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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 3/1998
Alexander K. A. Gruhler
Ein staatsfreier Raum? Freie Informationsbeschaffung und Zensur im Internet

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Wie das Telefon im ausklingenden 19. Jahrhundert verspricht das Internet an der Schwelle zum 21. Jahrhundert einen enormen Sprung in den Kommunikationsmöglichkeiten der Menschheit. Bereits bestehende Übermittlungsmethoden - wie Briefpost, Buch, Presse, Telefon, Fax, Photo, Film, Tonträger, Funk und Fernsehen – werden integriert und auf absehbare Zeit möglicherweise sogar ersetzt. Im April 1997 verfügten knapp 7 % der deutschen Haushalte über einen Multimedia-tauglichen PC, rund 4,5 Millionen Bürger besitzen einen eigenen Zugang zum Internet. Weltweit an das Netzwerk angeschlossen waren 1997 bereits 60 Millionen Menschen, monatlich wächst ihre Zahl um 9 %, und die globale Interneteuphorie verspricht auch in den nächsten Jahren enorme Zuwachsraten.

Der simple Zugang zum globalen, grenzenlosen Kommunikationsfluß im Internet wirft aber auch die Frage nach der angemessenen Kontrolle von Kommunikationsinhalten neu auf.

Rechtlich problematische Informationsangebote im Internet

Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers ging 1997 davon aus, daß "rechtlich problematische Inhalte nicht einmal ein Prozent aller Internet-Angebote ausmachen". Durch die immensen Zuwachsraten kommerzieller und unbedenklicher privater Internetseiten dürfte dieser Anteil inzwischen noch kleiner geworden sein. Entscheidend ist aber nicht der Anteil fragwürdiger Internetseiten – sondern vielmehr die problem- und risikolose Beschaffung und Distribution, die selbst Internet-Neulinge in Kürze beherrschen. Am schnellsten gelangt der Internetbenutzer zu bedenklichen Angeboten im Usenet, das eine der zentralen "Säulen" des Internet darstellt. Hier werden zeitversetzt Nachrichten via E-Mail abgelegt. Dabei handelt es sich um themenbezogene Diskussionsrunden, sogenannte Schwarze Bretter (Newsgroups). Dort können digitale Bilder, Musikstücke oder Texte anonym abgerufen und abgelegt werden. Zur Zeit stehen ca. 26.000 verschiedene Newsgroups zur Verfügung, täglich gehen weltweit bis zu 400.000 neue digitale Beiträge ein. Dem Internet-Benutzer stehen alle Beiträge kostenlos zur Verfügung. Da Konsumenten und Distributoren des Usenet ihre digitale Spur anonymisieren können, stellt das Usenet einen attraktiven Marktplatz für jugendgefährdende und inkriminierte Inhalte dar. Grob geschätzt, stehen in 50-100 Foren bedenkliche Inhalte zur Verfügung. Das können Newsgroups sein, in denen der Holocaust verleugnet wird, Rechtsextreme für ihre Bewegungen werben, Pädophile Kontaktadressen oder Bilder hinterlegen oder Pyromanen Bombenbau-Anleitungen veröffentlichen.

Die Palette der Angebote reicht weit: Publik wurde die Offerte des Rosenheimer Ehepaares, das, von Ermittlungsbehörden aufgedeckt, Kinder zum sexuellen Mißbrauch bis hin zur Tötung anbot, oder interaktive Live-Shows, in denen Internet-Benutzer sich gegenseitig Anweisungen senden, wie ein Kind zu mißhandeln sei . Es sind aber auch jene Kinder akut gefährdet, die in den sogenannten Chat-Foren (interaktive Plauderecken), miteinander kommunizieren und dort von pädophilen Kontaktsuchern angesprochen werden. Fälle dieses Musters wurden in den USA vom FBI aufgedeckt, andere wurden in Australien publik. Das FBI gibt an, daß alleine in den USA 4.000 Pädophile das Internet täglich zur Kontaktsuche nutzen.

Cathy Cleaver, Direktorin des konservativen US-amerikanischen Family Research Council, konstatierte, daß das Internet ein Medium sei, in dem die ganze Palette der Pornographie vertreten sei; kein anderes Medium verfüge über eine solche Masse von Angeboten. Nach Angaben von Professor Dr. Michael Mehta von der kanadischen Queen's Universität steigt zudem die Anzahl der Internet-Server, auf denen pornographisches Material einschließlich Kinderpornographie zu finden ist, nach wie vor an, obwohl versucht werde, solche Angebote gesetzlich zu kontrollieren und zu begrenzen. Nach Mehtas Aussagen zieht der Erfolg der Online-Pornographie – praktisch der einzige Internet-Bereich, mit dem wirklich Geld verdient wird - sogar technische Weiterentwicklungen nach sich, da Porno-Konsumenten über bessere Hardware und schnellere Internet-Zugänge verfügen .

Auch politische Extremisten nutzen das Internet als ideales Werkzeug zur Verbreitung ihrer Ideen, da das Einspeisen von Webseiten die kostengünstigste Form ist, Propaganda, gleich welcher Art, zu publizieren. Linksradikale Gruppierungen hingegen sind im Internet recht schwach vertreten und reduzieren ihre politischen Äußerungen meist auf allgemeine Systemkritik oder fordern im pazifistischen Sinne eine "neue soziale Revolution". Die ebenfalls diesem Spektrum zugehörigen Anarchisten rufen dagegen oft explizit zur Gewalt gegen die herrschende Regierung auf. Repräsentativ für diese Gruppe ist in Deutschland die Freie ArbeiterInnen Union/ Internationale Arbeiter Assoziation. Für kleinere Schlagzeilen im linksradikalen Online-Bereich sorgten in Deutschland höchstens verbotene Flugblätter, die im Internet auf die Chaostage in Hannover vorbereiten sollten oder die in Deutschland verbotene linksradikale Untergrundzeitschrift "Radikal", die über einen niederländischen Server digital Verbreitung fand und in einer ihrer Ausgaben bezugnehmend auf den bevorstehenden Castortransport Anleitungen zur Bahnsabotage lieferte.

Massiv genutzt wird das neue Medium jedoch von rechtsradikalen Gruppen, einerseits um bestehende Kooperationsformen auszubauen bzw. neue Kontakte zu knüpfen, andererseits um ihre Propaganda mit wenig Aufwand zu verbreiten. Das populärste deutsche neonazistische Angebot firmiert unter dem Namen Thule-Netzwerk. Neben Informationen zur Waffentechnik und der üblichen Propaganda werden dort Adressenkataloge von mißliebigen politischen Gegnern ausgetauscht. Auf einer ihrer Seiten bringen die Thule-Betreiber den Stellenwert des Internet auf den Punkt: "Wir sind drinnen, der Staat bleibt draußen". Andere rechtsradikale Seiten leugnen den Holocaust, listen jüdische Regierungsmitglieder der Clinton-Administration auf oder veröffentlichen Teile aus Hitlers "Mein Kampf". Für den Netzsurfer abrufbar ist Online-Literatur von George Lincoln Rockwell, "White Power", "The Turner Diaries" von Andrew Macdonald (die das FBI als die "bible of the racist right" bezeichnet), oder "The International Jew – the World´s Foremost Problem" von Henry Ford.

Nicht selten verschicken Rechtsradikale auch E-Mails an Personen, denen bis vor Erhalt der Nachricht die Organisationen gänzlich unbekannt waren. So wurden dem Autor dieses Artikels schon unaufgefordert E-Mails von revisionistischen Gruppen aus den USA zugeschickt, in denen die "neue, wissenschaftlich fundierte" Erkenntnis mitgeteilt wurde, daß der millionenfache Mord an den Juden in Ausschwitz eine reine Propagandalüge sei. Weihnachten 1997 erhielten 70.000 Schweden ungebetene Post: Die "Weihnachtsgrüße" der Neonazi-Organisation Nordland zielten mit ihren Parolen gegen die dort lebenden Immigranten ab. An die E-Mail-Adressen gelangen solche Gruppen oftmals über die Teilnehmer von Newsgroups oder die sogenannten E-Mail-Suchmaschinen, die wie ein virtuelles Telefonbuch funktionieren.

