HARTMUT ELSENHANS:
Globalization Between A Convoy Model and An Underconsumptionist Threat


 
       
    Heft 2/2007  
     
  Münster 2006
Lit Verlag, 307 S.
  
 

Macht die globalisierte Ökonomie die Industrieländer arbeitslos und müssen wir den Gürtel enger schnallen, um Globalisierungsgewinner zu werden? Muss die Globalisierung gar gestoppt werden, weil sie soziale Errungenschaften bei uns zerstört und zu Armut im Süden führt? Oder muss die Weltwirtschaft zentral regiert werden, damit Globalisierungsgewinne gerechter verteilt werden?

Originell und jenseits des Mainstreams antwortet Hartmut Elsenhans in seinem Band auf diese Fragen: Keine der drei Fragen trifft den Kern des Problems – weist der Autor nach. Eine gute Form der Globalisierung hänge vielmehr davon ab, dass die internationale politische Ökonomie sich so organisiert, dass der Faktor Arbeit sowohl in den Ländern im Süden als auch im Norden einen gerechten Einkommenszuwachs in Folge von Produktivitätsgewinnen realisiert und so »eine unterkonsumtive Bedrohung« (underconsumptionist threat: S. 207ff.) der Weltökonomie verhindert wird. Nur wenn die realen Einkommen parallel zur Güterproduktion stiegen, könnten auch alle neuen Güter gekauft werden (S. 7–28).

Der Band vereint neun Aufsätze des Autors (acht in englischer und einen in französischer Sprache), die zwischen 1981 und 2002 in – schwer zugänglichen – wissenschaftlichen Zeitschriften in der Dritten Welt im weitesten Sinne zum Thema Globalisierung veröffentlicht wurden. Der Autor möchte sie hier in Form eines Sammelbandes noch einmal einem breiten Publikum im Norden vorstellen. Die Beiträge des vorliegenden Bands analysieren das Phänomen »Globalisierung« ausgehend von der Frage: Wie wirkt sich eine globale Ausbreitung des einen (kapitalistische Massenkonsumgesellschaft und Profit) oder des anderen Modells (»unterkonsumtionistische« Rentenökonomie und Rente) jeweils aus? »I would like to promote the argument that there is a difference between the globalization of profit and the globalization of rent« (S. 13).

Unter Entwicklungsforschern ist Elsenhans vor allem mit seiner Analyse von Staatsklassen (1981) in Entwicklungsländern bekannt geworden. Weniger bekannt ist das Spätwerk, das die Unterentwicklung durch die Existenz von »Rente« und »Marginalität« erklärt und den thematischen Rahmen des vorliegenden Werks abgibt. Die Verwendung des Begriffs »Rente« bei Elsenhans sorgt jedoch stets für Verwirrung: Hierunter versteht er nicht nur Einnahmen aus Rohstoffproduktion oder resultierende Differentialrenten – wie allgemein gebräuchlich – sondern vielmehr jede Form von politisch angeeignetem Mehrwert (= Surplus). Wenn Mehrwert über politische Mechanismen und nicht als Profit auf dem Markt verteilt wird, so wird er als »Rente« verstanden. Eine solche Rentenökonomie verteilt den Surplus nicht durch Marktmechanismen wie beispielsweise Massennachfrage; der gesamte erwirtschaftete Mehrwert wird vielmehr von einer kleinen gesellschaftlichen Gruppe angeeignet. Es kann sich kein kapitalistischer Markt entwickeln, weil die ausbleibende Massennachfrage zu einer »unterkonsumtiven«
(»underconsumptionist« S. 207ff.) Ökonomie führt (S. 76, S. 98ff., S. 108ff.), in der Arbeitnehmer keine Lohnsteigerungen erzwingen können. Aufgrund dieser »Blockade« (»blockage« S. 97) verdient ein Teil der Arbeitskräfte sogar weniger, als er eigentlich zu seiner Reproduktion benötigt. Ökonomisch heißt das, die Grenzproduktivität dieses Teils der Arbeitskräfte ist negativ und der Autor nennt sie »marginale Arbeitskräfte« bzw. deren Existenz bezeichnet er als »Marginalität « (S. 209, S. 97ff.).

