REVIEW ESSAY— Heft 3/2007
HELMUT VOLGER:
Informeller Strukturwandel statt umfassender Reformen – die Anpassung der Vereinten Nationen an das internationale System
nach Ende des Kalten Krieges
     
  

Klaus Dicke / Manuel Fröhlich (Hrsg.), Wege multilateraler Diplomatie. Politik, Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsstrukturen im UNSystem (Jenaer Beiträge zur Politikwissenschaft, Bd. 10). Baden-Baden:
Nomos 2005, 160 S.

Jochen Prantl, The UN Security Council and Informal Groups of States: Complementing or Competing for Governance? Oxford / New York: Oxford University Press 2006, 299 S.

Sabine von Schorlemer (Hrsg.), »Wir, die Völker (…)« – Strukturwandel in der Weltorganisation. Konferenzband aus Anlaß des 60jährigen Bestehens der Vereinten Nationen vom 27.–29. Oktober 2005 in Dresden (Dresdener Schriften zu Recht und Politik der Vereinten Nationen, Bd. 1). Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang 2006, 228 S.

Johannes Varwick /Andreas Zimmermann (Hrsg.), Die Reform der Vereinten Nationen – Bilanz und Perspektiven (Veröffentlichungen des Walther- Schücking-Instiutts für Internationales Recht an der Universität Kiel, Bd. 162). Berlin: Duncker & Humblot 2006, 334 S.

Kaum ein Jubiläum wurde von den Vereinten Nationen so gründlich vorbereitet wie der Weltgipfel aus Anlass des 60-jährigen Bestehens im September 2005: durch Reformberichte mehrerer von un-Generalsekretär Annan eingesetzter Panels, die sich mit der besseren Einbeziehung der nichtstaatlichen Organisationen (ngos) in die Arbeit der Vereinten Nationen (Panel of Eminent Persons on United Nations-Civil Society Relations), mit der Reform des kollektiven Sicherheitssystems der uno (High-Level Panel on Threats, Challenges and Change) und mit der Reform der multilateralen Entwicklungshilfe (Millennium Project) beschäftigten. Sie legten ihre Reformberichte vor: »We the Peoples: Civil Society, the United Nations and Global Governance« (un Doc. A/58/117) im Juni 2004, »A More Secure World: Our Shared Responsibility « (un Doc. A/59/565) im Dezember 2004 und »Investing in De-velopment – A Practical Plan to Achieve the Millennium Development Goals« im Januar 2005.

Auf die Ergebnisse der drei Reformberichte baute der umfassende Reformbericht des un-Generalsekretärs auf, den Kofi Annan im März 2005 unter dem Titel »In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle« (un Doc. A/59/2005) vorlegte.

Der Bericht des Generalsekretärs wurde dann in mehreren Diskussionsrunden in der Generalversammlung diskutiert und dem Präsidenten der Generalversammlung fiel die Aufgabe zu, bis zum Beginn des Weltgipfels im September 2005 einen konsensfähigen Entwurf für ein Gipfeldokument fertigzustellen.

Von vielen Politikern der Mitgliedstaaten, un-Mitarbeitern und Journalisten war der Weltgipfel als »Reformgipfel« angesehen worden, der eine Einigung über umfassende Reformen bringen sollte, welche die Effektivität und die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen stärken sollten. Dementsprechend groß war die Ernüchterung, als auf dem Gipfel große Reformen ausblieben und man im Abschlussdokument des Weltgipfels – »World Summit Outcome« (un Doc. a/res/60/1, 16.9.2005) – nur kleine Fortschritte konstatieren konnte. Vor allem die von vielen in den Mittelpunkt gestellte Reform des Sicherheitsrats fand nicht statt. Was war geschehen? Hatte die UNO »versagt«? Ist die UNO reformunfähig?

