Zu diesem Heft — Heft 4/2004
 
    
  

Der Irakkrieg sollte - so eines der Argumente der US-Administration - nicht nur dem Irak Demokratie und Freiheit bringen, sondern demokratische Reformen in der ganzen Region des Mittleren Ostens einleiten. Die Situation eineinhalb Jahre nach Beginn der Kriegshandlungen bestätigt zweifelsohne die Argumente derer, die die Realitätstauglichkeit der demokratischen Dominotheorie immer bezweifelt habe. Zudem hat sich die Sicherheitslage in der Region, ein wichtiger Faktor für die Chancen innenpolitischen Wandels, seit dem Krieg eher verschlechtert.

Dennoch steht das Thema "Reformen" fest auf der regionalen Agenda, und zwar nicht nur wegen der politischen Initiativen der EU und der USA, sondern auch aufgrund von Öffnungsprozessen bei den Regierungen einiger Länder und lauter werdenden Forderungen aus den Gesellschaften des Mittleren Ostens. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an diesem Prozess hat zweifelsohne der Arab Human Development Report, der durch die prägnante und selbstkritische Benennung der Entwicklungsdefizite kritische und lebhafte Debatten in den arabischen Länden angestoßen hat. Der Aufbruch in eine "arabische Wissensgesellschaft", verbunden mit mehr individuellen Freiheiten und einer Öffnung nach außen, ist - so der jüngste Bericht von 2003 - Voraussetzung, um den Entwicklungsrückstand der Region aufzuholen. Es ist somit ein gelungenes Timing, dass sich die arabischen Länder in diesem Herbst auf der Frankfurter Buchmesse als Ehrengast präsentieren. Und ein Anlass für INTERNATONALE POLITIK UND GESELLSCHAFT, die Entwicklungsperspektiven der arabischen Länder sowie der anderen Staaten des Mittleren Ostens zum Schwerpunkt zu machen und die zentralen Streitpunkte aus Innen- und Außenperspektive zu beleuchten: die Rolle externer Akteure im Transformationsprozess, die Lösung regionaler Sicherheitsprobleme und das Verhältnis zwischen Demokratie und Islam.

Dem mit den Leitbegriffen der Demokratie und Freiheit begründeten Engagement westlicher Staaten im Mittleren Osten wird von vielen Seiten nicht nur ein Mangel an Glaubwürdigkeit und Effektivität, sondern gar eine kontraproduktive Wirkung zugeschrieben. In dem Maße, wie der als Einmischung empfundene westliche Reformdiskurs sich auf die oppositionelle Kritik aus den arabischen Ländern bezieht - oder diese für eigene Zwecke nutzt - , drohen die Reformkräfte als "Agenten des Westens" abgestempelt zu werden und an Einfluss zu verlieren. Dieses Dilemma führen die Beiträge von Nader Fergany und Hoda Elsadda mit aller Deutlichkeit vor Augen. Fergany, Hauptautor des Arab Human Development Report, kritisiert in seiner Einleitung zu diesem Schwerpunktheft die Instrumentalisierung des Berichts durch die USA und plädiert für eine "arabische Renaissance", die hauptsächlich von innen vorangetrieben und geformt werden muss. Die ägyptische Literaturwissenschaftlerin und Frauenrechtlerin Elsadda stellt heraus, dass arabische Frauen und ihre Organisationen schon seit Jahrzehnten für mehr Rechte eintreten. Sie haben dabei nicht mit der islamischen Tradition, sondern mit je spezifischen, gesellschaftlichen und politischen Hürden zu kämpfen - die auch in westlichen Ländern vielfach nicht abgebaut sind.

Während uns Fergany auf die Macht der Ideen und Elsadda auf den Einfluss der Akteurinnen hinweist, fokussiert Christian Koch auf die sozialstrukturellen Ursachen des politischen Wandels im Mittleren Ostens: Nicht die Intervention im Irak, sondern demographische Entwicklungen, zunehmende Bildung und die Beendigung des Informationsmonopols der Regierungen durch neue Kommunikationstechnologien werden den Status Quo über kurz oder lang aufbrechen.

Trotz gesellschaftlicher Impulse bleibt die Frage zu stellen, ob die Machtstrukturen in den Rentenökonomien des Mittleren Ostens (vgl. hierzu auch den Beitrag von Herbert Kitschelt in der IPG 1/2004) allein von innen aufgebrochen werden können, zumal die Renteneinkommen zu einem nicht unerheblichem Anteil aus dem westlichen Ausland stammen. Andrä Gärber und Richard Youngs gehen in ihren Beiträgen davon aus, dass richtig zugeschnittene internationale und transnationale Unterstützung dem demokratischen Wandel im Mittleren Osten durchaus förderlich sein kann. Allerdings ist die jüngste G8-Partnerschaftsinitiative, wie Gärber zeigt, unvollständig und wenig innovativ, während Youngs die zahlreichen Schwachpunkte der EU-Demokratisierungspolitik für den Mittleren Osten herausarbeitet.