Besonders intensiv beobachtet das Simon-Wiesenthal-Center die Umtriebe der Online-Neonazis. In einer Studie konstatierten die Forscher, daß Rechtsradikale das Internet schneller als irgendeine andere Gruppe der Gesellschaft für ihre Zwecke instrumentalisiert haben. Das Internet ermöglichte es ihnen, in einem einzigen Jahr mehr ihrer rassistischen und gewaltverherrlichenden Propaganda zu verbreiten, als in all den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach Ansicht des Simon-Wiesenthal-Centers hätten sich mittlerweile rund 600 dieser sogenannten Hate-Speech-Seiten im Internet etabliert – mit steigender Tendenz. Alleine 1997 sei der Anteil der von Neonazis, Rassisten und anderen Gruppen ins WWW eingespeisten Inhalte um 300 Prozent gestiegen. Unter den 600 abrufbaren Internetseiten wurden der Untersuchung zufolge 35 Homepages von militanten US-amerikanischen Gruppen eingespeist, 94 Seiten gefunden, die Rassentrennung propagieren, 87 Seiten, die explizit neonazistische Inhalte verbreiten, 35 Seiten, die für die weiße Herrschaft werben, und 51 Seiten, die sich offen für terroristische Gewaltakte aussprechen.

Strategien und Instrumente gegen unliebsame Internetinhalte

Anders als im WWW, dem eigentlichen Herzstück des Internet, ist es durch die Struktur des Usenet technisch machbar, einzelne Foren zu zensieren und für die Kunden der Internet-Anbieter unzugänglich zu machen. Der Versuch, unliebsame Inhalte im Internet zu zensieren, wird oftmals von politischen Gruppen gefordert, die die sogenannten Free-Speech-Organisationen gerne als "Moralapostel" oder "Puritaner" bezeichnen. Solche Forderungen werden in erster Linie von Kirchen-, Familienverbänden oder Abgeordneten konservativer Parteien erhoben. Mittlerweile gibt es aber auch schon Internetanbieter, die spezielle Online-Nischen anbieten, in denen Kinder vor bedenklichen Internetinhalten geschützt werden. Schließlich wird dieser Bereich in naher Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen: In einer amerikanischen Online-Umfrage gaben 30 Prozent der befragten Netzteilnehmer an, Bedenken gegenüber dem freien Zugang zu Pornographie im Internet zu haben; 38 Prozent der Befragten störten sich an den Gewaltdarstellungen im Netz; 47 Prozent hatten besonders starke Bedenken gegen Webseiten, die von Hate-Speech-Gruppen eingespeist werden. Nur 17 Prozent aller Befragten kritisierten Regulierungsmaßnahmen, d.h. eine kontrollierte Inhaltsauswahl.

Einer der führenden Provider Deutschlands, America Online (AOL), beschäftigt alleine in Deutschland 100 sogenannte "Lotsen", die auf der Suche nach gesetzwidrigen Inhalten sind und dafür Sorge tragen sollen, daß die allgemeinen Nutzungsbedingungen eingehalten werden. Die AOL-Lotsen können auch einzelnen AOL-Kunden den Zugang zum Netz sperren, wenn diese beispielsweise mit in Deutschland strafbaren Inhalten wie Kindersex oder Nazimaterial handeln. Mitglieder von AOL können die Lotsen jederzeit unter dem Kennwort "Lotse" per E-Mail erreichen und Straftaten bzw. Straftäter anzeigen. Im Durchschnitt wird pro Monat eine AOL-Homepage gesperrt, die illegale Inhalte verbreitet – in der Regel handelt es sich dabei um pornographische Darstellungen. Die meiste Arbeit der Lotsen fällt aber in den interaktiven Chat-Foren an, wo hin und wieder zu Gewalt aufgerufen wird und dann entsprechende Verweise oder Ermahnungen folgen.

Neben dem Lotsensystem unterhalten deutsche Provider auch spezielle Homepages, auf denen Netzsurfer inkriminierte Inhalte direkt an Strafverfolgungsbehörden melden können. Stellvertretend für diese neue Form der Internet-Hotlines sei hier die HII-Blackbox aus Halle genannt, die von der Halleschen Informationsinitiative seit Mai 1997 betrieben wird. Die Formulare sind in Deutsch und, um eine internationale Strafverfolgung zu ermöglichen, auch in Englisch abrufbar. Je nachdem in welchem Land der angezeigte Straftäter sitzt, werden die Formulare an die zuständigen Ermittlungsbehörden europaweit weiterversandt.

Zusätzlich geben die meisten Diensteanbieter bei Abschluß eines Vertrages besorgten Eltern zusätzliche Filtersoftware an die Hand, die im heimischen Rechner installiert werden kann. Der Einsatz von Filtersoftware ist zwar umstritten und wird in den USA zur Zeit heftig diskutiert, da nicht immer nur unbedenkliche Internetinhalte herausgefiltert werden. Eine im Dezember 1997 lancierte Studie einer Free-Speech-Organisation machte auf die Mängel aufmerksam: von 6.000 indizierten Seiten des populären Filterprogramms Cyber Patrol stuften die Autoren nur 200 Seiten als bedenklich ein. Das Programm sorgt dafür, daß selbst Recherchen in Online-Bibliotheken verweigert werden, wenn der Netzsurfer wissenschaftliche Werke über Faschismus oder medizinische Literatur sucht. Auf Schlagwörter wie "Sex", "Fascism" oder "Breasts" reagiert die Filtersoftware prompt mit Zugangsverboten, so daß selbst Internetseiten von Brustkrebs-Selbsthilfegruppen herausgefiltert wurden. Dies scheint tatsächlich ein Schritt ins "digitale Mittelalter" zu sein, wie die Tageszeitung am 12. März 1998 bemerkte.

Auch der Schutz, den die Filter-Software Cyber Patrol bietet, ist überaus lückenhaft. Für die Katalogisierung problematischer Fundstellen ist allein die texanische Herstellerfirma Microsystems zuständig. Deutsche Anbieter wurden von Microsystems bisher nicht sonderlich beachtet; bislang stehen nur wenige Vertreiber anrüchiger Webseiten auf dem Index des Programms. Kinder, die blindlings Adressen wie www.bordelle.de oder www.blasen.de ausprobieren, erreichen unbehelligt das Rotlichtviertel.

Als eine immer wieder im Diskurs um Selbstregulierung auftauchende Lösung für inkriminierte und jugendgefährdende Inhalte wird gerne die Internetinhaltsauswahl PICS (Platform for Internet Content Selections) angeführt. Wenn es nach den Protagonisten von PICS ginge, würde es bald das globale Regulierungsinstrument sein, ähnlich dem amerikanischen V-Chip für jugendgefährdende Fernsehsendungen. PICS erlaubt laut Angaben des Vertreibers eine differenzierte Klassifizierung von Internetinhalten. Internetseiten werden nach sexuellen, gewalttätigen, politischen, religiösen oder branchenspezifischen Merkmalen eingestuft. Dabei muß jedes Bild- oder Textdokument mit einem elektronischen Label versehen sein. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen:

Das Angebot könnte durch den Webmaster (Autor einer eigenen Internetseite), die Zugangsanbieter, oder aber ein (unabhängiges) Kontrollorgan, das sich speziell mit diesen Fragen beschäftigt und dabei nach einem bestimmten einheitlichen Schema vorgehen müßte, klassifiziert werden.

