RAINER WINKELMANN/KLAUS F. ZIMMERMANN (eds.):
Can Germany Stand Up to International Locational Competition?


 
       
    Heft 1/2007  
     
  Berlin 2005
Duncker & Humblot, 161 S.
  
 

Diese Sondernummer der Vierteljahreszeitschrift »Konjunkturpolitik«, die vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung herausgegeben wird, ist der Frage gewidmet, ob Deutschland in der Standortkonkurrenz bestehen kann. Das Thema stand im Mittelpunkt der 68. Jahrestagung der deutschen Wirtschaftsforschungs-institute, die am 14. April 2005 in Berlin unter reger Beteiligung der Creme der deutschen Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik stattfand. Das hier besprochene Bändchen ist die Dokumentation dieser Tagung und umfasst sechs Hauptbeiträge und deren Kommentare (je einer pro Beitrag). Alle sechs Beiträge widmen sich wichtigen Teilfragen der Gesamtfragestellung, wie der Standortwahl multinationaler Firmen (Lionel Fontagné und Thierry Meyer), einer Agenda für nachhaltiges Wachstum in Deutschland (Hans-Peter Klös und Rolf Kroker), den Wohlfahrtseffekten von Kapitalmobilität und verschiedenen Aspekten von Auslandsinvestitionen wie ihre Abhängigkeit von Umweltauflagen (Peter Egger u.a.) oder ihre Auswirkungen auf die einheimische Beschäftigung (Henning Klodt) und auf die deutsche Wettbewerbsposition (Christine Borrmann u.a.).

Wer allerdings eine Antwort auf die in der Reformdebatte beliebte Frage nach den Chancen und Risiken des Standorts Deutschland erhofft, wird bei der Lektüre des Bändchens enttäuscht. Schmerzhaft wird ein(e) solche(r) Leser(in) eine Einführung der Herausgeber sowie eine Bilanz der in den Beiträgen angelegten Teilantworten vermissen. Dass diese Bilanz fehlt, dürfte kein Zufall sein, denn die Teilantworten fügen sich nicht zu einem Gesamtbild, was auch daran liegen könnte, dass die Ausgangsfrage unsinnig ist, zumindest von Ökonomen wie Paul Krugman so eingestuft würde. Ein anderer Grund liegt darin, dass die beteiligten Wirtschaftswissenschaftler mit sehr unterschiedlichen Methoden zu unterschiedlichen Befunden kommen.

Die Beiträge von Fontagné, Egger, Klodt und Borrmann (um nur die alphabetisch führenden Co-Autoren zu nennen) sind sorgfältige empirische Studien zum grenzüberschreitenden Investitionsverhalten privater Unternehmen. Wer die Globalisierungsdebatte der letzten Jahre verfolgt hat, den wird das Ergebnis dieser Beiträge nicht überraschen. Alle Effekte der globalen Verteilung von Investitionen sind eher schwach und können kaum die Probleme der deutschen Wirtschaft erklären. Zu viele Motive spielen eine Rolle und verhindern, dass die gern gebetsmühlenhaft vorgetragenen Standortrügen zu hoher Löhne, Steuern und Auflagen eine empirisch relevante Bedeutung entwickeln, auch wenn sie im heimischen Verteilungskonflikt eine wichtige Funktion erfüllen. Alle Autoren stützen sich dabei auf – meist international vergleichende – Statistiken, die zum Teil mit aufwändigen ökonometrischen Verfahren untersucht werden.

Davon unterscheiden sich allerdings die beiden anderen Beiträge. Der Aufsatz zur deutschen Reformagenda folgt dem Hauptstrom des konservativ-liberalen Diskurses, der seit Jahrzehnten vom Sachverständigenrat (SVR) vorgegeben wird, dessen Ansatz die beiden Autoren anwenden. Sie haben sechs Wachstumstriebkräfte (»growth drivers«) identifiziert, deren Stärkung sie von der Wirtschaftspolitik erwarten. Neben offensichtlichen Ursachen von Wachstum wie Investitionen, Bevölkerungswachstum, Humankapitalentwicklung und Beschäftigung, kurz: verbessertem Einsatz von Produktionsfaktoren, tauchen darunter als Wachstumsbremsen auch die Steuerbelastung und das Haushaltsdefizit auf. Letzteres fällt schon in der auf Seite 38 zitierten SVR – Analyse als nahezu wirkungslos auf. Erstere ist in dem von den Autoren als Vorbild und Vergleichsmaßstab mehrfach
genutzten Schweden viel höher als in Deutschland. Da geht offensichtlich das ordnungspolitische Vorurteil allein auf Reisen, damit die Politikempfehlungen das vorher gewünschte Profil haben.

Ähnliches gilt – wenn auch mit ganz anderen Methoden – für den Beitrag von Seidel zu den Folgen von Kapitalmobilität, der verheerende Konsequenzen für ein Hochlohnland ableitet, das nicht bereit ist, seine Löhne zu senken. Der scheinbare mathematische Beweis für die Lieblingsthese der Basarökonomen hat in deren Kreisen auch schon viel Anklang gefunden (siehe die Ausgabe 1/2006 des ifo-Schnelldienstes zum »pathologischen Exportboom«). Dieser Beweis gelingt Seidel durch die Wahl eines geeigneten theoretisch-mathematischen Modells, das auf zwei Ländern, zwei Faktoren (Arbeit und Kapital) und einem Gut beruht. Neben den üblichen heroischen Voraussetzungen wie vollständige Konkurrenz erlaubt das Modell die Herleitung der gewünschten Ergebnisse, weil sie in den Prämissen angelegt sind: In einem Ein-Gut-Modell kann es keine Spezialisierung geben, womit der wohlfahrtssteigernde Effekt des Freihandels der klassischen Außenwirtschaftstheorie (Ricardo) ausbleibt. Im minimalistischen Zweifaktorenmodell hängt die Produktivität der Arbeit (und damit der Lohn) nur von der gleichzeitig eingesetzten Kapitalmenge ab, womit die Lohnsenkung bei Kapitalexport unvermeidlich wird. Der große Wachstumstheoretiker Robert Lucas hat schon 1990 in seinem wegweisenden Artikel »Why Doesn’t Capital Flow from Rich to Poor Countries?« in der »American Economic Review« nachgewiesen, warum diese Annahme unsinnig ist und wie sie durch die Einbeziehung von Technologie und Humankapital zu korrigieren ist. In Seidels Modell muss es dagegen zum Nullsummenspiel zwischen den Arbeitskräften kommen. Leider weist der Kommentator weder auf diese Probleme noch auf den Seidel anscheinend unbekannten Lucas hin, sondern beschränkt sich weitgehend auf eine zusammenfassende Wiederholung der Thesen des Beitrags.

Auf den Abdruck der meisten Kommentare hätte man ohnehin verzichten können, da sie weder kritisch noch viel weiterführend sind. Man könnte dazu neigen, dieses Urteil auf den ganzen Band im Hinblick auf seine Beantwortung der Titelfrage auszudehnen, wenn nicht die ertragreichen Einzelanalysen zu ausländischen Direktinvestitionen wären.


Michael Dauderstädt
Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn

     
      
 
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