Beziehungen zu anderen Ländern und

  • Entwicklungspolitik in erster Linie auf die Mitgestaltung der Verhältnisse in anderen Ländern gerichtet ist.

Die Beziehungsorientierung der Außenpolitik ist genauso klassisch wie die Tatsache, daß Entwicklungspolitik die Verhältnisse in anderen Ländern verändern soll und damit eine bedingte Abweichung vom Grundsatz der Nichteinmischung darstellt.

Der Unterschied der Fachpolitiken zu Außenpolitik und Entwicklungspolitik liegt in erster Linie darin, daß

  • die Aufgabenfelder von Außenpolitik und Entwicklungspolitik fachübergreifend nach außen gerichtet sind und

  • die Aufgabenfelder von Fachpolitiken und Fachressorts fachbezogen sind und in erster Linie in der Gestaltung der Verhältnisse im eigenen Land liegen.

  • Erst in zweiter Linie und - daraus abgeleitet - liegen die Aufgabenfelder der Fachpolitiken auch in der Mitgestaltung der entsprechenden fachlichen Beziehungen zu den anderen Ländern.

Auswärtige Fachpolitiken sind deshalb grundsätzlich dem Aufgabenfeld der Mitgestaltung von Beziehungen zuzuordnen.

Eine Sonderstellung im Bereich der Fachpolitiken nimmt die Umweltpolitik ein. Als Fachpolitik zielt sie zunächst auf die Verhältnisse im eigenen Land und auf die entsprechenden Beziehungen zu anderen Ländern. Von Außenpolitik, Entwicklungspolitik und sonstigen Fachpolitiken unterscheidet sie sich jedoch dadurch, daß das Aufgabenfeld der Umweltpolitik als globaler Umweltpolitik auch die Verhältnisse in der allen Ländern gemeinsamen globalen Umwelt ("globale Almende") und daraus abgeleitet die Beeinflussung der "Beziehungen" aller Länder zu dieser Umwelt umfaßt, die selber nicht als Völkerrechtssubjekt handeln kann.

Da die Verhältnisse in anderen Ländern wesentlich für deren Beziehungen zur globalen Umwelt und damit für die Verhältnisse in ihr sind, stehen Entwicklungspolitik und Umweltpolitik in einer besonders intensiven Wechselbeziehung.

Instrumente

Im Hinblick auf ihre Instrumente liegen die Unterschiede von Außenpolitik und Entwicklungspolitik vor allem darin, daß im Bereich der eigenen staatlichen Tätigkeit

  • Außenpolitik insbes. mit Instrumenten der Diplomatie und

  • Entwicklungspolitik insbes. mit Instrumenten der Zusammenarbeit bei der Realisierung von Projekten und Programmen und der damit verbundenen Beeinflussung von Rahmenbedingungen in Partnerländern (Politikdialog) betrieben wird.

Außenpolitik und Entwicklungspolitik haben deshalb zur Umsetzung ihrer Politiken auch völlig unterschiedliche Organisationen und Institutionen geschaffen, die Außenpolitik insbes. den Auswärtigen Dienst und die Entwicklungspolitik insbes. Durchführungsorganisationen zur Realisierung ihrer Vorhaben.

Im Bereich der Regulierung des nichtstaatlichen ins Ausland gerichteten Handelns und des nach Außen wirkenden Handelns im Inland setzt

  • Außenpolitik insbes. Instrumente der Ordnung und Absicherung,

  • Entwicklungspolitik insbes. Instrumente der Förderung und Bewußtseinsbildung

ein. Außenpolitik dient dabei in erster Linie der Ermöglichung von nichtstaatlichen Beziehungen und ihrer Beeinflussung im Hinblick auf angestrebte Beziehungszustände. Entwicklungspolitik hingegen will nichtstaatliche Beziehungen im Hinblick auf angestrebte Wirkungen im Partnerland beeinflussen.

