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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 1/1998
Wolfgang Filc
Mehr Wirtschaftswachstum durch gestaltete Finanzmärkte
Nationaler Verhaltenskodex und internationale Kooperation

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Wie effizient sind Finanzmärkte?

Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wird von drei Preisen beherrscht: Lohnsatz, Wechselkurs und Zinssatz. Diese drei Größen bestimmen Konjunktur und Wirtschaftswachstum, die preisliche internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes und somit den Leistungsbilanzsaldo, Richtung und Ausmaß des internationalen Kapitalverkehrs, die Binnenkaufkraft des Geldes und die Einkommensverteilung. Von diesen drei zentralen Preisen werden zwei an Finanzmärkten gebildet, nämlich der Außenwert der Währung eines Landes und sein Zinsniveau. Zudem gehen von diesen Finanzmarktgrößen wesentliche Impulse auf die Lohnfindung aus. Man sollte deshalb annehmen, daß die Bedeutung der Finanzmärkte für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung eines Landes kaum überschätzt werden kann.

"Finanzmärkte sind prinzipiell effizient"

Es gibt jedoch Ökonomen, die dies anders sehen. Die Konzeption des "real business cycle" betrachtet Konjunktur und Wachstum als Reflex realer exogener Schocks, die sich (a) in Kurs- und Renditeänderungen an Finanzmärkten und (b) in güterwirtschaftlichen Änderungen im Zuge wohlfahrtsoptimierender Anpassungen ausdrücken. Politikmaßnahmen können dabei wohl die reale Aktivität beeinflussen, nicht aber die Wohlfahrt erhöhen: "It's just they can't improve matters" (Barro).

In der Konzeption effizienter Märkte und der damit verbundenen Theorie rationaler Erwartungen sind wirtschaftspolitische Maßnahmen ohne Wirkung auf die Güterwirtschaft, Finanzmärkte völlig irrelevant. Denn sind alle Preise, Kurse und Renditen an Finanzmärkten vollständig flexibel, werden hierin alle relevanten gegenwärtigen und für die Zukunft erwarteten Determinanten korrekt ausgedrückt, so kann es an Finanzmärkten keine Fehlentwicklungen geben, so können von ihnen keine gesamtwirtschaftlichen Fehlentwicklungen ihren Ausgang nehmen, und so läßt sich schließlich die Preisentwicklung an ihnen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen nicht systematisch beeinflussen. Kommt es tatsächlich zu Fehlentwicklungen an Finanzmärkten, so ist das ausschließlich auf fehlende Flexibilität der Preisbildung zurückzuführen. Die Empfehlung kann dann nur lauten: Finanzmärkte sind radikal zu deregulieren, weil erst dann ihre wohlfahrtsoptimierende Wirkung auf die Allokation von Kapital, zu jeder Zeit und intertemporal, national wie international, zum Tragen kommt.

Soweit die eine Sichtweise, die von der Wirtschaftspolitik seit Anfang der achtziger Jahre verfolgt wurde und zu einer weltweiten Deregulierungswelle Anlaß gab, die in den USA ihren Ausgang nahm.

"Finanzmärkte sind anfällig für Fehlentwicklungen"

Eine andere Sicht verweist auf eine zunehmende Eigendynamik der Finanzmärkte, auf ein Abkoppeln des finanzwirtschaftlichen Bereichs von der Realwirtschaft, auf Preisentwicklungen an Finanzmärkten, die auf der Grundlage weithin akzeptierter ökonomischer Theorien und unter Heranziehung gegenwärtiger und absehbarer ökonomischer Fundamentaldaten nicht zu erklären sind. Diese Sichtweise konstatiert die Anfälligkeit der Finanzmärkte für spekulative Übertreibungen, mithin von Kurs- und Renditeentwicklungen, die entweder in wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen angelegte gesamtwirtschaftliche Fehlentwicklungen kaschieren oder aber selbst wirtschaftliche Verwerfungen verursachen: Leistungsbilanzungleichgewichte, Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit, Konjunkturboom mit einhergehender Inflationierung.

Diese Sichtweise beruht zunächst einmal auf Beobachtungen empirischer Zusammenhänge. Immer wieder hat sich gezeigt, daß abrupt steigende Zinssätze jede Konjunktur abzuwürgen vermögen, ob in Deutschland oder in den USA: Jeder Rezession ging eine Zinsversteifung voran. Auch ergaben sich immer wieder gesamtwirtschaftliche Fehlentwicklungen aus erheblichen Verschiebungen des Außenwerts von Währungen. So fiel die extreme Passivierung der amerikanischen Leistungsbilanz und eine Tendenz zur Deindustrialisierung der USA Mitte der achtziger Jahre zusammen mit einer absurden Aufwertung des US-Dollars. Aus der Blickrichtung jener, die Fehlentwicklungen an Finanzmärkten nicht per Definition ausschließen, war das kein Ergebnis realwirtschaftlicher Schocks.

Vergleichbare Fehlentwicklungen werden auch in Ländern der EU seit Ausgang der achtziger Jahre konstatiert und dem Wirken der Devisenmärkte angelastet. Die reale Unterbewertung der D-Mark im Europäischen Währungssystem (EWS) seit Anfang 1987, vor allem gegenüber den südeuropäischen Währungen, wirkte in Deutschland bis 1992 wie eine Exportsubvention bzw. wie ein Importzoll auf Güter aus anderen EWS-Ländern. Der damit einhergehende Exportboom in Deutschland suggerierte deutschen Unternehmen im internationalen Preiswettbewerb einen Vorsprung gegenüber der europäischen Konkurrenz, den es tatsächlich nicht gab. Seit den EWS-Turbulenzen der Jahre 1992 und 1993 hingegen und der ruckartigen Korrektur der Wechselkurse in Europa wird in Deutschland verstärkt eine "Standortschwäche" thematisiert.

Wenn Kurse und Renditen an Finanzmärkten Fehlentwicklungen ausweisen, so können Fehlentwicklungen des Lohnsatzes - als dritten zentralen Preises einer Volkswirtschaft - die Folge sein. Eine lang andauernde erhebliche Unterbewertung einer Währung spiegelt den Tarifvertragsparteien dann einen wettbewerbsneutralen Verteilungspielraum vor, den es bei an ökonomischen Fundamentalfaktoren orientierten Währungsrelationen nicht gibt. So kann die Unterbewertung der D-Mark nach Vollzug der deutschen Einheit als ein wesentlicher Bestimmungsgrund für Lohnabschlüsse gesehen werden, die nach dem schlagartigen Abbau der Unterbewertung der D-Mark die deutschen Lohnstückkosten an die Spitze aller Industrieländer katapultierte.

Auch Fehlentwicklungen bei Zinssätzen können Fehlentwicklungen bei Lohnabschlüssen auslösen. Ein zu niedriges Zinsniveau, etwa bewirkt von Zinssenkungen im Ausland oder von Aufwertungserwartungen gegenüber der Inlandswährung, kann Anlaß für einen Konjunkturstoß geben, der abebbt, wenn sich der Zinstrend im Ausland umkehrt oder wenn die Aufwertungserwartung gegenüber der Inlandswährung schwindet. Aber der von Zinssenkungen im Ausland generierte kurzfristige Aufschwung im Inland kann zu Lohnsteigerungen führen, die sich später als nicht konjunkturgerecht herausstellen, mit der Folge steigender Arbeitslosigkeit.

Vorausgesetzt wird bei all diesen Interpretationen, daß Fehlentwicklungen an Finanzmärkten überhaupt auftreten können. Daß dem in der Tat so ist, wird im folgenden begründet.

Globalisierung und ihre Folgen

Sechs problematische Aspekte kennzeichnen die Entwicklungstendenzen an Finanzmärkten seit Beginn der achtziger Jahre:

1. Ausdünnung der Bankenaufsicht: Das rapide Wachstum der Finanzierung an internationalen Märkten geht zu Lasten der nationalen monetären Märkte: Die Finanzierung in off-shore-Zentren expandiert seit Mitte der siebziger Jahre mit einer durchschnittlichen Jahresrate von 18 vH, an nationalen Finanzmärkten mit 10 vH. Das Problem: Internationale Finanzmärkte entziehen sich der Kontrolle von Zentralbanken und nationalen Bankenaufsichtsbehörden.

2. Zunehmende Spekulation mit Vermögenspreisen: Forderungen und Verbindlichkeiten und damit die Bilanzen von Unternehmen des finanziellen Sektors wachsen viel schneller als die Einkommen. Das geht einher mit über mehrere Jahre hinweg andauernden zyklischen Schwankungen realer Vermögenspreise, also weit stärker ausgeprägten Preisänderungen an Vermögensmärkten als an Gütermärkten. Das Problem: Finanzmärkte werden zunehmend genutzt, um spekulative Engagements, so in Immobilien und in Aktien, zu finanzieren.

3. Ausdünnung der Risikokontrolle: An internationalen Finanzmärkten nimmt das Gewicht der Wertpapierfinanzierung zu Lasten von Bankkrediten zu. Das Problem: Banken ziehen sich aus der Funktion des Sammelns und Weiterleitens von Mitteln zurück und beschränken sich auf die Vermittlung von Gläubiger-Schuldner-Beziehungen zwischen Nichtbanken. Dadurch entfallen Bonitätsprüfungen, das Finanzsystem kann zerbrechlicher werden.

4. Das Mengenproblem: Das Potential anlagesuchender Mittel des privaten Sektors im Gefolge krasser Leistungsbilanzungleichgewichte und stark gestiegener Defizite der Staatshaushalte in den meisten Industrieländern ist gewaltig gestiegen. Das ist das Mengenproblem an Finanzmärkten.

5. Erhöhte Volatilität: Die Entwicklung von Finanzmarktpreisen ist viel weniger berechenbar geworden. Die Volatilitäten von Zinsen, Wertpapierkursen und Wechselkursen haben erheblich zugenommen. Das ist das Preis- oder Volatilitätsproblem.

