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Lässt sich Terrorismus moralisch rechtfertigen? Eine Frage, die paradox, wenn
nicht sogar obszön erscheint: hat Terrorismus doch »a connotation of evil, indiscriminate
violence, or brutality«.1
J. Angelo Corlett, der an der San Diego State University Philosophie unterrichtet,
unternimmt dennoch den Versuch, eine Theorie für einen gerechten und
damit auch gerechtfertigten Terrorismus zu entwickeln. Und anders als die Diskussion
um das Buch »Nach dem Terror« von Ted Honderich vermuten lässt,2
bewegt sich Corletts Argumentation vor dem Hintergrund einer – zumindest im
angelsächsischen Sprachraum – intensiven philosophischen Auseinandersetzung
mit diesem Thema.3
Aber kann Terrorismus überhaupt gerechtfertigt sein? Ist Terrorismus nicht,
wie es Michael Walzer formuliert hat, »the random murder of innocent people«4 – und damit per se illegitim und durch nichts zu rechtfertigen? Corlett begegnet
diesem Vorwurf mit einer einfachen Feststellung: »But even if terrorism is unconcerned
with the harming of innocent persons, it hardly follows from this supposition
that terrorism must be directed at innocents«.5 Konsequent geht Corlett
darum in seiner Untersuchung von der Annahme aus, dass Terrorismus nicht
zwangsläufig Unschuldige verletzt und tötet. Er nennt dafür zwei Beispiele, die
Anschläge des anc, die sich vor allem gegen die Infrastruktur des Apartheidregimes
richteten, und terroristische Bombenanschläge, die sich nur gegen Gebäude
oder Einrichtungen richten, aber keine Menschen verletzen oder töten.6
Und tatsächlich macht die Frage nach einer möglichen Rechtfertigung von Terrorismus
nur dann Sinn, wenn man sie ergebnisoffen versteht: »A justification of
terrorism is needed which captures all or most of the essential features of it while
not begging the question against the moral justification of terrorism«.7
Ausgangspunkt für die Suche nach einer möglichen Rechtfertigung von Terrorismus
ist eine Definition, die sich in einem wesentlichen Punkt von den
bekannten Terrorismus-Definitionen unterscheidet. Sie ist neutral; ihr fehlt die
Beschreibung von Terrorismus als Gewalt gegen Unschuldige – und damit auch
die grundsätzliche moralische Verurteilung:
»Terrorism is the attempt to achieve (or prevent) political, social, economic, or
religious change by the actual or threatened use of violence against other persons
or other persons’ property; the violence (or threat thereof) employed therein is
aimed partly at destabilizing (or maintaining) an existing political or social order,
but mainly at publicing the goals or causes espoused by the agents or by those on
whose behalf the agents act; often though not always, terrorism is aimed at provoking
extreme counter-measures which will win public support for the terrorists and
their goals or causes.«8
Für Corlett ist Terrorismus damit lediglich eine Spielart politischer Gewalt, deren
Legitimität oder Illegitimität erst erwiesen werden muss. Zu dieser neutralen
Definition kommt Corlett über eine Liste politischer Gewalttaten, die von den
Anschlägen vom 11. September 2001 bis zur Boston Tea Party9 reicht. Für die Aufständischen
in Amerika war ihr Kampf legitim, ein Unabhängigkeitskampf für
Freiheit und Selbstbestimmung. Für die Krone von England dagegen war es ein
illegaler, mehr noch: ein illegitimer Aufstand, ein Verbrechen gegen geltendes Gesetz.
Heute würden wir sagen: Terrorismus.10 Womit auch das Kernproblem (fast) jeder Terrorismus-Debatte benannt ist, nämlich die Frage nach dem, was als
Terrorismus (und damit als gemeinhin illegitim) zu gelten hat, und was legitimer
Widerstand oder legitimer Befreiungskampf ist: »One person’s freedomfighter is
another person’s terrorist.«11
Legitimationstheoretisch begründet dies zugleich ein Dilemma, auf das Corlett
mit Recht hinweist: »If terrorism is never morally justified, then no form of
it is«.12 Oder anders formuliert: Wenn nicht-staatliche politische Gewalt13 manchmal
geboten sein kann, ist eine moralische Rechtfertigung von Terrorismus zumindest
denkbar. Und tatsächlich werden in der Literatur verschiedene reale wie
hypothetische Fälle behandelt, in der politische Gewalt gerechtfertigt erscheint.