Einig sind sich beide Autoren darin, dass gemeinsame und abgestimmte Anstrengungen der USA und Europas grundsätzlich von Nutzen sind. Die EU kann - so Youngs - durch Abgrenzung von den USA allenfalls kurzfristig profitieren. Auch Jürgen Kocka plädiert in seinem Kommentar zur gegenwärtigen US-Außenpolitik für einen sorgsamen Umgang mit dem Gut der transatlantischen Partnerschaft. Sie könnte davon profitieren, wenn historisches Verstehen und Akzeptanz kultureller Unterschiede - wie es im Dialog mit den Ländern der arabischen Welt zurecht angemahnt wird - auch den USA entgegengebracht wird.

Ein Erfolg transatlantischer Kooperation für innenpolitische Reformen im Mittleren Osten wird zweifelsohne davon abhängen, inwieweit es gelingt, auch die zentralen sicherheitspolitischen Fragen und regionalen Konflikte in der Region zu lösen. Die Stabilisierung des Irak ist eine der Hauptaufgaben, die - so Gärber - nicht zuletzt aufgrund der Fehler der Besatzungstruppen auch nach der Übergabe der Souveränität an die Übergangsregierung ein schwieriges Unterfangen bleibt. Ebenso dringlich ist eine Friedenslösung für Israel und Palästina. Muriel Asseburg fordert ein stärkeres internationales Engagement, da sich das Zeitfenster für eine Zwei-Staaten-Lösung zu schließen droht. Schließlich ist ein regionaler Abrüstungs- und Entspannungsprozess Voraussetzung für demokratische Reformen in der Region. Rolf Mützenich entfaltet ein Konzept für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone Mittler Osten, die über einen geduldigen Weg des "Wandels durch Annäherung" zu realisieren ist.

Das Verhältnis von Demokratie und Islam ist der dritte rote Faden, der sich durch zahlreiche Beiträge dieses Heftes zieht. Eberhard Kienle stellt diesen Aspekt ins Zentrum seiner Analyse der politischen Zukunft Ägyptens. Kienle warnt davor, islamische Kräfte pauschal als Gefahr oder Gegensatz der demokratischen Entwicklung zu kennzeichnen. Es gibt - wie auch Youngs und Gärber zeigen - eine Reihe pragmatischer Bewegungen und moderater islamischer Organisationen, die als Partner in den Demokratisierungsprozess eingebunden werden können. Das Hauptproblem in Ägypten ist - so Kienle - nicht die drohende "Islamisierung", sondern die struktrurelle Hegemonie des Regimes, die den Aufbau alternativer Machtzentren blockiert.

Der Versuch, durch Institutionen regionale Integration voranzubringen und Entwicklungshindernisse aus eigener Kraft zu beseitigen, erlebt in Afrika eine Renaissance. Keith Gottschalk und Siegmar Schmidt prüfen in ihrem Beitrag, ob die Hoffnungen, die in die Afrikanische Union (AU) und das New Partnership for Africa's Development (NEPAD) gesetzt werden, berechtigt sind. Die Antwort ist auch deshalb aufschlussreich, weil die multilaterale Institutionenbildung zur Überwindung von Entwicklungsdefiziten und Sicherheitsproblemen langfristig auch für andere Regionen, etwa den Mittleren Osten als mögliches Modell gehandelt wird. Ohne Zweifel stellen, so Gottschalk und Schmidt, die neuen Organisationen einen bemerkenswerten Bruch mit der afrikanischen Vergangenheit und der Herrschaft des Souveränitätsprinzips dar. Allerdings bedrohen die zahlreichen institutionellen Schwachpunkte, fehlende Ressourcen und utopische Ziele die Glaubwürdigkeit des Integrationsprojekts. Als entscheidende Bewährungsprobe für die neuen sicherheitspolitischen Strukturen kann der Darfur-Konflikt im Sudan - Mitglied der Arabischen Liga und der AU - gelten. Er ist aber auch ein Testfall für die Vereinten Nationen und ihre Mitglieder, die glaubten, aus dem Versagen in Ruanda gelernt zu haben (vgl. das Review Essay Hans Mathieu in der IPG 2/2004) - ein weiterer Grund für die westlichen Geberländer, die afrikanische Eigeninitiative nachhaltig zu unterstützen.

     
 
     
 
 
     
© Friedrich Ebert Stiftung  net edition: Gerda Axer-Dämmer| 04/2005   Top