HELMUT LEIPOLD:
Kulturvergleichende Institutionenökonomik.
Studien zur kulturellen, institutionellen und wirtschaftlichen
Entwicklung

 
    
   Heft 3/2006  
    
  Stuttgart 2006
Lucius & Lucius, 319 S.
  
 

Leipold hat einen übermotorisierten Eisbrecher gebaut, um einer viel befahrenen Modeströmung zu folgen. Der Eisbrecher besteht aus einem gewaltigen Auftrieb an Institutionenökonomie sowie Kultur- und Wirtschafts-geschichte (Kapitel I–IV). Damit folgt er der Modeströmung, den Deutschen eine Reform ihres Wohlfahrtsstaates zu empfehlen und nebenbei Afrika, den islamischen Ländern und Russland Entwicklungsprobleme sowie China und den usa ihre Erfolge zu bescheinigen (Kapitel V). Diese Kombination führt zu allerlei Schwächen, die umso bedauerlicher sind, als hier ein Autor einen Titel voller Ansprüche vorlegt, die zu erfüllen er aufgrund seiner vielfältigen Vorarbeiten (die 29 Hinweise auf seine eigenen Arbeiten im gleichen thematischen Umfeld machen etwa zehn Prozent des Literaturverzeichnisses aus) in der Lage sein sollte, die er aber beim raschen Treiben zu seinen modischen Zielen aus den Augen verliert.

Die Ansprüche, die eine »kulturvergleichende Institutionenökonomie« bearbeiten müsste, liegen auf dem Tisch der internationalen Debatte: Was sind die Erfolgsbedingungen für nationale Ökonomien (so es sie denn so überhaupt noch gibt) in der Globalisierung? Erzwingt der globale Wettbewerb eine Vereinheitlichung oder doch Konvergenz der Systeme? Droht uns ein Kampf der Kulturen? Diese Fragen können offensichtlich nicht im engen Rahmen der klassischen Ökonomie beantwortet werden, die den Wettbewerb der Nationen als »gefährliche
Obsession« (Krugman) bezeichnet und Institutionen, insbesondere kulturelle, in den Dunstkreis von Rahmen-bedingungen und individuellen Präferenzstrukturen abschiebt. Leipold hat dies klar erkannt und sein Arbeitsfeld jenseits der so beschränkten Nationalökonomie abgesteckt (S. 19–20).

Der Leser erhält in den folgenden Kapiteln II–IV zuerst einen guten Überblick über die unterschiedlichen Ansätze einer »kulturellen Ökonomik« von Adam Smith über Max Weber, Eucken, Hayek bis zur modernen Institutionenökonomie (Williamson, North). Dieser Theoriegeschichte (Kap. II) folgt eine kurze Systematik
kulturgebundener Institutionen (Kap. III). Darauf setzt Leipold eine Menschheitsgeschichte aus kulturökonomischer Sicht (Kap. IV), die diese theoretischen Elemente empirisch anwendet und unterfüttert. Damit ist der Eisbrecher fahrbereit. Aber das gewaltige Instrument weist leider einige Bruchstellen auf.

Die Institutionenökonomie ist recht allgemein auf der Ebene von Begrifflichkeiten und grundsätzlichen Plausibilitätsüberlegungen vom Vorteil niedriger Transaktionskosten und den Nachteilen der Rentenaneignung gehalten. Sie bleibt damit Meilen hinter den ausgefeilten Modellen der neueren Ansätze von z.B. Acemoglu
oder Boix zurück, die die ökonomischen Ursachen für Demokratie und Diktatur analysiert haben. Der geschichtliche Rückblick, der recht eurozentrisch ausfällt, lässt ebenfalls einige der wichtigsten Erklärungs-ansätze vermissen. Weder Michael Mann noch Charles Tilly haben Eingang in die Leipoldsche Geschichts-schreibung gefunden. Der Verdacht liegt nahe, dass sie einer kulturzentrischen Sicht etwas zu materialistisch sind, was übrigens auch für Acemoglu und Boix gilt. Selbst von Jared Diamonds Makrogeschichte werden nur einige kulturbezogene Elemente übernommen. Unerwähnt bleibt etwa sein zentrales materielles Argument, das u.a. auf der Verfügbarkeit von Tier- und Pflanzenarten und deren Auswirkung auf die Produktivitätsentwicklung in der Landwirtschaft, die ihrerseits erst die weitere Entwicklung von Staat und Industrie ermöglicht, beruht. So kommt es zu einem einseitig kulturlastigen Erklärungsansatz, bei dem wichtige intervenierende Variablen wie z.B. Ressourcenausstattung wegfallen Das Bild bleibt kurzschlüssig zwischen einigen – dafür oft wiederholten – institutionellen Faktoren und der Wirtschaftsentwicklung, ohne dass die Kausalkette sauber gegliedert und empirisch belegt wäre.

