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Die Verknappung von Energie und Rohstoffen setzt globale Konfliktpotenziale
frei. Dies gilt seit Ende der 1990er Jahre ganz besonders für
Öl, wo die Gefahr von Versorgungsengpässen oder gar Lieferunterbrechungen
dramatisch zugenommen hat. Seit die weltweite Reservekapazität
(»spare capacity«) auf den niedrigsten Wert der letzten 30 Jahre gefallen
ist, reicht ein Hurrikan, ein Unfall in einer Raffinerie, eine Pipelinehavarie
oder die Gefahr eines Bürgerkriegs in einem Produktionsland,
um extreme Preissprünge auszulösen. Noch hat die Nachfrage das Angebot
zu keinem Zeitpunkt überholt, es hat zu keinem Zeitpunkt Lieferausfälle
gegeben, und zudem lagern an vielen Orten der Welt beträchtliche
Ölreserven. Doch seit vorstellbar ist, dass das Angebot dauerhaft hinter
der Nachfrage zurückbleiben könnte, betrachten nicht nur große Akteure
wie die USA, China und Indien sondern auch Mittelmächte die dauerhafte
Gewährleistung hinreichender Zulieferungen als eine sicherheitspolitische
Priorität. In vielen Ländern werden Investitions- und militärstrategische
Entscheidungen immer stärker in Funktion von Energieinteressen
und mit Blick auf Versorgungssicherheit getroffen und auch die Prioritäten
bei bilateralen Beziehungen stehen in einem zunehmend engeren Zusammenhang
mit Energiesicherheit.
Vor nicht allzu langer Zeit wurde Energiesicherheit mit dem reibungslosen
Funktionieren der Märkte gleichgesetzt. Doch das Vertrauen in die
Marktkräfte schwindet. Dies zum einen, weil einige Produzentenländer
nicht der Versuchung widerstehen können, ihren Energiereichtum als
politische Waffe zu benutzen. Zum anderen, weil zahlreiche Energieimportländer
aggressive nationale Strategien zum Aufbau strategischer Positionen
in Produktionsländern verfolgen, und zwar durch Investitionen
in Lagerstätten, Produktionsfirmen und die Transportinfrastruktur,
durch die Förderung von Unternehmensverflechtungen sowie insbesondere
durch »flankierende« militärische oder geostrategische Schachzüge.
Konkurrenz und Versuche sich gegenseitig auszustechen könnten leicht
zu »heißen« Konflikten eskalieren.
Mit Gewalt, Geld und aggressiver Diplomatie werden derzeit überall
die Demarkationslinien eines »neuen kalten Krieges« gezogen und, wo
Ansprüche kontrovers sind, auch ausgekämpft. In diesem Verdrängungswettbewerb
werden die Großen eher ihre Interessen wahren als die wirtschaftlich
schwachen Staaten der Dritten Welt, die nicht über Rohstoffe
verfügen. Verdrängungswettbewerb, ein »neuer kalter Krieg«, der Einsatz
von Energierohstoffen als politische Waffe: Sollten sich diese Tendenzen
durchsetzen, hätte dies notwendig eine empfindliche Schwächung der
multilateralen Ordnung nicht nur des Energiesektors zur Folge, denn die
Energieproblematik wirkt in eine Reihe anderer Politikfelder wie Umwelt-,
Klima-, Handels-, Entwicklungspolitik u.a. hinein.
In der vorliegenden Ausgabe von INTERNATIONALE POLITIK UND GESELLSCHAFT plädiert Kirsten Westphal für die Stärkung der multilateralen
Ansätze der EU-Energiepolitik und für eine Abkehr von den geopolitischen
Kalkülen, die in vielen Mitgliedsländern dominieren. Zwar
sind die Realisierungschancen für eine gemeinsame Energiepolitik nach
dem EU-Plan vom März 2006 just wegen nationalstaatlicher Egoismen
derzeit eher gering. Doch angesichts der wachsenden Energienachfrage,
des knappen Angebots und der Verschiebung der Produktionsschwerpunkte
gibt es keine Alternative zur Weiterentwicklung der multilateralen
Ordnung des Energiesektors mit dem Ziel, die Interessen von Produzenten-
und Verbraucherländern zu harmonisieren und eine verlässliche
Energieversorgung aller zu gewährleisten.
Dies sieht die chinesische Führung ganz anders. Sie setzt auf Wettbewerb
mit anderen Nachfragern, versucht zu den Energielieferanten
Chinas exklusive Beziehungen zu entwickeln und diese durch diversifizierte
Kooperationsbeziehungen strategisch abzusichern. Wie dies im
Detail abläuft, zeigt Jochen Steinhilber am Beispiel Nahost und Nordafrika.
Zwar agiert China ökonomisch aggressiv, setzt aber gleichzeitig
auf politische Zurückhaltung, versucht, sich aus den Krisen der Region
herauszuhalten und vor allem eine Konfrontation mit den USA zu vermeiden.
Bei seinem Durchgang durch die lateinamerikanische Energiepolitik
findet der langjährige Europaabgeordnete und Energieexperte Rolf
Linkohr nur wenig, was zur Weiterentwicklung der multilateralen Ordnung
im Energiesektor beitragen könnte. Energienationalismus und die
staatliche Kontrolle der Energieproduktion verhindern Synergien und
bewirken, dass selbst elementare Prozesse der regionalen Energieintegration
nur sehr langsam vorankommen. Zurückzuführen ist dies aber letztlich darauf, dass rohstoffreiche Länder oft sozio-ökonomische Pathologien
ausbilden, die Entwicklung verhindern. Jürgen Schuldt und Alberto
Acosta werten die Literatur über diesen »Fluch des Überflusses« aus und
versuchen Möglichkeiten aufzuzeigen, um ihm zu entgehen.
Tendenzen zur Schwächung der multilateralen Ordnung gibt es nicht
nur im Energiebereich. Just die multilateralen Regime der nuklearen
Rüstungskontrolle, die lange als Erfolgsgeschichte galten, sind unter
Druck geraten. Im Atomstreit mit dem Iran geht es auch um die Frage,
ob der Nichtverbreitungsvertrag für Kernwaffen (NVV) noch eine Zukunft
hat. Michael Brzoska und Götz Neuneck demonstrieren, dass es für
eine Verhandlungslösung mit dem Iran keine fundamentalen Hindernisse
gibt. Sowohl die Eskalation des Atomstreits mit dem Iran als auch
der US-Atomdeal mit Indien, den Oliver Meier analysiert, nähren den Verdacht,
dass die USA den NVV nahezu aufgegeben haben.
In Ergänzung des Schwerpunkts analysiert Erfried Adam die Konsequenzen
der Suspendierung der Welthandelsrunde, Marius Busemeyer
u.a. präsentieren die Ergebnisse einer Studie zum Europäischen Wirtschafts-
und Sozialmodell, und Stefanie Flechtner fragt, was die Europäische
Sicherheits- und Verteidigungspolitik leisten will, kann und muss.
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