Im Bereich der Fachpolitiken ist festzustellen, daß die außenorierentierten Instrumente der Fachpolitiken in erster Linie im gegenseitigen fachlichen Austausch mit anderen Ländern und in der Entwicklung bilateraler und multilateraler fachlicher Normen- und Regelwerke bestehen. Die gemeinsame Realisierung von Vorhaben z.B. im grenzüberschreitenden Bereich findet zwar im gegenseitigen Ausland statt, hat aber unmittelbar die Gestaltung der Verhältnisse im eigenen Land zum Gegenstand. Im Unterschied dazu fördert Entwicklungspolitik Vorhaben im Ausland, die zunächst die Veränderung der Verhältnisse im Partnerland zum Gegenstand haben und die ohne die Förderung nicht oder nicht in der vom Förderer angestrebten Form verwirklicht würden.

Eine instrumentelle Sonderstellung hat die Verteidigungspolitik. Ihr zentrales Instrument, Androhung und Einsatz militärischer Gewalt, unterscheidet sie grundsätzlich von den zivilen Instrumenten von Außenpolitik, Entwicklungspolitik und Fachpolitiken. Sie kann über den unmittelbaren Bereich der Schaffung äußerer Sicherheit hinaus auch zur Beeinflussung der Beziehungen zu und der Verhältnisse in anderen Ländern eingesetzt werden und damit zur Flankierung und Ergänzung der zivilen Instrumente dienen.

Geographische Mandate

Die geographischen Mandate der verschiedenen auswärtigen Politikbereiche folgen nicht unmittelbar aus ihren jeweiligen Funktionen, sondern ergeben sich aus den politisch zu formulierenden Zielen und Interessen, den davon betroffenen Aufgabenfeldern und der Eignung der jeweiligen Instrumente. Sie unterliegen damit grundsätzlich sowie in der Intensität ihrer Wahrnehmung einem zeitlichen Wandel. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben dies in besonderer Weise deutlich gemacht.

Die geographischen Mandate der verschiedenen Politikbereiche ergeben sich insbesondere aus folgenden Voraussetzungen:

  • Außenpolitik hat heute ein geographisch unbegrenztes Mandat, nicht zuletzt weil nahezu alle Länder Mitglieder der Vereinten Nationen sind. Gleichwohl hängt die Intensität der Ausfüllung dieses Mandates von der Bedeutung der jeweiligen Beziehungen für das eigene Land ab.

  • Das geographische Mandat der Entwicklungspolitik ergibt sich aus der jeweils politisch zu formulierenden Notwendigkeit der Mitgestaltung der Verhältnisse in anderen Ländern und umfaßt heute praktisch alle Länder außerhalb von EU, Nordamerika, Japan sowie Australien und Neuseeland.

  • Die geographischen Mandate der Fachpolitiken folgen aus der Bedeutung der jeweiligen fachlichen auswärtigen Beziehungen für die Lösung nationaler und globaler Fachaufgaben.

  • Das geographische Mandat der Verteidigungspolitik im Sinne von Androhung und Einsatz militärischer Gewalt folgt aus dem jeweiligen politischen Auftrag, in der Regel dann, wenn der Einsatz anderer Instrumente nicht oder nicht alleine als ausreichend angesehen wird.

Vor dem Hintergrund der globalen Veränderungen und Herausforderungen ist heute von einem geographisch grundsätzlich unbegrenzten Mandat aller auswärtigen Politikfelder auszugehen. Am signifikantesten ist dies bei der Verteidigungspolitik und der Entwicklungspolitik, die aus ihren früheren Selbstbeschränkungen heraustreten und global verfügbar werden.

