JEFFREY D. SACHS:
»Das Ende der Armut«. Ein ökonomisches Programm für eine gerechtere Welt

 
    
   Heft 3/2006  
    
  München 2005
Siedler-Verlag, 478 S.
  
 

Angesichts der weltweit immer tiefer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich hat die internationale Staatengemeinschaft unlängst beim UNO-Weltgipfel in New York erneut ihren festen Willen zur Bekämpfung von Hunger, Ungerechtigkeiten und Armut bekundet. Ziel ist es, die Zahl der Menschen zu halbieren, die im Jahr 2015 noch von einem us-Dollar am Tag leben müssen. Indessen werfen immer mehr Ökonomen die Frage nach der Wirksamkeit herkömmlicher Entwicklungshilfemaßnahmen auf. Eine Entwicklungshilfe, die die unterentwickelten Länder lediglich mit Geld überschwemmt, hilft zwar, das Gewissen der Geberländer zu beruhigen und fördert die Entwicklungshilfe-Industrie, den Armen jedoch hilft sie nicht. Vielmehr kommt es darauf an, Eigentumsrechte zu sichern, Investitionen zu fördern und wirtschaftspolitische Maßnahmen einzuleiten. Dies sind die Thesen des amerikanischen Entwicklungsökonomen Jeffrey D. Sachs, der in seinem Buch »Das Ende der Armut«, das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt, ein ökonomisches Programm für eine gerechtere Welt präsentiert.

Sachs zählt zu den schillerndsten und profiliertesten Persönlichkeiten auf der Bühne der Weltökonomie. Der Leiter des Earth-Institute der Columbia University in New York ist nicht nur ein renommierter Wissenschaftler, sondern auch ein überaus erfolgreicher Praktiker. 1986 stoppte Sachs die Hyperinflation in Bolivien und bewahrte das Land vor einer Staatskrise. 1989 beriet er die Regierung Polens während der Übergangsphase zur Marktwirtschaft. Seit über 20 Jahren ist Sachs Weltreisender in Sachen Armutsbekämpfung; er hat über einhundert Länder, in Asien, Lateinamerika und Afrika besucht. Der schwarze Kontinent ist für Sachs zum Lebensthema geworden: In Afrika ist es laut Sachs nicht so schlimm, wie es scheint, sondern noch viel schlimmer. Nicht nur, dass die meisten afrikanischen Staaten tief in einer Abwärtsspirale aus Verarmung und Hunger gefangen sind, hinzu kommt noch das unnötige und massenhafte Sterben an Malaria und Aids.

Die Armut führt in eine Falle, die jede wirtschaftliche Entwicklung hemmt. Nach Ansicht des Autors steht Afrika exemplarisch dafür, dass eine Verbesserung der Lebensumstände nicht primär von Hilfsgeldern abhängt. Zwar erhielten die afrikanischen Länder südlich der Sahara während der letzten 40 Jahre etwa 570 Milliarden Dollar Entwicklungshilfegelder, die Armut jedoch hat sich nicht verringert. Vielmehr konstatiert Sachs, dass es den Afrikanern heute schlechter als vor einem Vierteljahrhundert geht, festzumachen unter anderem daran, dass die durchschnittliche Lebenserwartung bei 46 Jahren liegt. Wie aber können die armen Länder den Aufstieg aus der Armut schaffen? Sachs schlägt vor, zunächst »so viel Geld in die armen Länder zu stecken, dass diese schnell reich werden«; realiter heißt das nichts anderes als eine nachholende Modernisierung der Dritte-Welt- Länder. Die ökologischen Folgen einer rapiden Angleichung an westliche Standards bezieht der Autor dagegen nicht in sein entwicklungspolitisches Modell ein. Vor allem aber müssten die armen Länder in einem zweiten Schritt in die Lage versetzt werden, den Weg zu anhaltendem Wirtschaftswachstum selbst zu gehen. Als weitere und hierzu begleitende Maßnahmen empfiehlt Sachs eine Reform der Wirtschaftspolitik, die Umwandlung von Geldkapital in Sachkapital, sowie auf das jeweilige Land zugeschnittene Investitions- und Finanzpläne. Zudem erstellt Sachs eine umfangreiche Checkliste für eine »Differentialdiagnose der nötigen politischen Maßnahmen«. Untersucht werden Bevölkerungsdichte, Regierungsführung, Staatsversagen, Geopolitik und kulturelle Schranken. Gleichwohl hat auch Sachs kein Rezept parat, wie gegen korrupte Regierungen vorzugehen ist, die Gelder veruntreuen.

Vehement wehrt sich Sachs gegen die Stimmen vieler reicher Länder, die fragen: »Warum sollen wir die Armen retten? Die Armut ist nicht unser Problem«. Hart ins Gericht geht der Autor mit den USA. Die meisten Amerikaner glauben, Wirtschaftshilfe habe mit nationaler Sicherheit nicht viel zu tun. Deshalb setzen sie ihr ganzes Vertrauen ins Militär. Im Jahr 2004 haben die usa 30 Mal mehr für Verteidigung als für Auslandshilfe ausgegeben und führen seit dem 11. September 2001 Krieg gegen den Terrorismus, wobei sie die tieferen Ursachen der globalen Instabilität jedoch vernachlässigen.

Jeden Tag sterben über 20 000 Menschen an tiefster Armut. Niemand räumt ihnen die Chance ein, sich aus diesem Zustand zu befreien und sie sterben namenlos, ohne dass die Öffentlichkeit von ihnen Notiz nimmt – für Sachs ein unerhörter Skandal und ein Nährboden für Hass und Gewalt. Auf die Frage, warum die Reichen den Armen helfen sollten, gibt das Buch eine ebenso einfache wie einleuchtende Antwort. Es sind freilich die Reichen, die am meisten zu verlieren haben. Vorderhand sind dies Sicherheit und Wohlstand. Wenn jedoch die Reichen ihrer selbstverständlichen moralischen Verpflichtung gegenüber den Armen nicht nachkommen, dann geht es um nichts weniger, als um den Verlust von Liberalität und Humanität.

Schließlich richtet der Visionär Sachs einen flammenden Appell an uns alle. Unsere Generation habe die einmalige Chance, der extremen Armut bis zum Jahr 2025 ein Ende zu machen. Sachs mahnt die universale Umsetzung der Ideen der Aufklärung an. Nicht nur ein kleiner Winkel Westeuropas, sondern die gesamte Menschheit solle teilhaben am gesellschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Nicht zuletzt ist es der engagiert – emphatische Duktus, der in jeder Zeile des Bandes schwingt, der das Buch so gut lesbar macht.

Sachs indes ist weder ein naiver Träumer noch propagiert er sozialistische Utopien. Das Buch des jüngst zum Direktor des UN-Millennium-Projekts gewählten Autors besticht vielmehr durch komplexe Analysen und plausible Szenarien zur Überwindung der weltweiten Armut. Fazit: der unverbesserliche Optimist Jeffrey D. Sachs hat ein ebenso überzeugendes wie wichtiges und dazu aufrüttelndes Buch geschrieben. Ein Manifest gegen die globale Armut und das richtige Buch zur richtigen Zeit.

Günther Frieß
Riegelsberg
     
      
 
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