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Aus historischen Anlass versprach Bundeskanzler Kohl auf der Berliner Klimakonferenz
im Mai 1995 eine Minderung der Emissionen von Treibhausgasen
(thg) von Deutschland aus relativ zum Stand im Jahre 1990 um 130 Megatonnen
pro Jahr (Mt/a) bis zum Jahre 2010. Dieses Ziel wird auch erreicht werden. Zudem
besteht für die Zeit jenseits von 2010 ein Angebot der alten (rot-grünen)
Bundesregierung, welches die neue Bundesregierung, im Wesentlichen zumindest,
bestätigt hat: Deutschland sei bereit sich zu verpflichten, seine Emissionen
von Treibhausgasen bis zum Jahre 2020 (relativ zu 1990) um 40 Prozent oder
500 Mt/a (im Zieljahr) zurückzuführen. Das heißt, in nur einem Jahrzehnt, von
2010 bis 2020, sollen die Emissionen nun um 240 Mt/a zurückgeführt werden –
das ist beinahe doppelt soviel wie in den beiden Jahrzehnten zuvor. Hinzu kommt
noch die Notwendigkeit, den unter Rot-Grün beschlossenen und im Koalitionsvertrag
nicht widerrufenen Ausstieg aus der Kernenergie in diesem Jahrzehnt zu
kompensieren – das bringt zusätzlich einen Minderungsbedarf in Höhe von
110 Mt/a pro Jahrzehnt.
Das Thema in dieser Weise, unter Nutzung der gewöhnungsbedürftigen aber
einleuchtenden ›Metrik‹ »Emissionsminderung pro Jahrzehnt, gemessen in Mt
[CO2]/a im Zieljahr des Jahrzehnts« zugespitzt zu haben, ist Leistung der Untersuchung
der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Deren Autorenteam
weist damit auf die völlig andere Größenordnung des Ziels der Regierung Merkel
für das kommende Jahrzehnt hin, verglichen mit dem Ziel, welches die Regierung
Kohl uns bis zum Jahre 2010 gesetzt hatte.
130 Megatonnen pro Jahr Minderung im Durchschnittsjahrzehnt 1990 – 2010
wird mittels nicht unerheblicher Anstrengungen seitens der Politik erreicht – dies
nehmen die Autoren als einen fortsetzbaren »Trend«. Soll in Zukunft, zwischen
2010 und 2020, ein Volumen von 240 Mt/a pro Jahrzehnt »gepackt« werden, so
sind das 110 Mt/a über den so definierten und folglich doch eher fragilen »Trend«
hinaus. Zusammen also (130 + 110 + 110 =) 350 Mt/a im Zieljahrzehnt 2010–2020, gegenüber 130 Mt/a im Durchschnittsjahrzehnt 1990–2010 ist das eine
knappe Verdreifachung.
Die Frage steht im Raum: Wie ist dies zu schaffen? Geht das ohne Ausstieg aus
dem Kernenergieausstieg? Wo soll die »Deckung« für dieses zugesagte Minderungsvolumen
herkommen? Geschähe nichts über den (bereits anspruchsvollen,
weil politisch als »vorangetrieben« unterstellten) Trend (inkl. Kernenergieausstieg)
hinaus, so würde Deutschland im Jahre 2020 bei minus 280 Mt/a relativ
zum Stand 1990 landen. Die Differenz zum Ziel beträgt 220 Mt/a.
Die Antwort, die die dgp-Studie selbst auf diese Frage gibt, ist unvollständig.
Sie lautet: Die Suche nach einem Deckungspotenzial über den bisherigen Trend
der »trendverändernden« Politik hinaus hat, zumindest offensichtlich, nur ein Potenzial
in Höhe von knapp 60 Mt/a (Tab. 5, S. 91) ergeben. Dieses besteht aus zusätzlicher
Verwendung erneuerbarer Energien sowie einer Verdoppelung des
Gasanteils im Kraftwerkspark. Darüber hinaus sehen die dpg-Autoren zum Gegensteuern
(kurzfristig) nur noch ein Potenzial durch einen Aufschub des Ausstiegs
aus der Kernenergie – das brächte zusätzlich gut 110 Mt/a. Die DPG-Autoren
plädieren zudem für ein Programm der Installation von solarthermischen Kraftwerken
im Mittelmeerraum, insbesondere an dessen Südseite. Das aber halten sie
selbst schon für einen nicht mehr rechtzeitig zu erbringenden Beitrag zur Lösung
des restlichen Problems. Insgesamt entsteht für den Leser der Eindruck, dass die
klimapolitische Zusage der Bundesregierung für das Jahr 2020 nicht implementierbar
und eigentlich unseriös ist.
