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Rohstoffe, Ressentiments und staatsfreie Räume
Die Strukturen des Krieges in Afrikas Mitte
Daniel Stroux*
Ruandas Tutsi-Regime suchte ein Sicherheitsglacis gegenüber
seinen in den Ost-Kongo geflohenen Hutu-Gegnern. Die Rohstoffe
der Region, über die die kongolesische Regierung die Kontrolle
verloren hat, riefen weitere Staaten und Milizen auf den
Plan und bald ging es vor allem um Bereicherung. Relativ
staatsfreie rohstoffreiche Räume und fortbestehende Ressentiments
bedeuten, dass dauerhafter Frieden nur von außen durchzusetzen
ist.
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Seit der Ermordung des kongolesischen Präsidenten
Laurent Désiré Kabila im Januar 2001 ist die Region
Zentralafrika, und vor allem der Kongo (Demokratische
Republik Kongo), einer realen Perspektive für Frieden
näher gekommen. Der Hauptgegner des Kongo, Ruanda,
hat im Oktober 2002 seine Truppen aus dem Nachbarland
offiziell abgezogen. Führende Köpfe der für den
ruandischen Genozid verantwortlichen Drahtzieher,
die in Kinshasa Zuflucht gefunden hatten, wurden
verhaftet und die Machtverteilung zwischen den Hauptprotagonisten
des Landes in einer Übergangszeit von zwei Jahren
bis hin zu Wahlen festgelegt. Dies sind mehr als
nur Anzeichen für eine tatsächliche Wendung im Kongo-Konflikt.
Sie erfüllen Kernforderungen der Kriegsgegner im
Konflikt entlang den Linien des Lusaka-Abkommens
von 1999 und bereiten, sofern ihre Umsetzung tatsächlich
erfolgt, den Boden für eine Wiedervereinigung und
den staatlichen Wiederaufbau des Kongos.
Doch eine Reihe struktureller Konfliktursachen
bleibt bestehen und verdüstert die langfristige
Perspektive für die Region beziehungsweise macht
ein langfristiges Engagement externer stabilisierender
Kräfte notwendig. Das autoritäre ruandische Regime
und die Dominanz der regierenden Tutsi-Elite, die
Überbevölkerung in der Region um die großen Seen,
die Ressourcenknappheit auf Seiten Ruandas und Ugandas
bei gleichzeitigem Rohstoffreichtum im Kongo, die
Interessen von Kriegsprofiteuren und Warlords sowie
die psychologischen Folgen des vierjährigen Krieges
- nicht zuletzt der tiefsitzende Hass innerhalb
der kongolesischen Bevölkerung auf den Nachbarstaat
Ruanda - bleiben als Konfliktursachen bestehen.
Auch der Hutu-Tutsi-Konflikt im anderen Nachbarland,
Burundi, bleibt trotz des Arusha-Abkommens von August
2000 ungelöst.
Der Artikel versucht zunächst, die vielfältigen
Konflikte der Region Zentralafrika auf ihre Ursprünge
zurückzuführen. Dabei wird nachgezeichnet, wie die
Eskalation eines Konflikts unter “ungünstigen” Bedingungen
die Region in Krieg und Chaos stürzte. Anschließend
werden die wichtigsten Schritte im Friedensprozess
analysiert, der im Lusaka-Abkommen von 1999 seinen
Ausgangspunkt hat und mit dem (vorläufigen?) Abzug
Ruandas aus dem Kongo und der beginnenden Demobilisierung
der Milizen seinen bisherigen Höhenpunkt erreichte.
Im zweiten Abschnitt werden die graduellen Erfolge
der Friedensbemühungen den potenziellen sowie noch
andauernden Konfliktherden gegenübergestellt. Die
bestehenden Konflikte wiederum determinieren, unter
welchen Bedingungen der Frieden in der Region eine
Chance hat.
Grundmuster des Konflikts:
Hutu und Tutsi einerseits, Rohstoffe andererseits
Der Kern der Konflikte in der Region findet sich
in den politisierten Machtkämpfen zwischen Hutu
und Tutsi in Ruanda und Burundi. Dieser Konflikt
beschränkt sich nicht auf die genannten Staaten,
sondern erstreckt sich auch auf die Kivu-Regionen
im Osten Kongos. Der Gegensatz von Hutus und Tutsis
war bereits während deutscher und belgischer Kolonialzeit
ein Konflikt zwischen Herrschern und Unterdrückten
mit wechselnder Rollenverteilung war. Nach der Unabhängigkeit
Ruandas und Burundis in den 1960er Jahren entlud
er sich zwischen den politisierten Ethnien und führte
immer wieder zu Flüchtlingsströmen in die Nachbarländer.