Funktionales Selbstverständnis von Entwicklungspolitik

Auf der Grundlage der Abgrenzung von Aufgabenfeldern und Instrumenten zu Außenpolitik und Fachpolitiken wäre ein funktionales Selbstverständnis von Entwicklungspolitik und BMZ wie folgt zu definieren:

Entwicklungspolitik ist die Mitgestaltung der Verhältnisse in anderen Ländern (Aufgabenfeld) mit zivilen Mitteln (Instrumenten). Zu ihren Instrumenten gehören vor allem Realisierung von Projekten und Programmen in Verbindung mit Beeinflussung von Rahmenbedingungen in Partnerländern sowie Beeinflussung des nach Außen wirkenden nichtstaatlichen Handelns durch Förderung und Bewußtseinsbildung.

Entwicklungspolitik definiert auf der Grundlage gesamtstaatlicher Ziele und Interessen die angestrebten Zustände in den Partnerländern, steuert den Einsatz ihrer Instrumente und wirkt entsprechend an der Gestaltung anderer Aufgabenfelder und am Einsatz von deren Instrumente mit.

Entwicklungspolitik ist damit ein eigenständiger Politikbereich, der sich durch sein Aufgabenfeld und seine Instrumente grundsätzlich von anderen auswärtigen Politikfeldern unterscheidet und gleichzeitig der Gesamtheit der Ziele und Interessen verpflichtet ist.

Entwicklungspolitik kommt dann zum Tragen, wenn die Mitgestaltung der Verhältnisse in anderen Ländern mit zivilen Mitteln - wann, wo, warum und wofür auch immer - politisch gewollt und möglich ist. Die Möglichkeit von Entwicklungspolitik hängt dabei selbstverständlich auch davon ab, daß sie auf der Partnerseite zumindest geduldet wird. Art und Ausmaß der Partnerschaft sind aber bereits wieder dem normativen Bereich zuzuordnen. Dabei geht es insbesondere um die Bedeutung der Werte und Normen sowie der Ziele und Interessen des Partners.

Zusammenwirken von Entwicklungspolitik und anderen Politikbereichen

Zunehmende Globalisierung und Interdependenz zwischen Regionen wie Sachbereichen haben dazu geführt, daß feste Zuordnungen von Leitbildern, Aufgabenfeldern und Instrumenten keinen Bestand mehr haben können. Vielmehr ist davon auszugehen, daß alle Politikbereiche grundsätzlich die Gesamtheit der Ziele und Interessen verfolgen, zumindest aber berücksichtigen müssen (wechselseitiges Kohärenzgebot). Die Abgrenzung von Politikbereichen kann deshalb nicht in erster Linie durch die Zuordnung von Ziel- und Interessensbereichen, d.h. auf der normativen Ebene, sondern muß zunächst funktional nach Aufgabenfeldern und Instrumenten erfolgen.

Die Beispiele für die Notwendigkeit des funktionalen Zusammenwirkens zwischen den Politikfeldern nehmen zu. In Bosnien gestaltet die Außenpolitik die Beziehungen zwischen den beteiligten Seiten und schafft den allgemeinen völkerrechtlichen Rahmen, die Entwicklungspolitik fördert die Veränderung der Verhältnisse in Bosnien durch Projekte und Programme in den verschiedensten Sektoren, die Verteidigungspolitik sichert die Umsetzung des Vereinbarten durch Androhung und Einsatz militärischer Gewalt und die Innenpolitik (hier fachlich als Flüchtlingspolitik) beeinflußt die Migrationsbeziehungen durch Maßnahmen der Rückkehrförderung. Beim globalen Umweltschutz schafft die Umweltpolitik internationale Vertragswerke (Konventionen) zur Regulierung der ökologischen Beziehungen der Länder untereinander und gegenüber der globalen Umwelt, die Entwicklungspolitik beeinflußt das umweltrelevante Verhalten in anderen Ländern u.a. durch Projekte und Programme zur Umsetzung der Konventionen. Bei der Armutsbekämpfung beeinflußt die Entwicklungspolitik die Rahmenbedingungen in den Partnerländern und fördert dort entsprechende Projekte und Programme, die Außenwirtschaftspolitik schafft Handelspräferenzen und Marktzugang für die betroffenen Länder. Bei der deutschen Standortpolitik stärkt die Außenwirtschaftspolitik die wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Ländern durch entsprechende Vertragswerke und Garantien, die Außenpolitik schafft vorteilhafte politische Beziehungen, die Entwicklungspolitik wirkt mit ihren Instrumenten auf entsprechend günstige Verhältnisse in den Partnerländern hin.