Kritiker in den Reihen der sogenannten Free-Speech-Organisationen betrachten diese Entwicklung mit Mißtrauen, da die Provider innerhalb der EU langfristig den PICS- Standard als länderübergreifendes Instrument zur Filterung und Klassifizierung unliebsamer Internetinhalte einsetzen wollen. Sie befürchten, daß durch die Implementierung von PICS auch Internetseiten politischer Extremisten oder Oppositioneller gesperrt werden könnten, da das noch zu schaffende Kontrollgremium, das die Kriterien für die Auswahl der indizierungswürdigen Inhalte festsetzen müßte, mit seiner Hilfe unliebsame Inhalte willkürlich und ohne Kontrolle auf den Index setzen könnte. Undemokratische Regime könnten auf dieser Basis das Internet politisch keimfrei halten, indem sie den nationalen Providern vorschreiben könnten, nach welchen Rating-Kriterien Internetseiten überhaupt zugelassen werden. Webseiten ohne Bewertung könnten dann komplett unterschlagen oder vorher von einer staatlichen Zensurstelle geprüft werden.

Anbieter, die ihre Webseiten einer möglichst großen Zahl von Surfern zugänglich machen wollen, werden die Inhalte schon aus reinem Selbsterhaltungstrieb politisch korrekt gestalten. Wer sich einem anerkannten Rating-System in Zukunft entzieht, läuft Gefahr, aus den zahlreichen Suchmaschinen entfernt und von Browsern (Surf-Programmen) ausgefiltert zu werden. Wer sich hingegen auf das Rating einläßt, muß sein Angebot "familienfreundlich" gestalten, um von möglichst vielen einflußreichen Rating-Systemen als unbedenklich eingestuft zu werden.

Bisher allerdings ist der Einfluß von PICS auf die Netzwelt noch sehr beschränkt. Im Dezember 1997 waren erst 50.000 Webseiten nach dem PICS-Standard erfaßt, also nur ein Bruchteil der Millionen abrufbaren Webseiten. Aber die Rahmenbedingungen für eine Etablierung von PICS sind günstig, da viele Regierungen in diesem System die primäre Lösung für ein sicheres Medium sehen .

Deutschland: frustrierte Versuche der Internet-Kontrolle

In Deutschland sollte mit dem von der Bundesregierung in den Bundestag eingebrachten Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG) – auch Multimediagesetz genannt – neben allgemein gesetzten Rahmenbedingungen die bisherige Rechtsunsicherheit im Internet beseitigt und die gesetzwidrigen Angebote des Internets erfaßt werden. Obwohl auch das bislang geltende Strafrecht auf im Internet angebotene gesetzwidrige Inhalte anzuwenden war, wird dies im Multimediagesetz nochmals ausdrücklich herausgestellt und die elektronische Präsentation der Schrift- und Bildform gleichgestellt.

Das neue Gesetz nennt drei Stufen, die sich mit der Verhinderung des Mißbrauchs im Interesse Jugendlicher und Kinder befassen: Dazu gehört erstens das Verbot rechtswidriger und schwer jugendgefährdender Internet-Inhalte durch das Strafgesetz, zweitens die (symbolische) Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, und drittens die Verpflichtung der Diensteanbieter, einen Jugendschutzbeauftragten zu bestellen. Letzterer soll Ansprechpartner für die Nutzer sein und die Provider in Fragen des Jugendschutzes beraten. Entscheidend für die Onlinewelt aber war die Frage der Verantwortlichkeit für digitale Inhalte, die mit dem IuKDG folgendermaßen geklärt wurde:

  • Wer einen Inhalt als eigenen in das Netz einspeist, ist dafür selbst verantwortlich.
  • Diensteanbieter sind für inkriminierte und übermittelte Daten nicht verantwortlich; auch dann nicht, wenn die übermittelten Inhalte bei ihnen zwischengespeichert werden.
  • Wer aber fremde Inhalte auf eigenen Servern anbietet, ist dafür verantwortlich, wenn er den Inhalt kennt und wenn es ihm möglich und zumutbar ist, einzugreifen.

Eine strikte Interpretation vor allem des letztgenannten Punktes könnte Deutschlands Stellung auf dem Onlinesektor allerdings bald gefährden. Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig mutmaßt, daß sich bei repressiver Gesetzeslage nach dem Vorbild der Steueroasen möglicherweise Provider-Oasen bilden könnten, womit auch Deutschlands internationale Vorreiterrolle hinsichtlich einer umfassenden Internet-Regelung verblassen könnte.

Ende 1995 schlug der CompuServe-Fall national wie auch international hohe Wellen – in der Internet-Industrie wie bei den sogenannten Netizens, den freiheitsliebenden Netz-Surfern und den online vertretenen Free-Speech-Initiativen. Bei einer Hausdurchsuchung des Providers CompuServe hatten die Ermittler der Münchener Staatsanwaltschaft pornographische Newsgroups im Visier und bewiesen damit gleichzeitig ihre Unkenntnis. In München arbeitet lediglich die Verwaltung von CompuServe Deutschland. Das Rechenzentrum selbst, über das die CompuServe-Abonnenten mit Daten versorgt werden, ist im US-Bundesstaat Ohio angesiedelt. CompuServe nahm das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornographischer Schriften jedoch ernst. Eine von der Staatsanwaltschaft München übergebene Liste von 200 fragwürdigen Foren im Usenet wurde ohne Überprüfung des Providers gesperrt – damit allerdings für alle vier Millionen CompuServe-Kunden weltweit, da die Anatomie der Newsgroups eine regionale Sperrung nicht zuläßt. So gewann das Verfahren eine internationale Dimension und konfrontierte damit auch die anderen, ausländischen Internet-Surfer mit dem Eingriff.

Die Zensur sorgte in den USA denn auch prompt für heftige Reaktionen und einer Austrittswelle von CompuServe-Mitgliedern. Die Entrüstungswelle gipfelte in einer Demonstration in San Francisco am 14. Dezember 1995, bei der medienwirksam deutsches Bier als Zeichen des Boykotts auf die Straße geschüttet wurde. Um die internationale Protestwelle abzufangen, hob CompuServe die Sperrung kurze Zeit später wieder auf und schickte seinen Kunden statt dessen Zensier-Software zu, mit der die fraglichen Inhalte auf dem eigenen PC größtenteils gesperrt werden konnten.

Die Staatsanwaltschaft München ermittelte dennoch weiter und erhob zwei Jahre später, im April 1997, Anklage gegen Felix Somm, den Geschäftsführer von CompuServe Deutschland. Ihm wurde zur Last gelegt, vorsätzlich pornographische und gewaltverherrlichende Inhalte aus dem weltweiten Datennetz verbreitet und somit gegen die Bestimmungen des Jugendschutzes verstoßen zu haben.

Der Fall birgt Brisanz: Mit CompuServe wurde erstmals ein Provider für Internet-Inhalte zur Verantwortung gezogen. Die Staatsanwaltschaft München versuchte einen Präzedenzfall zu statuieren, der die übrigen Provider zwingen sollte, den Zugang zu gesetzwidrigen Inhalten zu sperren. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft machte gleichzeitig deutlich, daß sie den Jugendschutz dem Recht der grundrechtsfähigen Bürger auf informationelle Selbstbestimmung vorzog.

Die weitere Entwicklung hängt nun gänzlich von der Rechtsprechung ab. Rechtsexperten halten es nach der neuen Rechtslage, die das IuKDG schafft, grundsätzlich für möglich, daß CompuServe im Sinne der Anklage verurteilt werden könnte, obwohl der Anbieter objektiv nicht für die im Internet verbreiteten Inhalte verantwortlich gemacht werden könne. Daher wird von Seiten der Internet-Gewerbetreibenden das Urteil mit Spannung erwartet. Die Frage, ob das zur Verfügungstellen des Internetzugangs strafrechtliche Risiken in sich birgt, hat existenzentscheidenden Charakter. CompuServe Deutschland kündigte in einer ersten Reaktion entrüstet an, seinen Sitz von München demnächst nach Luxemburg zu verlegen.

