Hans Born / Heiner Hänggi (eds.): The "Double Democratic Deficit." Parliamentary Accountability and the Use of Force Under International Auspices
 
    
   Heft 1/2006  
    
  Aldershot, GB, 2004
Ashgate Publishing Ltd., 242 S.
  
 

Mit dem konstatierten "doppelten Demokratiedefizit" benennen die Herausgeber und Autoren eine kaum beachtete Lücke in der Literatur der internationalen Beziehungen. Die Hauptthese des Buches, mit zahlreichen Fallstudien untermauert, lautet, dass zwar einerseits die Anwendung von Gewalt im internationalen Auftrag (UN, NATO, Regionalorganisationen usw.) in den letzten Jahren drastisch zugenommen, dass aber keine parallele Entwicklung demokratischer Strukturen zur Kontrolle der internationalen Interventionen stattgefunden hat. Dieses Defizit wird noch dadurch verstärkt, dass der Bereich Sicherheit und die Entscheidungen über den Einsatz der Streitkräfte auch auf nationaler Ebene in vielen Ländern, wenn überhaupt, dann eher unzureichend demokratisch kontrolliert werden. Internationale wie nationale Mängel der parlamentarischen Kontrolle bilden das doppelte Demokratiedefizit.

In einem konzeptionell überzeugenden Einleitungskapitel analysiert einer der Herausgeber (Heiner Hänggi) den Einsatz militärischer Gewalt unter Aufsicht internationaler Organisationen und beschreibt die Entscheidungsmechanismen sowie die rudimentär vorhandenen bzw. fehlenden demokratischen Strukturen und geht dabei, durchaus differenziert, auf die unterschiedlichen Regelungen im Rahmen der UN, der NATO und der EU ein. Er nimmt nicht nur Bezug auf die formalen Entscheidungsmechanismen (legislative Funktion der Parlamente), sondern ebenso auf den weitgehend fehlenden parlamentarischen Einfluss auf die Rechenschaftspflicht der Exekutive. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass noch am ehesten über Haushaltsentscheidungen und Öffentlichkeit parlamentarischer Einfluss und Beteiligung an der Entscheidungsfindung geschaffen werden kann.

Dieser Analyserahmen wird durch zwei Kapitel zur demokratischen ‚Governance’ der internationalen Sicherheit (von Owen Greene) und einer Beschreibung und Benennung der Defizite internationaler Entscheidungsfindungen (von Charlotte Ku) ergänzt. Greenes Ausführungen verweisen auf die Rolle der Parlamente in der derzeitigen demokratischen Entwicklung und auf deren Zusammenhang zur weit verbreiteten Internationalisierung der Sicherheitspolitik. Kus empirisch reichhaltig untermauertes Kapitel beruht auf langjährigen Forschungen, deren Ergebnisse sie in einem von ihr mit herausgegebenen Buch veröffentlicht hat.[1]

Drei Fallstudien zu den Vereinten Nationen reichern die Hauptthese des Buches mit interessantem empirischen Material an: erstens ein Überblick von Hans Born und Marlene Urscheler zu multinationalen Friedensmissionen; im Blickpunkt stehen vor allem die Entscheidungsstrukturen und parlamentarische Rechte in 16 NATO-Ländern beim Einsatz von Truppen in UN-Friedensmissionen. Zweitens zeichnet Jan Hoekema die Rolle des niederländischen Parlaments bei der Aufarbeitung des problematischen Einsatzes niederländischer Streitkräfte beim Schutz von Sicherheitszonen in Srebrenica Anfang der 1990er Jahre im ehemaligen Jugoslawien nach. Der Parlamentsbericht führte schließlich zum Rücktritt der Regierung, da die Soldaten mit unklarem Mandat und unzureichenden Mitteln das damalige Massaker nicht verhindern konnten. Drittens beschreibt das Kapitel von Donna Winslow und Christ Klep die begrenzten Auswirkungen der parlamentarischen Untersuchung in Kanada, in der die Parlamentarier das Verhalten kanadischer Peacekeeper im März 1993 in Somalia überprüften. Während der UN-Mission hatten kanadische Soldaten Somalier gefoltert und getötet.

Drei weitere Fallstudien beleuchten die parlamentarische Dimension beim Einsatz von Streitkräften im NATO-Auftrag. Eine Übersichtsstudie (von Willem van Eekelen), ein Vergleich der Entscheidungsbefugnisse des US-Kongresses und des Deutschen Bundestags bei der Entscheidung für den Einsatz von Soldaten im Kosovo (von Lori Fisler Damrosch) und eine weitere Fallstudie zur Entwicklung der Entscheidungsbefugnis des Deutschen Bundestags bei Bundeswehreinsätzen im Ausland (von Roman Schmidt-Radefeldt).

Zwei ausgezeichnete Kapitel zur EU vermitteln einen Überblick über den aktuellen Stand der mangelhaften parlamentarischen Kontrolle in der EU bzw. in einzelnen Mitgliedsländern. Giovanna Bono bezeichnet die gestärkte Rolle der EU als internationaler Akteur in der Sicherheitspolitik als eine Herausforderung für die Demokratie und Catriona Gourlay legt vergleichendes empirisches Material zu den Entscheidungsbefugnissen und den demokratischen Lücken in der EU und im nationalen Rahmen vor. Das Ergebnis der beiden Kapitel zeigt deutlich, dass in den hoch entwickelten Demokratien der Europäischen Union die Sicherheitspolitik im Parlament oftmals ausgeblendet und teilweise nur unzureichend beachtet wird – sowohl im Europaparlament als auch in den Mitgliedsländern. Sie bestätigen damit auch für die EU die These des doppelten Demokratiedefizits. Schlussfolgerung der Herausgeber: Wenn dies in der EU problematisch ist, umso prekärer ist die Entwicklung in weniger demokratisch verfassten Ländern.

Hans Born, einer der Mitherausgeber, zieht im Schlusskapitel nicht nur Schlussfolgerungen aus den präsentierten Fallstudien, sondern zeigt auf, in welchen Bereichen und mit welchen Mitteln parlamentarische Autorität, Fähigkeit und das Verhalten von Parlamentariern in sicherheitspolitischen Entscheidungsprozessen verbessert werden können und müssen. Eine insgesamt überzeugende Publikation, die auf eine Lücke in Theorie und Praxis der Sicherheitspolitik hinweist und Wege zur Lösung der Probleme aufzeigt.


Herbert Wulf
ehem. Leiter des Bonn International Center for Conversion (BICC)

[1] Charlotte Ku und Harold K. Jacobsen (Hg.), Democratic Accountability and the Use of Force in International Law, Cambridge University Press, Cambridge 2003.

     
      
 
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