Von den unterkonsumtiven Rentenökonomien unterscheidet Elsenhans die kapitalistischen Ökonomien der entwickelten Länder (S. 85ff.). Sie werden weder durch die Existenz von Rente noch Marginalität blockiert – vielmehr funktionieren sie als Massenkonsumgesellschaften. Hier realisieren die Unternehmen einen Profit und die Arbeitnehmerschaft (= Arbeit) realisiert wachsende Einkommen parallel zur Entwicklung der (durchschnittlichen) Produktivität – der Konsum hält Schritt mit der Produktion. Die Verteilung des Mehrwerts geschieht auf dem kapitalistischen Markt und wird durch den unterschiedlichen Erfolg von Investitionen entschieden. Die Grenzproduktivität von Arbeit ist nicht negativ und folglich gibt es – wiederum nach dem Verständnis Elsenhans’ – keine »Marginalität«.

Da die Entwicklung der Massenkonsumtionsgesellschaft von der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Verteilung des Mehrwerts abhängt, untersucht der Autor die Struktur der Zivilgesellschaften im Süden und kommt zu dem Schluss: Im Modell der unterkonsumtiven Rentenökonomie gibt es keine autonomen Zivilgesellschaften sondern nur klientelistische Netzwerke, welche die Rente verteilen (S. 28ff.). Soziale Reformen im Süden sind laut Elsenhans deshalb grundlegend für eine autonome Zivilgesellschaft in entwickelten kapitalistischen Ökonomien (S. 68ff.).

Weitere Analysen des Sammelbands bewerten die Gefahren von internationalen Betriebsverlagerungen für die Entwicklung des Massenkonsums im Norden (S. 68ff.), die Bedeutung des Wechselkurses für die Konkurrenz zwischen unterkonsumtiven und Massenkonsum-Gesellschaften (S. 84ff. S 103, S. 138ff.), die notwendige parallele Entwicklung von Produktivität und Einkommen und vor allem eine Steigerung der marginalen Produktivität von Arbeit (S. 126ff.), weil diese Marginalität Unterkonsumtion verursacht.

Das Problem der Globalisierung – und hier nimmt die Argumentation eine überraschende Wende – ist nicht die zu starke Ausweitung des Weltmarktes, sondern der begrenzte Impuls für die Massennachfrage, denn die globale Ausweitung des Massenkonsums gelingt offenbar bisher nicht. Die Transmissionsriemen kapitalistischer Entwicklung, wachsende Massennachfrage durch Beteiligung von Arbeit an erzielten Produktivitätsgewinnen, setzt sich nicht durch, weil die Globalisierung zu schwach ist! (S. 150ff.) »The current process of reglobalization […] is too weak to overcome marginality in the underdeveloped world« (S. 169). Die Globalisierung müsse ausgeweitet und vertieft werden, um die Probleme zu meistern, und nicht eingeschränkt und begrenzt, wie es Globalisierungsgegner nahe legen (S. 165ff.). Ausreichend sind laut Elsenhans dezentrale Maßnahmen zur Beseitigung von Marginalität in den Entwicklungsländern, zur globalen Ausweitung des Massenkonsums und zur Überwindung der unterkonsumtiven Bedrohung (S. 169).

Das Schlusskapitel des Buches zeigt, dass die Massenkonsum-Ökonomie nur wachsen kann, wenn sich die Weltwirtschaft entlang eines »Konvoi-Modells« entwickelt, bei dem die Kopplung der aufholenden Ökonomien an die entwickelten Ökonomien in den aufholenden Ländern zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit, zu steigenden Löhnen und so zu steigender Massennachfrage führt. Dieser Konvoi beseitigt laut Elsenhans nach und nach »Rente« und »Marginalität« und führt zur Globalisierung von »Profit« statt »Rente« (S. 207ff., S. 181ff. S. 151ff.).

»Pflichtlektüre!« könnte man die originelle Argumentation Elsenhans’ nennen, bietet sie doch einen ganz eigenen Blickwinkel auf die Globalisierung. Jedoch leidet die Lektüre unter den häufigen Wiederholungen des Arguments, »Rente« und »Marginalität« müssten zugunsten der Globalisierung von »Profit« beseitigt werden. Auch der eigenwillige Fachjargon des Autors und der hohe Abstraktionsgrad der Darstellung erschweren das Lesen – im Vergleich zu den zur Zeit modernen ökonometrischen Analysen zum Thema bleibt das Werk dennoch vergleichsweise gut lesbar. Wer zu einzelnen Aspekten der Globalisierungs-Problematik eine originelle, anregende Analyse sucht, dem sei diese nachfrageorientierte Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Entwicklung und Globalisierung dennoch sehr empfohlen.

Arne Schildberg,
Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn

 

     
      
 
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