Als fachübergreifender Politikbereich kann Entwicklungspolitik verschiedene Ziele und Interessen auf regionaler Ebene bündeln und integriert verfolgen. Sie ist insofern ein besonders effizienter Funktionsbereich in der Zusammenarbeit mit anderen Ländern, der Länder-, Instrumenten und Fachkompetenz verbindet.

Funktionale Zuständigkeiten und inhaltliche Federführung

Da die Ziel- und Interessenbündel komplexer werden und quer zu einzelnen Politikbereichen liegen, d.h. von keinem alleine verfolgt werden können, stellt sich die Frage von Koordination und Kohärenz. Hier ist zunächst einmal auf das Kollegialorgan Bundesregierung und die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers zu verweisen, durch die eine Gesamtintegration der Politik sicherzustellen ist. Zusätzlich bedarf es aber auch der Zuordnung von Zuständigkeiten und Federführungsbereichen auf Ressortebene, damit entsprechende Entscheidungen vorbereitet werden können. In bezug auf die funktionalen Aufgaben der Politikbereiche, d.h. ihre Zuständigkeiten, ist dies oben geschehen. Die Zuordnung inhaltlicher Ziel- und Interessensbereichen muß pragmatisch darauf aufbauen. Entscheidendes Kriterium ist deshalb, welcher funktionale Bereich den wesentlichen Beitrag zur Bewältigung einer inhaltlichen Aufgabe leisten kann. Die Zuordnung einer inhaltlichen Aufgabe zu einem Politikbereich bedeutet, daß dieser die jeweilige Aufgabe federführend wahrnimmt und die entsprechenden Aktivitäten der anderen Politikbereiche koordiniert. Sie bedeutet aber nicht, daß diese zur alleinigen oder beherrschenden inhaltlichen Aufgabe des jeweiligen Politikbereiches werden darf. Kein Politikbereich kann für sich ein Kohärenzprimat oder eine Sonderrolle als alleiniger Querschnittsbereich in Anspruch nehmen, da die Mehrzahl der vorrangigen inhaltlichen Aufgaben als Querschnittsaufgaben anzusehen ist (z.B. Standortpolitik, Umweltpolitik, Sicherheitspolitik, Krisenprävention, Förderung der Entwicklungsländer, Armutsbekämpfung).

Vor diesem Hintergrund sollte der Politikbereich Entwicklungspolitik folgende funktionale Zuständigkeiten und inhaltliche Federführungsbereiche wahrnehmen:

  • Funktional: Zuständigkeit für alle zivilen Maßnahmen (insbes. Projekte und Programme sowie Politikdialog) zur Mitgestaltung der Verhältnisse in anderen Ländern sowie für die entsprechenden nationalen und internationalen Einrichtungen und Veranstaltungen.

  • Inhaltlich: Federführung für alle inhaltlichen Aufgaben, die überwiegend mit Mitteln seines funktionalen Zuständigkeitsbereiches zu bewältigen sind, d.h. geographisch: alle auf Länder und Regionen bezogenen Aufgaben, die vor allem Mitgestaltung der dortigen Verhältnisse erfordern; für Auswahl und Festlegung der entsprechenden Länder; Formulierung der in diesen Ländern verfolgten Ziele und Interessen; fachlich: alle Fachaufgaben in den Partnerländern sowie alle globalen Fachaufgaben, die vor allem durch die Mitgestaltung der Verhältnisse in anderen Ländern bewältigt werden müssen, einschließlich der entsprechenden internationalen Einrichtungen und Veranstaltungen.

