Götz Neuneck / Christian Mölling (ed.): Die Zukunft der Rüstungskontrolle
 
    
   Issue 2/2006  
    
  Baden-Baden 2005
Nomos, 391 S.
  
 

In einem Jahr, das mit dem Scheitern der Fünften Überprüfungskonferenz zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) im Mai 2005 in New York und dem völligen Fehlen einer Aussage zur nuklearen Proliferation und zu nuklearer Abrüstung im Abschlussdokument des Weltgipfels vom September 2005 einen absoluten Tiefpunkt der Rüstungskontrolle und der Abrüstung setzte, ist der vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik herausgegebene Sammelband zur Zukunft der Rüstungskontrolle wichtiger denn je.

Die Herausgeber des als Ergebnis eines zweijährigen, von der Berghof-Stiftung geförderten Projekts erschienenen Bandes haben sich zum Ziel gesetzt, die Grundlagen und die Defizite der Rüstungskontrolle einschließlich ihrer technologischen Dimension herauszuarbeiten und einen Anstoß zur breiteren Diskussion ihrer Zukunft zu leisten.

In seinem Vorwort unterstreicht Egon Bahr, dass im 21. Jahrhundert, in dem internationale Zusammenarbeit wahrscheinlich zum Schlüsselwort werde, „gemeinsame Sicherheit“ im globalen Maßstab herzustellen sei. Europäer könnten dank ihrer Überwindung des ausschließlich an militärischer Stärke im klassischen Sinn haftenden Sicherheitsbegriffs den Amerikanern mindestens auf Augenhöhe begegnen und Vorbild für eine nicht nur an neuesten raffinierten militärischen Fähigkeiten orientierten Sicherheit sein.

Im Grundsatzteil zur Lage und Zukunft der Rüstungskontrolle (Abschnitt 1, S. 15-88) fragen Götz Neuneck und Christian Mölling, ob Rüstungskontrolle „veraltet, überflüssig, tot“ sei. Ihre ernüchternde Antwort lautet, dass sowohl die Kontrolle der Massenvernichtungswaffen als auch die konventionelle Rüstungskontrolle ins Stocken geraten seien, ja sogar schwere Einbrüche gewärtigen müssten. Sinnbildlich werde dies etwa durch die über achtjährige Blockade der multilateralen „ Conference on Disarmament“ in Genf. Damit einher gingen deutliche Impulse für eine neue Aufrüstung. Die Weltmilitärausgaben seien insbesondere aufgrund des dramatisch angewachsenen Verteidigungshaushalts der USA seit 1998 wieder gestiegen und lagen 2002 bei 794 Milliarden Dollar, mithin um 14 Prozent höher als 1998. Als tragischer Fehler könne sich herausstellen, dass weder die neuen Kriegsszenarien des 21. Jahrhunderts (Anstieg innerstaatlicher Konflikte) noch neue technologische Entwicklungen wie der „ Information Warfare“ (Virtuelle Kriegführung), nichtletale Waffen oder neue Nano- und Mikrotechnologien und Weltraumwaffen rüstungskontrollpolitisch erfasst würden. Vor diesem Hintergrund und angesichts des mangelnden Interesses der gegenwärtigen US-Administration an zukunftsweisender Rüstungskontrolle und Abrüstung plädieren die Autoren dafür, dass die EU die Ansätze ihrer Kompetenz in diesem Sektor ausbaut und stärker als eigenständiger Akteur zugunsten einer funktionsfähigen Rüstungskontrolle eintritt.