6. Finanzderivate: Seit Mitte der achtziger Jahre haben sich Umwälzungen an den Finanzmärkten vollzogen, die mit dem Stichwort "Finanzinnovationen" gekennzeichnet werden. Ein besonderes Merkmal hierbei ist das Vordringen von Transaktionen an Zukunftsmärkten, also an Märkten, an denen Güter, Wertpapiere und Devisen der Zukunft gehandelt werden. Insbesondere Finanzderivate verbinden verschiedene Segmente der Finanzmärkte, national wie international. Zudem wurde durch neue Handelstechniken und gesunkene Transaktionskosten der Zugang von Nichtbanken zu Devisenmärkten erleichtert und verbilligt. Das lädt zu Wetten gegen Währungen ein.

Diese miteinander verwobenen Entwicklungen an Finanzmärkten haben einen gemeinsamen Nenner: Globalisierung. Der Abbau von Regulierungen an Finanzmärkten sowie Fortschritte in der Kommunikationstechnik haben ebenso wie der Rückgang des Einflusses außermarktmäßiger Institutionen auf Finanzierungsvorgänge einen Prozeß ausgelöst, der nationale Finanzmärkte zusammenwachsen läßt. Das führt zu einer Angleichung von Preisen, Kursen und Renditen gleichartiger Finanztitel an verschiedenen nationalen Finanzmärkten und den Euro-Märkten, also zu einem engen Zinsverbund, von dem sich kein Land zu trennen vermag.

Diese Globalisierung der Finanzmärkte ist zunächst einmal ein notwendiges Korrelat zur Freizügigkeit des internationalen Leistungsverkehrs. Die Offenheit des internationalen Handelssystems spiegelt sich im Offenheitsgrad der Länder wider, gemessen am Quotienten aus der Summe von Importen und Exporten und dem Bruttosozialprodukt. Dieser Offenheitsgrad hat sich in allen westlichen Indusrtieländern in den letzten Jahrzehnten erheblich ausgeweitet:

  • in Belgien von 76,7 vH in 1960 auf 145,1 vH in 1990.
  • in der Bundesrepublik Deutschland von 37,5 vH in 1960 auf 64,5 vH in 1990.
  • in den USA, die früher als weitgehend geschlossener Wirtschaftsraum galten, von 9,3 vH in 1960 auf 21,6 vH in 1990.

Die Globalisierung der Finanzmärkte erlaubt eine bessere Allokation des Kapitals im internationalen Rahmen, senkt die Kosten von Finanzdienstleistungen und bietet neue Möglichkeiten für die Absicherung von Risiken.

Dabei expandieren die zwischenstaatlichen Finanztransaktionen weitaus stärker als der internationale Leistungsaustausch. In Deutschland haben sich von 1960 bis 1990 Importe und Exporte von Waren und Dienstleistungen zusammengenommen vervierzehnfacht, während Kapitalimporte und Kapitalexporte des privaten Sektors um den Faktor dreißig gestiegen sind.

Die Entwicklung der Finanzbeziehungen stellt Zentralbanken und Bankenaufsichtsbehörden vor drei Herausforderungen. Um ihren Einfluß auf den Finanzierungsprozeß im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität nicht zu verlieren, müssen sie sowohl mit dem oben erwähnten Mengenproblem als auch mit dem Preis- oder Volatilitätsproblem fertig werden. Darüber hinaus müssen sie die Auswirkungen des Vordringens derivativer Finanzprodukte unter Kontrolle halten.

Die drei Instabilitätspotentiale an Finanzmärkten

Das Mengenproblem: zunehmende Verschuldungspositionen - zunehmende Geldvermögen

Der Finanzsektor gehört in allen Industrieländern zu den dynamischsten Wirtschaftszweigen, und die rasche Expansion des internationalen Finanzsystems hält unvermindert an. Allein die internationalen Transaktionen mit Anleihen und Aktien der G7-Länder (ohne Großbritannien) in Relation zum Bruttoinlandsprodukt stiegen von 35 vH 1985 auf 140 vH 1995. Die internationalen Kapitalströme übersteigen seit langem die Waren- und Dienstleistungstransaktionen zwischen Ländern. So machten in Deutschland 1985 die Waren- und Dienstleistungstransaktionen mit dem Ausland noch das 1,7-fache aller grenzüberschreitenden Kapitalbewegungen aus, 1994 dagegen betrug der Wert internationaler Kapitalströme das 3,5-fache des Leistungsaustauschs mit dem Ausland.

Diese Entwicklungen begründen die Befürchtung, daß ein Kollaps an Finanzmärkten eines Landes in einem Dominoeffekt auf andere Länder übergreift, den güterwirtschaftlichen Bereich erreichen und eine weltweite Depression auslösen könnte. Freilich sind die hohen, an Finanzmärkten umgesetzten Werte noch kein Grund für derartige Besorgnis. Denn in Nettorechnung können Finanzmärkte nur expandieren, wenn bei einzelnen Wirtschaftseinheiten, bei Sektoren innerhalb eines Landes und in Volkswirtschaften Differenzen zwischen Leistungsabgabe und Leistungsinanspruchnahme bestehen. Das weitaus höhere Wachstum der Finanzmärkte ist auch darauf zurückzuführen, daß sich die Ketten der finanziellen Intermediation verlängert haben. Am Euro-Geldmarkt zum Beispiel sind inzwischen rund zwei Drittel der Transaktionen Interbankengeschäfte. Hieraus ergeben sich Vorteile, etwa eine Kostenersparnis oder eine effizientere Nutzung der im Bankensystem vorhandenen Liquidität. Diese Verlängerung von Kreditketten ist nicht besorgniserregend, sondern Ausdruck gewachsener Effizienz der finanziellen Intermediation.

Dagegen ist das rapide Wachstum des Nettovolumens der Finanzmärkte vor allem Ausdruck gesamtwirtschaftlicher Fehlentwicklungen, von denen einige stichwortartig genannt seien:

  • die beiden Ölpreisschocks, einmal zu Beginn, dann gegen Ende der siebziger Jahre,
  • die Ausweitung von Leistungsbilanzsalden insbesondere großer Industrieländer, auch als Ergebnis falscher Wechselkurse,
  • wachsende Staatsdefizite in den meisten Industrieländern,
  • die Finanzierung spekulativer Engagements in Immobilien in manchen Ländern, so in den USA, Finnland, Japan und Australien.

Hinzu kommt, daß die Nettovolumina der Finanzmärkte durch die Erträge des Geldvermögens automatisch wachsen. Die Kehrseite ist, daß Zinszahlungsverpflichtungen aus der kreditfinanzierten Abdeckung von Ausgabeüberschüssen in der Vergangenheit zur entscheidenden Restriktion der Nachfrage an den Gütermärkten werden können und weitere Verschuldung sowie Defizite im Leistungskreislauf erzwingen.

Das ist der materielle Gehalt der Abkoppelung des Finanzkreislaufs von güterwirtschaftlichen Bedingungen, nämlich die Verselbständigung des Wachstums der Finanzmärkte. Zudem können von dieser Lösung der Finanzbeziehungen von güterwirtschaftlichen Aktivitäten Effekte ausgehen, die auf die Gütermärkte zurückwirken. Ein Beispiel hierfür sind Entwicklungen in den USA.

Dort hat sich im Zuge der enormen Ausweitung der Staatsverschuldung seit Anfang der achtziger Jahre die Struktur der Vermögenshaltung des privaten Sektors erheblich verändert, weil das Geldvermögen rascher gewachsen ist als das Sachvermögen; die Portfolios sind geldvermögenslastig geworden. Das hat zwei Konsequenzen. Erstens wird bei einem wachsenden Anteil von Geldvermögen am Reinvermögen des privaten Sektors eine steigende Rendite aus Geldvermögen verlangt. Das treibt die Zinsen nach oben. Zweitens werden von jedem Rumoren an Vermögensmärkten Umschichtungen zwischen Finanzvermögen und Sachvermögen angeregt. Das erhöht die Volatilität von Finanzmarktpreisen, Zinssätzen und Wechselkursen, wirkt also erneut zinstreibend. Keine Frage, das hat güterwirtschaftliche Konsequenzen.

Als Folge der permanenten Leistungsbilanzdefizite der USA seit Beginn der achtziger Jahre sind zudem die Portfolios weltweit dollarlastig geworden. Das löst immer wieder Umschichtungsvorgänge zwischen internationalen Reservewährungen aus sowie Wechselkurs- und Zinsbewegungen, die auf der Grundlage der güterwirtschaftlichen Entwicklung der Länder nicht erklärbar sind. Fehlentwicklungen an den Gütermärkten sind die Folge. Mit der Globalisierung der Finanzbeziehungen werden nationale Ereignisse zu internationalen Restriktionen.

Das Preis- und Volatilitätsproblem: höhere Risiken, höhere Zinsen, geringere wirtschaftliche Aktivität

Die gewachsenen Nettovolumina haben das internationale Finanzsystem verletzlicher gemacht. Aber die in den Mengen angelegten potentiellen Risiken werden nur dann virulent, wenn die Währungsstruktur der Geldvermögen umgeschichtet wird. Das aber obliegt den Entscheidungen privater Anleger. Folglich müssen außermarktmäßige Institutionen gerüstet sein, um einem möglichen Kollaps zu begegnen.

Seit Beginn der achtziger Jahre sind Entwicklungen an den Finanzmärkten zu konstatieren, die nicht spurlos an den Gütermärkten vorbeigehen können:

  • Die künftige Entwicklung der Preise und Renditen von Vermögenstiteln sowie der Wechselkurse ist unwägbarer geworden.
  • Diese Größen schwanken zyklisch ohne erkennbare Muster.
  • Sie unterliegen erhöhter Volatilität in der kurzen und mittleren Frist.
  • Preis- und Renditeentwicklungen an den Vermögensmärkten haben sich von der Preisentwicklung an den Gütermärkten gelöst.

