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Nicht zuletzt durch die Anschläge vom 11. September erlebte die internationale
Terrorismus-Diskussion eine Art Wiedergeburt. Allein die Anzahl der seitdem
veröffentlichten Publikationen zum Thema ist ins Unüberschaubare angestiegen.
Während das Wort »Terrorismus« im allgemeinen Sprachgebrauch inzwischen ähnlich inflationär verwendet wird wie der Begriff der »Revolution«, gibt es sowohl
in der Politik als auch in der Wissenschaft nach wie vor lebhafte Debatten
darüber, was unter Terrorismus zu verstehen und wie er zu bekämpfen sei. Es sind
insbesondere die Vertreter der Geisteswissenschaften, die sich der Thematik annehmen,
und wenngleich sie teils unterschiedliche Herangehensweisen bevorzugen, ähneln sich deren Untersuchungsergebnisse im Grunde sehr.
Das Buch von Christiane Wandscher scheint auf den ersten Blick nur eines von
vielen Büchern zu sein, die auf der Welle des allgemeinen Terrorismus-Interesses
und der Sensibilisierung der Bevölkerung schwimmen. Es unterscheidet sich jedoch
dadurch, dass es sich eines völkerrechtlichen Zugangs bedient mit dem Ziel,
zu untersuchen, wie mit terroristischen Anschlägen »umgegangen werden muss,
welche Antworten sich aus dem bestehenden System kollektiver Sicherheit ergeben
und an welchen Stellen möglicherweise die Notwendigkeit zur Anpassung an die
neuen Bedrohungsszenarien besteht« (S. 23). Fragen, die auch andere schon gestellt
haben – die aber selten in einer solch detaillierten Untersuchung gegebener
völkerrechtlicher Grundlagen zu beantworten versucht wurden.
Die Autorin ist ausgebildete Juristin und hat sich auf die Themenbereiche
Terrorismus(-Bekämpfung) und Vereinte Nationen spezialisiert. »Internationaler
Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht« ist Wandschers Dissertationsschrift.
Als wissenschaftliche Arbeit ist das Buch streng methodisch aufgebaut. Der erste
Teil befasst sich mit der definitorischen Annäherung an den Terrorismusbegriff,
der zweite Teil behandelt die »Rechtfertigungsansätze für militärisches Vorgehen
gegen internationalen Terrorismus«.
Allein die definitorische Annäherung an den Begriff »Terrorismus« nimmt über ein Drittel des gesamten Buches ein. Zunächst untersucht Wandscher, wie
sich der Begriff des Terrorismus im Laufe der Zeit sowohl auf regionaler als auch
auf internationaler Ebene entwickelt hat, geht dabei auf verschiedene un-
Abkommen ein – wie das im Zusammenhang bedeutsame Übereinkommen zur
Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus – und arbeitet daran anschließend
die einzelnen Merkmale der behandelten Definitionen heraus. Zwar betont sie,
dass allen Definitionen gemein ist, »dass der Tatbestand des Terrorismus zwei
Elemente erfordert, nämlich ein subjektives und ein objektives« (S. 90). Gleichzeitig
weist Wandscher aber darauf hin, dass es aufgrund der unterschiedlichen
Staatenpraxis und -vorstellungen stets auch verschiedene Ausnahmeregelungen
gibt. Ihre letztendliche Arbeitsdefinition, das Ergebnis der vorangegangenen
Analyse, sieht eine Berücksichtigung des objektiven sowie des subjektiven Elements
vor, d. h. »eine Tathandlung, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung
einer Person oder eine schwere Beschädigung öffentlichen oder privaten
Eigentums herbeiführt« (S. 120) und als Tatintention die Einschüchterung der
Bevölkerung bzw. Veranlassung einer Regierung oder Organisation zu einer bestimmten
Handlung. Der Kreis der Täter ist nicht eingeschränkt, ausgenommen
ist nur die Arbeit der Streitkräfte während eines militärischen Konflikts im Rahmen
der völkerrechtlichen Grenzen.
Mit dieser Arbeitsdefinition schließt der erste Teil des Buches ab. Der darauf
folgende Hauptteil gliedert sich in eine Untersuchung der Tatbestände bezüglich
der Rechtfertigungsansätze für militärisches Vorgehen vor und nach dem 11. September
2001, was insofern sinnvoll ist, als die Vereinigten Staaten von Amerika
nach den Anschlägen ihre eigene Form der Rechtfertigung des gewaltsamen Eingreifens
in den Irak praktizierten. Wandscher betont, dass vor 9/11 die »Voraussetzungen
des Selbstverteidigungsrechtes [bei terroristischen Anschlägen] nicht völlig
eindeutig« (S. 178) und eine militärische Antwort nur in sehr begrenztem
Rahmen möglich waren. Dazu musste der Anschlag einem Staat zugerechnet
werden können; notwendig war – in Anlehnung an die Vorgaben des Internationalen
Gerichtshofs – eine strenge Kontrolle.