Harald Müller und Ina Becker liefern in ihrem Beitrag „Demokratie und nukleare Rüstungskontrolle“, fußend auf der Kantschen Grundlegung der Theorie des Demokratischen Friedens, erstmals eine systematische Analyse der Beziehung von Demokratie und Rüstungskontrolle. Zwar gebe es eine spezifisch demokratische Präferenz für Rüstungskontrolle. Diese variiere jedoch ausgelöst durch das Bild des „ungerechten Feindes“ (im Kalten Krieg die Sowjetunion, jetzt die sogenannten „Schurkenstaaten“) und dem unterschiedlichen Selbstverständnis der Staaten hinsichtlich außenpolitischer Rolle und staatlicher Identität, die zu unterschiedlichen Einstellungen und folglich auch Politiken zu Kernwaffen und nuklearer Rüstungskontrolle führten. Im Ergebnis machen die Autoren durchaus Chancen aus, die Ziele der Rüstungskontrolle durch Allianzen von oder innerhalb friedliebender Demokratien, wie etwa der „New Agenda Coalition“ im NVV-Kontext oder transnationaler Bündnisse auch mit engagierten Teilen der Zivilgesellschaft wie bei der Landminen-Kampagne, zu fördern. Bei der sich gegenüber der gegenwärtigen US-Administration auftuenden fundamentalen Differenz im Weltbild, die auf unterschiedliche Ausprägung demokratischer politischer Kultur zurückzuführen sei, müssten die abrüstungswilligen Demokratien jedoch Standhaftigkeit bewahren.

Der Völkerrechtler Thilo Marauhn untersucht die Möglichkeiten rechtlicher Ausgestaltung von Rüstungskontrolle. Nachdem er anhand jüngerer Beschlüsse des Weltsicherheitsrates und ungeachtet der Missachtung der Vereinten Nationen im jüngsten Irak-Konflikt einen Bedeutungszuwachs des Völkerrechts zum Zwecke der Friedenssicherung und eine Stärkung des Verrechtlichungsprozesses in der Rüstungskontrolle und Abrüstung konstatiert, warnt er jedoch angesichts der politischen Krise der Rüstungskontrolle vor zu großen Erwartungen. Kleine (Fort-) Schritte durch Vertragsanpassung, bessere (nationale) Implementierung und effektivere Umsetzung und Aufsicht über die Vertragsinhalte sowie deren Nutzung für positive Impulse für das Innovationspotenzial der vorhandenen Verträge seien jedoch machbar. Mit einer solchen Konsolidierung könne der Rüstungskontrollprozess zur Grundlage institutionellen Lernens gemacht und die Staaten von der Notwendigkeit überzeugt werden, den Weg des Multilateralismus und der kooperativen Sicherheit weiterzugehen.

Brigadegeneral Jens Zimmermann stellt umfassend die Arbeit und Ausrichtung des Zentrums der Bundeswehr für Verifikationsaufgaben (ZVBw) im gegenwärtigen Kontext der globalen und europäischen Rüstungskontrolle dar. Nach einem überzeugenden Plädoyer für eine Festigung und nach Möglichkeit Vertiefung der Rüstungskontrolle als „integraler Bestandteil einer vorausschauenden Sicherheitspolitik“ zeigt der Autor die Möglichkeiten des ZVBw auf, das Potenzial der Verifikation „auch unter geänderten Rahmenbedingungen auf unverändert hohem Stand für die militärische Implementierung der konventionellen regionalen Rüstungskontrolle, der Vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM) und der kooperativen Luftbeobachtung bereitzuhalten und zu nutzen“. Auch hinsichtlich der globalen Rüstungs- und Proliferationskontrolle sieht Zimmermann dank der eingeleiteten Strukturreform im ZVBw ein schlagkräftiges Instrument, globale Rüstungskontrolldaten systematisch aufzubereiten und auszuwerten, vertragsübergreifende Analyse, Auswertung und Dokumentation hinsichtlich nuklearer Proliferation ebenso wie bezüglich des illegalen Waffentransfers zu stärken und Transparenz und Vertrauensbildung zu fördern. Damit könne das ZVBw seine Kernfähigkeiten auch künftig entsprechend seinem Auftrag für die globale Rüstungs- und Proliferationskontrolle sowie für ein System einer langfristig angelegten militärischen Sicherheitskooperation zur Verfügung stellen.