In einem weiteren, ähnlich gelagerten Fall erregte die in Deutschland verbotene, aber von einem niederländischen Rechner (Server) ins Internet eingespeiste, linksradikale Untergrundzeitschrift Radikal die Aufmerksamkeit der Behörden. Einer Aufforderung der Generalbundesanwaltschaft an diverse deutsche Provider, den Zugang zu diesem niederländischen Server zu sperren, kamen einige deutsche Anbieter prompt nach.

Diese Art der "Provider-Zensur" sorgte jedoch für einen gegenteiligen Effekt: Diesmal waren die libertär gesinnten Netizens besonders fleißig. Innerhalb weniger Tage wurde die Zeitschrift auf über 50 anderen Rechnern in Finnland, Italien, Dänemark, den Niederlanden, Belgien, den USA und sogar in Japan auf andere Server kopiert. Die Radikal blieb so weiterhin abrufbar und avancierte durch den Medienrummel vom virtuellen Mauerblümchen zum "first issue" der Internet-Community. Die Bereitschaft der Internet-User, die als Zensur empfundenen Einschränkungen unabhängig von ihrer politischen Überzeugung zu sabotieren, war offenbar unterschätzt worden. Die Kapitulation staatlicher Behörden vor der anarchischen Internet-Struktur wurde trefflich dokumentiert.

Einen lang erwarteten Präzedenzfall sollte dann im Sommer 1997 das Verfahren gegen Angela Marquardt, die ehemals stellvertretende PDS-Vorsitzende, bilden. Es kam aber anders: Marquardt wurde vorgeworfen, auf ihrer privaten CompuServe-Seite einen Link auf die Radikal eingerichtet zu haben. Sie wurde wegen Beihilfe zur Anleitung einer Straftat angeklagt, da die Radikal-Ausgabe in der Ausgabe Nr. 154 eine Beschreibung zur Bahnsabotage enthielt. Unerwarteterweise kam es aber bereits wegen eines Formfehlers zu einem Freispruch, da Marquardt den fraglichen Link schon vor Erscheinen der 154. Ausgabe angebracht hatte und somit der Straftatbestand im Sinne der Anklage hinfällig war. Die deutschen Internet-Surfer müssen weiterhin auf einen entsprechenden Präzedenzfall warten, der endgültig klären soll, inwieweit Links zu verbotenen Inhalten strafwürdig sind. Die Rechtsunsicherheit in diesem Bereich besteht also vorerst weiter.

Neben den Ermittlungsbehörden führt auch die Regierung einen aussichtslosen Kampf gegen jugendgefährdende und gesetzwidrige Inhalte, wenn auch in anderer Form. Gemäß dem Gesetz über jugendgefährdende Schriften setzte im Oktober 1996 erstmals Bundesjugendministerin Claudia Nolte Internetseiten des in Kanada lebenden Neonazis Ernst Zündel auf den Index. Bis Ende 1997 hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) bereits 57 Angebote im Internet als jugendgefährdend indiziert. Dabei handelte es sich vor allem um pornographisches Material oder rechtsradikale Propaganda. Daß die BPjS bisher nur eine solch geringe Zahl beanstandet hat, liegt vor allem an dem angewandten Prüfverfahren. Die BPjS wird nur dann tätig, wenn eine Meldebehörde sie auf einen Mißstand aufmerksam macht.

Inwieweit bzw. auf welche Weise die Indizierungen Anwendung finden, läßt das Ministerium unbeantwortet. Fakt ist aber, daß aufgrund der Indizierung sich erneut freiheitsliebende Netizens solidarisierten und die revisionistischen Seiten Zündels auf amerikanische Universitäts-Server kopierten. Und das, obwohl sie sich nach Selbstaussage "eher dem linken Spektrum" zugehörig fühlen. Für die freiheitlichen Cyberkrieger ist allein entscheidend, daß Zensur bzw. Repression ausgeübt wird; das Warum und Wie rückt dabei in den Hintergrund. Dieser Mechanismus gilt daher nicht nur für linksradikale, sondern auch für rechtsradikale indizierte Inhalte. Netizens, die es sich zur Aufgabe machen, jegliche Zensur zu verhindern, die die freie Meinungsäußerung beschneiden könnte, unterscheiden dabei eben nicht zwischen links und rechts; ihrer Meinung nach muß eine Informationsgesellschaft auch die Schattenseiten des Internet ertragen können.

Im Laufe der eingeleiteten (und erfolglosen) Verfahren dürfte sich bei der deutschen Justiz mittlerweile die Einsicht durchgesetzt haben, daß im Augenblick der Vertrieb elektronischer Informationen, welche auch immer, nicht einfach verboten werden kann. Zu ihrer Verhinderung reicht zum einen der klassische nationale Rechtsweg nicht mehr aus, da die Strafverfolgung an den nationalen Grenzen zwangsläufig endet, zum anderen findet die umtriebige Online-Community immer wieder Mittel und Wege, einer staatlichen Zensur elegant auszuweichen. Nüchtern betrachtet, kann der Teil des IuKDG, der sich mit inkriminierten Inhalten und den Verantwortlichkeiten beschäftigt, daher nur als eine symbolische Willensbekundung betrachtet werden. Der Schutz des Einzelnen vor gesetzwidrigen Inhalten ist damit keineswegs gewährleistet.

Gerade in dem Bereich der gesetzwidrigen Inhalte des Internet zeigt sich, daß das Territorialprinzip durch die Supranationalität des neuen Mediums nicht mehr anwendbar ist. Forderungen hingegen wie die, weltweit gültige ethische und demokratische Standards für die Datennetze zu fordern, sind von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Die kulturelle und politische Heterogenität der "globalen Informationsgesellschaft" läßt eine konsensfähige globale Vereinbarung z.B. im Rahmen der Vereinten Nationen nicht zu. Diese Perspektive wird weder in naher noch in ferner Zukunft ein realistisches Szenario sein, um die Schattenseiten des Internet wirksam zu bekämpfen – zu kontrovers sind die internationalen Differenzen bei der Definition von strafbaren oder indizierungswürdigen Inhalten.

Internet-Kontrolle im übrigen Europa

Auch in Europa ist die seit langem avisierte Nivellierung des Internet-Strafrechts noch immer in weiter Ferne. Gemein ist zumindest den mitteleuropäischen Länder vielmehr der oftmals verzweifelte Versuch der Ermittlungsbehörden, die Distributoren oder Vermittler inkriminierter Internetinhalte zur Verantwortung zu ziehen, obwohl wenig später die Einsicht folgen mußte, daß die Flut illegaler Inhalte auf diesem Wege nicht beseitigt werden kann.

Europäische Union: Priorität für Selbstkontrolle

Die Europäische Union verfolgt eine verhältnismäßig liberale Internet-Politik. Die Europäische Kommission, die sich mit diesen Fragen intensiv auseinandersetzt und Aktionspläne zur Verhinderung des Mißbrauchs des Internet entwirft, favorisiert den Mechanismus der freiwilligen Selbstkontrolle der Internetanbieter. Die im September 1997 unterzeichnete Vereinbarung aller Telekommunikationsminister der EU zielt stark auf die Eigenverantwortung der Internetsurfer ab, und entläßt die Provider aus der Verantwortung für die Übermittlung inkriminierter Inhalte. Andererseits möchte die EU in den kommenden Jahren die Implementierung von PICS fördern. Noch aber fehlt es für den europäischen Bereich an geeigneten Stellen, die sich mit der Fremdbewertung und Zertifizierung von Internet-Angeboten beschäftigen.

