| |
Angesichts der weltweit immer tiefer werdenden Kluft zwischen Arm und
Reich hat die internationale Staatengemeinschaft unlängst beim UNO-Weltgipfel
in New York erneut ihren festen Willen zur Bekämpfung von Hunger, Ungerechtigkeiten und Armut bekundet. Ziel ist es, die Zahl der Menschen zu halbieren,
die im Jahr 2015 noch von einem us-Dollar am Tag leben müssen. Indessen
werfen immer mehr Ökonomen die Frage nach der Wirksamkeit herkömmlicher
Entwicklungshilfemaßnahmen auf. Eine Entwicklungshilfe, die die unterentwickelten
Länder lediglich mit Geld überschwemmt, hilft zwar, das Gewissen der
Geberländer zu beruhigen und fördert die Entwicklungshilfe-Industrie, den Armen
jedoch hilft sie nicht. Vielmehr kommt es darauf an, Eigentumsrechte zu sichern,
Investitionen zu fördern und wirtschaftspolitische Maßnahmen einzuleiten.
Dies sind die Thesen des amerikanischen Entwicklungsökonomen Jeffrey D.
Sachs, der in seinem Buch »Das Ende der Armut«, das jetzt in deutscher Übersetzung
vorliegt, ein ökonomisches Programm für eine gerechtere Welt präsentiert.
Sachs zählt zu den schillerndsten und profiliertesten Persönlichkeiten auf der
Bühne der Weltökonomie. Der Leiter des Earth-Institute der Columbia University
in New York ist nicht nur ein renommierter Wissenschaftler, sondern auch ein
überaus erfolgreicher Praktiker. 1986 stoppte Sachs die Hyperinflation in Bolivien
und bewahrte das Land vor einer Staatskrise. 1989 beriet er die Regierung Polens
während der Übergangsphase zur Marktwirtschaft. Seit über 20 Jahren ist Sachs
Weltreisender in Sachen Armutsbekämpfung; er hat über einhundert Länder, in
Asien, Lateinamerika und Afrika besucht. Der schwarze Kontinent ist für Sachs
zum Lebensthema geworden: In Afrika ist es laut Sachs nicht so schlimm, wie es
scheint, sondern noch viel schlimmer. Nicht nur, dass die meisten afrikanischen
Staaten tief in einer Abwärtsspirale aus Verarmung und Hunger gefangen sind,
hinzu kommt noch das unnötige und massenhafte Sterben an Malaria und Aids.
Die Armut führt in eine Falle, die jede wirtschaftliche Entwicklung hemmt.
Nach Ansicht des Autors steht Afrika exemplarisch dafür, dass eine Verbesserung
der Lebensumstände nicht primär von Hilfsgeldern abhängt. Zwar erhielten die
afrikanischen Länder südlich der Sahara während der letzten 40 Jahre etwa
570 Milliarden Dollar Entwicklungshilfegelder, die Armut jedoch hat sich nicht
verringert. Vielmehr konstatiert Sachs, dass es den Afrikanern heute schlechter als
vor einem Vierteljahrhundert geht, festzumachen unter anderem daran, dass die
durchschnittliche Lebenserwartung bei 46 Jahren liegt. Wie aber können die armen
Länder den Aufstieg aus der Armut schaffen? Sachs schlägt vor, zunächst »so
viel Geld in die armen Länder zu stecken, dass diese schnell reich werden«; realiter
heißt das nichts anderes als eine nachholende Modernisierung der Dritte-Welt-
Länder. Die ökologischen Folgen einer rapiden Angleichung an westliche Standards
bezieht der Autor dagegen nicht in sein entwicklungspolitisches Modell ein.
Vor allem aber müssten die armen Länder in einem zweiten Schritt in die Lage
versetzt werden, den Weg zu anhaltendem Wirtschaftswachstum selbst zu gehen.
Als weitere und hierzu begleitende Maßnahmen empfiehlt Sachs eine Reform der
Wirtschaftspolitik, die Umwandlung von Geldkapital in Sachkapital, sowie auf
das jeweilige Land zugeschnittene Investitions- und Finanzpläne. Zudem erstellt
Sachs eine umfangreiche Checkliste für eine »Differentialdiagnose der nötigen politischen Maßnahmen«. Untersucht werden Bevölkerungsdichte, Regierungsführung,
Staatsversagen, Geopolitik und kulturelle Schranken. Gleichwohl hat
auch Sachs kein Rezept parat, wie gegen korrupte Regierungen vorzugehen ist,
die Gelder veruntreuen.
Vehement wehrt sich Sachs gegen die Stimmen vieler reicher Länder, die fragen:
»Warum sollen wir die Armen retten? Die Armut ist nicht unser Problem«.
Hart ins Gericht geht der Autor mit den USA. Die meisten Amerikaner glauben,
Wirtschaftshilfe habe mit nationaler Sicherheit nicht viel zu tun. Deshalb setzen
sie ihr ganzes Vertrauen ins Militär. Im Jahr 2004 haben die usa 30 Mal mehr für
Verteidigung als für Auslandshilfe ausgegeben und führen seit dem 11. September
2001 Krieg gegen den Terrorismus, wobei sie die tieferen Ursachen der globalen
Instabilität jedoch vernachlässigen.
Jeden Tag sterben über 20 000 Menschen an tiefster Armut. Niemand räumt
ihnen die Chance ein, sich aus diesem Zustand zu befreien und sie sterben namenlos,
ohne dass die Öffentlichkeit von ihnen Notiz nimmt – für Sachs ein unerhörter
Skandal und ein Nährboden für Hass und Gewalt. Auf die Frage, warum die
Reichen den Armen helfen sollten, gibt das Buch eine ebenso einfache wie einleuchtende
Antwort. Es sind freilich die Reichen, die am meisten zu verlieren haben.
Vorderhand sind dies Sicherheit und Wohlstand. Wenn jedoch die Reichen
ihrer selbstverständlichen moralischen Verpflichtung gegenüber den Armen nicht
nachkommen, dann geht es um nichts weniger, als um den Verlust von Liberalität
und Humanität.
Schließlich richtet der Visionär Sachs einen flammenden Appell an uns alle.
Unsere Generation habe die einmalige Chance, der extremen Armut bis zum Jahr
2025 ein Ende zu machen. Sachs mahnt die universale Umsetzung der Ideen der
Aufklärung an. Nicht nur ein kleiner Winkel Westeuropas, sondern die gesamte
Menschheit solle teilhaben am gesellschaftlichen und wissenschaftlich-technischen
Fortschritt. Nicht zuletzt ist es der engagiert – emphatische Duktus, der in
jeder Zeile des Bandes schwingt, der das Buch so gut lesbar macht.
Sachs indes ist weder ein naiver Träumer noch propagiert er sozialistische Utopien.
Das Buch des jüngst zum Direktor des UN-Millennium-Projekts gewählten
Autors besticht vielmehr durch komplexe Analysen und plausible Szenarien zur
Überwindung der weltweiten Armut. Fazit: der unverbesserliche Optimist
Jeffrey D. Sachs hat ein ebenso überzeugendes wie wichtiges und dazu aufrüttelndes
Buch geschrieben. Ein Manifest gegen die globale Armut und das richtige
Buch zur richtigen Zeit.
Günther Frieß
Riegelsberg |