Zu diesem Heft — Heft 3/2005
 
    
  

Medien machen Politik. Die Schlagzeilen des Boulevards und die Schlagfertigkeit in den Talk Shows begründen oder vernichten Karrieren. In einer entwickelten Gesellschaft ist Politik ohne Medien nicht vorstellbar: Politiker brauchen Medien, um ihre Ziele zu erreichen, sie nutzen Medien, um ihre Botschaften zu verbreiten. Und die Medien nutzen die Politik und die Politiker in ihrem Sinne, seien diese geschäftlicher oder weltanschaulicher Prägung.

Ein Medium, dessen politische Bedeutung erst seit kurzer Zeit diskutiert wird – das Internet – steht im Mittelpunkt dieser Ausgabe von INTERNATIONALE POLITIK UND GESELLSCHAFT. Nachdem es zunächst der Kommunikation unter Wissenschaftlern vorbehalten war, hat sein Siegeszug nach dem Wirtschaftsleben und der privaten Sphäre nun auch die Politik erreicht. Auf vielen Ebenen des politischen Prozesses verändert es bereits die Spielregeln: Es erleichtert den Zugang zu Informationen, bietet neue Möglichkeiten, die eigenen Positionen bekannt zu machen, und erlaubt partizipative und interaktive öffentliche Debatten, die geographische und soziokulturelle Grenzen überwinden. Für viele enthusiastische Beobachter schien der Übergang vom E-Commerce zur E-Agora vollzogen oder doch nahe.

Entsprechend groß waren die Hoffnungen, das Internet werde der Demokratie einen Schub verleihen, v.a. in den Ländern des Südens. Die Realität hat jedoch mit den Erwartungen nicht mithalten können, denn in der Dritten Welt ist das Internet in hohem Maße eine Elitenveranstaltung. Dies mag der Demokratie zugute kommen, wenn Gegeneliten im Internet ein Medium finden, mit dem sie demokratische Veränderungen auslösen können, wie es Eun-Jeung Lee für Korea schildert. Diese Eliten werden Teil der von Amitai Etzioni angedeuteten transnationalen Gemeinschaft, die sich auf gemeinsame moralische Normen stützen kann und in regem Austausch miteinander steht.

Für die große Mehrheit der Weltbevölkerung ist das Internet jedoch weniger relevant als z.B. das Satellitenfernsehen, das Mobiltelefon oder das gute alte Radio, wenn es um die Erweiterung des Horizontes, um schnelle politische Mobilisierung und um den Zugang zu Informationen, die ihren Bedürfnissen adäquat sind, geht. Denn zum einen sind in vielen Ländern der Dritten Welt weder die technischen noch die ökonomischen Voraussetzungen für eine rasche Ausbreitung des Internet gegeben, zum anderen sind die Inhalte des World Wide Web oft nur für die Eliten relevant. In Afrika ist dies am deutlichsten, wie Hendrik Bussiek in seinem Beitrag an vielen Beispielen verdeutlicht. Aber auch in Lateinamerika sind die Voraussetzungen oft nicht viel besser. Dennoch hat sich das Internet hier im Zuge der Privatisierung der staatlichen Telekommunikationsmonopole in den 1990er Jahren rasch verbreitet. Hier gab es, wie Bert Hoffmann betont, kaum staatliche Regulierungen, die einer Ausbreitung im Wege standen, weder für die Anbieter noch für die Nutzer. Ganz anders in der arabischen Welt, wo autoritäre Regime sowohl das Angebot als auch den Zugang zum Internet kontrollieren. Dennoch ist das Internet hier eine „Spielwiese der politischen Liberalisierung“, wie es Albrecht Hofheinz in seinem Beitrag auf den Punkt bringt: Im Internet öffnen sich neue gesellschaftliche Freiräume, die zunächst eher privat scheinen, die Beziehungen zwischen Individuum, Familie und Gesellschaft aber in einer Weise neu gestalten, die auch politisch wirksam wird.

Während das Internet somit in demokratischen, offenen Gesellschaften lediglich ein zusätzliches Element der Politik ist, das keine qualitativen Veränderungen bewirkt, bietet das Internet in „geschlossenen“, um nicht zu sagen autoritären Regimen die Möglichkeit, einen offeneren und breiteren Zugang zu Informationen zu erlangen und öffentliche Gegen-Diskurse aufzubauen. Und dies in einem Maße und in einer Schnelligkeit, die ohne dieses Medium kaum vorstellbar waren. Entsprechend sehen wir gerade hier – z.B. in China, auf Kuba, in Saudi-Arabien – die entschiedensten Versuche, die Nutzung zu kontrollieren. Wie dies im Einzelnen geschieht, wird in den Beiträgen von Shi Ming, Bert Hoffmann und Albrecht Hofheinz deutlich.

Jenseits des nationalen Rahmens gibt es bei diesem grenzüberschreitenden Medium mittlerweile Regulierungsbedarf, wie Jeanette Hofmann ausführt. Seit einigen Jahren verhandeln im Umfeld des UN World Summit on Information Society die verschiedenen Stakeholder – nationale Regierungen, Wirtschaftsvertreter und die Zivilgesellschaft – über legitime Verfahren von Internet Governance. Einiges deutet darauf hin, dass als Ergebnis die Rolle der Staaten gestärkt und die ungeregelten Freiräume stärker geschlossen werden.

Am Rande unseres Schwerpunktes analysiert Stefanie Hürtgen die spezifischen Produktionsbedingungen in der osteuropäischen Elektronikindustrie und die Möglichkeiten gewerkschaftlicher Interessenartikulation, und Peter W. Schulze betrachtet die russische Außenpolitik nach dem „Verlust der Ukraine“. Paul Pasch begründet, weshalb der Ausweg aus der nordkoreanischen Nuklearkrise über Peking führt, und Winfried Veit fragt in seinem Review Essay, ob die Suche nach einer europäischen Identität auch zur Lösung der europäischen Verfassungskrise beitragen kann.

n.

     
 
     
 
 
     
© Friedrich Ebert Stiftung  net edition: Gerda Axer-Dämmer | 07/2005  < Top