Burleigh Taylor Wilkins etwa argumentiert, dass im »Dritten Reich« Anschläge
auch gegen Zivilisten moralisch gerechtfertigt gewesen wären, die das Ziel hatten,
den Massenmord oder die Deportationen zu stoppen.14 Und Seumas Miller hätte
Anschläge des ANC in Südafrika für gerechtfertigt gehalten, die sich gegen die
Funktionsträger des Apartheid-Regimes gerichtet hätten.15
Was die Autoren hier benutzen ist das Argument der Notwehr und der Nothilfe:
Wenn ich einen Angriff auf mein Leben nicht anders abwehren kann, als den
Angreifer zu töten, so darf ich das. Und wenn ich den Angriff auf das Leben eines
Unschuldigen, zum Beispiel auf ein Kind, nur verhindern kann, indem ich den
Angreifer töte, so darf ich das auch. Ein Argument, das auch im Verhältnis zum
Staat oder zu einer anderen Bevölkerungsgruppe gelten muss.16 Andernfalls, um
ein aktuelles Beispiel zu benutzen, hätte die afrikanische Bevölkerung in der Region
Darfur im Sudan nicht das moralische Recht, sich auch mit Gewalt gegen die
Vertreibungen, die Vergewaltigungen und das Morden zu wehren.
Auch Corlett benutzt das Prinzip der Notwehr und der Nothilfe, um einen
mehrstufigen und an den Bestimmung der Theorie des gerechten Kriegs orientierten
Kriterienkatalog zur Überprüfung der Legitimität von Terrorismus zu entwickeln:
»S is morally justified in employing terrorism, T, in certain circumstances, C,
and at a given time, t1, to the extent that:
S, being morally innocent, is defending herself or another morally innocent individual
or group of moral innocents in the face of a significant form of injustice
in C at t1, and concerning which injustice S [or the one(s) defended by S] is (are)
morally innocent;
S is as conscientiously selective as possible in her choice of terrorist targets in
C at t1 – tn;
In C at t1, S directs terrorist activity both proportionately and only against
those clearly guilty of committing acts of significant injustice;
if time and circumstance permits, S attempts non-violent means of political, social,
economic or religious change in good faith;
S plans T so as to best achieve the cessation of the conditions of injustice which
might justify the use of T in the first place; and
it is morally justified for others in relevantly similar circumstances to engage in
T.«17
Auffällig ist der Wert, den Corlett auf die »moralische Unschuld« legt. Sie
dient ihm als entscheidendes Bewertungskriterium der Legitimität politischer Gewalt.
Mit Hilfe der »moralischen Unschuld« – als Kategorie für den Täter wie
auch den/die zu Schützenden – gelingt es Corlett, den moralisch massivsten Vorwurf
gegen terroristische Gewalt zu entschärfen: dass sie sich gegen Unschuldige
richtet. In einer Erwiderung auf Carl Wellman, der Terrorismus als die Verletzung
der Grundrechte des Menschen und damit als nicht-rechtfertigbar ablehnt 18, fragt
Corlett:
»How is it, then, that an oppressor has a right not to be terrorized, especially
by those whom he has abused? How much weaker is the oppressor’s claim to not
be a victim of terrorism when that oppressor has already victimized others by way
of terrorism?«19
Die Antwort gibt sich Corlett selbst:
»Thus it seems that there is no inviolable or absolute and non-conflictable
moral right to not become a victim of terrorist action, unless, of course, one is
truly innocent of harming the terrorist and/or her property, or someone on whose
behalf the terrorist chooses to act.«20
Damit erhält das Prinzip der Diskriminierung, das im gerechten Krieg den
Schutz der Nichtkämpfenden verlangt, bei Corlett den Status eines kategorischen
Imperativs: Gerechter Terrorismus verschont Unschuldige – ausnahmslos! Und
damit kommt man mit Corlett zu einem eindeutigen Urteil über die jüngsten Terroranschläge
(vom 11. September, 11. März oder dem Überfall auf die Schule in
Beslan): Sie müssen alle als ungerechtfertigt, als Verbrechen disqualifiziert werden.
Was unserem moralischen Urteil entspricht.
Dennoch scheitert Corlett am Ende am Problem der Vermittlung zwischen
seinem moralischen Anspruch und dem, was man mit Michael Walzer die »moral
reality of political violence« 21 nennen könnte: der Tatsache, dass politische Gewalt
(egal ob sie nun Krieg oder Terrorismus heißt) immer auch unschuldige Opfer
fordert. Und dass eine Theorie, die über den gerechtfertigten Einsatz politischer
Gewalt befinden will, auch eine Antwort auf die drängendste moralische Frage
finden muss: Lässt sich der Tod von Unschuldigen rechtfertigen?22 Diese Antwort
bleibt Corlett schuldig.
