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Klaus Dicke / Manuel Fröhlich (Hrsg.), Wege multilateraler Diplomatie.
Politik, Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsstrukturen im UNSystem
(Jenaer Beiträge zur Politikwissenschaft, Bd. 10). Baden-Baden:
Nomos 2005, 160 S.
Jochen Prantl, The UN Security Council and Informal Groups of States:
Complementing or Competing for Governance? Oxford / New York: Oxford
University Press 2006, 299 S.
Sabine von Schorlemer (Hrsg.), »Wir, die Völker (…)« – Strukturwandel
in der Weltorganisation. Konferenzband aus Anlaß des 60jährigen Bestehens
der Vereinten Nationen vom 27.–29. Oktober 2005 in Dresden (Dresdener
Schriften zu Recht und Politik der Vereinten Nationen, Bd. 1). Frankfurt
am Main u. a.: Peter Lang 2006, 228 S.
Johannes Varwick /Andreas Zimmermann (Hrsg.), Die Reform der Vereinten
Nationen – Bilanz und Perspektiven (Veröffentlichungen des Walther-
Schücking-Instiutts für Internationales Recht an der Universität Kiel,
Bd. 162). Berlin: Duncker & Humblot 2006, 334 S.
Kaum ein Jubiläum wurde von den Vereinten Nationen so gründlich
vorbereitet wie der Weltgipfel aus Anlass des 60-jährigen Bestehens
im September 2005: durch Reformberichte mehrerer von un-Generalsekretär
Annan eingesetzter Panels, die sich mit der besseren Einbeziehung
der nichtstaatlichen Organisationen (ngos) in die Arbeit der Vereinten
Nationen (Panel of Eminent Persons on United Nations-Civil
Society Relations), mit der Reform des kollektiven Sicherheitssystems
der uno (High-Level Panel on Threats, Challenges and Change) und
mit der Reform der multilateralen Entwicklungshilfe (Millennium Project)
beschäftigten. Sie legten ihre Reformberichte vor: »We the Peoples:
Civil Society, the United Nations and Global Governance« (un Doc.
A/58/117) im Juni 2004, »A More Secure World: Our Shared Responsibility « (un Doc. A/59/565) im Dezember 2004 und »Investing in De-velopment – A Practical Plan to Achieve the Millennium Development
Goals« im Januar 2005.
Auf die Ergebnisse der drei Reformberichte baute der umfassende
Reformbericht des un-Generalsekretärs auf, den Kofi Annan im März
2005 unter dem Titel »In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung,
Sicherheit und Menschenrechten für alle« (un Doc. A/59/2005)
vorlegte.
Der Bericht des Generalsekretärs wurde dann in mehreren Diskussionsrunden
in der Generalversammlung diskutiert und dem Präsidenten
der Generalversammlung fiel die Aufgabe zu, bis zum Beginn des Weltgipfels
im September 2005 einen konsensfähigen Entwurf für ein Gipfeldokument
fertigzustellen.
Von vielen Politikern der Mitgliedstaaten, un-Mitarbeitern und Journalisten
war der Weltgipfel als »Reformgipfel« angesehen worden, der
eine Einigung über umfassende Reformen bringen sollte, welche die Effektivität
und die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen stärken sollten.
Dementsprechend groß war die Ernüchterung, als auf dem Gipfel
große Reformen ausblieben und man im Abschlussdokument des Weltgipfels – »World Summit Outcome« (un Doc. a/res/60/1, 16.9.2005) –
nur kleine Fortschritte konstatieren konnte. Vor allem die von vielen in
den Mittelpunkt gestellte Reform des Sicherheitsrats fand nicht statt. Was
war geschehen? Hatte die UNO »versagt«?
Ist die UNO reformunfähig?
Zur Beantwortung dieser Fragen bieten die hier vorgestellten Bücher
viel Material: detaillierte Beschreibungen der formellen und informellen
Prozesse der multilateralen Diplomatie und der Entscheidungsstrukturen
in der UNO sowie gründliche Analysen der politischen und personellen
Rahmenbedingungen für die Arbeit der uno und Thesen zu den damit
verbundenen Grenzen für ihr Handeln.