Vor allem der Kongo, Tansania und Uganda waren in
erheblichem Maße von überwiegend ruandischen Flüchtlingen
betroffen. Uganda wurde aber auch zum Trainingslager
der Tutsi-Gruppen vor 1994. Migrationsbewegungen
hatte es indes schon lange vorher gegeben. Die Tutsi-Gruppe
der Banyamulenge beispielsweise hat sich vor mehr
als zweihundert Jahren in der Hochebene bei Uvira
im Ost-Kongo niedergelassen.
Im ruandischen Genozid mit der Ermordung von
einer Million Tutsi und moderaten Hutu durch radikale
Hutu zeigte sich der Machtkonflikt zwischen Hutu
und Tutsi in seiner extremsten Form. Seine Folgen
- über eineinhalb Millionen Flüchtlinge im Kongo
und ein Gewaltexport durch das Ausweichen der für
den Völkermord verantwortlichen Interahamwe-Milizen
und der ruandischen Hutu Armee ins Ausland - trafen
auf das Zaire Mobutus, das bereits von starken Verfallsprozessen
gekennzeichnet war. Ruandische Neuankömmlinge fanden
ein relatives Machvakuum vor. Zudem trafen Gewaltmuster
und Ideologie des Genozids aufgrund der Flüchtlings-
und Migrationswellen der vorausgehenden Dekaden
im zairischen Kivu auf vergleichbare ethnische Strukturen.
Ein Hutu-Land sollte errichtet werden und Tutsi-Gruppen,
ob Zuwanderer aus dem 19. oder Flüchtlinge aus dem
20. Jahrhundert, wurden von den ruandischen Hutu
in Komplizenschaft mit den zairischen Behörden bedroht,
vertrieben oder ermordet.
Die neuen Machthaber in Ruanda nach dem Genozid
von 1994, die Gruppe um den Tutsi Paul Kagame, hatten
Zaire und die internationale Gemeinschaft bereits
lange zuvor vor der explosiven Situation an ihrer
westlichen Grenze gewarnt. Die Interahamwe Milizen
und die ehemalige Armee Ruandas hatten sich reformiert,
trainierten in den Wäldern Zaires, unternahmen regelmäßige
Sabotageakte und ermordeten Tutsi in Ruanda. Sie
nutzten die Flüchtlingslager als humanen Schutzschild
und zur Rekrutierung von Kämpfern. Die “zairische
Rebellion” im Oktober 1996 wurde deshalb von Ruanda
mit initiiert und mitgetragen, in erster Linie,
um Flüchtlingslager zu sprengen und gegen die Ex-Armee
und Milizen der Hutu vorzugehen. Einer der komplementären
Faktoren liegt in der offiziellen Vertreibungspolitik
des Mobutu-Regimes gegenüber den bereits erwähnten
Banyamulenge-Tutsi im Süd-Kivu. Diesen wurde nicht
nur lange die Staatsbürgerschaft verweigert, sondern
sie wurden 1996 in einem Ultimatum des Gouverneurs
sogar aufgefordert, das Land zu verlassen. Aus diesen
Ereignissen erwuchs eine Allianz zwischen Banyamulenge
und den neuen ruandischen Herrschern, die sich im
Oktober zusammen mit drei zairischen Gruppen zur
Alliance des Forces Démocratiques de la Libération
du Congo (AFDL) formierten.
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Die wirtschaftlichen Motive für diesen Krieg überlagerten
im Verlaufe des Konflikts zunehmend die machtpolitischen.
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Der Sieg der AFDL über Kinshasa und Mobutu nach
nur neun Monaten im Mai 1997 war ursprünglich nicht
vorgesehen gewesen, sondern war im wahrsten Sinne
des Wortes zum Selbstläufer geworden: Die zairischen
Soldaten rannten vor den heranrückenden Rebellen
davon. Diese Rebellen waren in Wirklichkeit zunächst
vor allem militärisch starke ruandisch-ugandische
Truppen, wurden aber im Zuge des erfolgreichen Vormarsches
zu einer originären und legitimen kongolesischen
Bewegung.
