Herfried Münkler: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten


 
       
    Issue 2/2006  
     
  Berlin 2005
Rowohlt Verlag, 332 S.
  
 

Sind die Vereinigten Staaten ein Imperium? Keineswegs, behauptet US-Präsident George W. Bush: „Amerika hat keine territorialen Ambitionen. Wir versuchen nicht ein Empire aufzubauen.“ Trotz der Besetzung zweier souveräner Staaten innerhalb von zwei Jahren, dem Unterhalt von mehr als 750 militärischen Einrichtungen auf dem ganzen Globus und der erklärten Absicht, „die Segnungen der Freiheit in jeden Winkel der Erde zu tragen“, assistiert auch Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: „We don't do empire“. Dessen ungeachtet ist jedoch die akademische und intellektuelle Debatte, ob die Vereinigten Staaten sich nach dem 11. September auf einen imperialen Weg begeben haben, im angelsächsischen Sprachraum bereits weit fortgeschritten und die mögliche Rolle Washingtons als neues Rom wird unbefangen diskutiert – durchaus nicht selten mit wohlwollendem Unterton. Nun leistet auch Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin, einen Beitrag zur Diskussion. Einem breiteren Publikum ist er bereits durch seine vor vier Jahren erschienene Studie zu den „neuen“ Kriegen bekannt. Erneut hat er – soviel sei vorweggenommen – eine bestechende Analyse vorgelegt.

Auch für Münkler lassen sich die Vereinigten Staaten in der gegenwärtigen weltpolitischen Lage als Imperium beschreiben, paradoxerweise also in einer Zeit, die sich als aufgeklärt und postimperial versteht. Zugleich stellt er klar, dass die Erscheinungsform des Imperiums, die Rationalität seiner Akteure, ja die Logik der Weltherrschaft an sich, von zeitloser Gültigkeit ist – vom See-Imperium der Athener bis zur Pax Americana.

Er entwirft dabei eine Typologie, die sich als analytisches Instrument wohltuend von anderen Beschreibungen abhebt, welche – teils begeistert, teils ablehnend – den Begriff des Imperiums vor allem als provokative Metapher verwenden. Münkler grenzt das Imperium vom Nationalstaat ab, beide folgen unterschiedlichen Prinzipien. Staaten sind territorial, zumeist auch sprachlich, kulturell, administrativ, rechtlich und militärisch, begrenzt. Vor allem aber: Man erkennt sich als Gleiche unter Gleichen an und koexistiert – mal mehr, mal weniger friedlich – nebeneinander. Großreiche hingegen dulden keinen unmittelbaren Konkurrenten, sie haben einen umfassenden Überlegenheitsanspruch. Ihre Grenzen sind verschwimmende Vorgelände und Außenposten, ein dominierendes Zentrum steht einer abhängigen Peripherie gegenüber. Ihren Ursprung nehmen imperiale Großreiche durch gewaltsame Eroberung oder aber durch die wirtschaftliche Durchdringung von Gebieten. Wollen sie jedoch von Dauer sein, müssen sie die „augusteische Schwelle“ überschreiten. Damit ist der Übergang vom Eroberungshunger zur Machtkonsolidierung gemeint: Militärische Macht verliert an Bedeutung und das Reich investiert infrastrukturell und zivilisatorisch in seine Provinzen. Gleichfalls gewinnt das Imperium innerhalb seiner Grenzen durch das Versprechen von Frieden und Wohlstand an Legitimität, während es nach außen durch sein ideologisches und zivilisatorisches Selbstverständnis – seine „imperiale Mission“ – ständig in Versuchung geführt wird, sich in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen und die Welt nach eigenen Vorstellungen zu ordnen. Imperiale Herrschaft muss also nicht immer mit Ausbeutung und Unterdrückung einhergehen. Im Gegenteil, über die Zivilisierung und Pazifizierung ihrer Randgebiete können Imperien ihren Fortbestand sichern. Versagen sie dabei jedoch und überfordern sich durch zu viele Aufgaben und Verpflichtungen, droht unvermeidlich der Niedergang – und mit dem Aufstieg eines neuen imperialen Akteurs beginnt der unabänderliche Kreislauf von Erwerb und Verlust der Macht erneut.

All dies filtert Münkler aus historischen Vergleichen heraus, nicht immer mit großer Tiefenschärfe, aber stets prägnant. Sein Blick ist dabei weit gespannt: Nicht nur das römische und das chinesische Reich – seine beiden Prototypen für das Überschreiten der „augusteischen Schwelle“ – sind Gegenstand der Untersuchung, sondern ebenso die Imperien der Athener, Mongolen, Russen, Osmanen, Spanier und Portugiesen sowie das britische Empire. Der Autor beschränkt sich aber nicht nur auf historische Betrachtungen und Typologisierungen, sondern berücksichtigt auch die weltpolitische Gegenwart. „Es geht auch darum, Prognosen über die Dauer und Stabilität des amerikanischen Imperiums zu machen und Überlegungen zu der Frage anzustellen, wie ein Europa beschaffen sein muss, das sich einerseits als selbstständige politische Kraft neben den USA zu behaupten vermag und andererseits in der Lage ist, seine instabilen und hereinstürzenden Ränder zu befestigen und positiv auf seine Nachbarn einzuwirken.“ Schließlich endet die Untersuchung mit einem weltpolitischen Ausblick. Diese Aktualität macht den Reiz des Buches aus.