Mit diesem lecken Eisbrecher lässt sich dafür trefflich in der Modeströmung kreuzen. Bezeichnenderweise widmet Leipold bei seinen sechs Kulturregionen Afrika 15, China 12, Russland 8, den USA 15, dem Islam dagegen 49, und Deutschland schließlich 29 Seiten. Das kommt gut in Zeiten des globalen Kulturkampfes
und der deutschen Reformdebatte. Leider lässt die brüchige theoretische Basis auch nur brüchige Analysen zu. Auch hier vermisst man an der Stelle, wo ähnliche Fragen diskutiert werden, wichtige theoretische Ansätze wie z.B. die »varieties of capitalism« von Hall und Soskice oder die Wohlfahrtsstaatsystematik von Esping-
Andersen (S. 242), oder zu Deutschland den von Abelshauser vertretenen Ansatz einer koordiniert gesteuerten wissensbasierten Spezialisierung, die durch Gastarbeiterzuwanderung und Wiedervereinigung aus dem Lot geriet. Leipold bleibt für ein »textbook« eklektisch und kann sich anscheinend nicht so recht entschließen,
ob er hier eine Theorie säkularer Entwicklungen oder eine praktische Erklärung aktueller Trends, z.B. deutsche Wachstumsschwäche und US-Stärke, vorlegen will. Was belegen die russischen Wachstumsraten von 2004 und 2005? Was belegen die Indikatoren der gerade einmal seit einigen Jahren erhobenen und ständig angepassten internationalen Vergleichsligen wie z.B. »World Competitiveness Yearbook« etc.? Wie erklärt sich, dass ausgeprägte Wohlfahrtsstaaten wie die Skandinavier dort Spitzenplätze einnehmen, obwohl nach Leipold die soziale Sicherung über ein bestimmtes Maß hinaus wirtschaftlichen Schaden verursacht? Was hat sich an der amerikanischen Kultur seit 1950 so verändert, dass das Land nach globaler Dominanz in den 1970er Jahren zu den globalen Verlierern zählte, um in den 1990er Jahren wieder nach vorn zu schießen?

Der Eindruck drängt sich auf, dass hier die derzeit beliebte Theorie (zu hohe Löhne in Deutschland, die USA als globales Modell, Afrika und Islam als Dauerverlierer) mit einem theoretischen Modell untermauert werden soll, das einerseits viel weiter reicht, andererseits aber wichtige Unterschiede nicht erklären kann. Gerade die komplexen Zusammenhänge zwischen der Wachstumsperformance von Ländern und ihrer Position in der internationalen Wirtschaft bedürfen sorgfältiger Analyse, wenn man nicht kurzfristigen Phänomenen wie Preis- und Wechselkursentwicklungen aufsitzen will. Auffällig ist auch ein Stilwechsel zwischen einem wissenschaftlich zurückhaltenden, vorsichtig abwägenden Duktus in den vorderen Theorieteilen und einem eher normativ-bewertenden Stil in den Regionalstudien. Schade, dass hier ein viel versprechender Ansatz der Tagesdebatte geopfert wurde statt ihr zu größerer Rationalität zu verhelfen.

Michael Dauderstädt
Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn

     
      
 
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