Zunehmende Unwägbarkeiten hinsichtlich der Entwicklung von Preisen und Renditen an Vermögensmärkten erhöhen das Risiko intertemporalen wirtschaftlichen Handelns. Wirtschaftliche Akteure sind in der Regel risikoavers. Je höher die Risiken, desto geringer die wirtschaftliche Aktivität und um so ausgeprägter die Suche nach Absicherung vor diesen Risiken. Risikoprämien, die von Privaten für das Angebot von Absicherungsinstrumenten in Rechnung gestellt werden, drücken sich in Marktpreisen aus. Selbstverständlich ist bei markmäßiger Reaktion auch, daß sich Anleger in Titeln ohne Versicherungsmöglichkeit gegenüber Wertänderungsrisiken, so in festverzinslichen Wertpapieren, die Übernahme von Risiken entgelten lassen, nämlich durch eine höhere Rendite. Vor allem deshalb sind die Zinssätze in nominaler und realer Rechnung parallel mit gewachsenen Zins- und Wechselkursrisiken seit Beginn der achtziger Jahre weltweit gestiegen. Steigende Zinssätze wiederum dämpfen die wirtschaftliche Aktivität an Gütermärkten.

Das Preisproblem an Finanzmärkten wird dadurch verstärkt, daß sich die Gewichte der preisbestimmenden Determinanten verschoben haben. Waren in den sechziger und in den frühen siebziger Jahren die Fundamentalfaktoren dominierend, so sind es seit geraumer Zeit instabile Erwartungen und im Zeitverlauf variable Risikoprämien. Denn die Fülle widersprüchlicher und im einzelnen kaum bewertbarer Informationen kann jede Wirkung auf Zinssätze und Wechselkurse haben, je nachdem, wie sie interpretiert werden. Werden irgendwelche Informationen als kursrelevant eingeschätzt, so kommt es zu einer Neubewertung von Risiken, zu Erwartungsrevisionen und zu Preisanpassungen an Finanzmärkten.

Die im Zuge der Defizitfinanzierung gewachsenen Geldvermögensbestände haben das Preisproblem auch an Devisenmärkten erhöht. Bei unsicheren Erwartungen und in einem diffusen Informationsumfeld lädt schon das geringste Rumoren dazu ein, zwischen verschiedenen Formen der Vermögenshaltung und insbesondere zwischen Reservewährungen umzuschichten, wodurch drastische Wechselkurssprünge und Zinsänderungen ausgelöst werden können. Zins- und Wechselkurstrends können sich dadurch von den gegenwärtigen und absehbaren gesamtwirtschaftlichen Fundamentalfaktoren trennen, die noch in den siebziger Jahren die Preis- und Kursentwicklung an Finanzmärkten entscheidend geprägt hatten. Die Entwicklung an Finanzmärkten gefährdet dann die wirtschaftliche Stabilität, und das im Zeitalter der Globalisierung der Märkte weltweit.

Wenn die in Zinssätzen einkalkulierten Risikoprämien so hoch werden, daß bei herkömmlichen Finanzierungsformen, etwa Bankkrediten, vor allem Risikoliebhaber zum Zuge kommen, so steigt das Kreditausfallrisiko, und Zinserhöhungen verdrängen jene Teilnehmer von Finanzmärkten, die nicht zu den Spielernaturen zählen. Zudem werden dadurch Direktbeziehungen zwischen Nichtbanken in Form von Wertpapierkrediten an erste Adressen begünstigt. Beides erhöht die Fragilität des Finanzsystems, das gesamtwirtschaftliche Aktivitätsniveau wird gegenüber einer Situation gesenkt, in der die Wirtschaftspolitik darauf abzielt, die Wechselkurs- und Zinsvariabilität zu dämpfen, und der Einfluß der Geldpolitik auf Finanzierungsvorgänge wird geschwächt, wenn Geschäftsbanken aus der finanziellen Intermediation von Direktkreditbeziehungen zwischen Nichtbanken herausgedrängt werden.

Das Problem der Finanzderivate: Hebelwirkung für spekulative Fehlentwicklungen

Das explosive Wachstum des Handels mit derivativen Finanzinstrumenten seit Mitte der achtziger Jahre ist zweifellos die gravierendste Änderung im Finanzsektor seit Eintritt in die Globalisierung der Finanzmärkte. Das Volumen der ausstehenden Kontrakte in Finanzderivaten allein an den außerbörslichen Märkten betrug Anfang 1995 rund 40 Bio. Dollar. Die neunziger Jahre sind in ähnlicher Weise das Jahrzehnt der Derivate wie die siebziger Jahre das Jahrzehnt der Euromärkte waren. Und wie vor zwanzig Jahren dem Wachstum der Euromärkte Systemrisiken beigemessen wurden, so wird gegenwärtig befürchtet, die aus Basiswerten abgeleiteten neuen Finanzmarktinstrumente wie Swaps, Financial Futures und Optionen könnten das Weltfinanzsystem destabilisieren.

Finanzderivate können für Arbitragezwecke eingesetzt werden, für die Absicherung von Preisänderungsrisiken und für die Spekulation. Das Hedgingmotiv hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Hedging mit Hilfe von Derivaten erlaubt es, Risiken zu handeln und auf jene zu verteilen, die bereit sind, sie gegen Zahlung einer Risikoprämie zu übernehmen. Auf diese Weise können Investitionsprojekte mit hohen Ertragserwartungen - aber auch großen Risiken - leichter verwirklicht werden, weil der Finanzierungsvorgang von der Risikokomponente getrennt werden kann.

Derivate können aber eben auch für Spekulationszwecke eingesetzt werden. Wird ein Derivat erworben, ohne daß ein abzudeckendes Risiko besteht, so wird ein Risiko gekauft. Derivate verleiten zu spekulativen Engagements, auch deshalb, weil damit Spekulationsgewinne zu erzielen sind, ohne daß entsprechende Verluste auf der anderen Marktseite auftreten müssen. Dieser Anreiz zur Spekulations geht mit ihrer Verbilligung an globalisierten Finanzmärkten einher. Mit Hilfe von Derivaten ist es nicht mehr nötig, in spekulativer Absicht Devisen per Kasse oder Termin zu kaufen oder zu verkaufen. Hierzu bieten sich Devisen-Futures an, bei denen allein die Kursdifferenzen, die im Verlauf eines Futures-Kontrakts auftreten, ausgeglichen werden. Zudem ist es möglich, Optionen auf Futures abzuschließen.

Folglich ist es bei Verwendung von Derivaten möglich, mit einem geringen Bruchteil jener Mittel, die für outright-Devisengeschäfte erforderlich sind, weit größere Volumina an Devisenmarkttransaktionen vorzunehmen. Das ist die Hebelwirkung derivativer Finanzprodukte. Ihr Einsatz kann zu Zins- und Devisenkursänderungen führen, die aus nationaler wie aus weltwirtschaftlicher Sicht Fehlentwicklungen darstellen. Befürchtet werden Multiplikatorwirkungen, die Fehlentwicklungen an einem Segment der Finanzmärkte auf andere Segmente international übertragen könnten. Denn die Kombination verschiedener derivativer Finanzprodukte verbindet Geldmarkt und Anleihemarkt, Devisenmarkt und monetäre Märkte eines Landes, sowie die Finanzmärkte verschiedener Länder. Geringfügige Kursänderungen an Terminmärkten können weitaus stärkere Auswirkungen auf Kassamärkte haben, vernachlässigbar geringe Veränderungen von Zinssätzen für die Zentralbankgeldversorgung können beträchtliche Effekte auf langfristige Zinssätze auslösen, die von der Geldpolitik nicht beabsichtigt sind.

Diese nicht verkennbaren Risiken, die aus der Verwendung derivativer Finanzprodukte erwachsen können, führen gelegentlich zu der Forderung, diese Finanzinnovationen in einer möglichst prohibitiven Weise durch Bankenaufsichtsbehörden und Zentralbanken zu kontrollieren. Nur so ließe sich die Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte begrenzen und verhindern, daß durch die Koppelung verschiedener derivativer Instrumente Kursänderungen an einem nationalen Finanzmarkt auf alle Marktsegmente, alle Länder und den Devisenmarkt übertragen werden, daß Banken mit großen Portefeuilles an Derivaten hohe Spekulationsverluste erleiden, daß es zu einem Dominoeffekt von Unternehmensinsolvenzen kommt und das Finanzsystem schließlich zusammenbricht.

Diese Argumentationskette läßt unbeachtet, daß derivate Finanzprodukte Marktreaktionen auf gestiegene Unwägbarkeiten der Zins- und Wechselkursentwicklung sind. Interessenten an Grundgeschäften, die in der Gegenwart abgeschlossen und in der Zukunft wirksam werden und die Risiken vermeiden wollen, können mit Hilfe derivativer Instrumente das Basisgeschäft vom damit verbundenen Risiko trennen, wenn es Marktteilnehmer gibt, die das Risiko deshalb übernehmen, weil sie die damit verbundenen Gewinnchancen höher schätzen als die Verlustgefahren. Auf diesem Prinzip beruht die Versicherungswirtschaft. Wohl niemand wird hierbei Systemrisiken erkennen und deshalb eine prohibitive Verteuerung von Versicherungen verlangen. Die Übertragung der Ratio von Versicherungskontrakten auf Finanzmärkte wird dagegen ganz anders beurteilt, obgleich sich das Grundprinzip von Finanzderivaten nicht von dem einer Versicherung unterscheidet.

Das heißt nun allerdings nicht, daß jede Kreation der Finanzindustrie von Zentralbanken und Bankenaufsichtsbehörden gutzuheißen sei. Statt dessen sind abgestufte Reaktionen notwendig, daran orientiert, die Kreativität des Finanzdesigns nicht zu lähmen, wohl aber die davon ausgehende mögliche Gefährdung des Finanzsystems und der güterwirtschaftlichen Entwicklung zu begrenzen. Prohibitiv wirkende Regulierungen sind hierfür sicher nicht geeignet. Im Gegenteil: Sie verhindern die Begrenzung der Risiken, die vom oben dargelegten Preis- und Volatilitätsproblem ausgehen.