1. Lutz, James M. and Brenda: Global Terrorism, London 2004, S. 9.
2. Das im Sommer 2003 erschienene Buch von Ted Honderich versucht, Terrorismus
moralphilosophisch zu rechtfertigen. Nach einer Intervention von Professor Micha
Brumlik, Direktor des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts, der Honderich und dem
Suhrkamp Verlag vorwarf, antisemitischen Antizionismus zu verbreiten, nahm der
Verlag das Buch wieder aus seinem Programm. In einem von den Medien wenig beachteten
offenen Brief hat Norman Paech, emeritierter Professor für Völkerrecht an
der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik, Honderich gegen den Vorwurf
des Antisemitismus in Schutz genommen – auch wenn Paech den Rechtfertigungsversuch
von Terrorismus für höchst problematisch hält. (Vgl.: www.unikassel.de/fb10/frieden/themen/Rassismus/honderich.html).
3. Eine Auswahl an Texten, die sich mit der Problematik eines gerechtfertigten, eines
moralischen Terrorismus beschäftigen: Khatchadourian, Haig: The Morality of
Terrorism, New York 1998; Wilkinson, Paul: Political Terrorism, London 1974; Seto,
Theodore P.: The Morality of Terrorism (www.lls.edu/academics/faculty/pubs/
seto-moralityterror.pdf); Khan, Ali: A legal Theory of International Terrorism
(classes.washburnlaw.edu/khan/publications/19clr945.htm); Narveson, Jan:
»Terrorism and Morality«, in: Frey, R. G. und Christopher W. Morris: Violence, Terrorism
and Justice, New York 1991, S. 116–169; Miller, Seumas: »Osama bin Laden,
Terrorism and Collective Responsibility«, in: Coady, Tony und Michael O’Keefe
(Hrsg.): Terrorism and Justice. Moral Argument in a Threatened World, Victoria
2002, S. 43–57; Thompson, Janna: »Terrorism and the Right to Wage War«, in:
Coady und O’Keefe (Hrsg.): Terrorism and Justice, a.a.O., S. 87–96; Young, Robert:
»Political Terrorism as a Weapon of the Politcal Powerless«, in: Coady und O’Keefe
(Hrsg.): Terrorism and Justice, a.a.O., S. 22–30.
4. Walzer, Michael: Just and Unjust Wars, New York 1977, S. 197.
5. Corlett: Terrorism, a.a.O., S. 117 (Hervorhebung im Original).
6. Corlett: Terrorism, a.a.O., S. 142.
7. Ebd., S. 117.
8. Ebd., S. 119 f. (Hervorhebung im Original).
9. Die Boston Tea Party vom 16. Dezember 1773 verschärfte den Konflikt zwischen den
amerikanischen Kolonien und dem britischen Mutterland, der schließlich in den
Unabhängigkeitskrieg von 1775 bis 1783 mündete.
10. Vgl. Corlett: Terrorism, a.a.O., S. 48. 11. Lutz und Lutz: Global Terrorism, a.a.O., S. 8.
12. Corlett: Terrorism, a.a.O., S. 48.
13. C.A.J. Coady weist darauf hin, dass es etwa 100 verschiedene Definitionen von Terrorismus
gibt. Überwiegend wird dabei aber nicht-staatliche Gewalt, die sich gegen
Zivilisten richtet, als Terrorismus definiert (vgl. Coady, C.A.J.: Terrorism, Just War
and Supreme Emergency, in: Coady und O’Keefe [Hrsg.]: Terrorism and Justice,
a.a.O., S. 8).
14. Burleigh Taylor Wilkins argumentiert, dass Anschläge gegen »normale« Deutsche
moralisch gerechtfertigt gewesen wären, die mit dem Ziel ausgeführt worden wären,
den Massenmord oder die Deportationen zu stoppen (vgl. Wilkins, Burleigh
Taylor: Terrorism and Collective Responsibility, London 1992, S. 26).
15. »Government officials who formulated these policies (who were responsible for
discrimination against blacks, A.B.), administrators who implemented them, and
police who enforced them, were all legitimate targets, on the assumption that killing
these officials was necessary in order to halt these rights violations.« (Miller,
Seumas: Osama bin Laden, Terrorism and Collective Responsibility, a.a.O., S. 56).
16. Vgl.: Meggle, Georg: »Ist dieser Krieg gut? Ein ethischer Kommentar«, in: Merkel, Reinhard: Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, Frankfurt/Main 2000, S. 140 f. 17. Corlett: Terrorism, a.a.O., S. 126 f. (Hervorhebung im Original).
18. Wellman, Carl: »On Terrorism itself«, in: Journal of Value Inquiry, 13 (1979), S. 156–
160.
19. Corlett: Terrorism, a.a.O., S. 136.
20.Ebd., S. 136.
Andreas Bock
Geschwister-Scholl-Institut für politische Wissenschaft, München
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