| Zu diesem Heft Heft 3/2004 | |||||||||||||||||||
Der Befund der "neuen Kriege" und die Rede von den "neuen", sprich terroristischen Bedrohungen hat die Frage nach einer Anpassung der internationalen Rechtsordnung aufgeworfen. Das "alte Völkerrecht", basierend auf der konstitutiven Norm der staatlichen Souveränität, scheint in einer von "souveränitätsfreien Akteuren" maßgeblich geprägten Welt und im Lichte unzähliger Interventionen immer mehr zum Anachronismus zu werden. Tatsächlich hat sich das Souveränitätsverständnis jedoch in der Vergangenheit schon immer gewandelt und veränderten politischen Bedingungen und Machtverhältnissen angepasst. Und während das Leitprinzip der Souveränität im Staatendiskurs enorme Beharrungskraft beweist, ging deren formale Anerkennung schon immer mit Regelbrüchen und Interventionen, mit freiwilligem Autonomieverzicht sowie schleichendem Autonomieverlust einher - in Stephen D. Krasners Worten ein System der "organisierten Heuchelei". In der Debatte, die in dieser Ausgabe von INTERNATIONALE POLITIK UND GESELLSCHAFT aufgegriffen und über ein Internetsymposium weitergeführt wird, geht es somit nicht um die Verabschiedung des Souveränitätsregimes, sondern um die Neubestimmung der Rechte und Pflichten souveräner Staaten. Gestritten wird um klare Regeln, die Legitimität und Legalität von Interventionen kohärent zusammenführen und der "Heuchelei" möglichst enge Grenzen setzen können. Zum einen muss das Souveränitätsregime auf die Schwäche seiner Mitglieder und den Befund zahlreicher "Quasi-Staaten" reagieren, die ihre Rechte und Pflichten gegenüber der internationalen Gesellschaft und den eigenen BürgerInnen nicht mehr wahrnehmen können. Zweitens hat das Ende des Ost-West-Konflikts eine signifikante Weiterentwicklung des Menschenrechtsregimes ermöglicht, die immer neue "humanitäre" Löcher in den Panzer der Souveränität gebohrt hat. Schließlich fordert die von den USA propagierte und auch implementierte Doktrin der "vorbeugenden Verteidigung" das Völkerrecht heraus, indem sie die Grenzen rechtmäßiger Gewaltanwendung gegen souveräne Staaten unilateral zu erweitern beansprucht. Ausgangspunkt der Beiträge von Herfried Münkler und Stefan Mair sind diese neuen Herausforderungen für Völkerrecht und politische Praxis: Münkler beschreibt den internationalen Terrorismus als asymmetrische Bedrohung, auf die das Konzept der "vorbeugenden Verteidigung" eine konsequente Antwort darstellt. Mair analysiert das schwierige Geschäft der Intervention in "failed states", die wohlgemerkt keinesfalls auf militärische Mittel beschränkt sein kann und soll. Hans-Joachim Heintze und Tobias Debiel zeigen in ihren Beiträgen, dass das Völkerrecht sich mit den veränderten Rahmenbedingungen und Herausforderungen bereits signifikant weiterentwickelt hat. Heintze sieht keine Notwendigkeit, das Selbstverteidigungsrecht unilateral auszudehnen, um terroristischen Bedrohungen und der Proliferation von Massenvernichtungswaffen zu begegnen. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive hingegen entwickelt Jason D. Söderblom sein Argument gegen "unnötige Kriege". Aufbauend auf der Theorie des Realismus belegt seine Analyse, dass eine rationale Auswertung vorliegender Informationen über das irakische Regime zu einer Politik der Abschreckung, nicht des Angriffs geführt hätte. Michael Dauderstädt nimmt eine wissenschaftliche Auswertung der politischen Motive von Selbstmordattentätern zum Anlass, um die Angemessenheit rein repressiver Anti-Terror-Strategien zu hinterfragen. Seine Empfehlung, Verhandlungen mit den Terroristen aufzunehmen, lädt zu einer Debatte ein, die bislang kaum stattgefunden hat. Der "neue Interventionismus" der 1990er Jahre wurde - wie Debiel zeigt - nicht nur mit humanitären Anliegen, sondern teilweise auch mit dem Anspruch auf eine demokratische Regierungsform begründet. Dieser Aufstieg des Prinzips der Volkssouveränität zur internationalen Norm spiegelt sich in dem Bedeutungszuwachs außenpolitischer Strategien und Programme der Demokratieförderung. Das Essay von Peter Burnell unterzieht das weite Spektrum der politischen und ökonomischen Instrumente des "Demokratieexports" einer kritischen Bestandsaufnahme. Fazit: Keine großen Pläne, keine Rezepte, sondern Bescheidenheit, differenzierte und fallspezifische Ansätze sowie eine gesunde Skepsis gegenüber militärischem Regimewechsel. In der EU beginnt nach den Beitrittsfeierlichkeiten und der Europawahl der Arbeitsalltag mit 25 Mitgliedern, auf den Europa, wie Wolfgang Quaisser und Manfred Wegner nachweisen, allerdings unzureichend vorbereitet ist. Jenseits alarmierender Standortdebatten markieren die Autoren einen schwierigen, aber gangbaren Reformpfad für die ökonomische Integration, der im Kern zu einer Neuverteilung der Zuständigkeiten führen muss und vor der Aufnahme weiterer Mitglieder eine Konsolidierungsphase erfordert. Samuel P. Huntingtons neues Buch über die Bedrohung US-amerikanischer Identität durch Immigration aus Lateinamerika (vgl. hierzu auch den Beitrag von Keith Nurse in Heft 2/2004 der IPG) hat kurz vor den Präsidentschaftswahlen der Debatte über die Einwanderungspolitik neue Nahrung gegeben. Britta Waldschmidt-Nelson unterzieht seine Argumentation, die die These des "Clash of Civilizations" auf die USA zu übertragen scheint, einer sorgsamen Prüfung und kommt zu einer anderen Antwort auf Huntingtons Frage "Who are we?" - eine Auseinandersetzung, die zweifelsohne auch für die europäischen Kontroversen über die Grenzen der Vielfalt relevant ist. | |||||||||||||||||||
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