Die Bücher machen in ihrem Aufbau und ihrer Entstehungsgeschichte
deutlich, dass die politikwissenschaftliche Forschung in Deutschland
sich in wissenschaftlichen Konferenzen intensiv mit dem Thema »Reform
der Vereinten Nationen« auseinandergesetzt hat: Das Buch von
Klaus Dicke und Manuel Fröhlich hat die Referate des Jenaer Tags der
Politikwissenschaft 2003 zur Grundlage, der sich der Willensbildung und
den Handlungsmöglichkeiten der Weltorganisation uno widmete, die
Referate wurden für das Buch aktualisiert (Stand: Sommer 2005) und
durch weitere Texte ergänzt. Das Buch von Johannes Varwick und Andreas
Zimmermann enthält die überarbeiteten Beiträge einer Konferenz, welche
die Institute für Politikwissenschaft und für Internationales Rechtder Universität Kiel in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft
für die Vereinten Nationen (DGVN) und der Friedrich-Naumann-
Stiftung im September 2005 in Berlin über die Reform der Vereinten
Nationen durchgeführt haben, das Buch von Sabine von Schorlemer die
Vorträge der vom Zentrum für Internationale Studien der Technischen
Universität Dresden in Zusammenarbeit mit der dgvn im Oktober 2005
in Dresden durchgeführten Konferenz über den Strukturwandel in der
Weltorganisation.
Während das Buch von Dicke und Fröhlich im Vorfeld des Weltgipfels
die Rahmenbedingungen und Chancen für mögliche Reformen auslotet,
analysieren und bewerten die beiden anderen Bände die auf dem Weltgipfel
erreichten Reformergebnisse.
Ergänzt werden die drei Tagungsbände, die durch die hohe Qualität
der Beiträge, die gut lesbare Sprache sowie die Fülle der behandelten Aspekte – Sicherheitsrat, Generalversammlung, Sekretariat, Friedenssicherung,
Regionalgruppen, ngos und vieles andere mehr – beeindrucken
und dem Leser einen guten Überblick über die gegenwärtige Situation
der Vereinten Nationen bieten, durch die interessante Monographie von
Jochen Prantl, die sich mit der Rolle informeller Staatengruppen in der
Friedenssicherung beschäftigt.
Das Buch von Dicke und Fröhlich macht dem Leser deutlich, dass für
die Handlungsfähigkeit und die Entscheidungsprozesse in der uno, die
in der Reformdebatte der letzten Jahre sehr oft nur mit der formellen
Zusammensetzung des Sicherheitsrats in Verbindung gebracht wurde,
die internen Strukturen, Koordinations- und Kommunikationsmechanismen
eine wichtige Rolle spielen: Fröhlichs Beitrag über das un-Sekretariat
in diesem Buch zeigt anhand einer detaillierten Analyse der Arbeit
des Sekretariats, dass ihm eine Schlüsselfunktion bei der Problemwahrnehmung,
Problemdefinition und Entwicklung von Lösungsalternativen
für internationale Probleme zukommt, und dass nach der Entscheidung
der Mitgliedstaaten in Generalversammlung und / oder Sicherheitsrat
über Problemlösungen das Sekretariat die Kontrolle der Implementierung
durch Fortschrittsberichte vorbereitet (Dicke / Fröhlich, S. 60).
un-Generalsekretär Kofi Annan, durch seine langjährige Tätigkeit als
un-Mitarbeiter mit der Rolle des Sekretariats, aber auch den Problemen,
die eine so große Institution mit vielen Abteilungen und Aufgaben aufwirft,
bestens vertraut, versuchte deshalb, durch stärkere problembezogene
Koordinations- und Entscheidungsstrukturen und einen Kabinetts-
Stil auf der Leitungsebene das Sekretariat leistungsfähiger zu machen(Dicke / Fröhlich, S. 54 ff), was ihm durchaus gelang, wenn man sich die
große Zahl der Berichte des Generalsekretärs zur un-Reform in seiner
Amtszeit vergegenwärtigt. Dass von den dort präsentierten Reformkonzepten
so wenig umgesetzt wurde, liegt nicht an der ungenügenden
Vorbereitung der Entscheidungen durch das Sekretariat, sondern am
mangelnden politischen Willen, oder genauer gesagt, der mangelnden
Einigkeit der Mitgliedstaaten über die anzustrebenden Lösungen.
