CHRISTIANE WANDSCHER:
Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht


 
       
    Heft 3/2007  
     
  Berlin 2006
Duncker & Humblot, 340 S.
  
 

Nicht zuletzt durch die Anschläge vom 11. September erlebte die internationale Terrorismus-Diskussion eine Art Wiedergeburt. Allein die Anzahl der seitdem veröffentlichten Publikationen zum Thema ist ins Unüberschaubare angestiegen. Während das Wort »Terrorismus« im allgemeinen Sprachgebrauch inzwischen ähnlich inflationär verwendet wird wie der Begriff der »Revolution«, gibt es sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaft nach wie vor lebhafte Debatten darüber, was unter Terrorismus zu verstehen und wie er zu bekämpfen sei. Es sind insbesondere die Vertreter der Geisteswissenschaften, die sich der Thematik annehmen, und wenngleich sie teils unterschiedliche Herangehensweisen bevorzugen, ähneln sich deren Untersuchungsergebnisse im Grunde sehr.

Das Buch von Christiane Wandscher scheint auf den ersten Blick nur eines von vielen Büchern zu sein, die auf der Welle des allgemeinen Terrorismus-Interesses und der Sensibilisierung der Bevölkerung schwimmen. Es unterscheidet sich jedoch dadurch, dass es sich eines völkerrechtlichen Zugangs bedient mit dem Ziel, zu untersuchen, wie mit terroristischen Anschlägen »umgegangen werden muss, welche Antworten sich aus dem bestehenden System kollektiver Sicherheit ergeben und an welchen Stellen möglicherweise die Notwendigkeit zur Anpassung an die neuen Bedrohungsszenarien besteht« (S. 23). Fragen, die auch andere schon gestellt haben – die aber selten in einer solch detaillierten Untersuchung gegebener völkerrechtlicher Grundlagen zu beantworten versucht wurden.

Die Autorin ist ausgebildete Juristin und hat sich auf die Themenbereiche Terrorismus(-Bekämpfung) und Vereinte Nationen spezialisiert. »Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht« ist Wandschers Dissertationsschrift.
Als wissenschaftliche Arbeit ist das Buch streng methodisch aufgebaut. Der erste Teil befasst sich mit der definitorischen Annäherung an den Terrorismusbegriff, der zweite Teil behandelt die »Rechtfertigungsansätze für militärisches Vorgehen gegen internationalen Terrorismus«.

Allein die definitorische Annäherung an den Begriff »Terrorismus« nimmt über ein Drittel des gesamten Buches ein. Zunächst untersucht Wandscher, wie sich der Begriff des Terrorismus im Laufe der Zeit sowohl auf regionaler als auch auf internationaler Ebene entwickelt hat, geht dabei auf verschiedene UN-Abkommen ein – wie das im Zusammenhang bedeutsame Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus – und arbeitet daran anschließend die einzelnen Merkmale der behandelten Definitionen heraus. Zwar betont sie, dass allen Definitionen gemein ist, »dass der Tatbestand des Terrorismus zwei Elemente erfordert, nämlich ein subjektives und ein objektives« (S. 90). Gleichzeitig weist Wandscher aber darauf hin, dass es aufgrund der unterschiedlichen Staatenpraxis und -vorstellungen stets auch verschiedene Ausnahmeregelungen gibt. Ihre letztendliche Arbeitsdefinition, das Ergebnis der vorangegangenen Analyse, sieht eine Berücksichtigung des objektiven sowie des subjektiven Elements vor, d. h. »eine Tathandlung, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Person oder eine schwere Beschädigung öffentlichen oder privaten Eigentums herbeiführt« (S. 120) und als Tatintention die Einschüchterung der Bevölkerung bzw. Veranlassung einer Regierung oder Organisation zu einer bestimmten Handlung. Der Kreis der Täter ist nicht eingeschränkt, ausgenommen ist nur die Arbeit der Streitkräfte während eines militärischen Konflikts im Rahmen der völkerrechtlichen Grenzen.

Mit dieser Arbeitsdefinition schließt der erste Teil des Buches ab. Der darauf folgende Hauptteil gliedert sich in eine Untersuchung der Tatbestände bezüglich der Rechtfertigungsansätze für militärisches Vorgehen vor und nach dem 11. September 2001, was insofern sinnvoll ist, als die Vereinigten Staaten von Amerika nach den Anschlägen ihre eigene Form der Rechtfertigung des gewaltsamen Eingreifens in den Irak praktizierten. Wandscher betont, dass vor 9/11 die »Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes [bei terroristischen Anschlägen] nicht völlig eindeutig« (S. 178) und eine militärische Antwort nur in sehr begrenztem Rahmen möglich waren. Dazu musste der Anschlag einem Staat zugerechnet werden können; notwendig war – in Anlehnung an die Vorgaben des Internationalen Gerichtshofs – eine strenge Kontrolle.

