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Irland ist das spektakuläre Wirtschaftswunderland Europas, der »keltische Tiger
«. Seit etwa 15 Jahren hat es sich mit hohen Wachstumsraten vom Armenhaus
Europas auf Platz zwei in der Einkommensliga der Europäischen Union hochgearbeitet. Nur Luxemburg weist in der eu noch ein höheres Bruttoinlandsprodukt
pro Kopf als Irland auf. Damit hat Irland nicht zuletzt seinen alten Erzrivalen
England überholt. Gerade angesichts des Beitritts vieler neuer armer Länder zur
eu gewinnt der Fall Irland zusätzliche Bedeutung. Kann Irland ein Modell für die
neuen Mitgliedstaaten sein?
Vom vorliegenden Buch des Leipziger Politikwissenschaftlers Philipp Fink
darf man sich dazu eine Antwort erwarten, endet es doch mit einem Schlusskapitel
»Emulation Desirable?« (Nachahmung wünschenswert?) Davor findet der Leser
auf gut hundert Seiten eine konzentrierte Analyse des irischen Entwicklungspfades,
die mit den ökonomischen Determinanten beginnt, sich dann historisch dem
irischen Staat und seiner Entwicklungsstrategie widmet, um abschließend die
Wirkungen des spezifischen irischen Weges mit seiner starken Nutzung ausländischer
Investitionen zu betrachten. Das Ergebnis kann man so zusammenfassen:
Der Erfolg Irlands verdankt sich einer ausgesprochen investitionsfreundlichen
staatlichen Entwicklungsstrategie, der es dank weiterer glücklicher Umstände gelang,
einen enormen Zustrom an Auslandsinvestitionen ins Land zu locken, was
zwar zu Wachstum und nahezu Vollbeschäftigung führte, aber gleichzeitig Ungleichheit
und Dualisierung in Wirtschaft und Gesellschaft verstärkte. Eine rechte
Empfehlung zur Nachahmung mag der Autor daher nicht aussprechen. Allerdings
fasst das dieser Frage gewidmete Schlusskapitel nur die Probleme des irischen
Weges zusammen, ohne politische Schlussfolgerungen zu treffen. Die Frage
der Möglichkeit einer Nachahmung durch andere Länder bleibt ebenfalls offen.
Der Leser muss solche Überlegungen anhand der Einsichten treffen, die ihm Fink über die Ursachen und Wirkungen des irischen Weges liefert.
Was die Ursachen des irischen »Wunders« betrifft, so liefert Fink zunächst wenig
neue Aspekte: EU-Mitgliedschaft, Demographie, makroökonomische Stabilisierung
und eben die Auslandsinvestitionen waren wichtig. Neues lernt, wer die
Grundfakten schon kannte, vor allem im Kapitel über den irischen Entwicklungsstaat,
das wichtige wirtschaftspolitische Strömungen, Interessenkonflikte und
Handlungsspielräume untersucht. Bezüglich der Wirkungen ist die ungleiche
Einkommensverteilung (vor allem zwischen einheimischen Löhnen und ausländischen
Gewinnen, was zu einer enormen Schere zwischen irischem Inlands- und
Nationalprodukt geführt hat) auch schon sattsam bekannt. Fink geht aber tiefer
und stellt die strukturelle Dualisierung der irischen Wirtschaft heraus, deren einheimischer
Sektor kaum mit dem internationalen verflochten ist.
Wer also einen nicht allzu umfänglichen, doch schon über einen Artikel hinausgehenden
Einblick in den denkwürdigen Fall Irland sucht, ist mit diesem
Büchlein gut bedient. Dem schon etwas kundigeren, oder theoretisch interessierteren
Leser bleiben aber einige Frustrationen nicht erspart. Das beginnt mit dem
Vorwort von Elsenhans, wahrscheinlich der am tiefsten schürfende Entwicklungstheoretiker
Deutschlands, das sich leider vor allem durch verborgene Wahrheiten
auszeichnet, die sich – wenn überhaupt – erst beim dritten Lesen und nach langem Nachdenken erschließen. Aber auch in Finks eigenem theoretischem Modell gibt
es Inkonsistenzen. Einerseits neigt er zu einem keynesianischen Wachstumsmodell,
das auf die Nachfrage setzt (z.B. auf Seite 116, wo er Elsenhans zitiert, oder
seine häufigen kritischen Seitenhiebe auf die »deflationists« in der irischen Wirtschaftspolitik,
S. 74–76). Andererseits hält er eine Niedriglohnstrategie für aussichtsreich,
die in Irland auch an der starken Emigration scheitert, die das Arbeitsangebot
verknappt und so die Löhne hochtreibt (S. 60). Ähnlich bleibt die
Rolle des Staates ambivalent, der einerseits wegen seiner liberalen Philosophie als
zu schwach gesehen wird (S. 143), obwohl andererseits auch deutlich wird, dass
protektionistische Eingriffe auch nur Ineffizienz und keine wettbewerbsfähige
Entwicklung herbeiführten (S. 73–74). Finks Ideal ist offensichtlich der asiatische
Entwicklungsstaat (zumindest was seine technokratische wirtschaftspolitische
Kompetenz, weniger was seine demokratische Legitimität angeht). Irland ist dagegen
das Beispiel einer Wachstumsstrategie, die sich nicht auf staatlich induzierte
Lern- und Innovationsprozesse, die Exporte fördern und Importe substituieren,
und auf über Massenkaufkraft expandierende Binnenmärkte stützt. Die Schattenseiten
des irischen Beispiels sind – das macht Fink klar – nicht zu übersehen, seine
Grenzen macht er weniger deutlich.
Michael Dauderstädt
Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
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