Christian Freudings Beitrag im gleichen Buch über die Entscheidungsfindung
im Sicherheitsrat demonstriert – für viele Leser vielleicht überraschend –, dass auch beim Sicherheitsrat über die intensive Debatte
um seine Zusammensetzung bei den Politikern der Mitgliedstaaten oft
versäumt wurde, die vielen Veränderungen wahrzunehmen, die sich im
internen Informations- und Entscheidungsgefüge des Rats seit Beginn
der 1990er Jahre auf informeller Ebene vollzogen haben: Unter dem
Druck der politischen Probleme – zahlreiche humanitäre Hilfsaktionen
und Friedensmissionen mit komplexen Mandaten – hat der Rat durch
eine kreative Differenzierung seiner formellen und informellen Sitzungsformen
den Nichtmitgliedstaaten des Rats, potenziellen Truppenstellerstaaten,
beteiligten Konfliktparteien und ngos eine frühzeitige
und umfassende Information und zum Teil sogar erhebliche informelle
Mitwirkungsmöglichkeiten an den Ratsentscheidungen eingeräumt
(Dicke / Fröhlich, S. 79 f).
Ein Großteil dieser von Freuding beschriebenen informellen Informations-
und Anhörungsformen wurde übrigens im Juli 2006 durch eine
formelle Note des Präsidenten des Sicherheitsrats vom Rat ausdrücklich
bekräftigt und damit politisch konsolidiert (Note by the President of the
Security Council, 19 July 2006, un Doc. S/2006/507).
In ähnlicher Weise wie Freuding argumentieren auch Volker Rittberger
und Heiko Baumgärtner in ihrem Beitrag über die Reform des Sicherheitsrats
im Buch von Varwick und Zimmermann, dass aufgrund »des
Scheiterns eines institutionellen Wandels mit dem Ziel einer veränderten
Zusammensetzung des Sicherheitsrats« zukünftige Reformschritte
mehr »auf eine Stärkung informeller Regelungsmechanismen« (Varwick /
Zimmermann, S. 61) abzielen müssten. »Grundlegend für jede Reform
der Arbeitsweisen ist die Erweiterung und Vertiefung bestehender Informations-,
Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte für externe Akteure.
Indem Nicht-Mitglieder des Sicherheitsrats, Organisationen und Experten
stärker in seine Entscheidungsprozesse eingebunden werden, wird
einerseits die Transparenz der Beschlüsse … gestärkt. Andererseits profitiert der Sicherheitsrat von diesen externen Wissens-, Personal- und
Finanzressourcen zur Bearbeitung der zahlreichen ihn beschäftigenden
Problembündel.« (Varwick / Zimmermann, S. 62)
Zu diesen wichtigen externen Akteuren, welche bei der schwierigen
Arbeit des Sicherheitsrats unterstützend wirken, zählen auch die sich
im Verlauf eines internationalen Konflikts bildenden informellen Staatengruppen,
die sich als »Kontaktgruppen« oder »Freunde des Generalsekretärs « bezeichnen und, wie Jochen Prantl in seinem Buch am Beispiel
der Konflikte in El Salvador, Namibia und im Kosovo nachweist,
oft in der Lage sind, dort wirksam zu handeln, wo die uno strukturell
durch die Charta oder / und durch die politische Lage und die Interessenkonstellation
der ständigen Ratsmitglieder daran gehindert ist: In
Situationen, wo die un-Hauptorgane Sicherheitsrat, Sekretariat und
Generalversammlung nicht zu effektiver Krisenschlichtung in der Lage
sind, übernehmen informelle Staatengruppen zeitweise deren Aufgaben,
nämlich zwischen den Konfliktbeteiligten zu vermitteln und Konfliktlösungen
zu erarbeiten, um dann die endgültige Friedenslösung wieder
den un-Organen anzuvertrauen. Die informellen Staatengruppen helfen
auf diese Weise der uno, ihre Aufgabe in der Konfliktschlichtung
und Friedenssicherung auch dann zu erfüllen, wenn aktuelle Interessengegensätze
und strukturelle Mängel die un-Organe in ihrer Arbeit behindern
(Prantl, S. 255).
