Helge Hesse: Ökonomen-Lexikon Unternehmer, Politiker und Denker der Wirtschaftsgeschichte in 600 Porträts
 
  
 Bertram Schefold: Beiträge zur ökonomischen Dogmengeschichte
    
  Heft 4/2004 
    
 Düsseldorf 2003
Verlag Wirtschaft und Finanzen, 464 S.
  
 Düsseldorf 2004
Verlag Wirtschaft und Finanzen, 616 S.
  
 

Kennen Sie den schwedischen Ökonom Johan Henrik Åkerman oder den britischen Unternehmer und Finanzier Basil Zaharoff? Sagt Ihnen der Namen Johann Joachim Becher etwas? Er gilt als der wohl bedeutendste Vertreter des Kameralismus, der deutschen Spielart des Merkantilismus. Und wissen Sie, wer Jehangir Ratanji Dadabhoy Tata war? Einer der erfolgreichsten Unternehmer Indiens, der ein Familienimperium zu einem weltweit operierenden Mischkonzern ausbaute. Nein, hier geht es nicht um eines dieser unsäglichen Ratespiele, bei denen der eine oder andere vielleicht Millionär wird oder zumindest für einige Augenblicke zur "prime time" auf den Bildschirmen der fernsehenden Freizeitgesellschaft zu bewundern ist. Hier geht es um das "Ökonomen-Lexikon" von Helge Hesse, in dem sich die Lebensläufe der eingangs genannten Persönlichkeiten finden. Anders als der Titel vermuten lässt, bietet Hesse dem Leser aber keineswegs nur die Zusammenstellung von Namen und lexikalischen Fakten berühmter Ökonomen, sondern die Kurzporträts von 600 Wissenschaftlern, Politikern und Unternehmern, deren Denken und Wirken aus europäischer Perspektive Spuren in der Wirtschaftsgeschichte hinterlassen haben.

Das "Ökonomen-Lexikon" von Hesse ist weit mehr als ein Nachschlagewerk; es ist eine spannende Lektüre, denn es beschreibt Leben, Werk und Wirken der porträtierten Persönlichkeiten in dem jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext. Eine umfangreiche Zeittafel zur Wirtschaftsgeschichte am Ende des Buches sowie zahlreiche Querverweise in den Einzelporträts helfen dem Leser, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Offensichtlich (und nachvollziehbar) folgt der Autor bei seinen Darstellungen nicht dem Diktum von John Maynard Keynes in dem letzten Abschnitt der "General Theory", dem zu Folge die Welt von kaum etwas anderem regiert werde als von den Schriften der Theoretiker und Reformer. Gewiss beeinflussen Wirtschaftswissenschaftler die Gestaltung der (Wirtschafts-)Politik, aber sie lenken nicht die Richtung oder das Tempo des Hauptstroms der (Zeit-)Geschichte. Und: Wirtschaftswissenschaftliche Theoriebildung findet nicht in einem zeitlosen Vakuum statt, sondern in einem historisch je einmaligen gesellschaftlichen Umfeld. Zu Recht hat Hesse daher nicht nur berühmte Ökonomen der verschiedenen Epochen porträtiert wie Adam Smith, Karl Marx, Joseph Schumpeter oder James Tobin, sondern auch bedeutende Unternehmer wie Ivar Kreuger und Henry Ford sowie führende Politiker wie Napoleon Bonaparte und Deng Xiaoping - aber auch Adolf Hitler, Benito Mussolini und Josef Stalin. Eventueller Kritik an der Auswahl der porträtierten Personen beugt der Autor in seinem Vorwort mit dem Hinweis vor, dass jede Auswahl subjektiv sei, und dass auf Porträts noch lebender Personen bewusst verzichtet wurde.

Ökonomische Theorien sind immer auch Ergebnisse ihrer Zeit und ihres gesellschaftlichen Umfeldes. Da sich die Wirtschaft und das gesellschaftliche Umfeld beständig wandeln, mag man die Geschichte der wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung rückblickend auch als eine Geschichte der Irrlehren lesen, als die Geschichte "falscher Ansichten toter Männer". Tatsächlich haben die Wirtschaftstheoretiker der verschiedenen Schulen ihren lebhaften Streit über die jeweiligen Mängel oder Fehler der jeweils anderen Theorie(n) und über die Fehlschlüsse in den daraus abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen nie abreißen lassen. Man könnte dies als unvermeidliches, aber praktisch irrelevantes Imponiergehabe des Wissenschaftsbetriebes abtun, wenn Methodenstreit und Paradigmenwechsel in den Wirtschaftswissenschaften sich nicht - mit zeitlichen Verzögerungen - in der Wirtschaftspolitik niederschlagen würden. Freilich spiegeln sich in einem Paradigmenwechsel der wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung auch wesentliche Veränderungen des gesamtgesellschaftlichen Konsens - des Zeitgeistes - wider. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Anpassung der Ökonomen an die vorherrschende öffentliche Meinung ihrer Zeit hat der Nobelpreisträger George J. Stigler mit folgendem Beispiel zu beantworten versucht: Die Anzahl von Friseuren an einem Ort werde von der Zahl der Kunden und der Menge der Haarschnitte bestimmt, die von diesen Kunden gewünscht werden; das Gegenteil sei nicht der Fall: Es scharen sich nicht dort Köpfe, wo viele Friseure sind.