In einem ebenfalls zukunftsweisenden Beitrag untersucht Oberst i.G. Hans-Jürgen Hugenschmidt die Möglichkeiten, Rüstungskontrolle und Abrüstung für ein effektives internationales Konfliktmanagement fruchtbar zu machen. Er zeigt überzeugend die vielfältigen Möglichkeiten eines wirksamen Rüstungskontrollbeitrages anhand des vom ZVBw entwickelten Maßnahmenkatalogs in den unterschiedlichen Phasen der Konfliktentfaltung auf und fordert im Ausblick dazu auf, den Beitrag der Rüstungskontrolle zum Krisenmanagement - wie etwa im Aktionsplan der Bundesregierung zur Krisenprävention und Friedenskonsolidierung vom Mai 2004 vorgesehen - bei den nationalen und internationalen Akteuren, insbesondere in den Vereinten Nationen, der OSZE und der NATO auch institutionell zu verankern.

Den folgenden Abschnitt über die wichtigsten internationalen Akteure und ihr Rüstungskontrollverhalten (Abschnitt 2, S. 91–190) leiten Ulla Jasper und Clara Portela zur Politik der EU bei der Kontrolle von Massenvernichtungswaffen ein. Sie begrüßen die mit der Verabschiedung der Europäischen Sicherheitsstrategie vom Dezember 2003 und der Dokumente zur Bekämpfung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen gemachten Fortschritte bei der Entwicklung einer spezifisch europäischen Rüstungskontrollpolitik. Zugleich ermutigen sie die EU, ihr politisches und ökonomisches Gewicht auch mit unterschiedlicher Akzentsetzung gegenüber den USA noch stärker und nachhaltiger zugunsten der Abrüstung einzubringen. Als wichtige Beispiele solcher EU-Initiativen werden das Eintreten für den Abzug taktischer Nuklearwaffen aus Europa, für völkerrechtlich verbindliche „negative Sicherheitsgarantien“ und für eine Vertiefung der Lösungsbemühungen in den kritischen Proliferationsfällen Iran und Nordkorea angeführt, ohne allerdings näher auf das Problem, wie der retardierenden französischen und britischen Position in den ersten beiden Punkten begegnet werden kann, einzugehen. Frank Umbach befasst sich mit Russland, Jeffrey Lewis mit der Volksrepublik China, von denen jeweils keine wesentlichen Impulse für Abrüstung oder Rüstungskontrolle erwartet werden, solange diese auch in Washington ausbleiben. Lewis sieht allerdings ein Bemühen Chinas, vor dem Hintergrund der US-Pläne zur Raketenabwehr insbesondere durch den Beginn von Verhandlungen in der Genfer „ Conference on Disarmament“ zur Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum eine neue Reaktionsspirale zu verhindern. In ihrem Beitrag zum Nahen und Mittleren Osten zeichnet Margret Johannsen ein eher düsteres Bild von Umfang und Intensität der noch zu bewältigenden territorialen, gesellschaftlichen und politischen Probleme, bevor die beiden zentralen Visionen eines nicht-militärischen Staates Palästina und eines Nahen Ostens ohne Massenvernichtungswaffen verwirklicht werden könnten.

Christopher Daase und Susanne Feske zeichnen eine dreifache Konfliktstruktur in Asien: die eingebetete Bipolarität Indien/Pakistan in Südasien, die diffuse Multipolarität in Südostasien und die asymmetrische Rivalität in Nordostasien, welche nur durch eine konflikt- und kulturspezifische Anpassung der herkömmlichen Konzepte kooperativer Rüstungssteuerung gemildert werden könnten.

Jan van Aken präsentiert eine tiefschürfende und aufschlussreiche Fallstudie zur Biowaffen-Inspektion im Irak. Abgerundet wird der Abschnitt durch den Beitrag von Thomas Gebauer über die Rolle nichtstaatlicher Akteure. Nach dem Vorbild der erfolgreichen Landminen-Kampagne internationaler NGO’s sieht Gebauer als Antwort auf die wachsende Legitimationskrise exklusiv-staatlicher Regulierungsversuche der Globalisierung eine Chance für neue Koalitionen, für die beispielhaft der „ Geneva Call“, ein Zusammenschluss von 20 nichtstaatlichen Akteuren aus allen Kontinenten, mit einer Selbstverpflichtung zur Beachtung des Minenbanns stehe.

Dagegen ist das Fehlen eines eigenen Beitrags zur Politik der USA erstaunlich und wird nur teilweise dadurch ausgeglichen, dass fast alle Beiträge stark auf die jeweilige US-Politik zum behandelten Thema Bezug nehmen.

