| |
Zur Zeit gibt es wieder ein verstärktes Interesse an »Peak Oil« und seinen Implikationen.
Insbesondere dann, wenn die Ölpreise ansteigen, taucht der Begriff in der Debatte um die Verfügbarkeit von Erdöl auf. Dabei geht es um die
Frage, wann der Gipfel der Förderung erreicht ist, so dass die Verfügbarkeit des »schwarzen Goldes« tendenziell sinkt und sich sein Zeitalter unausweichlich dem
Ende nähert.
In den fünfziger Jahren, kurz nachdem Erdöl insbesondere im Westen zum
zentralen Brennstoff wurde, entwickelte der Geologe Marion King Hubbert sein »Peak Oil«-Modell. Die Erdölproduktion folgt demnach der typischen glockenförmigen
Kurve, die statistischen Modellen zugrunde liegt. Für die USA war er
damit relativ erfolgreich – eine Übertragung auf Ölreserven der Welt hat zu einigen
Fehleinschätzungen und Neujustierungen geführt.
Leonardo Maugeri hat dies im Blick, wenn er in seinem Buch »The Age of
Oil« die Geschichte und die gegenwärtige Situation der Ölindustrie reflektiert.
Die Diskussion um ein Ende der verfügbaren Reserven begleitet sie seit ihren Ursprüngen
im 19. Jahrhundert. Entsprechend wenig sollte man laut Maugeri auch
heute auf die Gerüchte über ein baldiges Ende des Ölzeitalters geben. Noch immer
seien die Voraussetzungen für eine globale Anwendung des »Peak Oil«-
Modells nicht gegeben – die geologische Beschaffenheit der Erde und die erratischen
Gesetze von Politik, Wirtschaft und Technologieentwicklung seien
keinesfalls so bekannt, dass sie als operationalisierbare Variablen für ein statistisches
Modell dienen könnten. Daraus erklärten sich die falschen Warnungen der
Vergangenheit und die ungerechtfertigten Panikreaktionen der Gegenwart. Eingedenk
dieser Irrtümer und der massiv vorhandenen nichtkonventionellen Vorkommen
gibt es Maugeri zufolge auf absehbare Zeit genug Öl für alle.
Diese mehr oder weniger beruhigende Botschaft spiegelt sich auch in seiner
zweiten These wider: Die Ölwirtschaft ist keinesfalls so zentralisiert, wie es Behauptungen über die Macht der opec und der ubiquitären Ölmultis glauben machen
wollen. Der Wettbewerb lebt, und dies sichert die Versorgung mit Öl weiter
ab. Auch das ist nicht neu: Die Geschichte des Erdöls als Ressource ist eine Geschichte
der (gescheiterten) Versuche, den Zugang zu ihr vollständig zu kontrollieren.
Man sollte wissen, dass Maugeri in leitender Position für den italienischen
Energiekonzern Eni tätig ist, das sechstgrößte notierte Ölunternehmen. Es wäre
unfair, daraus zu schließen, er sei voreingenommen. Aber es erklärt die generelle
Ausrichtung dieses Buches und mindert die Verwunderung über das, was der
Autor leider ausgelassen hat.
»The Age of Oil« gliedert sich in zwei Teile, von denen der erste, »A History
of an Unreliable Market«, den weitaus größeren Raum einnimmt. Maugeri skizziert
darin die faszinierende Entwicklung der Ölindustrie von ihrem Beginn in
den 1860er Jahren bis heute. Immer wieder bezieht er sich vor allem auf die USA
als Ursprungsland der Ölwirtschaft und weltweit größte Ökonomie. Fesselnd reflektiert
er den rasanten Aufstieg der Ressource, in deren Windschatten sich politische
und wirtschaftliche Umwälzungen vollzogen.
In seinem Standardwerk »The Prize« (1991) hat Daniel Yergin knappe 800 Seiten
für das benötigt, was Maugeri deutlich oberflächlicher in weniger als 200 Seiten
abhandelt. Seinen Kernthesen entsprechend liegt der Schwerpunkt der Darstellung
auf den immer wieder auftauchenden Alarmmeldungen über ein baldiges
Ende des Ölzeitalters sowie auf den Monopolisierungs- und Zentralisierungsversuchen,
die stets scheiterten – ob sie von Rockefellers Standard-Oil-Imperium
(das 1911 zerschlagen wurde), von den »Seven Sisters« (den sieben westlichen Ölunternehmen, die am Beginn des 20. Jahrhunderts die nahöstlichen Reserven
unter sich aufteilten) oder von der opec (die nie den Einfluss und die Einigkeit
besaß, die ihr zugeschrieben wurden) ausgingen.