Im Bereich der funktionalen Zuständigkeiten sind bereits heute die wesentlichen entwicklungspolitischen Instrumente beim BMZ gebündelt. Hinzukommen sollten insbes. die noch verstreuten Zuständigkeiten bei der europäischen Entwicklungspolitik, die Humanitäre Hilfe einschl. UNHCR, UNWRA und UNICEF, die zivile Ausstattungs- und die Demokratisierungshilfe sowie die Osteuropa-Bank (EBRD). Aber auch die Maßnahmen zugunsten deutscher Siedlungsgebiete, bei denen sowieso nicht zwischen Deutschen und Angehörigen der Partnerländer unterschieden werden kann, fallen in den funktionalen Aufgabenbereich der Entwicklungspolitik. Nicht zum funktionalen Zuständigkeitsbereich der Entwicklungspolitik gehören Instrumente, die vor allem die Beziehungen zu anderen Ländern gestalten wie z.B. die Auswärtige Kulturpolitik einschließlich UNESCO, die Welthandelspolitik mit der WTO oder die Währungspolitik mit dem IWF. An diesen Bereichen muß die Entwicklungspolitik allerdings im Rahmen ihrer Aufgaben mitwirken, z.B. wenn der IWF mit seiner Auflagenpolitik die Verhältnisse in ihren Partnerländern beeinflußt.

Im Bereich der inhaltlichen Federführung ist der Entwicklungspolitik geographisch bislang der Kreis der sogenannten Entwicklungsländer zugeordnet. In diesem Rahmen muß weiter die Federführung für die Schwellenländer wahrgenommen werden, soweit dort Mitgestaltungsaufgaben gegeben sind. Gleiches sollte uneingeschränkt für Mittel- und Osteuropa gelten. Weitere geographische Aufgaben zeichnen sich derzeit nicht ab, können aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.

Bei den Fachaufgaben in den Partnerländern ist die inhaltliche Federführung der Entwicklungspolitik bei den sogenannten Entwicklungsländern praktisch gegeben. Bei den Schwellenländern sowie in Mittel- und Osteuropa muß Entwicklungspolitik deutlich machen, daß sie zur Integration von aus anderen Politikbereichen kommenden Zielen und Interessen bereit und in der Lage ist.

Bei den globalen Fachaufgaben ist der Entwicklungspolitik bislang keine umfassende Federführung zugewiesen worden. Einige dieser Aufgaben erfordern in erster Linie Regelwerke zur Beeinflussung des internationalen Verhaltens der Staaten und fallen damit aufgrund ihrer Beziehungsorientierung in die Federführung von Fachpolitiken, z.B. beim globalen Klimaschutz oder beim Seerecht. Entwicklungspolitik wirkt an diesen Regelwerken mit und beteiligt sich an der Umsetzung der Konzepte mit ihren Instrumenten (z.B. GEF, Montrealer Protokoll Fonds, FCKW-Fonds für Rußland). Der Entwicklungspolitik sollte künftig die inhaltliche Federführung für die Bereiche zugeordnet werden, die in erster Linie die Mitgestaltung der Verhältnisse in den Partnerländern erfordern. Dies ist bereits bei der Wüstenbekämpfung und der Armutsbekämpfung der Fall. Hinzukommen könnten z.B. die Bereiche Weltbevölkerung, Welternährung, Wasser. Entsprechende Weltkonferenzen sollten in die Federführung der Entwicklungspolitik gestellt werden, auch wenn sie in Teilbereichen andere Politikfelder berühren. Umgekehrt kann Entwicklungspolitik nicht dort fachliche Federführung übernehmen, wo sie selbst funktional nur als ein Teilbereich neben anderen berührt ist, z.B. Gesundheit, Frauen.