Trotz der faktischen Machtteilung im Kongo zwischen
der kongolesischen Regierung unter Laurent Désiré
Kabila und der Invasionsmacht Ruanda im Zeitraum
Mai 1997 und Juli 1998 gelang den ruandischen Kräften
kein durchgreifender Erfolg gegen die Rebellengruppen
im Kivu. Ruanda war es zwar gelungen, die Hutu-Flüchtlingslager
zu zerstören und die Flüchtlinge entweder zurückzuholen
oder zu vertreiben, die ehemaligen Armeen jedoch
konnten nur in Teilen ausgelöscht werden.
Die ruandische Regierung warf ihrem ehemaligen Verbündeten
Kabila vor, er unternehme nichts gegen die bewaffneten
Hutu-Gruppen im Ost-Kongo. Das Zerwürfnis mit ihm
sowie die Vertreibung der Tutsi aus dem Kongo –
und die damit einhergehende Furcht Ruandas, nicht
mehr gegen die Hutu-Milizen im Kivu vorgehen zu
können - waren schließlich Anlass, diesmal gegen
Kabila vorzugehen. Dabei war nun eindeutig nicht
mehr von einer Rebellion zu sprechen, sondern von
einem Krieg Ruandas und Ugandas gegen den Kongo.
Dieser zweite Krieg eröffnete eine auf dem Kontinent
bis dato noch nie da gewesene regionale und internationale
Dimension. Sieben afrikanische Staaten waren an
den verschiedenen Fronten massiv in den Krieg involviert.
Angola, Zimbabwe und Namibia schlugen sich auf die
Seite des Kongo, da sie dessen Gegnern Ruanda, Uganda
und Burundi die kongolesischen Rohstoffe nicht allein
überlassen wollten.
Der Rohstoffreichtum im Kongo wurde zu einem
Hauptmotiv für die Intervention. Quasi-neo-koloniale
Strukturen entstanden, um den Eliten neue Erwerbsquellen
zu erschließen und Pfründe und Macht verteilen zu
können. Für Ruanda, dessen hohe Bevölkerungsdichte
und der damit einhergehende Landmangel als Auslöser
für den Genozid galten, dürfte Gewinn an Territorium
auch eine Antriebsfeder für das militärische Engagement
gewesen sein. Das Argument jedoch, mit welchem Ruanda
seine bis zu eintausend Kilometer in den Kongo hineinreichende
Intervention rechtfertigte, blieb bis zuletzt die
Sicherheitsfrage. Natürlich blieben die Hutu-Milizen
der Armée pour la Libération du Rwanda (ALIR) eine
reale Gefahr, die Verbände waren gut formiert, von
Kinshasa unterstützt oder in die kongolesische Armee
eingegliedert. Das Sicherheitsargument eignete sich
aber auch stets als Vorwand für die Ausbeutung wertvoller
Rohstoffe.
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Vor allem müssten Sanktionen gegen diejenigen durchgesetzt
werden, die den Kriegsherren die Beute abkaufen.
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Die wirtschaftlichen Motive für diesen Krieg überlagerten
im Verlaufe des Konflikts zunehmend die machtpolitischen.
Der Bericht des UN-Panels zur Rohstoffausbeutung
im Kongo beschreibt die Motive der verschiedenen
Kriegsprofiteure, die am Kongo verdien(t)en und
zeigt, dass der konventionelle Krieg zwischen den
Fronten 2002 mehr oder minder zum Stillstand kam,
statt dessen aber der Kampf um die Rohstoffkontrolle
den Krieg auf anderer Ebene weiterführen ließ und
für die Zivilbevölkerung nach wie vor sehr hohe
Verlusten mit sich brachte.
Noch im Jahr 2002 waren auf beiden Kriegsseiten
die alliierten Armeen in der Ausbeutung der Rohstoffe
engagiert. Der Bericht nennt z.B. Simbabwe als besonders
aktiven Profiteur in der Provinz Kasai. Die Akteure
wurden also immer mehr zu Warlords, deren Interessen
relativ kurzlebig und kleinräumig auf Rohstoffvorkommen
und andere profitable Wirtschaftsaktivitäten konzentriert
sind. Aufgrund der Vielzahl verfügbarer Rohstoffe
blieb die Konfliktlage unübersichtlich. Der gesamte
Osten des Landes, von Katanga über die Kivus bis
in den Norden, war geprägt von lokalen Konflikten
mit verheerenden Menschenrechtsverletzungen.