Darin sind sich die Autoren der hier rezensierten Bücher einig: Angesichts
der bekannten divergierenden Interessen bei den un-Mitgliedstaaten,
die nicht nur eine Strukturreform des Sicherheitsrats, sondern
auch der Generalversammlung und des Wirtschafts- und Sozialrats seit
Jahrzehnten verhindert haben und sie auch für die nächste Jahre wenig
wahrscheinlich machen, kommt es darauf an, wie Rittberger es in seinem
Beitrag für das Schorlemer-Buch formuliert, die »herrschaftsfunktionale
Trennung von Staatenwelt und Gesellschaftswelt ein Stück weit wieder
aufzuheben« durch die »institutionalisierte Einbeziehung von gesellschafts-
und wirtschaftsweltlichen Akteuren« (Schorlemer, S. 140).
Über die seit Jahrzehnten praktizierte Beteiligung von nichtstaatlichen
Organisationen (ngos) an der Arbeit des Wirtschafts- und Sozialrats
und seiner Fachkommissionen sowie an un-Weltkonferenzen
hinaus geht es vor allem um die Mitwirkungsmöglichkeiten von NGOs
in der Generalversammlung, bei der noch vieles im Argen liegt, wie der
Beitrag von Jens Martens, der die geringe und fast nur symbolische Mitwirkung
der NGOs beim Weltgipfel 2005 thematisiert, im SchorlemerBuch (Schorlemer, S. 59 ff), deutlich macht, und im Sicherheitsrat – dort
geht es um den Ausbau erster wichtiger Mitwirkungsmöglichkeiten, wie
schon erwähnt wurde.
Darüber hinaus weist Rittbergers Bemerkung auch auf die – von
manchen begrüßte, von anderen kritisierte – stärkere Einbeziehung von
Wirtschaftsunternehmen in die Arbeit der Vereinten Nationen hin, zum
Beispiel im Rahmen des von un-Generalsekretär Kofi Annan entwickelten »Globalen Pakts« (Global Compact), in dem sich Wirtschaftsunternehmen
auf freiwilliger Basis öffentlich auf die Einhaltung bestimmter,
in un-Menschenrechtskonventionen und un-Umweltabkommen festgeschriebener
Standards für ihre Produktion und ihre Beschäftigten festlegen,
wie Brigitte Hamm in ihrem Beitrag über den Globalen Pakt im
Schorlemer-Buch darlegt. Die Einbeziehung der Wirtschaftsunternehmen
vermittelt der uno oft weitere finanzielle Ressourcen und stärkt die
Einhaltung wichtiger un-Standards in den Mitgliedstaaten jenseits der
oft ungenügenden staatlichen Kontrollen, bedarf aber zweifellos stringenter
Kontrolle durch die ngos und die Massenmedien, was die Praxis
angeht (Schorlemer, S. 105ff).
Die hier vorgestellten Bücher machen auch deutlich, dass man, bei aller
verständlichen Enttäuschung über die ausgebliebene Strukturreform
der Hauptorgane, die Ergebnisse des Weltgipfels nicht unterschätzen
sollte.