Zur Beantwortung dieser Fragen bieten die hier vorgestellten Bücher viel Material: detaillierte Beschreibungen der formellen und informellen Prozesse der multilateralen Diplomatie und der Entscheidungsstrukturen in der UNO sowie gründliche Analysen der politischen und personellen Rahmenbedingungen für die Arbeit der uno und Thesen zu den damit verbundenen Grenzen für ihr Handeln.

Die Bücher machen in ihrem Aufbau und ihrer Entstehungsgeschichte deutlich, dass die politikwissenschaftliche Forschung in Deutschland sich in wissenschaftlichen Konferenzen intensiv mit dem Thema »Reform der Vereinten Nationen« auseinandergesetzt hat: Das Buch von Klaus Dicke und Manuel Fröhlich hat die Referate des Jenaer Tags der Politikwissenschaft 2003 zur Grundlage, der sich der Willensbildung und den Handlungsmöglichkeiten der Weltorganisation uno widmete, die Referate wurden für das Buch aktualisiert (Stand: Sommer 2005) und
durch weitere Texte ergänzt. Das Buch von Johannes Varwick und Andreas Zimmermann enthält die überarbeiteten Beiträge einer Konferenz, welche die Institute für Politikwissenschaft und für Internationales Rechtder Universität Kiel in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) und der Friedrich-Naumann- Stiftung im September 2005 in Berlin über die Reform der Vereinten Nationen durchgeführt haben, das Buch von Sabine von Schorlemer die Vorträge der vom Zentrum für Internationale Studien der Technischen Universität Dresden in Zusammenarbeit mit der dgvn im Oktober 2005 in Dresden durchgeführten Konferenz über den Strukturwandel in der Weltorganisation.

Während das Buch von Dicke und Fröhlich im Vorfeld des Weltgipfels die Rahmenbedingungen und Chancen für mögliche Reformen auslotet, analysieren und bewerten die beiden anderen Bände die auf dem Weltgipfel erreichten Reformergebnisse.

Ergänzt werden die drei Tagungsbände, die durch die hohe Qualität der Beiträge, die gut lesbare Sprache sowie die Fülle der behandelten Aspekte – Sicherheitsrat, Generalversammlung, Sekretariat, Friedenssicherung, Regionalgruppen, ngos und vieles andere mehr – beeindrucken und dem Leser einen guten Überblick über die gegenwärtige Situation der Vereinten Nationen bieten, durch die interessante Monographie von Jochen Prantl, die sich mit der Rolle informeller Staatengruppen in der Friedenssicherung beschäftigt.

Das Buch von Dicke und Fröhlich macht dem Leser deutlich, dass für die Handlungsfähigkeit und die Entscheidungsprozesse in der uno, die in der Reformdebatte der letzten Jahre sehr oft nur mit der formellen Zusammensetzung des Sicherheitsrats in Verbindung gebracht wurde, die internen Strukturen, Koordinations- und Kommunikationsmechanismen eine wichtige Rolle spielen: Fröhlichs Beitrag über das un-Sekretariat in diesem Buch zeigt anhand einer detaillierten Analyse der Arbeit des Sekretariats, dass ihm eine Schlüsselfunktion bei der Problemwahrnehmung, Problemdefinition und Entwicklung von Lösungsalternativen für internationale Probleme zukommt, und dass nach der Entscheidung der Mitgliedstaaten in Generalversammlung und / oder Sicherheitsrat
über Problemlösungen das Sekretariat die Kontrolle der Implementierung durch Fortschrittsberichte vorbereitet (Dicke / Fröhlich, S. 60).

un-Generalsekretär Kofi Annan, durch seine langjährige Tätigkeit als un-Mitarbeiter mit der Rolle des Sekretariats, aber auch den Problemen, die eine so große Institution mit vielen Abteilungen und Aufgaben aufwirft, bestens vertraut, versuchte deshalb, durch stärkere problembezogene Koordinations- und Entscheidungsstrukturen und einen Kabinetts- Stil auf der Leitungsebene das Sekretariat leistungsfähiger zu machen(Dicke / Fröhlich, S. 54 ff), was ihm durchaus gelang, wenn man sich die große Zahl der Berichte des Generalsekretärs zur un-Reform in seiner Amtszeit vergegenwärtigt. Dass von den dort präsentierten Reformkonzepten so wenig umgesetzt wurde, liegt nicht an der ungenügenden Vorbereitung der Entscheidungen durch das Sekretariat, sondern am mangelnden politischen Willen, oder genauer gesagt, der mangelnden Einigkeit der Mitgliedstaaten über die anzustrebenden Lösungen.