Den Auftakt des Abschnitts „Rüstungskontrolle und Massenvernichtungswaffen“ (Abschnitt 3, S. 191–267) machen Botschafter Dr. Wolfgang Hoffmann, bis Anfang 2005 Exekutivsekretär der „ Preparatory Commission for the Comprehensive Nuclear-Test (CTBTO), und Bernhard Wrabetz mit einem umsichtigen und kenntnisreichen Beitrag zum Umfassenden Kernwaffenstoppvertrag. Sie liefern überzeugende Argumente, warum auch für jene Dutzend Staaten, die bislang die zum Inkrafttreten notwendige Ratifizierung verweigern, ein Teststopp ihre nationalen Sicherheitsinteressen besser gewährleisten würde, als es die Wiederaufnahme von Nuklearwaffentests könnte. Wenn jedoch die USA nicht zu ihrer nachdrücklichen Unterstützung des Vertrages noch durch die Clinton-Administration zurückkehren, ist kaum mit einem Schließen der Ratifizierungslücke zu rechnen. Dies wäre ein schwerer Rückschlag für das internationale nukleare Abrüstungs- und Nichtverbreitungsregime insgesamt und umso bedauerlicher, als der Aufbau des ausgeklügelten und wirksamen Verifikationsregimes des Teststoppvertrages dank der Arbeit des Provisorischen Sekretariats seit 1997 bereits weit vorangebracht werden konnte.

Rüdiger Lüdeking, im Auswärtigen Amt zuständig für internationale Rüstungskontrolle und Abrüstung, macht in seinem Beitrag „Nukleare Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ nach einer soliden Darstellung der Verletzung der Nichtverbreitungsverpflichtungen durch Iran und Nordkorea, der Tolerierung des Status als „De-facto-Nuklearwaffenstaaten“ von Indien und Pakistan sowie der „Renaissance der Nuklearwaffen“ in der Politik der fünf Nuklearmächte ausgehend von der „ Nuclear Posture Review“ der US-Administration im Januar 2002 wohl überlegte Vorschläge für eine Festigung des NVV. Diese Vorschläge zur Stärkung der Einhaltung der Nichtverbreitungsverpflichtung, zu einer schrittweisen Durchsetzung nuklearer Abrüstung und zur Universalisierung des Vertrages sind jedoch bedauerlicherweise angesichts des Scheiterns der NVV - Überprüfungskonferenz bislang nicht zum Zuge gekommen. Daher ist zu begrüßen, dass sich nun gleichgesinnte Staaten, darunter auch Deutschland, zu einem Artikel VI-Forum zusammengeschlossen haben, um Wege zur Erfüllung der nuklearen Abrüstungsverpflichtung aufzuzeigen. Zu Recht bedauert Lüdeking die Blockade jeglicher Substanzverhandlungen auf der Genfer Abrüstungskonferenz, insbesondere auch zu dem dringlichen Verbot der Produktion von Spaltmaterialien für Waffenzwecke ( cut off/FMCT und zu Themen wie der Verhinderung des Wettrüstens im Weltall. Auch hinsichtlich der Problematik substrategischer Nuklearwaffen in Europa tritt Lüdeking für einen schrittweisen rüstungskontrollpolitischen Ansatz ein, der eine Überprüfung der NATO-Position erfordert, sich aber vor allem auch an der von Umbach in der russischen Haltung konstatierten Validierung der substrategischen Nuklearwaffen stoßen würde.