Als sich am 23. April 1997 erstmalig auch das Europäische Parlament mit dieser Thematik beschäftigte, sprachen sich die Abgeordneten in einer Entschließung dafür aus, gemeinsame Rechtsvorschriften zu entwickeln, die die Nutzung des Internet für die Verbreitung von mißbräuchlichem Material ausdrücklich untersagen. Die Forderung ist zweifellos berechtigt, innerhalb einer immer mehr zur politischen Union wachsenden Staatengemeinschaft. Die Probleme stecken aber schon im Detail: Obwohl z.B. Pädophilie in allen EU-Staaten strafbar ist, gibt es selbst hier nationale Divergenzen: Pädophilie wird an bestimmten Altersstufen festgemacht, die von EU-Land zu EU-Land unterschiedlich hoch sind. In den Niederlanden ist nur die Verbreitung und Herstellung kinderpornographischer Materialien strafbar – der Besitz aber nicht. Der Bereich Rassismus ist noch schwerer zu fassen. Im anglo-amerikanischen, angelsächsischen oder skandinavischen Rechtskreis wird bei rassistischen Äußerungen auf die Meinungsfreiheit verwiesen.

Tabelle 1: Die unterschiedlichen Rechtsstandards zur Kontrolle von Internet-Inhalten in der Europäischen Union

A

B

DK

D

E

IRL

F

GR

I

L

NL

P

S

SF

UK

O

O

H

O

O

O

O

O

O

S

S

S

S

S

S

S

S

S

S

S

I

I

I

I

I

O: Verbot obszöner Inhalte

I: Verbot sittenwidriger oder anstößiger Inhalte

H: Die Menschenwürde verletzende Inhalte verboten

S: Spezifische Regelungen hinsichtlich der Aufstachelung zu Haß, Diskriminierung oder Gewalt

Die Vereinheitlichung von Internetstandards auf EU-Ebene geht langsam voran. Die Tendenz ist jedoch unverkennbar, daß die einzelnen Länder sich nach der ersten Erfahrungsphase immer mehr von direkten staatlichen Eingriffen zu Gunsten des Systems der freiwilligen Selbstkontrolle distanzieren. Während liberale Länder wie die Niederlande von Beginn an auf staatliche Zwangsmaßnahmen verzichteten, ließ Deutschland es sich zunächst nicht nehmen, dem Prinzip der "wehrhaften Demokratie" auch im Internet (erfolglos) Geltung zu verschaffen.

Kritisch verfolgt werden muß künftig das von der Europäischen Kommission favorisierte Filtersystem, das, sobald es technisch ausgereift ist und den kulturellen Unterschieden innerhalb der EU-Staaten Rechnung trägt, europaweit Anwendung finden soll. Schließlich ist noch nicht klar, wer die Inhalte nach welchen Normen bewertet, d.h. unter welchen Kriterien das für die Bewertung der Internetinhalte zuständige PICS-Kontrollgremium Inhalte klassifiziert. Abzuwägen bleibt auch, ob der Nutzen, d.h. der Jugendschutz es rechtfertigt, ein auf Pauschalmerkmalen basierendes System zu fördern.

Frankreich: Konflikt um Verantwortlichkeiten

Nachdem im Mai 1996 zwei Geschäftsführer der Service-Provider von Worldnet und Francenet verhaftet wurden, erreichte in Frankreich die sogenannte "Verächtlichmachungs-Kampagne" gegen das Internet ihren Höhepunkt. Wie im ähnlich gelagerten deutschen CompuServe-Fall, wurden sie wegen der "Übermittlung und Distribution" von pornographischen und pädophilen Bildern angeklagt, die in einer internationalen Newsgroup erhältlich waren. Die Justiz erhoffte sich von dem Präzedenzfall eine Kontrolle der übermittelten Daten durch die Provider. Die Association Française des Professionnels de l'Internet (AFPI), eine Vereinigung Internet-Gewerbetreibender, verurteilte den staatlichen Eingriff und erklärte, daß es unmöglich sei, alle Inhalte zu filtern. Als Transporteure könnten sie nicht die Verantwortung für die Übermittlung schmutziger Daten übernehmen. Das Ende 1996 verabschiedete Multimediagesetz der französischen Regierung trug dann auch den jüngsten Affären Rechnung, indem ausdrücklich festgeschrieben wurde, daß für illegale Inhalte nur noch die Herausgeber verantwortlich gemacht werden können. Die Internet-Provider wurden lediglich dazu verpflichtet, ihren Abnehmern Einrichtungen für die elterliche Kontrolle anzubieten.

Österreich:Behörden preschen vor

In Österreich reagierten die Behörden relativ spät. Im März 1997 führte die Polizei beim Service-Provider ViP eine Hausdurchsuchung durch, um die via Internet übermittelten pädophilen Internetinhalte sicherzustellen. Auch die österreichischen Service-Provider, die im ISPA- (Internet-Service-Provider-Austria) Verband organisiert sind, legten gegen den staatlichen Eingriff harschen Protest ein. Um weiteren Eingriffen vorzubauen (zehn weitere Verfahren wurden gegen österreichische Anbieter von kinderpornographischen Darstellungen im Internet eingeleitet), favorisieren die österreichischen Anbieter das Instrument der freiwilligen Selbstkontrolle und planen die Aufstellung eines Verhaltenskodex. Wie in anderen europäischen Ländern, sollen anonyme Hotlines dafür sorgen, daß Distributoren illegaler Inhalte angezeigt werden können.

Großbritannien: das Damoklesschwert der Zensur:

Das Vereinigte Königreich beschritt von Anfang an einen eigenen Weg und setzt weniger auf staatliche denn auf "freiwillige Zensurmaßnahmen". Die Diskussion um inkriminierte Internetinhalte kam hier ins Rollen, nachdem am 9. August 1996 die britische Polizei sämtliche Service-Provider aufforderte, pornographische Newsgroups herauszufiltern. Am 25. Oktober 1996 erhielten die polizeilichen Maßnahmen Unterstützung durch einen Artikel im Londoner Observer. In dem dreiseitigen Leitartikel wurde das Thema "Pädophilie im Internet" medienwirksam beschrieben. Der Observer ging soweit, das Internet als freie Wildbahn für Pädophile auszuweisen. Verantwortlich für die inkriminierten Inhalte machte der Artikel in erster Linie die Service-Provider, und implizierte, daß es ihnen möglich sei, entsprechende Filter einzusetzen, um Mißbrauch zu verhindern. Großbritanniens größter Provider Demon gab daraufhin bekannt, das Internet und insbesondere die Newsgroups, künftig einer Zensur zu unterziehen. Unter dem Druck der Öffentlichkeit schlossen sich Demon weitere Service-Provider an und führten ihrerseits den britischen "code of practice" ein. Inzwischen arbeiten die Provider mit der Regierung an einem Inhaltsbewertungssystem, um sämtliche mißliebige Inhalte zu erfassen. Die Entwicklung eines auf England zugeschnittenen Filtersystems soll staatliche Stellen überzeugen, daß zum geltenden Strafrecht spezielle Internet-Reglementierungen unnötig sind und staatlichen Eingriffen vorbeugen.