Das Leitbild der global nachhaltigen Entwicklung ist als fach- und länderübergreifende Richtschnur für alle Politikbereiche konzipiert. Es erfordert sowohl Maßnahmen im Inland als auch im Ausland sowie in den internationalen Beziehungen. Entwicklungspolitik hat aufgrund ihres fachübergreifenden Charakters, ihres funktionalen Mandates im Ausland sowie ihres Praxisbezuges durch die Zusammenarbeit mit ihren Partnerländern eine besondere Nähe zu diesem Leitbild. Ihr funktionales Mandat im Inland beschränkt sich aber im wesentlichen auf Bewußtseinsbildung, die über Verhaltensänderungen Wirkungen in anderen Ländern erzielen soll. Ihr fehlt auch die funktionale Zuständigkeit, wo das Verhalten anderer Länder nur durch internationale Regelwerke, d.h. mit den Instrumenten der Fachpolitiken beeinflußt wird (z.B. USA beim Klimaschutz). Da das Leitbild der global nachhaltigen Entwicklung sowohl auf die Verhältnisse in anderen Ländern und im eigenen Land als auch auf die Verhältnisse in der allen Ländern gemeinsamen Umwelt abstellt, kann Entwicklungspolitik eine inhaltliche Federführung nur im engen Zusammenwirken mit der Umweltpolitik wahrnehmen.

Konzentration auf entwicklungspolitische Kernaufgaben

Ein neu formuliertes, primär funktionales Selbstverständnis von Entwicklungspolitik muß auch bei der notwenigen Konzentration auf entwicklungspolitische Kernaufgaben an die Stelle der traditionellen normativen Ansätze treten. Die Frage kann nicht mehr lauten, welchen Beitrag eine Aufgabe, ein Instrument oder eine Arbeitseinheit z.B. zur Förderung der Entwicklungsländer leistet, sondern zunächst, ob sie zum funktionalen Zuständigkeitsbereich der Entwicklungspolitik gehört, und dann, welchen Beitrag sie zur Bewältigung der von der Entwicklungspolitik federführend wahrzunehmenden inhaltlichen Aufgaben leistet. Die Entwicklungspolitik sollte sich also grundsätzlich auf die Aufgaben konzentrieren, für die sie die funktionale Zuständigkeit und die inhaltliche Federführung beanspruchen kann. Mitwirkungsaufgaben bei anderen Politikfeldern sollten nur dort wahrgenommen werden, wo es aufgrund der inhaltlichen - geographischen oder fachlichen - Federführung der Entwicklungspolitik erforderlich ist oder wo die Entwicklungspolitik maßgebliche Beiträge zu anderen Federführungsbereichen (z.B. globaler Umweltschutz) leistet.

Im Bereich der funktionalen Zuständigkeit ist es die Kernaufgabe der Entwicklungspolitik, alle erforderlichen zivilen Instrumente zur Verfügung zu stellen, die die Bundesregierung zur ziel- und interessensorientierten Mitgestaltung der Verhältnisse in anderen Ländern benötigt. Hier ist zwar eine innere Konzentration und Straffung möglich, nicht aber ein Überlassen einzelner Instrumente an andere Politikbereiche. Entsprechendes gilt für die nationalen und internationalen entwicklungspolitischen Einrichtungen.

Im Bereich der inhaltlichen Federführung gilt gleiches für alle auf Länder und Regionen bezogene Aufgaben (z.B. Förderung der LDC´s, Bewältigung sozialer und ökologischer Probleme in Schwellenländern/NIC´s, Unterstützung des Transformationsprozesses in MOE/NUS). Eine Konzentration auf vorrangige Länder, Ländergruppen oder Regionen und dort verfolgte Ziele und Interessen kann immer nur eine für die Bundesregierung insgesamt sein. Sobald - aus welchen Gründen auch immer - von der Bundesregierung in einzelnen Ländern Mitgestaltungsaufgaben gesehen werden, sind diese auch von der Entwicklungspolitik wahrzunehmen. Die Entwicklungspolitik hat zwar die Federführung für die Auswahl und Festlegung ihrer Partnerländer und die Formulierung der dort angestrebten Ziele, muß dabei aber die Gesamtheit der Ziele und Interessen berücksichtigen. Würde sich Entwicklungspolitik auf einzelne Ziele und Interessen beschränken, würde sie eine ihrer zentralen Stärken - die Bündelung unterschiedlicher Belange auf regionaler Ebene - aufgeben und zu einer Fachpolitik werden. Denkbar wäre eine Konzentration z.B. auf die Länder und Regionen, die aufgrund ihrer geographischen Lage, ihrer wirtschaftlichen oder politischen Bedeutung oder ihrer Relevanz für die Lösung globaler Fachaufgaben (z.B. Armutsbekämpfung, Umweltschutz, Bevölkerungspolitik) zur Verfolgung der Ziele und Interessen Deutschlands besonders wichtig sind.