Annette Schaper schildert eindringlich die Gefahr von „Nuklearterrorismus als neue Herausforderung an die Rüstungskontrolle“, die angesichts des weltweiten Bestandes von rund 450 Tonnen militärischen und zivilen Plutoniums und von über 1700 Tonnen hochangereicherten Urans (HEU) unterschätzt werde. Bei den Lösungsansätzen geht die Autorin zwar auf das „Cooperative Threat Reduction“-Programm der USA, auf das Programm der Internationalen Atomenergiebehörde zum Schutz gegen Nuklearterrorismus, auf die Verhandlungen zum Abkommen über den physischen Schutz von Nuklearmaterial und die dringende Notwendigkeit einer korrekten weltweiten Bilanzierung des Nuklearmaterials sowie eines „ cut-off“-Abkommens ein. Der eigens vom VN-Sicherheitsrat im Lichte der Terroranschläge des 11. September geschaffene Ausschuss zur Vermeidung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen an nichtstaatliche Akteure und die zugrunde liegende Resolution 1540 des Sicherheitsrats, welche alle Mitgliedstaaten zu gesetzgeberischen, strafrechtlichen und administrativen Maßnahmen zur Verhinderung einer solchen Verbreitung verpflichtet, wird jedoch mit keinem Wort erwähnt.

In einem umfassenderen Sinn begründet Wolfgang Liebert die Notwendigkeit einer Stärkung der Proliferationsresistenz sowohl gegenüber Staaten als auch nichtstaatlichen Akteuren. Er sieht eine gewisse Renaissance dieses in den späten Siebzigern entwickelten Konzeptes, welches für Kernwaffen- und Nichtkernwaffenstaaten gleichermaßen konkrete technische Maßnahmen für eine Reduzierung waffengrädiger (isotopenreiner) Nukleartechnologie, flankiert durch einen massiven Ausbau regenerativer Energietechnologien, beinhaltet.

Bezüglich der B- und C-Waffen-Kategorie schildern Iris Hunger/Oliver Meier/Jan van Aken engagiert die politischen Handlungsmöglichkeiten zur Kontrolle biologischer Waffen und Ulrike Kronfeld-Goharani/Paul F. Walker den Stand und die Perspektiven der Chemiewaffen-Konvention. Ebenso wie beim Nuklearterrorismus wäre eine Behandlung der Gefahr, dass diese Waffen in terroristische Hände fallen, sinnvoll gewesen.

Den Abschnitt über konventionelle Rüstungskontrolle (Abschnitt 4, S. 269–337) leiten Hans-Joachim Schmidt und Wofgang Zellner mit einem Beitrag über die Bewährungsprobe des angepassten KSE-Vertrages (Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa) auf der nächsten KSE-Überprüfungskonferenz im Mai 2006 ein. Spätestens dann wird sich zeigen, ob die USA und Russland unilaterale Machtinteressen dauerhaft höher bewerten als strategische Rüstungskontrollstabilität in ganz Europa einschließlich der neuralgischen Flankenregionen.

Oberst i.G. Wolfgang Richter weist in seinem kenntnisreichen und fundierten Beitrag über den Stand der internationalen Verhandlungen zu kleinen und leichten Kriegswaffen (SALW) die dringende Notwendigkeit weiterer internationaler Schritte zur Beschränkung der Weiterverbreitung dieser Waffen nach. Er bewertet zu Recht das 2001 im Konsens verabschiedete VN-Aktionsprogramm gegen den illegalen Handel mit SALW in allen seinen Aspekten als ermutigenden Schritt, der jedoch der Festigung und Vervollständigung bedürfe. Vor dem Hintergrund, dass diese Waffen vor allem in innerstaatlichen Konflikten zum Einsatz kommen und - wie es anschaulich Generalsekretär Kofi Annan ausdrückte - die “eigentlichen Massenvernichtungswaffen” darstellen, fordert Richter energische Schritte der internationalen Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des illegalen Waffenhandels sowie der destabilisierenden Waffenanhäufung. Dazu seien internationale Abkommen zur Markierung, Registrierung und Nachverfolgung von kleinen und leichten Kriegswaffen – ein solches ist im Juni 2005 wegen US-Widerstandes leider nur als politisch verbindliches Abkommen zustande gekommen –, ein qualifiziertes Verbot der Belieferung nichtstaatlicher Akteure, eine internationale Verständigung über Mindeststandards für Zugang und Erwerb von Kriegswaffen durch nichtstaatliche Einrichtungen und Privatpersonen sowie bessere Transparenzmaßnahmen wie die von der VN-Generalversammlung jüngst empfohlene Einbeziehung von SALW in das VN-Waffenregister ebenso wie nationale Maßnahmen zur Export- und Importbeschränkung einschließlich Endverbleibsgewähr, zur sicheren Lagerhaltung sowie zur Zerstörung überzähliger Waffenbestände notwendig. Leider bleibt jedoch der wichtige Bereich der Regelung des Brokering (Waffenvermittlungsgeschäfte) im SALW-Bereich, das die illegalen Waffenströme oft erst ermöglicht, ausgespart.