Der Rückzug der Wirtschaftspolitik aus der Verantwortung

Die Ursache von Mengen- und Preisproblemen an Finanzmärkten sowie der explosionsartigen Verbreitung derivativer Finanzprodukte hat einen Namen: Deregulierung. Die Ausdünnung institutioneller Begrenzungen für Aktivitäten an Finanzmärkten verursachte zunächst das rapide Wachstum des Nettovolumens der Finanzmärkte seit dem ersten Drittel der siebziger Jahre, später die Globalisierung der Finanzbeziehungen und die Vernetzung verschiedener Segmente von Finanzmärkten, schließlich auch höhere Volatilitäten von Finanzmarktpreisen und als Folge davon die Entwicklung von Finanzderivaten.

Manche Fehlentwicklungen an Finanzmärkten hätten von Anfang an vermieden werden können, wären die institutionellen Regelungen der Finanzierung nicht durch den Rückzug der Wirtschaftspolitik aufgeweicht worden. Das begann 1973 mit dem Übergang zu flexiblen Dollarkursen. Klare Regeln für die Finanzierung von Leistungsbilanzdefiziten und für die Kursentwicklung an den Devisenmärkten wurden aufgegeben. Damit wurde den Verantwortlichen für die Wirtschaftspolitik und privaten Akteuren suggeriert, daß jeder Ausgabeüberschuß in beliebiger Höhe friktionslos, also bei gegebenen Zinssätzen und Wechselkursen, von jenen finanziert wird, die Einnahmeüberschüsse erzielen. Als erstes machten die OPEC-Länder von dieser Einladung um die Jahreswende 1973/74 Gebrauch, andere Länder folgten mit Leistungsbilanzdefiziten in einer solchen Größenordnung, daß sie bei festen Wechselkursen nicht zu finanzieren gewesen wären. Hieraus resultierte das Mengenproblem an Finanzmärkten, und erst seitdem wird diskutiert, ob Finanzmärkten Systemrisiken beizumessen sind.

Der nächste Schritt des Rückzugs der Verantwortung der Wirtschaftspolitik für Marktentwicklungen war der Übergang der amerikanischen Geldpolitik von der Zinssteuerung zur Steuerung der Geldmenge Ende 1979. Die Folgen waren größere Unwägbarkeiten der Zins- und Wechselkursentwicklung, steigende Volatilitäten, die Abkoppelung der Preisentwicklung an Gütermärkten von jener an Vermögensmärkten, weltweit höhere Realzinssätze. So kam es zu Preisproblemen an Finanzmärkten.

Die Reaktion hierauf war die stärkere Bindung von Ressourcen für die Gestaltung von Finanzkontrakten, also die Entwicklung derivativer Finanzprodukte, daran orientiert, Risikokomponenten von grundlegenden Finanzierungsvorgängen zu trennen, aber auch zum Eingehen als gewinnträchtig beurteilter Risiken.

Das Mengenproblem, das Preisproblem und das Problem der Finanzderivate sind also miteinander verwoben. Verschärft sich das Mengenproblem, etwa infolge weiter wachsender Defizite öffentlicher Haushalte oder hoher Leistungsbilanzsalden großer Industrieländer, so steigt bei Umschichtungsvorgängen der Struktur des Geldvermögens Privater die Anfälligkeit des Finanzsystems für abrupte Preis- und Renditeschwankungen, und der Bedarf an Finanzderivaten zur Sicherung vor Risiken nimmt zu. Andererseits lädt die Entwicklung von Finanzderivaten dazu ein, sich am Wettspiel über Kurs- und Renditeänderungen an Vermögensmärkten zu beteiligen, mit der Folge, daß die Mengen- und Preisprobleme weiter zunehmen.

Von all dem ausgehende Störungen für den güterwirtschaftlichen Bereich bleiben nicht auf ein Land beschränkt. Denn die Deregulierung nationaler Finanzmärkte seit Beginn der achtziger Jahre ging Hand in Hand mit der Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs - erwähnt sei die Aufhebung aller Kapitalverkehrskontrollen im Kernbereich der Europäischen Union im Jahr 1990.

Gegenwärtig befürchtete Systemrisiken der internationalen Finanzbeziehungen sind deshalb vor allem Ergebnis wirtschaftspolitischer Entscheidungen der Vergangenheit. Die Wirtschaftspolitik entließ sich aus der zuvor übernommenen Aufgabe, klare Regeln für die Begrenzung der Finanzierung von Ausgabeüberschüssen festzulegen und die Risiken von Wertänderungen des Vermögens privater Anleger zu begrenzen. Dieser Abbau institutioneller Pflöcke für das Weltwährungs- und Finanzsystem, basierend auf dem Vertrauen in stets richtige Allokationssignale eines ungebundenen Preissystems, führte zu jenen Entwicklungen, die nun Anlaß geben, nach Möglichkeiten zu suchen, damit verbundene Instabilitätspotentiale auszuschalten, abzukapseln oder wenigstens zu begrenzen.

Anforderungen an die Wirtschaftspolitik

Die Prämisse: Finanzmärkte sind nicht informationseffizient

Ohne theoretisches Konzept sind alle Anregungen zur Neuordnung des finanziellen Sektors, national wie international, willkürlich. Der Übergang zu flexiblen Wechselkursen, die spätere zeitweilige Orientierung der Geldpolitik vieler Industrieländer am Wachstumstempo der Geldmenge, die danach vollzogene Deregulierung von Finanzmärkten - all das basierte auf der Vorstellung effizienter Finanzmärkte mit richtigen Preissignalen als Ergebnis privatwirtschaftlicher Aktivität. Effiziente Finanzmärkte sind Voraussetzung für angemessenes Wirtschaftswachstum, optimale Allokation, für einen hohen Beschäftigungsstand, für Preisstabilität.

Die Deregulierung der Finanzmärkte beruhte auf einer derartigen Konzeption, nämlich der begründeten und empirisch erhärteten Behauptung zumindest informationseffizienter Finanzmärkte. Danach sind alle relevanten und verfügbaren Informationen stets korrekt in Kursen und Renditen abgebildet. Die hierzu vorgenommenen empirischen Untersuchungen zeigten immer wieder, daß von Marktkräften gesteuerte Finanzmärkte Preisabfolgen generieren, die nicht prognostizierbar sind. Geht man aber davon aus, daß bewertungsrelevante Informationen zufällig auf den Markt treffen, so ist es auch in Ordnung und mit der These der Informationseffizienz vereinbar, daß der Markt eine zufällige Abfolge von Kursen und Renditen produziert. Diese Gedanken standen Pate für die Deregulierungswelle und die Globalisierung der Finanzbeziehungen, deren Folgen nun nach einer Korrektur rufen.

Freilich beschränkten sich die empirischen Prüfungen der Informationseffizienz von Finanzmärkten auf lineare Abhängigkeiten, so die Prognostizierbarkeit von Dollarkursänderungen zwischen aufeinanderfolgenden Tagen. Mögliche nichtlineare Abhängigkeiten wurden nicht thematisiert. Zwischenzeitlich ist eine neue Generation theoretischer Konzeptionen und von Methoden empirischer Untersuchungsverfahren nichtlinearer Abhängigkeiten entwickelt worden.

Das Ergebnis neuerer Forschung lautet ganz überwiegend: Finanzmärkte sind allein in Ausnahmefällen informationseffizient, im allgemeinen neigen sie in einer Phase zu übertriebenen Preisreaktionen, in einer anderen Phase werden allgemein zugängliche und preisrelevante Informationen nicht zur Kenntnis genommen, weil der Markt im Banne eines singulären Sachverhalts steht. Deshalb muß stets damit gerechnet werden, daß Abfolgen von Preisdaten an Finanzmärkten nicht im Einklang mit grundlegenden güterwirtschaftlichen Bestimmungsgründen stehen. In diesen Fällen können rein privatwirtschaftlich organisierte Finanzmärkte nicht die ihnen zugeschriebene dienende Funktion für Produktion und Handel übernehmen, sondern sie werden zur Quelle güterwirtschaftlicher Fehlentwicklungen. Dem Vertrauen auf stets richtige Preissignale bei freier Preisbildung, das die Grundlage bildete für viele Deregulierungen an Finanzmärkten, ist der Boden entzogen, wenn Finanzmärkte Informationen nicht effizient verarbeiten. Dann ist die Wirtschaftspolitik gefordert, diesem partiellen Marktversagen zu begegnen.

Die Aufgabe: Offenheit plus Stabilität

Sind manche Fehlentwicklungen an Finanzmärkten auf den Abbau institutioneller Begrenzungen von Finanzierungsvorgängen zurückzuführen, so ist an diesen Ursachen anzusetzen, um Fehlentwicklungen zu begrenzen. Ein Wiedereinführen früher aufgegebener Regulierungen ist hierfür nicht geeignet, weil das offene Welthandelssystem ein offenes Weltfinanzsystem erfordert. Vielmehr ist größere Stabilität des Weltfinanzsystems notwendig, um Gefahren, die mit dem Liberalisierungsprozeß verbunden sind, zu begrenzen.

Der Weg: internationale Kooperation

Auf nationalstaatlicher Ebene ist das nicht zu leisten. Erforderlich ist internationale Kooperation. Die Globalisierung der Finanz- und Gütermärkte paßt nicht zusammen mit einer nationalstaatlichen Fragmentierung der Wirtschaftspolitik. Die Umwälzungen im Weltfinanzsystem erzwingen eine internationale Kooperation der Wirtschaftspolitik. Wirtschaftspolitische Maßnahmen, die nicht zwischen Regierungen und Zentralbanken der Länder abgestimmt sind, lösen wirtschaftliche Fehlentwicklungen aus, die sich über den Zins- und Wechselkurskanal international ausbreiten. Internationale Kooperation ist schwierig, aber sie ist im Zuge des Zusammenwachsens nationaler Märkte unverzichtbar geworden, weil die gewachsenen internationalen Interdependenzen die wirtschaftspolitische Autonomie ausgehöhlt haben.

Ein Beispiel für erfolgreiche internationale Kooperation der Wirtschaftspolitik ist die Geschichte der monetären Integration Europas. Ein internationales institutionelles Arrangement, nämlich feste Wechselkurse im EWS, erzwang zunehmenden Gleichklang der Geldpolitik, bewirkte Konvergenz der Preisentwicklung und der langfristigen Zinssätze, ermöglichte die Vollendung des einheitlichen europäischen Binnenmarktes und legte die Basis, um in Europa zu einer Währungsunion zu gelangen.