Niederlande: klarer Vorrang für Selbstkontrolle

Die niederländische Regierung hat sich von Beginn an deutlich für die Selbstkontrolle der Branche ausgesprochen. Eine 1996 erfolgreich installierte Hotline, über die illegale Internetinhalte gemeldet werden können, sorgte dafür, daß die Verbreitung pädophilen Bildmaterials deutlich zurückging. Wegen des steigenden Arbeitsanfalls wurde im März 1997 sogar eine zweite Hotline geschaffen, die zur Bekämpfung von Rassendiskriminierung im Internet gedacht ist. Die niederländische Justizministerin Sorgdrager, die sich für die Idee der freiwilligen Selbstkontrolle auch im Ausland einsetzt, vertritt die Auffassung, daß restriktive nationale Gesetze wenig ausrichten können, um mißliebige Inhalte zu verbannen. Desweiteren entwickelten die Niederländer ein Verfahren, um die Verbreitung von Kinderpornographie vom Ausland aus in den Griff zu bekommen. Im Falle einer Beschwerde über die Hotline wird der ausländische Urheber und Dienstanbieter umgehend unterrichtet. Wenn die Aufforderung nicht zur Entfernung des betreffenden Inhalts führt, setzt die niederländische Polizei, nachdem sie von einem Vertreter der Hotline entsprechend informiert wurde, ihre Amtskollegen im Ursprungsland des beanstandeten Materials von dem Sachverhalt in Kenntnis.

Osteuropa:geringes politisches Interesse

Da der Stellenwert des neuen Mediums im Osten Europas noch nicht besonders hoch ist und der Zugang zum Netz zur Zeit noch mehr von technischen Schwierigkeiten gehemmt als von Regierungen eingeschränkt ist, kann sich die kleine Zahl der Internet-Nutzer einer uneingeschränkten Freiheit erfreuen. Da das Medium noch keine große Rolle im Mediengeschäft spielt, hält sich das Interesse der Politik an einer inhaltlichen Regelung des neuen Mediums noch zurück. Zum anderen wäre die Implementierung aufwendiger Filtersysteme zu kostspielig, oder es ist – wie das Beispiel der Verfassung Estlands zeigt – in der Verfassung einfach keine Einschränkung der Meinungsfreiheit vorgesehen; und das obwohl in Estland die Zahl der Internet-Nutzer durchaus westliches Niveau erreicht. Einen Ausnahmefall innerhalb der libertären Internetpolitik Osteuropas bildet Serbien. Während der Proteste um die Umsetzung der Wahlergebnisse avancierte das Internet in Serbien zum zentralen Informationsmedium. Während Präsident Slobodan Milosevic unentwegt von den demonstrierenden Massen unter Druck gesetzt wurde, ließ er kurzerhand die Berichterstattung über die Proteste in den Printmedien zensieren. Dutzende Studenten, Professoren und Journalisten klinkten sich daraufhin ins Internet ein, um über den aktuellen Stand der Protestbewegung informiert zu werden und das Ausland über die Mißstände aufzuklären. Zwar ordnete die Regierung an, daß die Dekane der serbischen Universitäten den Studenten den Zugang zu den Internet-Computern verweigern sollten. Die Forderung wurde jedoch weitestgehend ignoriert. Die Berichterstatter sind sich einig: Ohne das Internet hätte die Weltöffentlichkeit die Anfänge der Proteste kaum mitbekommen; zudem habe der Cyberspace zur inneren Demokratisierung Serbiens einen entscheidenden Beitrag geliefert. Ob mit der wachsenden Beliebtheit des Internet und weiteren Anschlüssen in Zukunft andere autokratische osteuropäische Regierungen dem serbischen Beispiel folgen werden, bleibt abzuwarten. Selbst der autokratische Präsident von Belarus, Lukaschenko, machte von Regelungsversuchen bisher noch keinen Gebrauch.

USA: Primat der "Communication Decency"

Für die Free-Speech-Initiativen war der 8. Februar 1996 der schwarze Freitag in der Geschichte der freien Kommunikation. An jenem Tag unterzeichnete Präsident Bill Clinton den Communication Decency Act (CDA) im Rahmen des neuen Telekommunikations-Gesetzes. Anlaß für den CDA war ein im Sommer 1995 im Time Magazine veröffentlichter Artikel über Cyberpornographie, in dem fälschlicherweise behauptet wurde, daß der Anteil (kinder-)pornographischer Darstellungen im gesamten Internet überwiege.

Mit dem CDA wurde dem Druck der Öffentlichkeit nachgegeben und die Veröffentlichung sexuell anstößiger Inhalte unter hohe Geldstrafe gestellt. Kritiker warfen Clinton Populismus vor. Schließlich sei der Begriff "anstößig" beliebig auslegbar. Darunter könnten von nun an Aufklärungsseiten über AIDS fallen oder sogar Michelangelos Skulpturen. Groteske Formen nahm die Umsetzung des CDA an, da die primitiven Filterysteme der Provider nicht nur Selbsthilfegruppen brustamputierter Frauen zensierten, sondern auch die Verbreitung von Kochrezepten (z.B. "Geflügel-Brust"). Die Filtersoftware konnte den Kontext der Internet-Seiten nicht erfassen, da sie nur auf bestimmte Schlagworte reagieren konnte. Selbst medizinische Aufklärungsseiten, Online-Bibliotheks-Kataloge oder harmlose Pressemeldungen, die Abtreibung, AIDS, Homosexualität oder andere soziale Inhalte behandelten, fielen der Zensur zum Opfer.

Gegen die umstrittene Zensur sprachen sich führenden Free-Speech-Organisationen wie die American Civil Liberties Union (ACLU) aus, und reichten daraufhin beim Bundesappellationsgericht von Philadelphia eine Verfasungsklage ein, in der sie sich auf den ersten Verfassungszusatz beriefen, nachdem jedermann das Recht auf freie Meinungsäußerung hat. Am 12. Juni 1996 gab das Bundesappellationsgericht von Philadelphia den CDA-Gegnern schließlich Recht und hob das Gesetz vorläufig auf, da es nicht mit dem ersten Verfassungszusatz vereinbar sei ("Congress shall make no law ... abridging the freedom of speech, or of the press."). Gleichzeitig gab das Bundesappellationsgericht die Klage an das Oberste Verfassungsgericht der USA weiter, um den CDA endgültig auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen zu lassen. Ein Jahr später, am 26. Juni 1997, bestätigte das Oberste Appellationsgericht den vorangegangenen Urteilsspruch. Grundtenor: Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei wichtiger als der Schutz vor unsittlichen Inhalten.

Dennoch ist das Kapitel der Zensur in den USA nicht abgeschlossen. Clinton nahm das Urteil gelassen auf und kündigte bereits am Tag der Urteilsverkündung alternative Maßnahmen an, um das Ziel eines "sauberen" Internet zu realisieren. Mit Vertretern der Computerindustrie einigte er sich kurze Zeit später, ein "Labelling-System" nach dem PICS-Vorbild zu fördern. Desweiteren verpflichteten sich alle 145 US-amerikanischen Service-Provider, ihren Kunden Software-Filter-Programme anzubieten, um deren Kinder vor jugendgefährdendem Material zu schützen. 90 Prozent der Browser-Produzenten und Internet-Suchmaschinen-Firmen, wie Yahoo, Excite und Lycos, die die gebräuchlichsten "Gelben Seiten" des Internet sind, erklärten sich bereit, ihre Webseiten so zu konfigurieren, daß eine Bewertung nach dem PICS-Standard möglich werde.

Soweit die Erfolge des Präsidenten. Der Schachzug scheint ihn seinem Ziel ein wenig näher gebracht zu haben, ohne dabei den Urteilsspruch verletzt zu haben, da freiwillige Vereinbarungen nicht einklagbar sind. Die ACLU kündigte zwar bereits Widerstand gegen die heimliche Beschneidung der freien Meinungsäußerung an. Sie befürchtet, daß durch den vermehrten Einsatz von unausgereiften Filtersystemen Kindern wichtige Informationen vorenthalten werden, wie eben beispielsweise sexuelle Auflärungsseiten, medizinische Informationen oder öffentliche Bibliothekskataloge, die oftmals nur das Wort "sex" in ihren Titeln mit sich führen müssen, um gesperrt zu werden.