Christian Freudings Beitrag im gleichen Buch über die Entscheidungsfindung im Sicherheitsrat demonstriert – für viele Leser vielleicht überraschend –, dass auch beim Sicherheitsrat über die intensive Debatte um seine Zusammensetzung bei den Politikern der Mitgliedstaaten oft versäumt wurde, die vielen Veränderungen wahrzunehmen, die sich im internen Informations- und Entscheidungsgefüge des Rats seit Beginn der 1990er Jahre auf informeller Ebene vollzogen haben: Unter dem Druck der politischen Probleme – zahlreiche humanitäre Hilfsaktionen und Friedensmissionen mit komplexen Mandaten – hat der Rat durch eine kreative Differenzierung seiner formellen und informellen Sitzungsformen den Nichtmitgliedstaaten des Rats, potenziellen Truppenstellerstaaten, beteiligten Konfliktparteien und ngos eine frühzeitige und umfassende Information und zum Teil sogar erhebliche informelle Mitwirkungsmöglichkeiten an den Ratsentscheidungen eingeräumt (Dicke / Fröhlich, S. 79 f).

Ein Großteil dieser von Freuding beschriebenen informellen Informations- und Anhörungsformen wurde übrigens im Juli 2006 durch eine formelle Note des Präsidenten des Sicherheitsrats vom Rat ausdrücklich bekräftigt und damit politisch konsolidiert (Note by the President of the Security Council, 19 July 2006, un Doc. S/2006/507).

In ähnlicher Weise wie Freuding argumentieren auch Volker Rittberger und Heiko Baumgärtner in ihrem Beitrag über die Reform des Sicherheitsrats im Buch von Varwick und Zimmermann, dass aufgrund »des Scheiterns eines institutionellen Wandels mit dem Ziel einer veränderten Zusammensetzung des Sicherheitsrats« zukünftige Reformschritte mehr »auf eine Stärkung informeller Regelungsmechanismen« (Varwick / Zimmermann, S. 61) abzielen müssten. »Grundlegend für jede Reform der Arbeitsweisen ist die Erweiterung und Vertiefung bestehender Informations-, Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte für externe Akteure. Indem Nicht-Mitglieder des Sicherheitsrats, Organisationen und Experten stärker in seine Entscheidungsprozesse eingebunden werden, wird
einerseits die Transparenz der Beschlüsse … gestärkt. Andererseits profitiert der Sicherheitsrat von diesen externen Wissens-, Personal- und Finanzressourcen zur Bearbeitung der zahlreichen ihn beschäftigenden Problembündel.« (Varwick / Zimmermann, S. 62)

Zu diesen wichtigen externen Akteuren, welche bei der schwierigen Arbeit des Sicherheitsrats unterstützend wirken, zählen auch die sich im Verlauf eines internationalen Konflikts bildenden informellen Staatengruppen, die sich als »Kontaktgruppen« oder »Freunde des Generalsekretärs « bezeichnen und, wie Jochen Prantl in seinem Buch am Beispiel der Konflikte in El Salvador, Namibia und im Kosovo nachweist, oft in der Lage sind, dort wirksam zu handeln, wo die uno strukturell durch die Charta oder / und durch die politische Lage und die Interessenkonstellation der ständigen Ratsmitglieder daran gehindert ist: In Situationen, wo die un-Hauptorgane Sicherheitsrat, Sekretariat und Generalversammlung nicht zu effektiver Krisenschlichtung in der Lage
sind, übernehmen informelle Staatengruppen zeitweise deren Aufgaben, nämlich zwischen den Konfliktbeteiligten zu vermitteln und Konfliktlösungen zu erarbeiten, um dann die endgültige Friedenslösung wieder den un-Organen anzuvertrauen. Die informellen Staatengruppen helfen auf diese Weise der uno, ihre Aufgabe in der Konfliktschlichtung und Friedenssicherung auch dann zu erfüllen, wenn aktuelle Interessengegensätze und strukturelle Mängel die un-Organe in ihrer Arbeit behindern (Prantl, S. 255).