Nachhaltige militärische und wirtschaftliche Vormacht, globaler Herrschaftsanspruch, zivilisatorische Leitmission: nach Münklers Typologie besteht kein Zweifel, dass auch die Vereinigten Staaten als imperiale Macht zu betrachten sind. Aus dem Kalten Krieg gingen die USA als Sieger hervor, ihre gegenwärtige Macht ist beispiellos: militärisch ohnehin, aber auch wirtschaftlich durch die Kontrolle der Waren- und Datenströme sowie technologisch, nicht zuletzt über die Vorherrschaft im All, und „zivilisatorisch“ durch die Dominanz in der populären Massenkultur. Ihre demokratische Verfasstheit steht dazu in keinem Widerspruch, wenngleich eine demokratische Gesellschaft nur schwer zur Übernahme imperialer Aufgaben zu bewegen ist. Inszenierte Bedrohungen – Stichwort irakische Massenvernichtungswaffen – müssen dazu nachhelfen. Schließlich zeichnet sich die imperiale Mission Amerikas im Gegensatz zu den alten Imperien durch die Schlagworte „Marktwirtschaft“, „Demokratie“ und „Menschenrechte“ aus. Zu den oft beklagten Doppelstandards der US-Außenpolitik kommt es allerdings, wenn sicherheitspolitische und ökonomische Interessen diesen Idealen entgegenstehen – und Vorrang haben.

Dennoch: Angesichts der Unfähigkeit der UN-zentrierten Weltgemeinschaft, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine stabile und friedliche Weltordnung zu garantieren, zitiert Münkler wohlwollend den amerikanischen Liberalen Richard Rorty, wonach die Pax Americana zurzeit das Beste wäre, worauf die Welt hoffen könne. Das Imperium als Raum der Stabilität, der Prosperität und des Friedens: Machiavelli-Experte Münkler leitet hieraus eine Forderung ab, die manchem Betrachter als politisch unkorrekt, ja moralisch geradezu verwerflich erscheinen muss, schlägt er doch vor, dass „imperiales Agieren nicht von vornherein als schlecht und verwerflich wahrgenommen, sondern als eine Form von Problembearbeitung neben der des Staates und anderer Organisationsformen des Politischen angesehen wird.“

Folgt man dem Autor, muss ein gegenwärtiges US-Empire also keineswegs pauschal abgelehnt werden. Im Gegenteil, angesichts von Staatszerfall, Bürgerkriegen und massiven Menschenrechtsverletzungen in weiten Teilen der Welt mussten die USA ein ums andere Mal erneut in die Rolle eines pazifizierenden Imperiums schlüpfen – Bosnien, Kosovo und Afghanistan sind aktuelle Beispiele. Die Vereinigten Staaten lösen somit das imperiale Versprechen ein und sind in diesem Sinne weiterhin Garant der verdichteten Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa, Amerika und Ostasien. Sie tragen Sorge für den Schutz der fragilen Verbindungslinien zwischen den Wirtschaftszentren der Erde und sichern den imperialen Raum gegen Störungen von außen durch Terroristen und andere „Schurken“. Freilich zählen hierzu auch militärische Interventionen gegen antiimperiale Kräfte zur Pazifizierung der Peripherie oder zur Sicherung von strategischen Ressourcen. Die transatlantischen Verwerfungen der letzten Jahre müssten vor diesem Hintergrund als ordnungspolitisches Missverständnis zwischen Amerika und Europa gedeutet werden. Irak-Krieg und US-Unilateralismus wären demnach Ausdruck einer in Europa in Vergessenheit geratenen – da imperialen – Form der Problembearbeitung zur Antwort auf Terrorismus, Staatszerfall und die Bedrohung mit Massenvernichtungswaffen.

Und Europa? Den Europäern ist es durchaus gelungen, den machtpolitischen Wettstreit, der den Kontinent über Jahrhunderte in Konflikte und Kriege gestürzt hat, durch die Entwicklung staatenübergreifender politischer Strukturen und wirtschaftlicher Verflechtung nachhaltig zu bändigen. Kann die Europäische Union also als Königsweg zur Überwindung der „Logik der Weltherrschaft“ betrachtet werden? Nur bedingt, so Münkler, auch die EU sähe sich einer imperialen Herausforderung gegenüber, sogar einer doppelten: Zum einen gilt es, nicht zum einflusslosen Handlanger des amerikanischen Imperiums zu werden, zum anderen muss Sorge getragen werden, dass die Konfliktherde in Osteuropa, dem Nahen Osten und Nordafrika stabilisiert werden. Ohne Anleihen beim imperialen Ordnungsmodell wird dies kaum möglich sein, resümiert Münkler: „Die Europäer müssen eine imperiale Aufgabe übernehmen, ohne sich selbst als Imperium zu positionieren.“

Herfried Münklers Buch bietet also neben historischen Illustrationen auch ungewohnte Sichtweisen auf aktuelle Entwicklungen und Probleme. Seine aufschlussreiche Studie ordnet die seit den Zerfallskriegen Somalias und Jugoslawiens in Politik und Wissenschaft geführte Debatte über die Notwendigkeit und Ausgestaltung von friedenserhaltenden und -erzwingenden Auslandseinsätzen in einen erweiterten Kontext – mit einer Schlussfolgerung, die ob ihrer unsentimentalen Absage an eine multilaterale Weltordnung und ihrem Ruf nach dem imperialen Sheriff nicht allen gefallen dürfte. Gleichwohl, man wird sich mit Münklers Thesen auseinanderzusetzen haben.

Robin Rüsenberg
Berlin

     
      
 
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