Zwischen den großen Wirtschafts- und Währungsräumen der Welt ist jedoch wenig Bereitschaft zu erkennen, eine auf Dauer angelegte bindende geld- und währungspolitische Kooperation einzugehen. So wird im 66. Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ausgeführt: "Es ist traurig, aber wahr, daß seit dem Zweiten Weltkrieg die meisten Initiativen zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit im Finanzbereich unter dem Druck irgendeiner Finanzkrise ergriffen wurden". Aufgabe der Wirtschaftspolitik sollte es aber sein, zur Krisenprävention beizutragen.

Vorbedingung für die Stabilisierung des internationalen Finanzsystems ist eine glaubwürdige makroökonomische Politik mit einer mittelfristigen Ausrichtung und eine sehr viel stärkere Abstimmung der Geldpolitik zwischen Ländern mit hohem Gewicht in der Weltwirtschaft. Eine auf internationaler Ebene vorgenommene Abstimmung von Geldmengen- oder Zinszielen zwischen den großen Wirtschafts- und Währungsräumen der Welt ist ein wenig realistisches Fernziel. Fortschritte könnten aber durch kleinere Schritte erreicht werden, etwa durch eine über den Internationalen Währungsfonds vollzogene geldpolitische Abstimmung der großen Industrieländer, wie sie zwischen den Zentralbanken der EWS-Länder schon seit vielen Jahren praktiziert wird.

Auch die übrige Wirtschaftspolitik bedarf einer besseren Abstimmung zwischen den Ländern. Hierbei wäre zu denken an die Installierung eines Konjunkturrates beim Internationalen Währungsfonds. Aufgabe sollte es sein, die gesamtwirtschaftlichen Zielvorgaben und die damit verbundenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu erläutern und abzustimmen.

Neue Initiativen

In der jüngsten Zeit haben eine Reihe von Finanzmarktschocks - die Mexiko-Krise, der Barings-Konkurs, die Daiwa-Handelsverluste - zu neuen Initiativen Anlaß gegeben, um das internationale Finanzsystem vor Erschütterungen zu bewahren:

Überwachungsstrukturen: Auf dem G7-Gipfeltreffen vom Juni 1996 wurde festgestellt, daß eine weit engere als bisher praktizierte Kooperation der Wirtschaftspolitik notwendig sei, um Preis- und Kursschwankungen an globalisierten Finanzmärkten zu begegnen. Angeregt wurde, international wirksame Überwachungsstrukturen zu schaffen und die Zusammenarbeit nationaler Institutionen zur Kontrolle der Finanzmärkte zu verbessern.

Währungsmechanismus zwischen den großen Industrieländern: Der ehemalige Vorsitzende des Board of Governors des Federal Reserve System der USA, Paul Volcker, bemerkte, daß flexible Wechselkurse wesentlich zur Instabilität der Währungs- und Finanzbeziehungen zwischen Industrieländern beigetragen hätten und dominierend für den Rückgang des Wirtschaftswachstums in den vergangenen beiden Jahrzehnten gewesen seien. Größere Währungsstabilität setze sich in höheres Wirtschaftswachstum und steigende Produktivität um. Volcker plädiert deshalb für einen Währungsmechanismus zwischen allen großen Industrieländern nach europäischem Vorbild, mithin für ein Zielzonensystem mit Bandbreiten für Wechselkursschwankungen und international abgestimmten Maßnahmen der Wirtschaftspolitik bei Erreichen von Grenzkursen.

International abgestimmte Geldpolitik: Die Deutsche Bundesbank konstatierte, daß mit der Globalisierung der Finanzmärkte der internationale Zinszusammenhang enger geworden sei und daß irgendwie ausgelöste Änderungen von Erwartungen heftige Kursbewegungen an den Finanzmärkten eines Landes auslösen könnten, die sich international ausbreiten. Nach Einschätzung der Bundesbank verlangen die strukturellen Veränderungen der Zinslandschaft international abgestimmte Maßnahmen der Geldpolitik, um auszuschalten, daß die Weltwirtschaft in den Sog steigender Zinssätze gelangt, die ihren Ausgang von erwarteten Zinssteigerungen in den USA als internationalem Zinsführer nehmen und auf der Grundlage fundamentaler Faktoren nicht gerechtfertigt sind.

Mehr Liquidität für den IWF: Im Anschluß an die Mexiko-Krise Anfang 1995 wurde gefordert, die Allgemeinen Kreditvereinbarungen auszudehnen, so daß der IWF in Krisenzeiten auch über Mittel außerhalb der Zehnergruppe verfügen kann.

Gegenseitige Aushilfe mit Devisenreserven: Ebenfalls im Zusammenhang mit der Mexiko-Krise vereinbarten eine Reihe asiatischer Länder, einander in begrenztem Rahmen Devisenreserven in Form von Pensionsgeschäften bereitzustellen.

Es scheint Konsens zu werden, daß Gobalisierung zu einer engen Zusammenarbeit der Wirtschaftspolitik der großen Industrieländer zwingt. Dabei sind insbesondere jene Bereiche der Wirtschaftspolitik angesprochen, die wesentlichen Einfluß auf die Finanzmärkte haben: Geldpolitik, Finanzpolitik und Bankenaufsicht.

Stabilitätspakt zwischen Geld-, Finanz- und Lohnpolitik

Geldpolitik, Finanzpolitik und Einkommenspolitik sollten für eine Konstellation von Zinsniveau, Wechselkursen und Lohnsätzen sorgen, die geeignet ist, ein inflationsfreies Wirtschaftswachstum bei hohem Beschäftigungsstand zu verwirklichen. Ein derartiger Stabilitätspakt verlangt, daß diese drei Bereiche der Stabilisierungspolitik allen drei gesamtwirtschaftlichen Zielen verpflichtet sind. Eine Zentralbank kann nur dann für ein niedriges Zinsniveau sorgen, wenn sie bei der Inflationsbekämpfung von der Einkommenspolitik und von der Finanzpolitik entlastet wird. Erhebliche Lohnstückkostensteigerungen müssen die Preisstabilität gefährden, verlangen deshalb den restriktiven Einsatz der Zinspolitik, steigende Zinssätze drücken die Produktion und erhöhen die Arbeitslosigkeit. Als Folge steigt die Staatsverschuldung, was wiederum das Mengenproblem an den Finanzmärkten verschärft, weil das Nettogeldvermögen der Privaten, stets auf der Suche nach attraktiver Anlage, wächst. Umschichtungsvorgänge in Portfolios können scharfe Ausschläge von Wechselkursen und Zinssätzen bewirken. Das legt den Keim für dauerhaft hohe Zinssätze und gefährdet Wirtschaftswachstum und Beschäftigung.

Deshalb ist ein Stabilitätskonsens zwischen Geldpolitik, Finanzpolitik und Lohnpolitik unabdingbar. Er legt die Basis für einen "wirtschaftspolitischen Verhaltenskodex", der an die Stelle klarer Zuordnungen einzelner gesamtwirtschaftlicher Ziele auf jeweils einen Träger der gesamtwirtschaftlichen Stabilisierungspolitik tritt. Dieser Verhaltenskodex sollte dazu führen, daß

  • die Lohnpolitik sich darauf besinnt, daß die Verteilung von der Einkommenshöhe begrenzt wird,
  • die Finanzpolitik für eine dauerhaft tragfähige öffentliche Verschuldung sorgt und
  • die Geldpolitik ihre erheblichen realwirtschaftlichen Wirkungen zur Kenntnis nimmt.

Damit würden sich die Aussichten auf eine längere Phase niedriger Zinssätze verbessern. Das würde die öffentlichen Haushalte entlasten, die Expansion monetärer Märkte dämpfen und somit einen Beitrag leisten, um das Mengen- und Preisproblem an Finanzmärkten zu entschärfen.

Lohnerhöhung am Produktivitätsfortschritt orientieren

Die Regeln für die Einkommenspolitik sind klar: Die Geldlohnerhöhung hat sich am Produktivitätsfortschritt zu orientieren. Verteilungskämpfe zwischen sozialen Gruppen sind auf Ebenen zu verlagern, welche die Lohnstückkosten nicht beeinflussen. Investivlohn, Gewinnbeteiligung in Arbeitnehmerhand, Beteiligung der Belegschaften am Gesamtwert von Unternehmen, organisiert auf betrieblicher Ebene, in Branchen oder in Tarifbezirken, sind hierfür geeignet, weil sie kostenneutral sind, deshalb keinen Inflationsdruck erzeugen und keine zinstreibende Geldpolitik verlangen.

Staatsverschuldung begrenzen

Die Finanzpolitik hat sich in vielen Ländern in eine Situation manövriert, in der zunehmende Staatsverschuldung maßgeblich von Zinszahlungsverpflichtungen erzwungen wird. Damit hat sich der Finanzkreislauf vom Güterkreislauf abgekoppelt. Ferner wächst in vielen Ländern seit geraumer Zeit das Geldvermögen rascher als das Sachvermögen. Folglich verlangen private Anleger eine steigende Rendite aus Geldvermögen, was wiederum die Sachvermögensbildung dämpft. Daneben werden ständig Umschichtungsvorgänge zwischen Komponenten der Vermögenshaltung angeregt. Steigende Volatilitäten von Kursen und Renditen an Finanzmärkten treiben die Zinsen empor, mit schwachem Wirtschaftswachstum, sinkender Beschäftigung, steigenden Staatsdefiziten und zunehmender Zinsbelastung der Staatshaushalte im Gefolge.

Um diesen verhängnisvollen Kreislauf zu stoppen, hat sich die Finanzpolitik an den Regeln dauerhaft tragfähiger Verschuldung zu orientieren. Langfristig tragbar sind öffentliche Defizite, wenn der Anteil des Zinsendienstes an der Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hand und am Gesamthaushalt des öffentlichen Sektors nicht steigt. Die Voraussetzung hierfür ist, daß der Zins, mit dem Staatsschulden zu bedienen sind, unter der Zuwachsrate des Steueraufkommens liegt, die wesentlich vom Einkommenswachstum bestimmt wird.