Der Blick auf die Ausbeutung der Rohstoffe darf
wiederum nicht die Wurzeln des Konflikts und die
schwierige Akteurskonstellation verdecken, wie sie
sich beispielsweise im Süd-Kivu darstellt. Ideologie,
Kampf ums Überleben und gegen Fremdherrschaft fallen
hier mit ökonomischen Interessen zusammen. In diesem
Gebiet operierten 2002 mindestens acht verschiedene
Akteure, der Rassemblement Congolais pour la Démocratie
(RCD)-Goma mit Ruanda, die Hutu-Milizen der ALIR
gegen Ruanda. ALIR wiederum ging Zweck-Allianzen
mit den Mayi-Mayi-Milizen (Oberbegriff für kongolesische
Widerstandsgruppen) ein. Diese hatten zwischen 1994
und 1996 gegen die Besatzung durch die ruandischen
Hutu gekämpft und wandten sich später gegen die
ruandischen Tutsi-Truppen und die ökonomische Ausbeutung
im Kongo. Ein bedeutsamer Akteur sind auch die schon
erwähnten Banyamulenge-Tutsi, die 1995/96 Beistand
bei Ruanda gegen Mobutu fanden, sich wegen der Besatzungspolitik
schließlich von Ruanda lösten und dafür von Ruanda
militärisch verfolgt wurden. Und schließlich ist
es die Zivilbevölkerung, die, zerrieben zwischen
den Interessen von Armeen, Warlords, Milizen und
Rebellen, seit Ausbruch des Krieges die größte Last
zu tragen hatte.
Der langwierige Friedensprozess von Lusaka
Dem im Herbst 2002 erfolgten, bislang nur teilweisen
Abzug ruandischer Truppen und den Versuchen, die
Milizen zu entwaffnen, waren langjährige zähe Verhandlungen
vorausgegangen. Das Lusaka-Friedensabkommen von
1999 stellt den Ausgangspunkt für den Prozess dar.
Es nannte die Ursachen für den Konflikt und zeigte
mit einer militärischen und zivilen Komponente einen
Weg zum Frieden auf. Erstens wurde ein Waffenstillstand
geschlossen. Die Rebellengruppen sollten entwaffnet
werden, die ausländischen Truppen sollten sich aus
dem Land zurückziehen. Eine UN-Friedenstruppe sollte
den Friedensprozess überwachen, eine gemeinsame
Militärkommission Vorschläge für die Entwaffnung
der Milizen ausarbeiten.
Zweitens verzahnte das Abkommen die internationale
Dimension des Krieges mit dem politischen Wiederaufbau
des Kongo. Mit dem „dialogue intercongolais“ auf
nationaler Ebene sollte der Weg zu einer Übergangsregierung
und zu Wahlen geebnet werden. Teilnehmen sollten
die unbewaffnete und die bewaffnete Opposition,
die organisierte Zivilgesellschaft und das Kabila-Regime.
Damit stärkte das Lusaka-Abkommen den nicht in den
Krieg involvierten Gruppen innenpolitisch erheblich
den Rücken.
Einige strukturelle Schwächen des Abkommens
ließen Kritiker an seiner Durchsetzbarkeit zweifeln.
Wer sollte die anderen, am Abkommen nicht beteiligten,
aber in den Konflikt direkt eingebundenen Rebellen
entwaffnen? In erster Linie handelte es sich dabei
um die ruandischen Hutu-Rebellen, aber auch die
burundischen Rebellen des „Conseil National de la
Démocratie - Forces for the Defence of Democracy“
sowie die Mayi-Mayi-Milizen.
Bis zur Ermordung Laurent Désiré Kabilas im
Januar 2001 kam die Umsetzung des Abkommens nur
sehr schleppend voran. Der Waffenstillstand wurde
immer wieder verletzt, die politischen Verhandlungen
waren mit dem botswanischen Vermittler Ketumile
Masire in eine Sackgasse geraten und die Stationierung
der UN-Truppe war lediglich auf ein Beobachterkontingent
von zunächst 500 Blauhelmen im Land beschränkt.
Dennoch bedeutete das Abkommen die Institutionalisierung
eines Friedensprozesses, der für alle Beteiligten
einen wichtigen Referenzpunkt und Handlungsrahmen
darstellt.
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Anfang der 90er Jahre machte das schwindende Gewaltmonopol
der Regierung in Kinshasa das Land zunehmend verletzbar
gegenüber äußerer Intervention.