Dieser Eindruck wird korrigiert, wenn man das Ergebnis des Energiereports
IV (ERP IV) unter der hier gewählten klima-kernenergiepolitischen Perspektive
studiert. Die Untersuchung wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft
(BMWI) unter Federführung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der
Universität zu Köln (EWI) zusammen mit der Basler Prognos AG erarbeitet. Der
Energiereport IV ist die jüngste Fassung der traditionsreichen Energie-Prognose
für Deutschland, welche das bmwi regelmäßig vorlegt. Er enthält dieses Mal eine
methodische Neuerung: es wird nämlich eine »Referenzprognose« abgegeben.
»Referenzfall« bedeutet hier aber nicht »Selbstlauf«, vielmehr werden dabei
»grundlegende energiepolitische Weichenstellungen, die (…) wahrscheinlich
sind, (…) berücksichtigt.« (S. IX) – das hat zwar einen Anklang an das Verständnis
von »Trend« in der DPG-Untersuchung, als ja auch dort die »Politik« als diejenige
Kraft definiert ist, die für die »Fortsetzung« des bisherigen Minderungstrends
sorgt, geht aber offenbar deutlich darüber hinaus.
Die Ergebnisse beider Studien differieren nur wenig. Die von der DPG-Gruppe
erhobene Anfrage, wie denn das Angebot einer Minderung von 40 Prozent bis
2020, verbunden mit dem Ziel des Kernenergieausstiegs, seriös vorstellbar sei, erhält
dadurch noch an Gewicht, dass der Energiereport IV eine umfangreiche und
solide von unten nach oben »durchbuchstabierte« Untersuchung ist.
Die Antwort hat das Umweltministerium (BMU) zu geben – der im Auftrag
des BMWI erarbeitete ERP IV ist gleichsam ein Fehdehandschuh, der in den politischen
Ring geworfen wurde. Zugespitzt wurde die Herausforderung noch
durch ein »update«, welches Ende August 2006 publiziert wurde. Anlass dafür ist
die Tatsache, dass in der im Jahre 2005 publizierten Vollfassung von Ölpreisen
ausgegangen wurde, die bis zum Jahre 2030 allmählich auf 30 US-Dollar (2000)/
Barrel ansteigen. Nun ist der Ölpreis aber zwischenzeitlich auf knapp 50 US-Dollar
(2000)/Barrel angestiegen. Der Sinn des update ist zu ergründen, was sich in der
deutschen Energiewirtschaft ändert, wenn dass Ölpreisniveau weiter so steigt, dass in 2030 ein Niveau von 60 US-Dollar (2000)/Barrel erreicht und damit das
bisherige Rekordniveau vom Anfang der achtziger Jahre erreicht und leicht überschritten
wird. Der Steinkohleweltmarktpreis dagegen wird konstant gehalten.
Die Konsequenz in der Elektrizitätswirtschaft ist dramatisch: Dort wird es nach
Einschätzung der Autoren zu einer massiven Rückführung von Erdgaskraftwerken
und einer Substitution durch Steinkohlekraftwerke kommen, was für die Klimabilanz
deswegen schwerwiegend ist, weil die Emission pro Kilowattstunde
(kWh) in solchen substituierenden Kohlekraftwerken um den Faktor 2,5 höher ist
als in den bislang projektierten Gaskraftwerken, die den Großteil des Zubaus, wie
er auf dem Energiegipfel am 3. April 2006 der Bundeskanzlerin versprochen
wurde, ausmachen.
Wie auch immer das BMU antworten wird, gilt erstens jedenfalls: Seit »Kyoto«
sind die Nationalstaaten, des un-spezifischen Territorialstaatenprinzips ungeachtet,
nicht verpflichtet, die Emissionen von ihrem Staatsgebiet aus zu mindern: Sie
haben die Möglichkeit, überschießende Emissionen von ihrem Territorium aus
durch anderswo vermiedene Emissionen auszugleichen und dadurch »ihre«
Emissionsgrenzen einzuhalten. Soll heißen: Das »40-Prozent-Ziel« der Bundesregierung
ist partiell durch Zukauf erfüllbar.
Und zweitens gilt: Nicht die Unausweichlichkeit des Aufschubs für den Ausstieg
aus der Kernenergie, falls Deutschland ein »Minus-40-Prozent-Ziel« bis zum
Jahre 2020 erreichen können will, ist mit den beiden Untersuchungen erwiesen.
Vielmehr zeigen sie übereinstimmend: Die Uhr tickt, und mit jedem Monat Verzögerung
in der Implementation heute noch bestehender alternativer Deckungsoptionen
wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Aufhebung des Ausstiegs aus
der Kernenergie zur »last ressort-Option« wird. Es bedarf einer außergewöhnlichen
politischen Anstrengung über den »Trend« (im jeweiligen Verständnis) hinaus,
um nicht die »last-ressort-Option« unausweichlich werden zu lassen. Heute
jedoch gilt: »Es gibt Alternativen« – um eine beliebte Politiker-Ausflucht zu dementieren.
Oder anders gewendet: Das Problem ist die Kurzfristigkeit der Zielsetzung
seitens der Politik, die wirtschaftsunverträglich ist. Dass der Europäische
Rat sich beispielsweise im März 2005 nur auf eine Vorgabe bis 2030, nicht aber
auf eine von den EU-Umweltministern bereits »vorgespurte« Vorgabe bis 2050 zu
einigen vermochte, illustriert das Problem.