Verschuldungsregeln für die öffentliche Hand, wie sie im Vertrag von Maastricht festgelegt sind, haben deshalb eine unbequeme aber unbestechliche Logik. Sie kurzfristiger Vorteile wegen dauerhaft zu mißachten, beschleunigt die Lösung des Finanzkreislaufs vom Güterkreislauf, erhöht die Verletzlichkeit des Finanzsystems und trägt dazu bei, daß Zinssätze und Wechselkurse immer mehr den Kontakt zu jenen Werten verlieren, die erforderlich sind, um die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zufriedenstellend zu gestalten. Insoweit haben die finanzpolitischen Konvergenzkriterien des Vertrags über die Europäische Union den Charakter eines Pilotprojekts für eine über Europa hinausgehende internationale Kooperation der Finanzpolitik. Denn die Globalisierung des Finanzsystems machte finanzpolitische Fehlentwicklungen in einem großen Industrieland zu einer internationalen Angelegenheit.

Zinsziel für die Geldpolitik

Auch die Geldpolitik ist bei einem gesamtwirtschaftlichen Stabilitätspakt in die Pflicht zu nehmen. Die Geldpolitik hat zur Kenntnis zu nehmen, daß die vollzogenen Umwälzungen der internationalen Finanzbeziehungen auch das Steuerungskonzept einer an dem Ziel der Geldwertstabilität orientierten geldpolitischen Konzeption tangieren. Expansionsraten der Geldmenge können nicht mehr alleinige Richtschnur für geldpolitisches Handeln sein.

Je weiter die Globalisierung der Finanzmärkte voranschritt, desto stärker wichen Veränderungsraten monetärer Aggregate, die Zielgrößen der Geldpolitik sind, von zuvor bewährten Mustern und von der Zuwachsrate des Sozialprodukts ab. Seitdem schwankt die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes stärker. Eine strikte Bindung der Zentralbank an ein Geldmengenziel verlangt aber eine stetige und berechenbare Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Deshalb kann die Zuwachsrate der Geldmenge nicht mehr hauptsächliche Leitlinie für geldpolitisches Handeln sein; die Geldmenge hat als Indikator des geldpolitischen Kurses und für die künftige Preisentwicklung an Bedeutung verloren, während die von Zentralbanken geprägte Zinsentwicklung an Gewicht für die gesamtwirtschaftliche Aktivität gewonnen hat. Deshalb ist der Zins als primäre Steuergröße der Geldpolitik und als monetäres Ziel ins Visier zu nehmen.

Dabei ist jener Zins angesprochen, der von Zentralbanken unmittelbar gesteuert werden kann, der Zins für Tagesgeld. Es sind Zinssätze anzusteuern, die nur wenig oberhalb der Inflationsrate liegen. Die Erfahrungen der letzten Jahre in der Schweiz, in den USA und in Japan belegen, daß eine derartige Orientierung der Zinspolitik der Zentralbanken die Wachstumskräfte zu beleben vermag, ohne Preisstabilität aufs Spiel zu setzen. Aber das setzt, wie mehrfach betont, ein weitgehend inflationsfreies Umfeld voraus, also auch eine stabilitätsorientierte Lohn- und Finanzpolitik. Eine derart abgestimmte gesamtwirtschaftliche Konzeption konstituiert einen glaubwürdigen und stabilen Rahmen, um Fehlentwicklungen zu vermeiden, die auf dem Nährboden nicht abgestimmten wirtschaftspolitischen Verhaltens wachsen und auf den güterwirtschaftlichen Bereich zurückwirken.

Das Problem der falschen Wechselkurse

Der skizzierte "wirtschaftspolitische Verhaltenskodex" allein ist unzureichend, um Gefährdungspotentialen globalisierter Finanzmärkte zu begegnen. Es gilt auch, Fehlentwicklungen an Finanzmärkten auszuschalten, die sich aus einer ineffizienten Informationsverarbeitung ergeben.

Die Preis- und Kursentwicklung an jedem Finanzmarkt wird nicht allein von gegenwärtigen und erwarteten ökonomischen Fundamentalfaktoren bestimmt, sondern auch von davon getrennten Markterwartungen sowie von Risikoüberlegungen. Kurs- und Zinstrends können sich für längere Zeit von ökonomischen Fundamentaldaten trennen, so daß Akteure, die gegen einen fundamental nicht gerechtfertigten Trend setzen, Verluste hinzunehmen hätten. Auch Risikoprämien und veränderte Einstellungen gegenüber Risiken können zu einem dominanten Faktor der Zins- und Wechselkursentwicklung werden. Steigt das Vermögenswertänderungsrisiko einer Anlage oder werden gegebene Risiken stärker gewichtet, so wird ein Renditeaufschlag zur Kompensation des Risikos verlangt. Variable Risikoprämien und Änderungen der Risikoeinstellung von Finanzmarktakteuren erhöhen die Volatilität von Zinssätzen und Wechselkursen, sie werden zu einem Element der Unsicherheit, sie dämpfen die gesamtwirtschaftliche Aktivität.

Die Aufgabe, Ineffizienzen an Finanzmärkten auszuschalten, gilt insbesondere für den Devisenmarkt, der nationale Finanzmärkte verbindet und Fehlentwicklungen an Finanzmärkten eines Landes weltweit verbreitet.

Falsche Wechselkurse beeinträchtigen über kurz oder lang die gesamtwirtschaftliche Entwicklung weltweit. Sie liegen vor, wenn vom Devisenmarkt verzerrende Allokationssignale für grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivitäten ausgehen. Das ist gegeben, wenn sich Wechselkurstrends vom Preissteigerungsgefälle zwischen Ländern lösen, so daß reale Wechselkursverschiebungen auftreten. Dieser Maßstab enthält als normatives Element die Vorstellung, daß Finanzmärkte, so auch Devisenmärkte, eine dienende Funktion für den güterwirtschaftlichen Bereich ausüben sollten, mithin Wechselkursänderungen grenzüberschreitende Transaktionen nicht bestimmen sollten.

Falsche Wechselkurse bestehen auch dann, wenn die Kursbildung am Devisenmarkt starke kurzfristige Schwankungen ohne erkennbaren Trend aufweist, die bei risikoaversem Verhalten den internationalen Wirtschaftsverkehr hemmen.

Internationale Kooperation zur Stabilisierung von Wechselkursen stößt auf Hindernisse

Das internationale Währungssystem benötigt gestaltete Wechselkurse. Wirtschaftspolitischer Maßnahmen bedürfte es hierzu nur dann nicht, wenn alle Preise völlig flexibel wären, wenn jeder Marktteilnehmer auf der Grundlage des richtigen Gleichgewichtsmodells stets rational handelte, wenn Anpassungskosten vernachlässigbar gering wären. Dann können keine Fehlentwicklungen von Wechselkursen entstehen. Eine derartige Welt ist denkbar, sie ist aber nicht sichtbar. Deshalb sind auch bei grundsätzlich flexiblen Wechselkursen die Währungsbeziehungen zwischen den großen Wirtschaftsräumen der Welt institutionell zu gestalten, um einem Marktversagen entgegenzuwirken. Währungsbehörden eines Landes allein sind damit überfordert. Die Globalisierung der Märkte erzwingt die internationale Kooperation der Wirtschaftspolitik, um Instabilitätspotentiale an Finanzmärkten zu begrenzen.

Der Wechselkurs einer Währung setzt sowohl die Preise von Vermögensbeständen als auch die von Gütern in Bezug zu den entsprechenden Preisen anderer Länder. Er beeinflußt somit unmittelbar die wirtschaftliche Entwicklung mehrerer Länder. Man sollte deshalb annehmen, daß eine hohe Bereitschaft auf Seiten von Regierungen und Zentralbanken besteht, falsche Wechselkurse durch internationale Kooperation zu vermeiden. Aber außerhalb Europas sind bislang wenig Ansätze erkennbar, zu bindenden internationalen institutionellen Arrangements zu gelangen, um größere Stabilität, Stetigkeit und Berechenbarkeit der Wechselkurse zu erreichen. Hierfür sind mehrere Gründe maßgeblich:

Gewichtung von Vor- und Nachteilen: Insbesondere in Phasen hoher Leistungsbilanzungleichgewichte und stark divergierender nationaler Inflationsraten wurden die kurzfristigen Vorteile realer Wechselkursänderungen hoch gewichtet. Eine reale Aufwertung dämpft den Preisauftrieb, die reale Abwertung einer Währung entlastet eine passive Leistungsbilanz und fördert Produktion sowie Beschäftigung. Die damit verbundenen langfristigen Nachteile - Allokationsverzerrungen, Rückgang von Produktion und Beschäftigung bei realer Aufwertung, Inflationsauftrieb bei realer Währungsabwertung - werden seit einiger Zeit deutlich höher gewichtet als noch vor einem Jahrzehnt, zumal in den meisten Industrieländern Preisstabilität herrscht und Leistungsbilanzungleichgewichte deutlich zurückgeführt werden konnten.

Das Problem des Gleichgewichtskurses: Es gibt keinen allgemein akzeptierten Maßstab, an dem falsche Wechselkurse zu messen sind. Unterschiedliche Konzeptionen gelangen zu verschiedenen Ergebnissen hinsichtlich gleichgewichtiger Wechselkurse, und viele empirische Studien zur Auswirkung von Volatilitäten der Wechselkurse auf den internationalen Handel konnten allein bei starker Disaggregation von Gütergruppen einen handelshemmenden Einfluß kurzfristiger Wechselkursausschläge feststellen. Wird aber das empirisch ermittelte Ergebnis akzeptiert, daß Devisenmärkte nicht informationseffizient sind, so kann nicht in Frage gestellt werden, daß mit falschen Wechselkursen zu rechnen ist. Die absurd hohe Überbewertung des Dollars bis Mitte der achtziger Jahre kann deshalb ebensowenig hinwegdiskutiert werden wie die Unterbewertung der D-Mark im EWS, die sich zwischen 1987 und 1992 herausgebildet hatte, mit schwerwiegenden gesamtwirtschaftlichen Fehlentwicklungen im Gefolge. Sind ferner wirtschaftliche Akteure in ihrer Mehrheit risikoavers, so muß jede Dämpfung unberechenbarer Wechselkursausschläge länderübergreifende wirtschaftliche Aktivitäten fördern. Der Verweis auf statistische Unklarheiten über Gleichgewichtskonzepte für Wechselkurse wird als Argument gegen internationale Kooperation in Währungsfragen von jenen ins Feld geführt, die entgegen empirischer Evidenz auf der These beharren, daß allein eine ausschließlich vom privatwirtschaftlichen Optimierungskalkül bestimmte Preisbildung an jedem einzelnen Markt zu einem bestmöglichen einzelwirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Ergebnis führen kann.