Wer eine Orientierung in den Theoriegebäuden der Ökonomen sucht, der kann sich beispielsweise mit der im Jahr 2000 erschienenen knappen "ZEIT Bibliothek der Ökonomie" begnügen oder sich in der von Otmar Issing herausgegebenen "Geschichte der Nationalökonomie" (4. Auflage 2002) über die Hauptrichtungen der ökonomischen Theoriegeschichte informieren. Wer aber eine umfassende, eindrückliche Orientierung sucht, dem sei der monumentale Sammelband von Bertram Schefold mit seinen 39 "Beiträgen zur ökonomischen Dogmengeschichte" empfohlen. Beginnend mit Klassikern antiken Wirtschaftsdenkens wie Xenophon, Aristoteles und Cicero machen die Beiträge deutlich, dass in der wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung immer wieder Versatzstücke älterer Theorien auftauchen. So ist etwa in der entwicklungsökonomischen Theoriebildung nach dem Zweiten Weltkrieg der ideengeschichtliche Einfluss der Stadientheorien von Karl Marx und Friedrich List ebenso unverkennbar wie der Einfluss keynesianischen Gedankenguts, dem zu Folge ökonomische Prozesse als durch staatliche Interventionen beeinflussbar verstanden werden. Die Modernisierungstheorie der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts war insofern keine vollkommen neue Theorie, als sie auf die großen Theorien des 19. Jahrhunderts zurückgriff und sich beispielsweise bei der deutschen Historischen Schule und der soziologischen Schule von Max Weber bediente.

Die Liste der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft der letzten Dekaden mag dem Eindruck Vorschub leisten, dass wirtschaftswissenschaftliche Theoriebildung ein Monopol US-amerikanischer und britischer Denkschulen sei. Mit seinen "Beiträgen zur ökonomischen Dogmengeschichte" macht Schefold deutlich, dass das Wissensgebäude der Ökonomik keineswegs nur von "klassischen" Ökonomen errichtet wurde, deren Namen den heutigen Studierenden der Wirtschaftswissenschaften geläufig sind. Auch hier zu Lande weitgehend unbekannte oder vergessene Denker aus vielen Kulturkreisen haben im Laufe der Jahrhunderte mit einer als politischer Ökonomie breit angelegten Beschäftigung mit wirtschaftlichen Zusammenhängen entscheidende Beiträge für die moderne Wissenschaft von der Wirtschaft geleistet. Dankenswerterweise führt Schefold den Leser auch zu ökonomischen Überlegungen von Autoren aus außereuropäischen Kulturkreisen wie beispielsweise China, Japan oder dem Nahen Osten.

Die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften war niemals reine Ideengeschichte, sondern sie war immer auch mit der Realgeschichte verknüpft. Weltpolitisch oder weltwirtschaftlich bedeutsame Phasen oder Ereignisse haben in der Entwicklung der Wirtschaftstheorie ihren Niederschlag gefunden und des öfteren sogar zu Paradigmenwechseln geführt. Solche weltpolitisch oder weltwirtschaftlich bedeutsame Phasen und Ereignisse der Realgeschichte waren z.B. die Herausbildung der europäischen Nationalstaaten und deren Entfeudalisierung, die Industrielle Revolution, die Unabhängigkeit der ersten Kolonien in Nord- und Südamerika, die Nachfolgeindustrialisierung auf dem europäischen Kontinent und in den USA, die mit der Industrialisierung auftretende soziale Frage, das Zeitalter des Hochimperialismus, die Oktoberrevolution in Russland, die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts etc. etc.. Diese zu ihrer Zeit jeweils neuen Situationen und Herausforderungen waren immer auch Anlass für wirtschaftstheoretische Überlegungen, die ihrerseits (wirtschafts-)politisches Handeln beeinflusst haben und insofern geschichtsträchtig geworden sind.

Leider besitzen Dogmenlehre und Wirtschaftsgeschichte an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten deutscher Universitäten nur noch einen geringen Stellenwert. So sind beispielsweise an den Universitäten Heidelberg und München Lehrstühle für Wirtschaftsgeschichte ersatzlos gestrichen worden. Pflichtkurse zu der ideengeschichtlichen Fundierung der eigenen Disziplin haben in den Curricula wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge fast schon Seltenheitswert. Um so begrüßenswerter ist es, dass der Düsseldorfer Verlag Wirtschaft und Finanzen mit den beiden hier besprochenen Publikationen zwei umfangreiche Werke zur ökonomischen Ideen- und Dogmengeschichte auf den Markt gebracht hat. Beide Publikationen laden dazu ein, die Geschichte der Wirtschaft und ihrer Theorien kennen zu lernen, den Weg zurück zu verfolgen, der von dem Wissen der heutigen Ökonomen zu dem Wissen ihrer Vorgänger führt. Diesen Weg zu gehen ist durchaus hilfreich für das Verständnis der Wirtschaft und ihrer Probleme. Wer diesen Weg entlang der Markierungen geht, die Hesse und Schefold anbieten, der sollte die Gelegenheit nutzen, auch die eigenen wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse einer permanenten Prüfung zu unterziehen und sie insbesondere auf ihren Ideologiegehalt hin zu sezieren.

Hartmut Sangmeister
Universität Heidelberg

     
      
 
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