Darin sind sich die Autoren der hier rezensierten Bücher einig: Angesichts der bekannten divergierenden Interessen bei den un-Mitgliedstaaten, die nicht nur eine Strukturreform des Sicherheitsrats, sondern auch der Generalversammlung und des Wirtschafts- und Sozialrats seit Jahrzehnten verhindert haben und sie auch für die nächste Jahre wenig wahrscheinlich machen, kommt es darauf an, wie Rittberger es in seinem Beitrag für das Schorlemer-Buch formuliert, die »herrschaftsfunktionale Trennung von Staatenwelt und Gesellschaftswelt ein Stück weit wieder aufzuheben« durch die »institutionalisierte Einbeziehung von gesellschafts- und wirtschaftsweltlichen Akteuren« (Schorlemer, S. 140).

Über die seit Jahrzehnten praktizierte Beteiligung von nichtstaatlichen Organisationen (ngos) an der Arbeit des Wirtschafts- und Sozialrats und seiner Fachkommissionen sowie an un-Weltkonferenzen hinaus geht es vor allem um die Mitwirkungsmöglichkeiten von NGOs in der Generalversammlung, bei der noch vieles im Argen liegt, wie der
Beitrag von Jens Martens, der die geringe und fast nur symbolische Mitwirkung der NGOs beim Weltgipfel 2005 thematisiert, im SchorlemerBuch (Schorlemer, S. 59 ff), deutlich macht, und im Sicherheitsrat – dort geht es um den Ausbau erster wichtiger Mitwirkungsmöglichkeiten, wie schon erwähnt wurde.

Darüber hinaus weist Rittbergers Bemerkung auch auf die – von manchen begrüßte, von anderen kritisierte – stärkere Einbeziehung von Wirtschaftsunternehmen in die Arbeit der Vereinten Nationen hin, zum Beispiel im Rahmen des von un-Generalsekretär Kofi Annan entwickelten »Globalen Pakts« (Global Compact), in dem sich Wirtschaftsunternehmen auf freiwilliger Basis öffentlich auf die Einhaltung bestimmter, in un-Menschenrechtskonventionen und un-Umweltabkommen festgeschriebener Standards für ihre Produktion und ihre Beschäftigten festlegen, wie Brigitte Hamm in ihrem Beitrag über den Globalen Pakt im Schorlemer-Buch darlegt. Die Einbeziehung der Wirtschaftsunternehmen vermittelt der uno oft weitere finanzielle Ressourcen und stärkt die
Einhaltung wichtiger un-Standards in den Mitgliedstaaten jenseits der oft ungenügenden staatlichen Kontrollen, bedarf aber zweifellos stringenter Kontrolle durch die ngos und die Massenmedien, was die Praxis angeht (Schorlemer, S. 105ff).

Die hier vorgestellten Bücher machen auch deutlich, dass man, bei aller verständlichen Enttäuschung über die ausgebliebene Strukturreform der Hauptorgane, die Ergebnisse des Weltgipfels nicht unterschätzen sollte.