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Mit dem Tod Laurent Désiré Kabilas wurde dem Lusaka-Abkommen
neues Leben eingehaucht. Sein Sohn und Nachfolger,
Josef Kabila, erklärte seine Bereitschaft für einen
Dialog mit allen Kräften, um die innen- und außenpolitischen
Herausforderungen zu lösen und einen Weg aus der
Verhandlungssackgasse zu finden. Kabila Junior erwuchs
schnell zum Hoffnungsträger für die internationale
Gemeinschaft. Der internationale Zuspruch verhalf
ihm zu sichtbarem Einfluss insbesondere gegenüber
den Hintermännern, die ihn nach dem Tod seines Vaters
ins Präsidentenamt gehievt hatten. Grenzen waren
ihm durch den starken Mann des Regimes, den heutigen
Sicherheitsminister Mwenze Kongolo, gesetzt, der
für die Interessen der zimbabwischen Regierung stand,
die bis 2002 über 12.000 Soldaten im Kongo stationiert
hatte. Zimbabwe war ein wichtiger Macht- und Sicherheitsfaktor
für Joseph Kabila, ohne dessen Drohpotenzial er
sein Überleben gefährdet sah. Im Rahmen des Abkommens
mit Ruanda und dessen Truppenabzug im Herbst 2002
zogen sich jedoch auch Zimbabwe und Angola endgültig
und offiziell militärisch zurück, wodurch sich auch
die Machtverhältnisse in Kinshasa selbst neu ordnen
dürften.
Die zahlreichen Verhandlungen seither erbrachten
konkrete Resultate. Während einer Übergangsphase
von zwei Jahren sollen nun eine Regierung der nationalen
Einheit, ein Parlament und ein Senat die Geschicke
des Landes bestimmen. An der Spitze des Kongo bleibt
Josef Kabila, doch werden ihm vier Vizepräsidenten
zur Seite gestellt. Diese werden aus den Reihen
des Mouvement pour la Libération du Congo (MLC)
von Jean Pierre Bemba, der RCD (Goma) von Adolphe
Onusumba, der politischen Opposition des Landes
sowie der Regierung Kabilas ernannt. 36 Minister
und 25 Vize-Minister werden die Tagesgeschäfte führen.
Das Parlament mit 500 Sitzen und der Senat mit 120
werden jeweils von acht Gruppen besetzt, den bereits
Genannten sowie der Zivilgesellschaft, den Mayi-Mayi
Milizen und den beiden im Nord-Osten des Kongo operierenden
früheren Abspaltungen des Rassemblement Congolais
pour la Démocratie, RCD-Mouvement pour la Libération
du Congo (RCD-ML) und RCD-Nationale. Die Übergangsphase
soll dreißig Monate nicht überschreiten, danach
sollen die Kongolesen in der Lage sein, ihre Volksvertreter
in demokratischen Wahlen zu bestimmen.
Die Voraussetzung für die Einigung auf zivilem
Parkett war das bilaterale Übereinkommen zwischen
Ruanda und Kongo im Juli und Oktober 2002 in Pretoria.
Bei den von den UN und Südafrika begleiteten Verhandlungen
wurde der gordische Knoten der Sicherheitsfrage
Ruandas und dem Truppenabzug der ausländischen Kräfte
im Kongo – vor allem der ruandischen auf der einen
und der simbabwischen und angolanischen auf der
anderen Seite - im Ansatz gelöst.
Der Rückzug der ruandischen und simbabwischen Armeen
erfolgte unerwartet schnell.
Im Gegenzug lieferte Kabila die am Völkermord in
Ruanda 1994 maßgeblich beteiligten Personen aus,
denen Kinshasa mehrere Jahre sicheren Unterschlupf
gewährt hatte. Voraussetzung für die Entflechtung
der militärischen Komponente war die Stationierung
der UN-Friedenstruppe MONUC (Mission des Nations
Unies pour le Congo) im Jahr 1999. Diese ebnete
den Weg für die Implementierung des regionalen DDRRR–Programms
zur Entwaffnung, Demobilisierung, Rückführung, Reintegration
und Wiederansiedlung,
das im Jahr 2001 beschlossen wurde. Zwar bot die
MONUC, die zunächst auf nur 3.500 Mann beschränkt
war, ein schwaches Bild und schien ein Spiegel des
nur geringen Interesses der internationalen Gemeinschaft
an der Lösung des Konflikts in Zentralafrika zu
sein. Dennoch bekam der Friedensprozess durch die
Präsenz der Mission eine institutionelle Orientierung
und ein moralisches Gewissen. Deshalb muss man MONUC
mittelfristig einen konfliktverhindernden Einfluss
zuschreiben. Die Erhöhung der Zahl der Soldaten
auf 8.700 durch Beschluss des Sicherheitsrates zeigt,
dass das Vertrauen in den Friedensprozess und das
Bewusstsein für das Ausmaß des Konflikts auf internationaler
Seite gewachsen ist.