Immerhin war der Weltgipfel 2005 in der Lage, den Anstoß für die
Gründung zweier wichtiger un-Institutionen zu geben, die dann nach
dem Weltgipfel eingerichtet wurden: zum einen die Gründung des Menschenrechtsausschusses
(Human Rights Council), der die stark in Kritik
geratene Menschenrechtskommission (Human Rights Commission),
ein Unterorgan des Wirtschafts- und Sozialrats, ersetzt hat. Bei diesem
neuen Menschenrechtsgremium muss sich in den nächsten Jahren erst
noch zeigen, ob sein anderer Wahlmodus und seine politisch aufgewertete
Stellung als Unterorgan der Generalversammlung ausreichen, die
Schwächen und Fehler seines Vorgängerorgans abzustellen. Zum anderen
soll die Gründung der Kommission für Friedenskonsolidierung
(Peacebuilding Commission) eine bessere Koordination aller Beteiligten
und mehr Kontinuität bei der langfristigen Arbeit der Friedenssicherung
bewirken.
Sven Gareis macht in seinem Beitrag über die Kommission für Friedenskonsolidierung
im Buch von Varwick und Zimmermann deutlich,
dass ähnlich wie bei früher gegründeten un-Organen schwer vorherzusagen ist, ob sie die wichtige Koordinationsaufgabe auch in der Praxis zu
leisten imstande ist, zumal die Kommission eine institutionelle Anbindung
sowohl an den Sicherheitsrat als auch an die Generalversammlung
und den Wirtschafts- und Sozialrat aufweist. Gibt es bei den Mitgliedstaaten
genügend politischen Willen für eine Stärkung der Friedenskonsolidierung
in vielen Regionen der Welt und die dafür auch erforderlichen
finanziellen Ressourcen, wird die Kommission zweifellos Gutes
bewirken können (Varwick / Zimmermann, S. 197 ff).
Langfristig von großer Bedeutung für den Menschenrechtsschutz und
die Friedenssicherung könnte ein weiteres Ergebnis des Weltgipfels sein,
mit dem sich Manuel Fröhlich in seinem Beitrag über »Responsibility to
Protect« beschäftigt: Das im Ergebnisdokument der Gipfelkonferenz
festgehaltene völkerrechtliche Prinzip der Verantwortung der Staatengemeinschaft
für den Schutz von Zivilbevölkerung in Staaten, wo deren
politische Institutionen nicht willens oder nicht in der Lage sind, ihre
Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen
die Menschlichkeit zu schützen, stellt eine wichtige Fortentwicklung des
Völkerrechts dar, das die Berufung der Staaten auf die eigene Souveränität
in den genannten Fällen erschweren soll (Varwick / Zimmermann,
S. 182 f). Fröhlichs Beitrag macht deutlich, dass sich das Völkerrecht seit
Mitte der 1990er Jahre unter dem Eindruck der Menschenrechtsverletzungen
auf dem Balkan und in Ruanda intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt
hat, und dass durch den im Jahr 2001 vorgelegten Bericht
einer für diesen Zweck gegründeten internationalen Kommission
schon im Vorfeld des Weltgipfels 2005 die Entwicklung dieses völkerrechtlichen
Konzepts gründlich vorbereitet wurde. Die Entwicklung
dieses neuen Völkerrechtsprinzips belegt, darin kann man Fröhlich zustimmen,
dass sich die Staatengemeinschaft vor dem Hintergrund der
massiven Menschenrechtsverletzungen um eine wirksame Fortentwicklung
des Völkerrechts bemüht hat, wenn auch wie bei anderen durch die
uno etablierten Völkerrechtsprinzipen abzuwarten bleibt, wie weit die
Mitgliedstaaten in der politischen Praxis diesem Prinzip zum Schutz der
Menschen Geltung verschaffen, ohne es andererseits als Alibi für unilaterale
Aktionen zu missbrauchen.
Lange Zeit hatten in den Jahren vor dem un-Weltgipfel 2005 die Millenniumsentwicklungsziele
die Debatte innerhalb der uno und in der
Weltöffentlichkeit beherrscht, bis – was von un-Generalsekretär Kofi
Annan so sicherlich nicht antizipiert worden war – die Debatte um die
Zusammensetzung des Sicherheitsrats jene Debatte um die Erfüllungder wichtigen Entwicklungsziele, mit denen allen Menschen auf der Welt
erträgliche Mindeststandards in Bezug auf Ernährung, Wohnung, Einkommen,
Gesundheit, Schulbildung usw. bis zum Jahr 2015 gewährleistet
werden sollen, in den Hintergrund drängte.