Dadurch, daß Clinton verstärkt auf die freiwillige Selbstkontrolle der Unternehmen setzt, wird eine erneute Klage der ACLU kaum zum Erfolg führen. Denn Clintons subtile Druckmittel birgen Brisanz und werden die amerikanische Onlinewelt mittelfristig entscheidend verändern. Unternehmen, die sich dem Druck nicht beugen wollen, laufen Gefahr, sich vor der Öffentlichkeit und insbesondere vor kaufkräftigen Eltern zu diskreditieren.

Die ruhigen Tage des Schwarz-Weiß-Denkens sind nun vorbei, als die Onlinewelt sich in die CDA-Befürworter oder die breite Ablehnungsfront teilen konnte. "It's easy to oppose the CDA", konstatierte David Sobel, der Vorsitzende der Free-Speech-Initiative Electronic Privacy Information Center, um gleich anzufügen: "Now we're going to get into the difficult stuff." Klare Positionen sind in einem grauen Nebel diffuser Meinungen untergegangen. Die Post-CDA-Bemühungen zeigen, wie schwierig es sein wird, ein Netz zu schaffen, in dem einerseits auf freiwilliger Basis für die Sicherheit der Heranwachsenden gesorgt wird, andererseits versucht wird, nicht in den Ruf zu kommen, etwa Zensur auf Kosten der informationellen Selbstbestimmung auszuüben.

Vizepräsident Al Gore berücksichtigt in seinem Vorgehen die berechtigten Vorbehalte der Online-Community: Indem er Internet-Hotlines errichtet, über die illegale Inhalte gemeldet werden können und einen Leitfaden für Eltern herausgibt, der über die Online-Gefahren aufklärt, indem er von der Internetindustrie Versicherungen einholte, künftig enger mit staatlichen Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten, trägt er den kritischen Stimmen Rechnung. Sinnvoll erscheint auch das nationale Erziehungsprogramm Gores: America Links Up: An Internet Teach-In. Die Kampagne soll die Amerikaner an das Internet heranzuführen und spezielle Anleitungen für den geeigneten Umgang von Kindern mit dem Internet liefern. Zielpersonen der Initiative sind Eltern, Lehrer und Angestellte öffentlicher Büchereien, in denen in letzter Zeit zur Verärgerung der freiheitsliebenden Internet-Community vermehrt primitive und unausgereifte Filterprogramme implementiert wurden.

Konservativen Gruppen geht die Internetpolitik der Clinton-Administration nicht weit genug. So favorisiert der dem konservativen Spektrum zugehörige Family Research Council einen Gesetzentwurf von Senator Dan Coats, der im Kongreß noch zur Disposition steht. Der Entwurf sieht vor, Webseiten, die ungeeignet für Heranwachsende sind, nur für Erwachsene zugänglich zu machen und Verstöße mit empfindlichen Strafen zu sanktionieren. Anderen konservativen Gruppen geht auch diese Forderung nicht weit genug. Sie streben die Verantwortlichkeit von Providern für die Übermittlung illegaler oder jugendgefährdender Inhalte an. Umstritten ist auch der im März 1998 vom US-amerikanischen Senatsausschuß empfohlene Gesetzentwurf, der darauf abzielt, daß künftig Schulen und Öffentliche Bibliotheken, die Geld aus der Bundeskasse erhalten, in ihren Internetzugängen Filtersoftware installieren müssen..

Die Internetpolitik der USA ist indes zwiespältig: Sie konzentriert ihre Zensurbemühungen vordergründig auf die Sperrung unsittlicher Inhalte und läßt zu, daß Rechtsradikale und Rassisten, wie der Ku Klux Klan oder Skinheadgruppen von den USA aus ihre Thesen bequem und legal via Internet verbreiten. Den amerikanischen Protagonisten der Internetkontrolle erscheint es wichtiger, ihre Kinder vor sexuell anstößigem Material zu schützen, als ihnen rechtsradikale Propaganda vorzuenthalten.

Asien und Naher Osten: umfassende Zensurbemühungen

Der Partizipation an der globalen Informationsgesellschaft wollen sich auch Asien und der Nahe Osten nicht verweigern. Gemein sind den Staaten die mit dem Internet verknüpften Erwartungen. Die Mehrheit der Regierungen möchte von der neuartigen Informationstechnologie profitieren und baut daher emsig die Internet-Infrastrukturen aus. Teile der Bevölkerung verbinden mit dem Internet die Hoffnung, daß Informationen nun freier zugänglich werden und die oft monotone politische Kultur offener wird.

Diesen Erwartungen wissen einige Regime freilich andere Vorstellungen entgegenzusetzen: Die birmesische Militärdiktatur fürchtet um die Agitation Oppositioneller und Dissidenten und zensiert neben den Printmedien auch das Internet. Um das neue Medium möglichst keimfrei vor dissidentischer Agitation zu halten, wird in Birma bereits der unerlaubte Besitz eines Computers und Modems mit drakonischen Gefängnisstrafen von bis zu 15 Jahren geahndet. Selbst ausländischen Botschaften wird der Zugang zum Internet offiziell verboten. Sollten sie davon dennoch Gebrauch machen, fängt der birmesische Geheimdienst einfach ihre E-Mails ab. Im Irak erklärte Saddam Hussein das gesamte Netzwerk prompt für illegal - groteskerweise verfügt Saddam Hussein über eine eigene Homepage, die von einem jordanischen Server aus eingespeist wird.

Andere arabische Staaten gewähren ihrer Bevölkerung zwar den Zugang zum Internet, jedoch nur unter Auflagen. So haben die meisten Golfstaaten ihre Provider verpflichtet, Filtersysteme zu implementieren, um die Netz-Surfer vor "unsittlichen" und "blasphemischen" Internetinhalten zu schützen. Mißtrauisch beäugt wird dort insbesondere die amerikanische Hegemonie im Internet.. Der Großteil der asiatischen Staaten teilt diese Vorbehalte: Länder wie Pakistan, Thailand, China, Indonesien und Vietnam setzen gezielt Filtersysteme ein und erteilen zusätzlich nur ausgewählten Personenkreisen einen Internetzugang. In Saudi-Arabien wird der freie Zugang zum Internet lediglich Krankenhäusern und Universitäten gewährt.

Auch das kommunistische Großreich China bleibt seiner Tradition treu, elementare Informationsmedien zu zensieren. Wie viele andere asiatische Staaten ist es aber dem technologischen Nutzen der Datenautobahn gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen. Die Ambivalenz spiegelt sich in den Worten des chinesischen Ministers für Post und Telekommunikation, Wu Jichuan, wieder: "Es ist eine Art von Fortschritt, was Wissenschaft und Technologie betrifft, wenn China mit dem Internet verbunden ist. Aber als souveräner Staat wird China Kontrolle über die Information ausüben. Wenn wir uns an das Internet anschließen, dann meinen wir damit nicht die absolute Freiheit der Information." Die eingeschränkte Freiheit manifestiert sich in den 1996 erlassenen Zugangsbeschränkungen; über einen Internetanschluß dürfen nur ausgewählte Personen verfügen. Um sicher zu gehen, setzt China moderne Filter zur inhaltlichen Kontrolle des Internet ein. Die Personen, die in China die Lizenz zum Surfen erhalten, können sich somit nicht frei im Cyberspace bewegen und müssen befürchten, daß die digitalen Spuren, die sie hinterlassen, eines Tages gegen sie verwendet werden. Schließlich gelang es der chinesischen Polizei auf diesem Wege bereits in den ersten 10 Monaten des Jahres 1996 47.000 Menschen wegen der Verbreitung von Online-Pornographie und "kulturellem Schmutz" festzunehmen. Unter "kulturellem Schmutz" versteht die chinesische Regierung Inhalte, die der Einheit Chinas schaden könnten, die Preisgabe von "Staatsgeheimnissen" und die Kommunikation mit Dissidenten.