Das komplexe DDRRR-Programm wiederum schaffte den
notwendigen Rahmen für die Lösung des Problems der
Hutu-Milizen und ihrer Wiedereingliederung. Die
Tatsache, dass die Milizen (ALIR) erstens lange
von Kinshasa und Simbabwe unterstützt wurden – waren
sie für Kabila doch die einzige zuverlässige militärische
Kraft im Ost-Kongo - und dass die Führer von ALIR
zweitens wegen ihrer Teilnahme am Genozid 1994 zur
Verantwortung gezogen werden, stellt sich als Haupthindernis
für die Umsetzung des Programms dar. Vorsichtige
Erfolge erlangten nach vorausgehender Sondierungsmission
erste Rückführversuche einer Vorhut von Hutu nach
Ruanda. Eine erste befriedigende Eingliederungswelle
erfolgte, wurde jedoch von der forcierten Rückführung
weiterer Hutu-Milizen im Herbst 2002 gefährdet.
Damit wurde nicht nur das Prinzip der freiwilligen
Rückführung (non-refoulement) verletzt, sondern
auch das Vertrauen der verbleibenden Kämpfer und
Flüchtlinge in den Wiedereingliederungsprozess.
Strukturelle Friedenshindernisse
Trotz der bisherigen Fortschritte dürfen nicht
die strukturellen Faktoren außer Acht gelassen werden,
die eine Friedensordnung für den Kongo und damit
für die ganze Region gefährden.
Gewalt als Sprache der Warlords
Der Friedensprozess war gekennzeichnet durch eine
erhebliche Diskrepanz zwischen den schriftlichen
Vereinbarungen und Verhandlungen auf der einen Seite
und den realen Geschehnissen dort, wo Kämpfe immer
wieder aufflammten. Die kriegsführenden Parteien
und Warlords nutzten ständig Gewalt zur Stärkung
ihrer Verhandlungsposition. Sobald Gesprächsergebnisse
für eine Gruppe von Nachteil zu sein schienen, wurde
erneut zu den Waffen gegriffen. Zudem brauchte es
lange, bis die Mehrzahl der Protagonisten tatsächlich
mit am Verhandlungstisch saßen. Die Milizen der
Mayi-Mayi etwa wurden erst während der Konferenz
in Sun City einbezogen, obwohl sie seit Beginn Konfliktpartei
waren. Der Weg der Gewalt wurde zur Normalität,
der Dialog zur Ausnahme. Damit stellt sich die Frage,
inwieweit Warlords zur Raison gebracht und in einen
nationalen Wiederaufbau eingebunden werden können.
Staatszerfall und Rohstoffe
Die reiche Ausstattung des Kongo mit Rohstoffen
(Edelmetalle aller Art, Öl, Gas, Uran, Kupfer u.a.)
war seit ihrer Entdeckung eine Ursache für Unterdrückung
und Ausbeutung des Landes durch externe Kräfte.
Der zerfallende Mobutu-Staat jedoch machte den Zugang
zu den kongolesischen Rohstoffen irgendwann nur
mehr sehr bedingt möglich - nicht zuletzt, weil
der Verfall des Landes sich bereits auch in den
nicht mehr funktionsfähigen Produktionsanlagen für
die Rohstoffgewinnung zeigte. Anfang der 90er Jahre
machte das schwindende Gewaltmonopol der Regierung
in Kinshasa das Land zunehmend verletzbar gegenüber
äußerer Intervention. Als kurzsichtige Machterhaltsstrategie
blockierte Mobutu den Demokratieprozess und ließ
ethnische Vertreibungen zu, womit er auch den gesellschaftlichen
Zusammenhalt zerstörte.
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Der Zugriff auf die Rohstoffe durch die Nachbarstaaten
hat den Krieg im Kongo deutlich verlängert. Für
die Konfliktbeilegung stell dies heute eine der
größten Herausforderungen dar.