Sehr detailliert und konsequent methodisch aufgebaut geht Wandscher im Folgenden auf die Staatenpraxis nach 9/11 ein. Sie kommt zu dem Schluss, dass sich trotz der neuen Bewertung der Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts die Staatenpraxis nicht wesentlich verändert hat. Nach wie vor gilt Art. 51 der UN-Charta und damit die Rechenschaftspflicht vor dem UN-Sicherheitsrat sowie die eingeschränkte Handlungsmöglichkeit angegriffener Staaten. Neu hinzugekommen sind lediglich das Verständnis der Gegenwärtigkeit und die Veränderung des Intensitätserfordernisses: »Die Gegenwärtigkeit eines bewaffneten Angriffs ist in Bezug auf terroristische Anschläge im Unterschied zur alten Rechtslage auch dann anzunehmen, wenn bereits begangene und noch bevorstehende Anschläge von der selben Quelle herrühren, sich gegen denselben Staat richten und die nochbevorstehenden Anschläge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind« (S. 283). Im Gegensatz zum vormals geltenden Standpunkt, dass »terroristische Anschläge geringerer Intensität nicht aus[reichen], um einen bewaffneten
Angriff zu begründen« (S. 179), heißt das auch, dass mehrere »kleine« Anschläge zusammengefasst genügen, um eine (militärische) Reaktion auszulösen. Präemptive sowie antizipatorische Selbstverteidigung aber seien nicht, bzw. nur
in sehr engen Grenzen, akzeptabel.

In ihren Schlussbetrachtungen besinnt sich Wandscher auf ihre eingangs gestellten Untersuchungsfragen und kommt zu dem Ergebnis, dass die Charta der UN ausreiche, um der terroristischen Bedrohung zumindest im militärischen Bereich hinreichend begegnen zu können. Reformmaßnahmen seien dennoch vonnöten, gelten zurzeit aber politisch als schwer umsetzbar. Wandscher begrüßt den Vorschlag des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan, »eine Sicherheitsratsresolution zu verabschieden, in der die Grenzen des Gewaltverbots und des Selbstverteidigungsrechtes hinsichtlich aller angesprochenen Streitpunkte festgelegt werden« (S. 319). Militärische Gewalt müsse jedoch stets als das letzte aller möglichen Mittel behandelt werden.

Das Buch ist für fachfremde Leser nur bedingt zu empfehlen. Das liegt nicht nur daran, dass die Ergebnisse trotz der akribischen Recherche unspektakulär sind und nichts wesentlich Neues zur Debatte um die terroristische Bedrohung und den Umgang mit ihr beitragen. Schon beim Aufschlagen des Buches an einer beliebigen Stelle fällt auf, dass es mit einer Unmenge an Fußnoten versehen ist – es kommt nicht selten vor, dass die Fußnoten mal die Hälfte, mal sogar mehr Platz auf der Seite einnehmen als der Fließtext. Man steht bei jedem Umblättern vor der Entscheidung, die Fußnoten zu ignorieren und damit zügig und fließend den Text zu lesen, dabei aber womöglich wichtige Informationen zu verpassen, oder jede Fußnote in die Lektüre einzubeziehen, damit aber den »Faden« zu verlieren. Rein sprachlich ist das Buch gut zu verstehen, der klare Aufbau ist lobenswert. Nichtsdestotrotz fragt man sich an mancher Stelle, warum man den Text eigentlich liest – die detaillierte Untersuchung bestehender völkerrechtlicher Grundlagen hat zur Folge, dass die Ausgangsfragen, d. h. der Anlass der Analyse, aus den Augen verloren gehen.

Wandschers Dissertationsschrift zeichnet sich durch akribische Fleißarbeit aus, allerdings erhofft man sich als Leser mehr von ihr als die gängigen Resultate und Beurteilungen. Uneingeschränkt zu empfehlen ist das Buch als Nachschlagewerk für die Entwicklung des Terrorismusbegriffs in der Völkerrechtssprechung und als intelligente Übersicht über die Diskussionen auf insbesondere internationaler Ebene über den rechtlichen Umgang mit der terroristischen Bedrohung. Wer sich über den internationalen Terrorismus mit praktischen Beispielen informieren will, dem seien an dieser Stelle diverse Publikationen von Kai Hirschmann, beispielsweise »Das Terrorismus-Lexikon«, empfohlen.


Sonja Rick,
Marburg

     
      
 
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