Die dominierende Position der USA: Kooperation zwischen gleichwertigen Partnern ist eher zu verwirklichen als zwischen Leichtgewichten und Schwergewichten. Das gilt auch für Währungsfragen. Ähnlich wie im monetären Integrationsprozeß Europas der Bundesrepublik Deutschland von Partnerländern immer wieder Dominanz und Vernachlässigung europäischer Belange zugunsten nationaler Prioritäten vorgeworfen wurde, ist der US-Dollar uneingeschränkter Hegemon an Devisenmärkten und Finanzmärkten der Welt. Ein Hegemon kooperiert nicht, er dominiert. Diese ungleiche Verteilung des Gewichts von Währungen im Weltfinanzsystem wird erst aufgehoben, wenn in Europa die Währungsunion verwirklicht wird. Dann wird der europäische Finanzraum dem Dollarraum gleichkommen. Mit dem Euro wird eine internationale Reservewährung entstehen, die in ernsthafte Konkurrenz zum Dollar als gegenwärtig überragende Leitwährung tritt. Erst dann werden Regierung und Zentralbank der USA abzuwägen haben, welche Vorteile und Nachteile das Zurückweisen internationaler Kooperation in Währungsfragen hat. Denn eine stabile Europawährung könnte einen instabilen Dollar als Fakturierwährung für den internationalen Handel und zur Vermögensanlage zu verdrängen drohen. Um das zu vermeiden, sind wirtschaftspolitische Maßnahmen in den USA unter Vernachlässigung möglicher Auswirkungen auf die Bewertung des Dollars an den Devisenmärkten nicht länger möglich. So erzwingt die Europäische Währungsunion internationale Kooperation in Währungsfragen über Europa hinaus, also Maßnahmen zur Krisenprävention.

Das Fernziel: ein tripolares Währungssystem

Mit der Verwirklichung der Europäischen Währungsunion wird also ein Handlungsdruck begründet, um eine wirksame internationale Kooperation zur Stabilisierung der Währungsbeziehungen zwischen den großen Wirtschaftsräumen der Welt in Gang zu setzen. Die Globalisierung der Märkte geht damit einher, daß sich die Weltwirtschaft in großen Wirtschaftsregionen organisiert - in Europa, in Nordamerika und in Ostasien. Es ist naheliegend, diese Regionalisierung der Wirtschaftsbeziehungen durch eine Internationalisierung der Geld- und Währungspolitik zwischen diesen drei großen Wirtschaftsregionen der industrialisierten Welt zu ergänzen. Fixpunkte sind dabei die Währungsrelationen zwischen Yen, US-Dollar und Euro. Ein tripolares Währungssystem mit der Orientierung der Wechselkurse von Landeswährungen der jeweiligen Region an einer dieser drei Leitwährungen wäre ein erheblicher Fortschritt zur Stabilisierung von Wechselkursen.

Allerdings ist das ein Fernziel, das gegenwärtig nicht zu realisieren ist. Vorbedingungen hierfür sind die Verwirklichung der Europäischen Währungsunion mit einer wertstabilen Europawährung und reifende Erkenntnis in den USA, daß bei auf Dauer angelegter internationaler Kooperation in Währungsfragen auch für die USA die Vorteile überwiegen. Bis dahin wird noch einige Zeit vergehen.

Einstweilen: Bessere Kanalisierung von Wechselkurserwartungen!

Neben weitreichenden Überlegungen zur institutionellen Fundierung der Währungsbeziehungen zwischen den großen Wirtschaftsräumen der Welt bestehen zur Vermeidung falscher Wechselkurse Möglichkeiten unterhalb der Ebene, die letztlich feste Wechselkurse konstituiert. Insbesondere sind international abgestimmte wirtschaftspolitische Maßnahmen erforderlich, die zu einer Kanalisierung von Wechselkurserwartungen führen.

Diese Forderung ergibt sich daraus, daß Wechselkursänderungserwartungen, auch im Widerspruch zu gesamtwirtschaftlichen Eckdaten der Länder und zur Währungsvorliebe bei der langfristigen Anlage liquider Mittel, an Gewicht für die Kursentwicklung an den Devisenmärkten gewonnen haben. Erwartungsbedingte Wechselkursänderungen, losgelöst von realwirtschaftlichen Bedingungen und von Währungspräferenzen der Anleger, treten auf, wenn Devisenmarktgeschäfte für sich genommen Renditen versprechen. Ursache kann sein, daß Marktteilnehmer die sogenannten "fundamentals" falsch einschätzen oder daß sie einzelnen Ereignissen zu hohes Gewicht beimessen, so daß kumulative Fehlentwicklungen der Wechselkurse auftreten. Schon das leiseste Rumoren lädt zu Wetten gegen Währungen ein und setzt Finanzströme auf der Suche nach dem letzten Pfennig oder Cent rund um die Welt in Bewegung. Dadurch können sich Wechselkursentwicklungen für längere Zeit von Unterschieden ökonomischer Grundbedingungen der Länder trennen. Falsche Wechselkurse sind die Folge.

Welche Aufgaben die Wirtschaftspolitik der großen Industrieländer in einem derartigen Umfeld wahrnehmen sollte, wird mit nicht zu überbietender Klarheit im 57. Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich formuliert:

"Sofern die Wechselkurserwartungen nicht fest verankert sind, besteht die Gefahr, daß das Verhalten der Märkte durch massenpsychologische Phänomene, extrapolierende Erwartungen sowie Mutmaßungen über wirtschaftspolitische Reaktionen bestimmt wird. Insbesondere, wenn die Leistungsbilanzungleichgewichte sehr groß sind und ein annehmbares Ausmaß von Wechselkursstabilität ein dementsprechend großes Eingehen privater offener Positionen erfordert, wird es von entscheidender Wichtigkeit sein, daß die Behörden ihren Standpunkt und ihre Absichten hinsichtlich der Wechselkurse unmißverständlich erkennen lassen. Jedes Zögern öffentlicher Instanzen oder internationale Meinungsverschiedenheiten müssen unter diesen Umständen Währungsunruhen und turbulente Devisenmarktverhältnisse heraufbeschwören."

Die Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik, Bedingungen für mehr Stabilität im Weltwährungssystem zu schaffen, besteht also darin, Wechselkursänderungserwartungen zu dementieren, die ökonomisch nicht fundiert sind. Das erfordert eine zwischen den Ländern abgestimmte glaubwürdige Konzeption der Makropolitik, die skizziert wurde. Dann werden sich im Regelfall Wechselkursänderungserwartungen am internationalen Zinsgefälle orientieren, die wiederum den Abstand zwischen Inflationsraten ausdrücken, mithin an ökonomischen Grundbedingungen.

Orientieren sich die Kursänderungserwartungen der Devisenmarktteilnehmer jedoch an irgendwelchen anderen Daten oder Vermutungen, sollten Währungsbehörden die Erwartungen stabilisieren und kanalisieren und damit so leiten, daß falsche Wechselkurse vermieden werden. Wie dazu im einzelnen vorgegangen wird, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und der Durchsetzungsfähigkeit im internationalen Rahmen.

Allgemein gilt, daß in einem gewinnorientierten marktwirtschaftlichen System wirtschaftliche Aktivitäten unterbleiben, wenn sie systematisch zu Verlusten führen. Daran sollten sich die Maßnahmen zur Unterbindung destabilisierender Spekulation am Devisenmarkt orientieren. Werden Spekulanten Verluste zugefügt, so ziehen sie sich zurück. Aus dem Spektrum der Möglichkeiten, wie das gestaltet werden kann, seien einige skizziert und kurz bewertet:

Klare offizielle Stellungnahmen: Gibt es deutliche Anzeichen für Falschbewertungen von Währungen, sind klare und gleichlautende Stellungnahmen von Währungsbehörden der betreffenden Länder hierzu erforderlich. Wird das von Devisenmarktteilnehmern als glaubwürdige und relevante Information bewertet, so werden sie zu der Einschätzung gelangen, daß eine Fortsetzung des spekulativen Engagements zu Verlusten führen wird, so daß offene Positionen aufgelöst werden.

Amtliche Notierung aussetzen: Bei erkennbarer Fehlbewertung von Wechselkursen könnte die amtliche Notierung von Kassakursen ausgesetzt werden. Das erschwert und verteuert die Abrechnung von Devisenumsätzen von Kreditinstituten mit Nichtbanken und könnte einen Beitrag leisten, die Erwartungen neu zu orientieren.

Eingriff ins Tagesgeschäft: Bei scharfen Wechselkursänderungen innerhalb eines Tages, die einen festzulegenden Grenzwert übersteigen, könnten Währungsbehörden zu Interventionen verpflichtet werden. Damit steigt das Risiko insbesondere von Geschäftsbanken, die offene Devisenpositionen zum Abschluß eines Handelstages zu schließen haben, Spekulationsverluste zu erleiden.

Vielfältigere Devisenmarktinterventionen: Devisenmarktinterventionen gehören ohne Frage zum Arsenal von Währungsbehörden, um ungeordneten Marktverhältnissen zu begegnen. Die mögliche Variationsbreite dieser Transaktionen wird bei weitem nicht ausgeschöpft: Interventionen am Kassamarkt, an Terminmärkten mit verschiedenen Fristigkeiten, Swapgeschäfte, Devisenpensionsgeschäfte, offene und verdeckte Interventionen bieten sich zur Beeinflussung der Markterwartungen ebenso an wie Devisenmarktgeschäfte in Drittwährungen. Es ist mehr Kreativität des Finanzdesigns auch von Währungsbehörden erforderlich, um Möglichkeiten der Steuerung von Wechselkursen auszuloten.