Im Bereich der inhaltlichen Federführung bei den Fachaufgaben in den Partnerländern ist eine Konzentration in Abhängigkeit von der Konzentration auf Länder, Ziele und Interessen möglich, nicht aber ein Überlassen an andere Politikbereiche.

Bei den globalen Fachaufgaben sollte eine Konzentration auf die aus deutscher Sicht zentralen globalen Zukunftsthemen erfolgen, die gleichzeitig in relevantem Umfang die Mitgestaltung der Verhältnisse in anderen Ländern erfordern. Die Mitwirkung an globalen Fachaufgaben, die sich im wesentlichen auf globale Rahmenbedingungen beziehen und/oder sich nur über internationale Normen- und Regelwerke bewältigen lassen, sollte nur insoweit wahrgenommen werden, als dies für die geographischen und fachlichen Federführungsaufgaben der Entwicklungspolitik vorrangig ist und nennenswerte Ergebnisse erwarten läßt.

Die Überlegungen zur Konzentration auf funktionale und inhaltliche Kernaufgaben für den Politikbereich Entwicklungspolitik sind zu unterscheiden von der notwendigen Konzentration des BMZ auf ministerielle Kernaufgaben. Es versteht sich aber von selber, daß das BMZ in erster Linie seinen funktionalen Zuständigkeitsbereich und seine inhaltlichen Federführungsbereiche kompetent wahrnehmen muß. Das BMZ sollte deshalb funktional zumindest in der Lage sein,

  • die verschiedenen Ziele und Interessen Deutschlands bei der Mitgestaltung der Verhältnisse in anderen Ländern in länderorientierten bzw. - soweit es federführend ist - in fachlichen Konzepten kohärent und ergebnisorientiert zu integrieren und

  • diese durch den Einsatz seiner Instrumente insbes. der Förderung von Projekten und Programmen in Verbindung mit der Beeinflussung der Rahmenbedingungen in den Partnerländern wirksam umzusetzen.

Die Wahrnehmung dieser funktionalen Kernaufgabe der Entwicklungspolitik schließt die entsprechende Steuerung ihrer nationalen und internationalen Institutionen ein. Die Überlassung funktionaler und inhaltlicher Aufgaben an diese Institutionen kann aber nur dort und nur soweit erfolgen, als dadurch die ministeriellen Zuständigkeiten und Federführungen nicht in Frage gestellt werden.

Schlußbemerkung

Der Versuch einer funktionalen Positionsbestimmung der Entwicklungspolitik soll in einer Phase entwicklungspolitischer Paradigmenwechel einen Beitrag zur Strukturierung der Debatte leisten. Er ist kein Plädoyer für die Aufgabe von Zielen in der Entwicklungspolitik. Werte und Normen sind wesentliche Grundlagen und Rahmenbedingungen für die Verfolgung von Zielen und Interessen eines demokratischen Rechtsstaates. Entwicklungspolitik sollte ihren funktionalen Auftrag darin sehen, diese in ihrer ganzen Breite mit Blick auf ihr spezifisches Aufgabenfeld - die Verhältnisse in anderen Länder - zu formulieren, zu bündeln und umzusetzen.


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