Immerhin war der Weltgipfel 2005 in der Lage, den Anstoß für die Gründung zweier wichtiger un-Institutionen zu geben, die dann nach dem Weltgipfel eingerichtet wurden: zum einen die Gründung des Menschenrechtsausschusses (Human Rights Council), der die stark in Kritik geratene Menschenrechtskommission (Human Rights Commission), ein Unterorgan des Wirtschafts- und Sozialrats, ersetzt hat. Bei diesem neuen Menschenrechtsgremium muss sich in den nächsten Jahren erst noch zeigen, ob sein anderer Wahlmodus und seine politisch aufgewertete Stellung als Unterorgan der Generalversammlung ausreichen, die Schwächen und Fehler seines Vorgängerorgans abzustellen. Zum anderen soll die Gründung der Kommission für Friedenskonsolidierung (Peacebuilding Commission) eine bessere Koordination aller Beteiligten und mehr Kontinuität bei der langfristigen Arbeit der Friedenssicherung bewirken.

Sven Gareis macht in seinem Beitrag über die Kommission für Friedenskonsolidierung im Buch von Varwick und Zimmermann deutlich, dass ähnlich wie bei früher gegründeten un-Organen schwer vorherzusagen ist, ob sie die wichtige Koordinationsaufgabe auch in der Praxis zu leisten imstande ist, zumal die Kommission eine institutionelle Anbindung sowohl an den Sicherheitsrat als auch an die Generalversammlung und den Wirtschafts- und Sozialrat aufweist. Gibt es bei den Mitgliedstaaten genügend politischen Willen für eine Stärkung der Friedenskonsolidierung in vielen Regionen der Welt und die dafür auch erforderlichen finanziellen Ressourcen, wird die Kommission zweifellos Gutes bewirken können (Varwick / Zimmermann, S. 197 ff).

Langfristig von großer Bedeutung für den Menschenrechtsschutz und die Friedenssicherung könnte ein weiteres Ergebnis des Weltgipfels sein, mit dem sich Manuel Fröhlich in seinem Beitrag über »Responsibility to Protect« beschäftigt: Das im Ergebnisdokument der Gipfelkonferenz festgehaltene völkerrechtliche Prinzip der Verantwortung der Staatengemeinschaft für den Schutz von Zivilbevölkerung in Staaten, wo deren politische Institutionen nicht willens oder nicht in der Lage sind, ihre Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen, stellt eine wichtige Fortentwicklung des Völkerrechts dar, das die Berufung der Staaten auf die eigene Souveränität in den genannten Fällen erschweren soll (Varwick / Zimmermann, S. 182 f). Fröhlichs Beitrag macht deutlich, dass sich das Völkerrecht seit Mitte der 1990er Jahre unter dem Eindruck der Menschenrechtsverletzungen auf dem Balkan und in Ruanda intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt hat, und dass durch den im Jahr 2001 vorgelegten Bericht einer für diesen Zweck gegründeten internationalen Kommission schon im Vorfeld des Weltgipfels 2005 die Entwicklung dieses völkerrechtlichen Konzepts gründlich vorbereitet wurde. Die Entwicklung dieses neuen Völkerrechtsprinzips belegt, darin kann man Fröhlich zustimmen, dass sich die Staatengemeinschaft vor dem Hintergrund der massiven Menschenrechtsverletzungen um eine wirksame Fortentwicklung des Völkerrechts bemüht hat, wenn auch wie bei anderen durch die uno etablierten Völkerrechtsprinzipen abzuwarten bleibt, wie weit die Mitgliedstaaten in der politischen Praxis diesem Prinzip zum Schutz der Menschen Geltung verschaffen, ohne es andererseits als Alibi für unilaterale Aktionen zu missbrauchen.

Lange Zeit hatten in den Jahren vor dem un-Weltgipfel 2005 die Millenniumsentwicklungsziele die Debatte innerhalb der uno und in der Weltöffentlichkeit beherrscht, bis – was von un-Generalsekretär Kofi Annan so sicherlich nicht antizipiert worden war – die Debatte um die Zusammensetzung des Sicherheitsrats jene Debatte um die Erfüllungder wichtigen Entwicklungsziele, mit denen allen Menschen auf der Welt erträgliche Mindeststandards in Bezug auf Ernährung, Wohnung, Einkommen, Gesundheit, Schulbildung usw. bis zum Jahr 2015 gewährleistet werden sollen, in den Hintergrund drängte.