Kofi Annan hatte in seinem Bericht »In größerer Freiheit« vom März
2005, der einen Entwurf für das Gipfeldokument vom September darstellen
sollte, den Mitgliedstaaten eine Art »fairen Handel«, einen außenpolitischen
Interessenausgleich jenseits ideologischer Differenzen
vorgeschlagen: Ausgehend von der These, dass menschliche Sicherheit
weltweit nur zu erreichen ist, wenn auch durch die Förderung der Entwicklung,
den Schutz der Umwelt und der Menschenrechte für die Integration
aller Menschen in ihre Gesellschaften Sorge getragen wird,
verknüpfte er in seinem Konzept alle diese Aufgabenbereiche und argumentierte
gegenüber den Industrieländern, dass sie durch die massive
Unterstützung der Entwicklung in der Dritten Welt ihrerseits einen Nutzen
haben würden in Bezug auf Umweltschutz, Terrorismusbekämpfung
und Welthandel.
Tatsächlich haben – so konstatiert Thomas Fues in seinem Beitrag für
das Schorlemer-Buch – die Mitgliedstaaten von Annans »Vision eines
globalen Gesellschaftsvertrags für Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte … nur kleinere Bruchstücke übernommen« (Schorlemer,
S. 169). Auf der anderen Seite bewertet Fues es als positiv, dass im Abschlussdokument
des Weltgipfels die Entwicklungspolitik eine herausragende
Rolle spielt und »eindeutige Formulierungen zur Stärkung der
un-Millenniumsentwicklungsziele Eingang in den Text« gefunden haben
(Schorlemer, S. 172). Vor allem die Kampagne zur Verwirklichung der
Entwicklungsziele zwischen 2000 und 2005 hat die Stellung der Vereinten
Nationen »im globalen Entwicklungsdiskurs … gestärkt. Weltbank
und internationaler Währungsfond, regionale Entwicklungsbanken und
bilaterale Geber richten ihre Programme zunehmend an diesem Zielsystem
aus …« (Schorlemer, S. 175).
Es ist das Verdienst der Beiträge der Autoren der hier vorgestellten
Bücher, dass sie vielfältige Belege für die These von Sabine von Schorlemer
in ihrem Beitrag über die Reformvorschläge von Kofi Annan für das Buch
von Varwick und Zimmermann liefern, nämlich, dass der Reformgipfel »ein wichtiger Schritt zur graduellen Stärkung der Vereinten Nationen«
sei, »gewissermaßen ein Mosaikstein im Gefüge eines langfristig angelegten
und sich seit Jahrzehnten in Teilschritten vollziehenden Reformprozesses
der Vereinten Nationen. Bereits in der Vergangenheit hat sichdie Weltorganisation mehrfach erfolgreich Teil-Reformprozessen, vielfach
informeller Natur, unterworfen. Immer wieder gelang es in Zeiten
des Umbruchs, die Struktur der Vereinten Nationen an neue Herausforderungen
anzupassen … Nicht große, Charta-Änderungen erfordernde
Reformentwürfe, sondern inkrementelle Reformschritte … sind
prägend für die Gestalt der Vereinten Nationen.« (Varwick / Zimmermann,
S. 295 f)
Es wäre nützlich, wenn die Außenpolitiker in Deutschland sich diese
Einsicht zu eigen machen würden, damit sie nicht mit zu großen Erwartungen
an die uno herangehen, was deren Reformfähigkeit angeht,
zugleich aber die Kraft der uno zur ständigen innovativen Anpassung
an die politischen Rahmenbedingungen nicht unterschätzen, welche sie
in die Lage versetzt hat, in ihrer mehr als 60-jährigen Geschichte wichtige
Erfolge in der Friedenssicherung, beim Schutz der Menschenrechte
und der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der
Welt zu erzielen, so wie die Charta der Vereinten Nationen es vorsieht.
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