Ein Motiv für diese Diagnose hängt mit der Tatsache zusammen, dass die Sachen,
welche die hier anzuzeigenden Bücher getrennt zum Thema machen, eigentlich
verflochten, dass sie in Wahrheit Teile eines größeren Zusammenhangs
sind. Vereinzelt man die anstehenden Probleme in fachlicher Perspektive, so erscheinen
sie größer als sie in Wahrheit, zusammengenommen, sind.
Bei der Untersuchung der Knappheit der Energieträger, insbesondere der von
klassischem Rohöl, seitens der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
(BGR) handelt es sich ebenfalls um ein »update«, um eine Aktualisierung der
Kurzfassung ihrer umfassenden Bestandsaufnahme per Ende 2002. Die BGR versucht, für etwas historisch Neuartiges Aufmerksamkeit zu schaffen, sie weist auf
»Trendveränderndes« hin.
Die Perspektive ist global. Es geht um den Welt-Ölverbrauch bzw. dessen
Komplement, die Welt-Erdölförderung. Für die war »im Jahr 2004 ein deutlicher
Anstieg auf 3 847 Megatonnen zu verzeichnen. Damit wurde das bisherige absolute
Fördermaximum von 3 563 Megatonnen aus dem Jahr 2000 deutlich überschritten.
«
Zugleich macht die BGR klar, dass die »Bäume« (der Bereitstellung konventionellen
Rohöls) nicht »in den Himmel wachsen« werden, weil sie es nicht können:
»Der ›depletion midpoint‹ für konventionelles Erdöl … dürfte innerhalb der
nächsten 10 bis 20 Jahre erreicht werden. So ist ein sukzessiver Rückgang der Förderung
spätestens ab diesem Zeitpunkt vorprogrammiert.« (15) Das heißt, wir haben
uns nicht lediglich auf eine Stagnation des Ölangebots, sondern auf dessen
Sinken einzurichten, und das sehr bald – so die offiziöse Botschaft. Ihr fehlt es bislang
an öffentlicher Durchschlagskraft. Der historischen Neuartigkeit wegen ist
sie nur schwer vorstellbar.
Wenn heute vorab wahrgenommen würde, dass spätestens in zwanzig Jahren
das (Roh-)Ölangebot und folglich das an Treibstoffen (aus fossilen Kohlenwasserstoffquellen)
jene negativen »Wachstums«-Raten aufweisen werden, die aus
isoliert klimapolitischer Sicht zugleich so wünschenswert wie schwer nur erreichbar
erscheinen, dann wäre der Klimapolitik damit gleichsam ein »Bundesgenosse«
zugewachsen. Dann erschiene der »Widerstand«, gegen den die Klimapolitik wie
ein David anzukämpfen hat, nicht länger als übermächtig. Darin zeigt sich anschaulich,
was als abstrakte Weisheit immer wieder formuliert wird: Nachhaltigkeitspolitik
habe »integriert« zu sein. Soll sagen: Klimapolitik (z.B.) ist als Fachpolitik
zum Scheitern verurteilt, sie hat nur »synergistisch« Aussicht auf Erfolg –
nur wenn sie Teil einer Politik ist, die mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt,
erwächst dem vermeintlichen »Zwerg«, dessen Aufgabe der Schutz der Lebensgrundlagen
ist, eine »Schleuder«‹, mit der Goliath zu besiegen ist. Genauer gesagt:
Dann wird aus der gegnerischen Konstellation »›David gegen Goliath« eine
Konstellation der Kooperation.
Hans-Jochen Luhmann
Wuppertal-Institut
* Die angezeigten Bücher mit im Schwerpunkt energiewirtschaftlichen Fragestellungen
werden hier im Hinblick auf einen klimapolitischen Fokus besprochen.
[1]
http://www.dpg-physik.de/info/broschueren/klimastudie_2005.pdf.
[2]
http://www.bmwi.bund.de/bmwi/Redaktion/pdf/Publikationen/
Dokumentationen/ewi-prognos_E2_80_93studie-entwicklung-der-energie
maerkte-545,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf.
[3]
http://www.bmwi.de/bmwi/Redaktion/pdf/Publikationen/Studien/
auswirkungen-hoeherer-oelpreise-auf-energieangebot,property=pdf,bereich=
bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf.
[4]
http://www.bgr.bund.de/cln_030/nn_454936/de/Themen/Energie/Downloads/
Energiestudie__Kurzf__2004,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/
Energiestudie_Kurzf_2004.pdf.
[5]
Die Berliner Klimakonferenz (cop-1) war die erste Vertragsstaatenkonferenz im
Anschluss an den Weltgipfel für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro,
auf dem die meisten Staaten die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen
(unfccc) ratifiziert hatten.
[6]
Mt/a = Megatonnen pro Jahr (Mega = Million).
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