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Diese Sondernummer der Vierteljahreszeitschrift »Konjunkturpolitik«, die vom
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung herausgegeben wird, ist der
Frage gewidmet, ob Deutschland in der Standortkonkurrenz bestehen kann. Das
Thema stand im Mittelpunkt der 68. Jahrestagung der deutschen Wirtschaftsforschungs-institute,
die am 14. April 2005 in Berlin unter reger Beteiligung der
Creme der deutschen Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik stattfand. Das
hier besprochene Bändchen ist die Dokumentation dieser Tagung und umfasst
sechs Hauptbeiträge und deren Kommentare (je einer pro Beitrag). Alle sechs
Beiträge widmen sich wichtigen Teilfragen der Gesamtfragestellung, wie der
Standortwahl multinationaler Firmen (Lionel Fontagné und Thierry Meyer), einer
Agenda für nachhaltiges Wachstum in Deutschland (Hans-Peter Klös und Rolf
Kroker), den Wohlfahrtseffekten von Kapitalmobilität und verschiedenen Aspekten
von Auslandsinvestitionen wie ihre Abhängigkeit von Umweltauflagen (Peter
Egger u.a.) oder ihre Auswirkungen auf die einheimische Beschäftigung (Henning
Klodt) und auf die deutsche Wettbewerbsposition (Christine Borrmann u.a.).
Wer allerdings eine Antwort auf die in der Reformdebatte beliebte Frage nach
den Chancen und Risiken des Standorts Deutschland erhofft, wird bei der Lektüre
des Bändchens enttäuscht. Schmerzhaft wird ein(e) solche(r) Leser(in) eine
Einführung der Herausgeber sowie eine Bilanz der in den Beiträgen angelegten
Teilantworten vermissen. Dass diese Bilanz fehlt, dürfte kein Zufall sein, denn die
Teilantworten fügen sich nicht zu einem Gesamtbild, was auch daran liegen
könnte, dass die Ausgangsfrage unsinnig ist, zumindest von Ökonomen wie Paul
Krugman so eingestuft würde. Ein anderer Grund liegt darin, dass die beteiligten
Wirtschaftswissenschaftler mit sehr unterschiedlichen Methoden zu unterschiedlichen
Befunden kommen.
Die Beiträge von Fontagné, Egger, Klodt und Borrmann (um nur die alphabetisch
führenden Co-Autoren zu nennen) sind sorgfältige empirische Studien
zum grenzüberschreitenden Investitionsverhalten privater Unternehmen. Wer die Globalisierungsdebatte der letzten Jahre verfolgt hat, den wird das Ergebnis
dieser Beiträge nicht überraschen. Alle Effekte der globalen Verteilung von Investitionen
sind eher schwach und können kaum die Probleme der deutschen
Wirtschaft erklären. Zu viele Motive spielen eine Rolle und verhindern, dass die
gern gebetsmühlenhaft vorgetragenen Standortrügen zu hoher Löhne, Steuern
und Auflagen eine empirisch relevante Bedeutung entwickeln, auch wenn sie im
heimischen Verteilungskonflikt eine wichtige Funktion erfüllen. Alle Autoren
stützen sich dabei auf – meist international vergleichende – Statistiken, die zum
Teil mit aufwändigen ökonometrischen Verfahren untersucht werden.
Davon unterscheiden sich allerdings die beiden anderen Beiträge. Der Aufsatz
zur deutschen Reformagenda folgt dem Hauptstrom des konservativ-liberalen
Diskurses, der seit Jahrzehnten vom Sachverständigenrat (SVR) vorgegeben wird,
dessen Ansatz die beiden Autoren anwenden. Sie haben sechs Wachstumstriebkräfte
(»growth drivers«) identifiziert, deren Stärkung sie von der Wirtschaftspolitik
erwarten. Neben offensichtlichen Ursachen von Wachstum wie Investitionen,
Bevölkerungswachstum, Humankapitalentwicklung und Beschäftigung,
kurz: verbessertem Einsatz von Produktionsfaktoren, tauchen darunter als Wachstumsbremsen
auch die Steuerbelastung und das Haushaltsdefizit auf. Letzteres
fällt schon in der auf Seite 38 zitierten SVR – Analyse als nahezu wirkungslos auf.
Erstere ist in dem von den Autoren als Vorbild und Vergleichsmaßstab mehrfach
genutzten Schweden viel höher als in Deutschland. Da geht offensichtlich das
ordnungspolitische Vorurteil allein auf Reisen, damit die Politikempfehlungen
das vorher gewünschte Profil haben.
Ähnliches gilt – wenn auch mit ganz anderen Methoden – für den Beitrag von
Seidel zu den Folgen von Kapitalmobilität, der verheerende Konsequenzen für
ein Hochlohnland ableitet, das nicht bereit ist, seine Löhne zu senken. Der
scheinbare mathematische Beweis für die Lieblingsthese der Basarökonomen hat
in deren Kreisen auch schon viel Anklang gefunden (siehe die Ausgabe 1/2006 des
ifo-Schnelldienstes zum »pathologischen Exportboom«). Dieser Beweis gelingt
Seidel durch die Wahl eines geeigneten theoretisch-mathematischen Modells, das
auf zwei Ländern, zwei Faktoren (Arbeit und Kapital) und einem Gut beruht.
Neben den üblichen heroischen Voraussetzungen wie vollständige Konkurrenz
erlaubt das Modell die Herleitung der gewünschten Ergebnisse, weil sie in den
Prämissen angelegt sind: In einem Ein-Gut-Modell kann es keine Spezialisierung
geben, womit der wohlfahrtssteigernde Effekt des Freihandels der klassischen
Außenwirtschaftstheorie (Ricardo) ausbleibt. Im minimalistischen Zweifaktorenmodell
hängt die Produktivität der Arbeit (und damit der Lohn) nur von
der gleichzeitig eingesetzten Kapitalmenge ab, womit die Lohnsenkung bei Kapitalexport
unvermeidlich wird. Der große Wachstumstheoretiker Robert Lucas
hat schon 1990 in seinem wegweisenden Artikel »Why Doesn’t Capital Flow from
Rich to Poor Countries?« in der »American Economic Review« nachgewiesen,
warum diese Annahme unsinnig ist und wie sie durch die Einbeziehung von Technologie und Humankapital zu korrigieren ist. In Seidels Modell muss es dagegen
zum Nullsummenspiel zwischen den Arbeitskräften kommen. Leider weist
der Kommentator weder auf diese Probleme noch auf den Seidel anscheinend
unbekannten Lucas hin, sondern beschränkt sich weitgehend auf eine zusammenfassende
Wiederholung der Thesen des Beitrags.
Auf den Abdruck der meisten Kommentare hätte man ohnehin verzichten
können, da sie weder kritisch noch viel weiterführend sind. Man könnte dazu
neigen, dieses Urteil auf den ganzen Band im Hinblick auf seine Beantwortung
der Titelfrage auszudehnen, wenn nicht die ertragreichen Einzelanalysen zu ausländischen
Direktinvestitionen wären.
Michael Dauderstädt
Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn
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