Diese aufwendigen und komplizierten Reglementierungen können sich andere fernöstliche Länder wegen den mit dem Internet verbundenen ökonomischen Zwängen nicht leisten. Der High-Tech-Staat Singapur behilft sich damit, die Provider für die zur Verfügung gestellten Inhalte verantwortlich zu machen. Außerdem müssen sie sich verpflichten, die Daten ihrer Kunden abzuspeichern, damit eine Strafverfolgung singapurischer Internet-Nutzer möglich bleibt. Verboten sind hier aber nicht nur klassische Vergehen, wie das Verbreiten pornographischer Inhalte, auch Internetseiten, die die Regierung oder bestimmte Religionen diffamieren sowie homosexuelle Aufklärungsseiten, stehen auf dem Index und werden strafverfolgt.

Obwohl Malaysia offiziell erklärte, keine Zensur ausüben zu wollen und dem neuen Medium grundsätzlich offen gegenüber zu stehen, zeigen die Erfahrungen der Praxis eine gegensätzliche Entwicklung. Das Usenet bietet dabei die größte Zielscheibe. Aktivitäten gegen das Regime in Diskussionsforen oder das Herunterladen und die Distribution pornographischer Inhalte sind strikt untersagt. Im März 1998 nahm sich die Regierung schließlich auch die in Malaysia florierenden Internet- bzw. Cybercafés vor: Die Cybercafés müssen jetzt eine Kaution in Höhe von 8.000 DM hinterlegen; sollten die Netzsurfer auf pornographische Inhalte stoßen, wird die "Sicherheitszahlung" einbehalten.

Gemeinsam ist vielen asiatischen Staaten die Ausweitung der Zensur von pornographischen Angeboten auf religiöse und politische Inhalte, die von Dissidenten, Menschenrechtsgruppen oder demokratischen Bewegungen stammen könnten. Gefürchtet wird im Nahen wie im fernen Osten auch die amerikanische Hegemonie im neuen Medium. Da der Gebrauch von intelligenten Filtersystemen mit einem enormen Kostenaufwand verbunden ist, einigten sich Ende 1996 die ASEAN-Staaten, ein solches, eigens für sie zugeschnittenes System von einem kalifornischen Unternehmen entwickeln zu lassen. Damit würden Zugangsbeschränkungen in Zukunft obsolet, die freie Informationsbeschaffung bliebe aber dennoch auf der Strecke.

Afrika: Bislang folgenlose Laissez-faire-Politik

Afrikas Internet–Infrastruktur ist unterentwickelt, so daß der Stellenwert des neuen Mediums hier noch sehr gering ist und die meisten afrikanischen Machthaber noch keine Notwendigkeit sehen, inhaltliche Kontrollen auszuüben. Lediglich 36 Länder verfügten 1997 auf diesem Kontinent über einen vollen Internet-Zugang. In den übrigen Ländern fehlt ein Internet-Zugang ganz oder ist sehr begrenzt und läßt nur das Versenden und Empfangen von E-Mails zu .

So erscheint es nicht weiter verwunderlich, daß die Politik dem Internet kaum Beachtung schenkt und– wenn überhaupt – nur einzelne Aktionen gegen "Mißbräuche" startet. Eingriffe machtbeflissener Regime laufen jedoch meist ins Leere, wie das Beispiel Sambia zeigt: Nachdem die sambische Tageszeitung Post am 6. Februar 1996 einen Artikel veröffentlichte, daß Präsident Chiluba nicht in Sambia geboren wurde und deshalb gemäß der Verfassung kein Präsident sein dürfe, ordnete Chiluba an, den Artikel zu löschen. Nach Angaben der Organisation Index on Censorship war der Text zu dieser Zeit jedoch schon dutzendfach auf anderen Servern gespiegelt: Die Zensur blieb daher folgenlos für die sambischen Netzbenutzer. Andererseits hatte die Spiegelung aber auch kaum Auswirkungen auf die politische Stabilität, da ohnehin nur ein geringer Prozentsatz der sambischen Bevölkerung Zugang zum Internet besitzt. Dennoch stellte dieser Fall eine Zäsur in der afrikanischen Internetpolitik dar: Zum erstenmal wurde auf dem afrikanischen Kontinent eine Internetseite zensiert.

Auch Kenias autokratischer Präsident Daniel Arap Moi fürchtet das neue Medium. Seinen Bürokraten gestattet er den Internet-Zugang nur nach vorheriger Genehmigung. Der größte kenianische Internet-Provider, Africa Online, der im Zentrum Nairobis angesiedelt ist, wird von der Regierung mißtrauisch beäugt. Über Africa Online sind schließlich schon verbotene Schriften verbreitet worden, etwa das Buch des inhaftierten Dissidenten Koigi Wa Wamwere.

Auch in anderen afrikanischen Ländern wird das Internet als öffentlichkeitswirksames Instrument zur Bekämpfung autokratischer Regime benutzt: So stand in Angola der kritische Journalist Mario Paiva auf der Fahndungsliste der Polizeibehörden. Diplomaten, die über E-Mail auf seine bedrohliche Lage aufmerksam wurden, boten ihren Schutz an und prompt verstummten die Morddrohungen gegen Paiva. Eine Gruppe afrikanischer Menschenrechtsaktivisten erklärte die Bedeutung des Internet so: "Wir können vertrauliche Informationen vor dem Geheimdienst verbergen. Der überwacht nur Telefone und Faxe".

Freilich darf in Afrika die Wirkung des Internet auf autoritäre Regime nicht überschätzt werden, da es alleine im New Yorker Stadtteil Manhattan mehr Telefonanschlüsse als auf dem gesamten afrikanischen Kontinent gibt und ein Internetzugang (und damit auch der Zugang zu dissidentischen Internetseiten) bisher nur einer kleinen und wohlhabenden Minderheit vorbehalten ist.

Fazit: Die Machtfrage bleibt unentschieden

Wie nicht anders zu erwarten, sind die Regierungen wenig geneigt, dem neuen Medium Internet größere Freiheitsräume zuzubilligen als anderen Methoden der Informationsübermittlung. Das Maß der zugestandenen Freiheit bestimmt sich zu allererst aus den generellen - und fast nirgendwo ganz unstrittigen - Kriterien der herrschenden politischen Kultur. Das Internet verändert nicht die Frage nach der Legitimität der jeweiligen Kontrollversuche. Neu gestellt wird jedoch die Machtfrage: Wie weit kann das neue Medium Freiheitsräume auch gegen den Willen staatlicher Zensoren durchsetzen? Der vorangegangene Überblick über die diversen Kontrollpraktiken macht deutlich, daß die eine Zeit lang vielleicht gehegte Erwartung eines unkontrollierbaren globalen Informationsraumes sich bislang als illusorisch erwiesen hat. Staaten stehen nicht machtlos im "Cyberspace". Andererseits erscheint es zu früh, auszuschließen, daß nun auf Dauer Kinder leichter an pornographisches Material, Regimegegner leichter an oppositionelle Literatur gelangen. Die Aufgabe für die Zensoren ist schwerer geworden. Zumindest müssen sie, wollen sie erfolgreich sein, einen immensen finanziellen und administrativen Aufwand betreiben. Und ungeachtet aller bestehenden Zugangsbeschränkungen und Filtersysteme hat das Internet den Menschenrechtsaktivisten bislang einen enormen Nutzen gebracht. Zumindest in dieser Hinsicht hat es der Sache der Freiheit in der Tat Vorschub geleistet.


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