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Für Ruanda und Uganda waren die Erfolgschancen
für einen Einmarsch im Kongo nicht nur wegen der
Unzufriedenheit der Banyamulenge-Volksgruppe gut,
sondern auch wegen des Machtverlustes der kongolesischen
Staatsgewalt. Die immensen Gold- und Diamantvorkommen
sowie andere leicht zugängliche Rohstoffe versprachen
hohe Rentabilität. Nach Auflösung der Flüchtlingslager
standen sofort die Minen des Kivu und anderer Regionen
im Brennpunkt der Auseinandersetzungen. Und sie
dienten nicht nur der Finanzierung des Krieges.
Internationale Konzerne finanzierten teilweise den
Konflikt gegen Mobutu, da ihnen mit einer neuen
Macht in Kinshasa die Zugänglichkeit zu den Rohstoffen
wieder gesichert schien. So ist auch bekannt, dass
der amerikanischen Geheimdienst die “Rebellion”
von 1996/1997 logistisch unterstützte.
Der Zugriff auf die Rohstoffe durch die Nachbarstaaten
hat den Krieg im Kongo deutlich verlängert. Für
die Konfliktbeilegung stellt dies heute eine der
größten Herausforderungen dar. Hier spielt das Verhalten
der Warlords eine wichtige Rolle. Während die internationalen
Akteure oder die “originären Rebellen” in gewissem
Maße noch durch (internationale) Verträge und Sanktionen
zur Raison gebracht werden können, besteht die grundlegende
Schwierigkeit in der Unberechenbarkeit und Unbeherrschbarkeit
der zahlreichen Warlords der Region. Auch wird allgemein
angenommen, dass der RCD-Goma Ruanda weiterhin einen
Zugang zu kongolesischen Rohstoffen sichert. Sollte
dieser wegzufallen drohen, könnte ein erneuter Einmarsch
unter Vorgabe der Sicherheitsargumente nicht ausgeschlossen
werden. Auch die Etablierung einer nationalen Regierung
in Kinshasa und ein erfolgreicher Übergangsprozess
sind keine Garanten für die Wiederherstellung des
staatlichen Machtmonopols.
Übervölkerung
Die Ressource Land stellt einen weiteren Konfliktfaktor
dar. Landknappheit und durch sie definierte Überbevölkerung
gelten als einer der tieferen Gründe für den ruandischen
Genozid. In diesem Zusammenhang dienten der Kongo
oder auch Tansania stets als wichtiges Ventil für
Ruandas Bevölkerungsproblem. Doch selbst der äußerst
fruchtbare Kivu stieß Anfang der 90er Jahre an seine
Kapazitätsgrenzen. Es kam zu Konflikten zwischen
der einheimischen Bevölkerung und den zugewanderten
Banyarunda (Hutu und Tutsi). Der Kongo spielte für
das kleine Ruanda also zumindest zeitweise auch
eine Rolle hinsichtlich möglicher Lösungen des eigenen
Bodenproblems. So gab es Überlegungen, den Kivu
langfristig als ruandische Sicherheits- und Pufferzone
zu nutzen.
Ruandas Exklusions- und Expansionspolitik
Die Innenpolitik des ruandischen Regimes unter
Paul Kagame ist als längerfristiger Konfliktfaktor
zu betrachten. Seit der Machtübernahme in Kigali
1994 praktiziert seine Regierung eine harte Exklusionspolitik
gegenüber politisch Andersdenkenden. Während die
rigide Haltung gegenüber den Initiatoren des Völkermordes
durchaus nachvollziehbar ist – für Ruanda waren
Verhandlungen mit ALIR oder Vertretern anderer in
den Genozid involvierten Gruppen stets ein Tabu,
auch im Rahmen von Lusaka und seiner Folgeabkommen
– hat es das Regime in Kigali vermocht, über einen
Zeitraum von acht Jahren auch die moderate Opposition
von Hutu und Tutsi systematisch auszuschalten. Viele
moderate Hutu, die in den ersten Jahren nach dem
Genozid in die Regierung integriert wurden, leben
heute im Exil. 2001 wurde Präsident Bizimungu aus
der Macht gedrängt und der Zugriff auf die Exekutive
auf einen noch kleineren Kreis verengt. Wegen der
Gründung einer Oppositionspartei sitzt Bizimungu
heute im Gefängnis. Nicht weniger bedenklich ist
eine verstärkte Politik der Einschränkung von Presse-,
Meinungs- und Versammlungsfreiheit durch permanente
Überwachung und Einschüchterung. Obwohl die in Ausarbeitung
befindliche Verfassung ein Mehrparteiensystem vorsieht,
hat das ruandische Regime ein Jahr vor den allgemeinen
Wahlen den politischen Spielraum für Parteien in
einem solchen Maße eingeschränkt, dass auch moderate
Kräfte keine Chance auf Mitwirkung haben. Die Folge
ist ein gefährlicher Zusammenschluss eines Spektrums
von Exilgruppen, welcher die moderate Opposition
mit den Extremisten, einschließlich der für den
Völkermord Verantwortlichen, zusammenbringt.