Swaps zwischen Zentralbanken: Änderungen in der Währungsstruktur privater Geldvermögen, die von Wechselkursänderungserwartungen verursacht werden, können am Devisenmarkt vorbeigeleitet werden. Hierzu könnten Devisenbeistandskredite in Form von Swap-Vereinbarungen zwischen Zentralbanken der großen Industrieländer, die kaum genutzt werden, aktiviert werden. Würden sich Zentralbanken im Gegenwert der Swap-Linien gegenseitig Wertpapiere bereitstellen, so könnten sie diese an ihre jeweiligen nationalen Märkte geben. Die von den privaten Anlegern vorgenommenen Umschichtungen in der Währungsstruktur ihrer Portfolios wirken sich dann nicht auf die Wechselkurse aus.

Gespaltene Kurse nicht sinnvoll: Eine Spaltung des Devisenmarktes (Dornbusch) - Abwicklung des Kapitalverkehrs zu flexiblen und des internationalen Leistungsverkehrs zu festen Wechselkursen - ist weder erreichbar noch zu empfehlen. Nicht durchsetzungsfähig ist diese Konzeption, weil keine Bereitschaft besteht, zwischen den großen Wirtschafts- und Währungsräumen der Welt feste Wechselkurse zu implementieren. Die Konzeption ist zudem nicht sinnvoll, weil die optimale internationale Allokation des Kapitals für die wirtschaftliche Entwicklung nicht weniger wichtig ist als die von Gütern und Leistungen.

Keine generelle Verteuerung von Devisentransaktionen: Immer wieder wird angeregt, die Volatilität der Wechselkurse durch Verteuerung der Devisenspekulation zu begrenzen. Als Möglichkeiten hierzu werden aufgeführt:

  • eine Transaktionssteuer für Devisenmarktgeschäfte (Tobin-Steuer),
  • eine Zinsausgleichsteuer (Dornbusch), wie in den USA 1963 für einige Jahre mit dem Ziel eingeführt, den Renditeanreiz für Kapitalexporte zu senken,
  • eine Anlagesteuer, wie sie in Italien und Spanien für einige Zeit bestand, um den Kapitalverkehr mit dem Ausland zu regulieren,
  • die Bardepotpflicht, die 1972 in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel eingeführt wurde, Auslandsgeldanlagen abzuwehren, sowie
  • Mindestreserven für den Zuwachs von Verbindlichkeiten von Kreditinstituten gegenüber Ausländern.

Derart pauschale administrative Eingriffe beruhen auf der Vorstellung, daß insbesondere kurzfristige internationale Kapitalbewegungen stets destabilisierende Wirkungen zeitigen. Für diese Annahme gibt es keinen Beleg. Nicht jede Änderung von Preisen und Kursen an Finanzmärkten stellt eine Fehlentwicklung dar, die es zu verhindern gilt. Deshalb sollte in die Marktpreisbildung nur eingegriffen werden, wenn begründeter Anlaß für die Vermutung besteht, daß die Koordinierungsleistung des Marktes unzureichend ist, so daß am Devisenmarkt falsche Wechselkurse vorliegen. Es gibt keinen Hinweis, daß derartige Fehlentwicklungen am Devisenmarkt die Regel bilden. Deshalb sind zuvor skizzierte ad hoc-Maßnahmen von Währungsbehörden, ebenfalls daran orientiert, Kosten und Erträge der Devisenspekulation zu beeinflussen, zur Verstetigung der Wechselkursentwicklung geeigneter als eine dauerhafte und pauschale Verteuerung aller grenzüberschreitenden Transaktionen, die zudem abträgliche Nebenwirkungen haben können und in allen Ländern der Welt eingeführt werden müßte, um Ausweichmöglichkeiten auszuschalten.

Bessere Bankenaufsicht zur Kontrolle von Finanzderivaten

Die rasante Ausbreitung derivativer Finanzprodukte fordert Geldpolitik und Bankenaufsicht in besonderer Weise, weil sie zum Teil Finanzierungsvorgänge außerhalb von Bankbilanzen beinhalten, die sich dem geldpolitischen Zugriff entziehen. Zudem umgibt diese Kreationen des Finanzsektors die Aura des Geheimnisvollen. Dafür sorgen gewaltige Beträge, exotische Bezeichnungen, komplizierte Preisberechnungsmethoden und die Vernetzung zwischen verschiedenen Segmenten der Finanzmärkte.

Neue Produkte haben in Marktwirtschaften nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie ihren Nutzern Vorteile bieten. Das gilt auch für Finanzderivate. Sie sind entstanden aus den gewachsenen Mengen- und Preisproblemen an Finanzmärkten, die sich gegenseitig verstärken und die ihren Ausgangspunkt in Grundsatzentscheidungen der Wirtschaftspolitik hatten. Nach dem stürmischen Wachstum von Derivaten bis in das erste Drittel der neunziger Jahre hinein hat sich inzwischen eine verhaltene Marktentwicklung herausgebildet, parallel mit weltweit stabilen Zinssätzen und Wechselkursen. Erneut wird darin belegt, daß Finanzderivate ihren Markterfolg ausschließlich Unwägbarkeiten der Preis- und Renditeentwicklung an Vermögensmärkten verdanken.

In einem einheitlichen Währungsraum bei unveränderten Zinssätzen gibt es keinen Bedarf für Swaps, Optionen und Futures, weil Finanzmarktkontrakte keine Wertänderungsrisiken beinhalten. Der Bedarf an derivaten Finanzprodukten schwindet in dem Maße, in dem Zinssätze und Wechselkurse berechenbarer werden. Der skizzierte "wirtschaftspolitische Verhaltenskodex", kombiniert mit fallweisen und differenzierten Aktionen von Zentralbanken, um Erwartungen von Devisenmarktteilnehmern zu leiten und zu stabilisieren, bietet hierzu eine anwendbare Konzeption. Erneut ist dabei zu betonen, daß eine Begrenzung der Gefährdungspotentiale von Finanzmärkten ohne internationale Kooperation nicht möglich ist.

Aber solange auf diesem Feld keine Fortschritte zu erzielen sind, haben sich Zentralbanken und Bankenaufsicht der Probleme anzunehmen, die sich aus Finanzderivaten ergeben können. Werden diese Instrumente vor allem spekulativ genutzt und gehen Zins- oder Wechselkurswetten nicht auf, so kann sich ein hoher Liquiditätsbedarf ergeben, der sich wellenförmig ausbreitet, national wie weltweit. Der beste Beitrag, um dies zu vermeiden, besteht darin, für eine stetige und einschätzbare Zins- und Wechselkursentwicklung zu sorgen. Zudem ist die Bankenaufsicht gefordert, um Wagnisse aus Finanzderivaten zu begrenzen. Hierzu werden geeignete Maßnahmen empfohlen und diskutiert, zum Teil sind sie auf dem Weg oder bereits durchgesetzt worden:

Kontrolle auf nichtbilanzielle Transaktionen ausweiten: Bankenaufsicht und Zentralbank sind traditionell auf Bankbilanzen konzentriert. Nichtbilanzielle Transaktionen von Geschäftsbanken, die den Reiz von Finanzderivaten ausmachen, weil sie keine Deckung mit Eigenkapital erfordern, lagen bis vor einiger Zeit außerhalb administrativer Kontrolle. Das wird den geänderten Marktbedingungen angepaßt. Risiken außerbilanzieller Transaktionen von Kreditinstituten sind mit Eigenkapital zu unterlegen, Risiken aus Finanzderivaten sind offenzulegen.

Haftung von Portfoliomanagern: Das Kontroll- und Risikomanagement der Banken ist den neuen Marktbedingungen anzupassen. Regelungen sind ineffizient, wenn Portfoliomanager bei Eingehen von Risiken im Erfolgsfall mit Sonderzahlungen belohnt werden, während im Verlustfall allein das Finanzinstitut belastet wird.

Verpflichtung der Banken zur Risikosteuerung: Die Marktrisiken von Finanzderivaten sind von Geschäftsbanken mit Hilfe interner Bewertungsmethoden besser abzuschätzen, und es sind Verfahren zu entwickeln, um Risikopositionen stärker abzusichern. In Deutschland gelten hierfür demnächst Mindestanforderungen des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen, die kostspielige Risikosteuerungssysteme für Kreditinstitute bindend vorschreiben. Damit werden Selektionsprozesse erzeugt, die bewirken werden, daß nur jene Institute Risiken aus Finanzderivaten eingehen, die sie zu tragen vermögen. Zudem werden sich Nichtbanken den Instituten zuwenden, die sich in besonderer Weise der Risikobegrenzung verpflichtet fühlen.

Finanzielle Globalisierung zur Mehrung des weltweiten Wohlstands nutzen!

Produkte durchlaufen Zyklen. Das ist im finanziellen Sektor nicht anders als in der gewerblichen Wirtschaft. Richtig angewandt, können derivative Finanzprodukte einen Beitrag zur Verbesserung der intertemporalen Allokation leisten. Anzustreben ist aber, daß diese Finanzierungsinstrumente überflüssig werden. Das ist gegeben, wenn Risiken unberechenbarer Zins- und Wechselkursänderungen entfallen. Das verlangt drei Voraussetzungen: Erstens Einsicht in die Notwendigkeit der Anpassung institutioneller Bedingungen an die Globalisierung der Märkte, zweitens einen Konsens über einen Kodex des wirtschaftspolitischen Verhaltens in einem jeden Land, drittens internationale Kooperation der Wirtschaftspolitik. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so wird die Globalisierung finanzieller Beziehungen den Wohlstand weltweit mehren, ohne dadurch unbeherrschbare Instabilitätspotentiale zu erzeugen, die Anlaß zu Befürchtungen über Systemrisiken geben.


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