Eine weitgehend problemlose erste Implementierungsphase des Vertrages über den Offenen Himmel, der den gesamten Luftraum seiner Mitgliedstaaten von „Vancouver bis Wladiwostok“ für kooperative Beobachtungsüberflüge öffnet, konstatieren Ernst Britting und Hartwig Spitzer. Sie leiten daraus ein umsichtig zu nutzendes Potenzial für ein erweitertes Einsatzspektrum mit einer systematischeren und übergreifenden Nutzung für die Verifikation von Rüstungskontrollabkommen über den KSE-Vertrag und das Wiener Dokument hinaus ab.

In ihrem Beitrag “Die Zukunft der Rüstungskontrolle: Perspektiven bei der Implementierung und Verifikation” sehen der Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Unterausschuss des Bundestages für Rüstungskontrolle und Abrüstung, Rolf Mützenich, und sein Büroleiter Matthias Z. Karadi angesichts der rüstungstechnischen und militärischen Überlegenheit der USA und dem augenscheinlichen Desinteresse der derzeitigen Administration an Abrüstung und Rüstungskontrolle einen dornigen Weg für globale Bemühungen, auf dem sich Rüstungskontrolle zunehmend von einem erfolgsorientierten zu einem “prozessorientierten Ansatz” wandeln müsse. Prioritär müssten die regionalen Rüstungsregime gefestigt, vorhandene Verträge “krisenfest” und neue Initiativen im Bereich neuer Technologien und Kleinwaffen ergriffen werden. Zu Recht sehen die Autoren auch in der Verfolgung selektiver Initiativen gleich gesinnter Staaten einen möglichen Weg zur Überwindung von Rüstungskontrollblockaden. Ebenso sehen sie in der Nutzung des technologischen Fortschritts auch für die Rüstungskontrolle und insbesondere für die Schaffung innovativer Überprüfungs-, Kontroll- und Überwachungsregime, einschließlich der Satellitenfernerkundung, einen wichtigen Beitrag zur Stärkung von Rüstungskontrollabkommen. Nach Überwindung des Ost-West-Konfliktes hätten spezialisierte internationale Behörden wie die Internationale Atomenergiebehörde in Wien , die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen in Den Haag (OVCW) und die im Aufbau befindliche Atomteststopporganisation (CTBTO) die Durchführung der ehemals allein national gehandhabten Verifikationsaufgaben übernommen. National sei das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr vorbildhaft.

Im abschließenden Abschnitt über Präventive Rüstungskontrolle und Technologie (Abschnitt 5, S. 339–383) untersuchen Martin Kahl und Christian Mölling mit einem stark technologisch orientierten Aufsatz die Bedingungen und Möglichkeiten für Rüstungskontrolle hinsichtlich der „ Revolution in Military Affairs“ (RMA). Sie weisen einen erheblichen Handlungsdruck nach, um den absehbaren negativen Folgen einer unkontrollierten Fortentwicklung der Revolutionierung der Militärtechnologie insbesondere durch die Einbeziehung der Informationstechnologien in weite Teile der Militärstrukturen entgegen zu wirken. Angesichts des Desinteresses der USA an einer Selbstbindung sehen die Autoren jedoch kaum Chancen für globale Lösungen, allenfalls für regionale Ansätze.