Maugeri ignoriert in seiner Darstellung keinesfalls die Problematik der Abhängigkeit
vom Erdöl und erwähnt auch die Verbrechen, die inszenierten und
geförderten Putsche, die begangen wurden, um die Versorgung sicherzustellen.
Der Sturz des iranischen Premierministers Mohammad Mossadegh durch die cia
im Jahr 1953 stellt einen brutalen Höhepunkt dar.
Der zweite Teil, »Misperceptions and Problems ahead«, wirkt dagegen wie
eine Sammlung von Essays, die sich lose um die These gruppiert, dass das Ende
des Ölzeitalters noch nicht gekommen sei. Maugeri reflektiert aktuelle Entwicklungen,
wie die wachsende Nachfrage aus China und Indien und das vermehrte
Aufkommen staatlicher Ölunternehmen aus Schwellenländern, die die private
Energiewirtschaft unter Druck setzen. In diesem Abschnitt kommt die Schwäche
des Buches am stärksten zur Geltung: das Beharren auf der Unersetzlichkeit von
Erdöl und der Unwillen, ein Ende des Ölzeitalters als realistisches politisches Ziel
zu akzeptieren.
So fertigt Maugeri das Potenzial erneuerbarer Energien auf mittlere Sicht als »wishful thinking« ab, weil die technischen Voraussetzungen noch nicht gegeben
seien. Dies geschieht in einem Nebensatz; die energiepolitische Diskussion hätte
jedoch mehr verdient. Daran, dass die Förderung unkonventioneller Ölvorkommen
technisch möglich, rentabel und wünschenswert sei, lässt er übrigens keinen
Zweifel.
Auch die aktuellen Fehltritte der Ölindustrie behandelt Maugeri nur sehr peripher.
Die Diskussionen um das Brent-Spar-Debakel (in all seiner Ambivalenz)
und die Verstrickungen von Shell in Nigeria seien als nur zwei Beispiele genannt,
die in »The Age of Oil« unberücksichtigt bleiben. Die Ölindustrie ist so heftig in
die Kritik geraten, dass ihr zumindest aus Sicht der Industrienationen nicht nur
durch »Peak Oil«, sondern auch durch den Wunsch, auf ökologisch und politisch
sauberere Energieformen zurückzugreifen, auf lange Sicht der Garaus droht.
Schwach bleibt ebenso Maugeris sehr kurze Erläuterung, warum amerikanische Ölfirmen kein Interesse am Irak-Krieg gehabt hätten. Sein Argument ist,
dass die Konzessionen zur Förderung nach dem Krieg neu verteilt werden und
die Infrastruktur neu aufgebaut werden müsse. Dies sei nicht im Interesse der Ölwirtschaft.
Aber ist das wirklich wahr? Das Ende Saddam Husseins bedeutet immerhin auch das Ende jeglicher Embargos und schafft die Gelegenheit, die Ölindustrie
im Irak voll zu entwickeln (unter der Voraussetzung von Sicherheit und
politischer Stabilität). Maugeri provoziert mit dieser recht unausgegorenen Argumentation
mehr Fragen, als dass er Antworten zu geben weiß.
Auch seine Kritik am Ziel der Unabhängigkeit von Ölimporten, wie sie jüngst
von us-Präsident Bush artikuliert wurde, greift zu kurz. Es ist richtig, dass derartige
Bekenntnisse ohne konkrete Maßnahmen (insbesondere eine »Carbon
Tax«) wenig Sinn machen. Aber im Vergleich zu Nixon, der 32 Jahre zuvor ähnliche
Ziele verkündete, hat die Diskussion vor dem Hintergrund des Klimawandels
und des durch Ölgelder finanzierten islamischen Terrorismus eine neue Qualität
erreicht, die Maugeri nicht ausreichend reflektiert. Er erkennt zwar an, dass
der Ölverbrauch in den Industrienationen sinken wird, aber insgesamt ist seine
Perspektive zu stark durch die historische Beständigkeit der Ölversorgung geprägt,
als dass sie die politischen Implikationen dieser Entwicklung voll erfassen
möchte.
Es ist sehr zu begrüßen, dass Maugeri seine durch die Energiewirtschaft geprägte
Perspektive in so gebündelter und hervorragend zu lesender Form mitteilt.
Dieses Buch ergänzt die Debatte um »the world’s most controversial ressource«
in hervorragender Weise und ist sowohl als geschichtliche Darstellung als auch als
deutliche Artikulation eines kontroversen Standpunktes zu empfehlen, wenn
auch mit politischer Vorsicht zu genießen.
Thomas Mättig,
Monterey Institute of International Studies,
Monterey (Kalifornien)
|