Kofi Annan hatte in seinem Bericht »In größerer Freiheit« vom März 2005, der einen Entwurf für das Gipfeldokument vom September darstellen sollte, den Mitgliedstaaten eine Art »fairen Handel«, einen außenpolitischen Interessenausgleich jenseits ideologischer Differenzen vorgeschlagen: Ausgehend von der These, dass menschliche Sicherheit weltweit nur zu erreichen ist, wenn auch durch die Förderung der Entwicklung, den Schutz der Umwelt und der Menschenrechte für die Integration aller Menschen in ihre Gesellschaften Sorge getragen wird, verknüpfte er in seinem Konzept alle diese Aufgabenbereiche und argumentierte gegenüber den Industrieländern, dass sie durch die massive Unterstützung der Entwicklung in der Dritten Welt ihrerseits einen Nutzen haben würden in Bezug auf Umweltschutz, Terrorismusbekämpfung und Welthandel.

Tatsächlich haben – so konstatiert Thomas Fues in seinem Beitrag für das Schorlemer-Buch – die Mitgliedstaaten von Annans »Vision eines globalen Gesellschaftsvertrags für Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte … nur kleinere Bruchstücke übernommen« (Schorlemer, S. 169). Auf der anderen Seite bewertet Fues es als positiv, dass im Abschlussdokument des Weltgipfels die Entwicklungspolitik eine herausragende Rolle spielt und »eindeutige Formulierungen zur Stärkung der un-Millenniumsentwicklungsziele Eingang in den Text« gefunden haben
(Schorlemer, S. 172). Vor allem die Kampagne zur Verwirklichung der Entwicklungsziele zwischen 2000 und 2005 hat die Stellung der Vereinten Nationen »im globalen Entwicklungsdiskurs … gestärkt. Weltbank und internationaler Währungsfond, regionale Entwicklungsbanken und bilaterale Geber richten ihre Programme zunehmend an diesem Zielsystem aus …« (Schorlemer, S. 175).

Es ist das Verdienst der Beiträge der Autoren der hier vorgestellten Bücher, dass sie vielfältige Belege für die These von Sabine von Schorlemer in ihrem Beitrag über die Reformvorschläge von Kofi Annan für das Buch von Varwick und Zimmermann liefern, nämlich, dass der Reformgipfel »ein wichtiger Schritt zur graduellen Stärkung der Vereinten Nationen« sei, »gewissermaßen ein Mosaikstein im Gefüge eines langfristig angelegten und sich seit Jahrzehnten in Teilschritten vollziehenden Reformprozesses der Vereinten Nationen. Bereits in der Vergangenheit hat sichdie Weltorganisation mehrfach erfolgreich Teil-Reformprozessen, vielfach informeller Natur, unterworfen. Immer wieder gelang es in Zeiten des Umbruchs, die Struktur der Vereinten Nationen an neue Herausforderungen anzupassen … Nicht große, Charta-Änderungen erfordernde Reformentwürfe, sondern inkrementelle Reformschritte … sind prägend für die Gestalt der Vereinten Nationen.« (Varwick / Zimmermann, S. 295 f)

Es wäre nützlich, wenn die Außenpolitiker in Deutschland sich diese Einsicht zu eigen machen würden, damit sie nicht mit zu großen Erwartungen an die uno herangehen, was deren Reformfähigkeit angeht, zugleich aber die Kraft der uno zur ständigen innovativen Anpassung an die politischen Rahmenbedingungen nicht unterschätzen, welche sie in die Lage versetzt hat, in ihrer mehr als 60-jährigen Geschichte wichtige Erfolge in der Friedenssicherung, beim Schutz der Menschenrechte und der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Welt zu erzielen, so wie die Charta der Vereinten Nationen es vorsieht.

     
 
  
 
 
 
     
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