Sehr detailliert und konsequent methodisch aufgebaut geht Wandscher im
Folgenden auf die Staatenpraxis nach 9/11 ein. Sie kommt zu dem Schluss, dass
sich trotz der neuen Bewertung der Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts
die Staatenpraxis nicht wesentlich verändert hat. Nach wie vor gilt Art. 51 der
un-Charta und damit die Rechenschaftspflicht vor dem un-Sicherheitsrat sowie
die eingeschränkte Handlungsmöglichkeit angegriffener Staaten. Neu hinzugekommen
sind lediglich das Verständnis der Gegenwärtigkeit und die Veränderung
des Intensitätserfordernisses: »Die Gegenwärtigkeit eines bewaffneten Angriffs ist
in Bezug auf terroristische Anschläge im Unterschied zur alten Rechtslage auch
dann anzunehmen, wenn bereits begangene und noch bevorstehende Anschläge
von der selben Quelle herrühren, sich gegen denselben Staat richten und die nochbevorstehenden Anschläge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu
erwarten sind« (S. 283). Im Gegensatz zum vormals geltenden Standpunkt, dass »terroristische Anschläge geringerer Intensität nicht aus[reichen], um einen bewaffneten
Angriff zu begründen« (S. 179), heißt das auch, dass mehrere »kleine«
Anschläge zusammengefasst genügen, um eine (militärische) Reaktion auszulösen.
Präemptive sowie antizipatorische Selbstverteidigung aber seien nicht, bzw. nur
in sehr engen Grenzen, akzeptabel.
In ihren Schlussbetrachtungen besinnt sich Wandscher auf ihre eingangs gestellten
Untersuchungsfragen und kommt zu dem Ergebnis, dass die Charta der
UN ausreiche, um der terroristischen Bedrohung zumindest im militärischen Bereich
hinreichend begegnen zu können. Reformmaßnahmen seien dennoch vonnöten,
gelten zurzeit aber politisch als schwer umsetzbar. Wandscher begrüßt den
Vorschlag des ehemaligen un-Generalsekretärs Kofi Annan, »eine Sicherheitsratsresolution
zu verabschieden, in der die Grenzen des Gewaltverbots und des
Selbstverteidigungsrechtes hinsichtlich aller angesprochenen Streitpunkte festgelegt
werden« (S. 319). Militärische Gewalt müsse jedoch stets als das letzte aller
möglichen Mittel behandelt werden.
Das Buch ist für fachfremde Leser nur bedingt zu empfehlen. Das liegt nicht
nur daran, dass die Ergebnisse trotz der akribischen Recherche unspektakulär sind
und nichts wesentlich Neues zur Debatte um die terroristische Bedrohung und
den Umgang mit ihr beitragen. Schon beim Aufschlagen des Buches an einer beliebigen
Stelle fällt auf, dass es mit einer Unmenge an Fußnoten versehen ist – es
kommt nicht selten vor, dass die Fußnoten mal die Hälfte, mal sogar mehr Platz
auf der Seite einnehmen als der Fließtext. Man steht bei jedem Umblättern vor der
Entscheidung, die Fußnoten zu ignorieren und damit zügig und fließend den Text
zu lesen, dabei aber womöglich wichtige Informationen zu verpassen, oder jede
Fußnote in die Lektüre einzubeziehen, damit aber den »Faden« zu verlieren.
Rein sprachlich ist das Buch gut zu verstehen, der klare Aufbau ist lobenswert.
Nichtsdestotrotz fragt man sich an mancher Stelle, warum man den Text eigentlich
liest – die detaillierte Untersuchung bestehender völkerrechtlicher Grundlagen
hat zur Folge, dass die Ausgangsfragen, d. h. der Anlass der Analyse, aus
den Augen verloren gehen.
Wandschers Dissertationsschrift zeichnet sich durch akribische Fleißarbeit aus,
allerdings erhofft man sich als Leser mehr von ihr als die gängigen Resultate und
Beurteilungen. Uneingeschränkt zu empfehlen ist das Buch als Nachschlagewerk
für die Entwicklung des Terrorismusbegriffs in der Völkerrechtssprechung und als
intelligente Übersicht über die Diskussionen auf insbesondere internationaler
Ebene über den rechtlichen Umgang mit der terroristischen Bedrohung.
Wer sich über den internationalen Terrorismus mit praktischen Beispielen informieren
will, dem seien an dieser Stelle diverse Publikationen von Kai Hirschmann,
beispielsweise »Das Terrorismus-Lexikon«, empfohlen.
Sonja Rick,
Marburg
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