Jürgen Scheffran stellt detailreich die Bemühungen um eine internationale Kontrolle ballistischer Raketen als Alternative zur Rüstungsdynamik bei diesen und anderen Trägersystemen dar. Er schildert die wichtigsten internationalen Initiativen wie das 1987 zwischen den führenden westlichen Industrienationen vereinbarte „ Missile Technology Control Regime“ (MTCR), das Ende der Neunziger zwischen den USA und Russland diskutierte „ Global Protection Against Limited Strikes“ (GPALS) mit einem Datenaustausch über Starts ballistischer Raketen, den Haager „ International Code of Conduct (IcoC) Against Missile Proliferation“ vom November 2002 und die US-amerikanische „ Proliferation Security Initaitive“ (PSI) von 2003. Darauf aufbauend entwirft der Autor ein überzeugendes Konzept für ein wirksames Raketenkontrollsystem als langwierigen, stufenweisen Prozess, der neben quantitativen Obergrenzen auch qualitative Beschränkungen der technologischen Komponenten sowie leicht verifizierbare Flugtestmoratorien umfassen und in den Kontext eines Kontrollregimes für Weltraumrüstung und Raketenabwehr integriert werden könnte.

In ihrem Schlussbeitrag behandeln Götz Neuneck und Andre Rothkirch die Chancen und Hindernisse für eine präventive “Rüstungskontrolle im Weltraum: Technologie, Transparenz und Vertrauensbildung” – eine Aufgabe von kaum zu überschätzender Bedeutung auch für die Begrenzung der Rüstungsdynamik auf der Erde. Sie weisen überzeugend nach, dass die Menschheit an der Schwelle zur Bewaffnung des hoheitsfreien Weltraums aufgerufen ist, auf der Grundlage insbesondere des Weltraumvertrages von 1968 sowie bereits bestehender, den Weltraum betreffender partieller Rüstungskontrollabkommen, durch eine vollständige Ächtung von Weltraumwaffen einen entscheidenden Beitrag zur Verhinderung eines Wettrüstens zu leisten. Ob sie diese Chance präventiver Rüstungskontrolle nutzt, hängt vor allem davon ab, ob die internationale Gemeinschaft die politische Kraft aufbringt, den einseitigen Hegemoniebestrebungen der USA, den Weltraum auch mittels der Stationierung von Weltraumwaffen zu beherrschen, widerstehen kann. Hier sind insbesondere die führenden zivilen Weltraummächte aufgerufen, ihrer Verantwortung zur Gewährleistung des völkerrechtlichen “Grundsatzes der ausschließlich friedlichen Nutzung des Weltraums” gerecht zu werden. Eine internationale Konferenz anlässlich des 40. Jahrestages des Weltraumvertrages könnte, zunächst durch eine Initiative gleich gesinnter Staaten (letztlich wohl die gesamte Staatengemeinschaft minus eins), ein Zusatzprotokoll zum Weltraumvertrag mit einem ausdrücklichen Verbot von Weltraumwaffen ausarbeiten. Die Elemente eines solchen Protokolls legen die Autoren gestützt auf vielfältige Vorschläge von Staaten und Nichtregierungsorganisationen, sorgfältig dar..

Der große Nutzen des Sammelbandes liegt in der Zusammenführung fundierter Analysen zu den wichtigsten, drängenden Rüstungskontrollthemen der Gegenwart und einer Einschätzung der Zukunftsperspektiven notwendiger internationaler Maßnahmen. Der Band ist eine gelungene und nützliche Mischung aus mehr theoretisch ansetzenden Aufsätzen führender Wissenschaftler und Friedensforscher sowie mehr an Möglichkeiten praktischer Politik orientierter Beiträge von Politikern und Praktikern. Das mit Schaubildern und Tabellen angereicherte Buch ist daher nicht nur für die an der Rüstungskontrolle interessierte Fachwelt eine unschätzbare Zusammenstellung des aktuellen Forschungsstandes, sondern auch für ein breiteres Publikum zum Verständnis der Rüstungsdynamik und ihres Einflusses auf die Zukunft des Weltgeschehens nachdrücklich zu empfehlen.

Detlev Wolter, New York *

* Dr. Detlev Wolter, Referatsleiter für Grundsatzfragen der EU-Politik und Europarecht, Staatskanzlei Brandenburg, war von 2003-2005 politischer Referent in der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York, seit 2004 Vorsitzender der Gruppe Interessierter Staaten für Praktische Abrüstungsmaßnahmen und Vizepräsident des Ersten Ausschusses (Abrüstung und internationale Sicherheit) der 59. VN-Generalversammlung. Er vertritt ausschließlich seine persönliche Ansicht.

     
      
 
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