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Blutiges Chaos, nicht enden wollende Gewalt zwischen Schiiten und Sunniten
und das katastrophale Scheitern der amerikanischen Strategie – was der Politikwissenschaftler
Dietmar Herz, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Regierungslehre
an der Universität Erfurt, an Erkenntnissen über die gegenwärtige
Lage des Irak schreibt, klingt nur zu bedrückend vertraut. So mancher seiner
Kollegen hat sich in den letzten Jahren über die Fehler der Bush-Administration
in ihrem Versuch, den Irak durch militärisches Eingreifen erst zu befreien und
dann zu demokratisieren, geäußert. Ungewöhnlich, zumal für einen Wissenschaftler,
ist hingegen die Quelle seiner Ausführungen: persönliche Anschauung
im Krisengebiet selbst. Vier Wochen verbrachte Herz im Winter 2006/2007 im
Auftrag der Süddeutschen Zeitung an den Kriegsschauplätzen im Zweistromland,
um »den Konflikt zu verstehen und die amerikanische Politik und Strategie
zu beurteilen« (S. 26).
Und so begleitet der Autor als »Embedded Political Scientist« die amerikanischen
Truppen nach Bagdad, Samarra sowie Tigrit, beschreibt das unwirkliche
Leben in der »grünen Zone« der irakischen Hauptstadt und spricht mit Amerikanern
und Irakern, Soldaten wie Zivilisten. Auf diese Weise entsteht ein anschaulicher,
teils auch spannender Erlebnisbericht aus einem Land, das in einem
Strudel der Gewalt zu versinken droht und in dem Sicherheit zur begehrtesten »Ware« überhaupt geworden ist.
Herz lässt keinen Zweifel daran, dass die us-Strategie in einer Sackgasse
steckt. Militärisch setzten sich die Amerikaner zwar stets durch, aber der dauerhafte
Aufbau ziviler Einrichtungen sei durch die katastrophale Nachkriegsplanung
völlig misslungen. Den gi’s macht der Autor keinen Vorwurf, er beschreibt
sie als umgänglich und motiviert, den Irakern zu helfen. Aber die strategische Unfähigkeit
der Regierung in Washington, ihre ideologische Verblendung, sei für
viele der jungen Soldaten ein »Todesurteil«. Erst langsam sei in Washington ein
Umschwenken auf einen »realistischeren« Kurs zu erkennen, nicht zuletzt durch
die Entlassung von Donald Rumsfeld und die Berufung von David Petraeus zum
neuen Oberbefehlshaber der Koalitionstruppen. Dieser setze verstärkt auf eine enge Zusammenarbeit mit den Irakern, um die Sicherheitslage in den Ballungszentren
zu verbessern. Gleichwohl weiß auch Herz keinen anderen Weg aus der
festgefahrenen Situation im Zweistromland als den mühseligen und langwierigen
Aufbau ziviler Strukturen. Ein baldiger Rückzug der usa würde jedenfalls zu unabsehbaren
Folgen führen – auch für Europa.
So vertraut dieser Tenor von Herz’ Bericht im Großen und Ganzen ist, präsentiert
der Autor gleichwohl einige interessante, bisher eher unbekannte Aspekte über den Kriegsalltag im Irak. So zeichnet er das Bild zweier »Welten«, voneinander
nahezu vollständig getrennt: zum einen die in sich autarke Welt der amerikanischen
Lager und der »grünen Zone« in Bagdad mit Fast-Food-Läden und westlichem
Komfort, bevölkert nicht nur durch westliche Soldaten, sondern auch
durch die Angestellten privater Sicherheitsunternehmen aus aller Herren Länder.
Zum anderen die irakische Welt außerhalb der Camps, in die sich die gi’s von
Zeit zu Zeit für Patrouillen und Einsätze bewegen und in der der Feind überall
lauern kann. Eine flächendeckende Kontrolle oder gar Befriedung des Landes
kann so allerdings kaum erreicht werden. Die Logistik erfolgt fast ausschließlich über Lufttransporte und gepanzerte Konvois bei Nacht. Den übergroßen Rest
der Zeit bestimmt Warten, teils nervenaufreibend, oft schlicht ermüdend.
Für einen Wissenschaftler ist es wahrlich ungewöhnlich, sich den Gefahren
eines militärischen Konflikts unmittelbar auszusetzen. Dies dürfte auch nach
Herz’ bemerkenswert wagemutigem Ausflug aus dem Elfenbeinturm so bleiben.
Dass es gelingt, durch persönliche Anschauung vor Ort ein »wirkliches« Verständnis
der irakischen Kriege zu erhalten, mag durchaus zutreffend sein; wirklich
neuartige Erkenntnisse wissenschaftlicher Qualität – jenseits interessanter
Details und Beobachtungen – vermag Herz jedoch leider nicht daraus abzuleiten.
Im Resultat ist sein Essay den Texten »eingebetteter« Journalisten sehr ähnlich,
woran auch seine historisch-politikwissenschaftlichen Erläuterungen über die
Ursachen des Konflikts und die Geschichte des Irak wenig ändern. Diese wirken
mitunter sogar wie Füllmaterial, um die Erlebnisse des Autors vor Ort, am 23. März
2007 bereits im Magazin der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht, auf Buchlänge
zu strecken. So bleibt der traurige und niederschmetternde Eindruck eines
Krieges, in dem es auf Seiten der Amerikaner vor allem die ganz jungen Soldaten
sind, die ihr Leben lassen. Herz benennt sie namentlich, wobei ihre Zahl durch
die der toten Iraker noch bei weitem überschritten wird. Die Vereinigten Staaten
haben den Konflikt 2003 ausgelöst, stoppen können sie die Gewaltspirale mittlerweile
nicht mehr. Dies belegt Herz’ interessanter Bericht erneut, ohne zugleich
die eigene Disziplin zu revolutionieren.
Robin Rüsenberg,
Berlin
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