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Die Drahtzieher des Völkermordes in Ruanda werden
sich nicht freiwillig entwaffnen lassen. Gelingt
diese Entwaffnung nicht, wird Ruanda mit hoher
Wahrscheinlichkeit wieder in den Kongo zurückkehren.
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Ein von oben verordneter Dialog wird den ruandischen
Versöhnungsprozess erschweren. Besonders prekär
scheint diese Entwicklung auch im Lichte der Gacaca-Prozesse,
die Ende 2002 begonnen haben, und vermutlich zumindest
einen Teil der über 100.000 unter Völkermordverdacht
stehenden Gefangenen in die Freiheit entlassen werden.
Eine weitere Gruppe, mit deren potenzieller Unzufriedenheit
die ruandische Gesellschaft in Zukunft leben muss,
sind die aus dem Kongo zurückgekehrten und zu demobilisierenden
Soldaten. Diese müssen in das schwierige ökonomische
Gefüge eingebunden werden. Gerade unter diesen Bedingungen
scheint die von Kagame praktizierte Exklusionspolitik
der falsche Weg für ein langfristiges Überleben
des Regimes zu sein. Im schlimmsten Falle provoziert
er seinen eigenen Untergang. Ein weiterer blutiger
Konflikt könnte damit auch eine möglicherweise in
den nächsten Jahren wiedergefundene regionale Stabilität
untergraben.
Fragiler Frieden in Burundi
Der Friedenprozess im ebenfalls von jahrelangen
Hutu-Tutsi-Konflikten heimgesuchten Burundi ist
porös und verläuft stockend. Das 2000 geschlossene
Arusha-Abkommen, das mit Hilfe der UN und Südafrika
sowie anderen internationalen Kräften zustande kam
und die Machtteilung zwischen Hutu und Tutsi-Gruppen
und die Einbindung der bewaffneten Opposition in
die Regierung sowie eine internationale Überwachung
des Konflikts durch die Vereinten Nationen festsetzte,
wurde bislang von zwei Hauptgruppen des bewaffneten
Hutu-Widerstands boykottiert. Aufgrund der immer
wieder aufflammenden Kämpfe mit den Regierungstruppen
bleibt das Land geteilt. Die Zivilbevölkerung lebt
zwischen den Fronten, mal von der einen, mal von
der anderen Seite als Schutzschild und Versorgungsstation
missbraucht oder der Komplizenschaft mit der Regierung
oder den Rebellen angeklagt.
Wie in Ruanda bringt die politische Bipolarität
bei stark ungleicher Bevölkerungszusammensetzung
eine spezielle Problematik für notwendige Machtteilung
mit sich, nämlich eine gleichgewichtige Verteilung
der Macht konträr zur Relation der Bevölkerungszahlen.
Für Burundi endete der erste demokratische Versuch
im Jahr 1993 mit der Ermordung der gesamten Hutu-Regierung
durch die Tutsi-Militärs, die den Ausgang der demokratischen
Wahlen und das damalige Konzept für eine Machtteilung
nicht akzeptierten.
Auch der Burundi-Konflikt hat eine regionale
Dimension. Nach wie vor beherbergt der Kongo burundische
Milizen, die das Kabila-Regime aktiv unterstützten.
Im Zuge eines realen Friedensprozesses im Kongo
müsste diese Bundesgenossenschaft ein Ende haben.
Da das Gewaltmonopol Kinshasas jedoch auch in den
nächsten Jahren nur bedingt wiederhergestellt werden
kann, bedeutet dies nicht notwendiger Weise, dass
den burundischen Milizen die Rückzugsgebiete im
Kongo verschlossen werden. Dennoch ist zu erwarten,
dass die Milizen geschwächt werden. Zugleich aber
werden sie Zulauf durch die ruandischen Hutu-Milizen
erhalten, die sich nicht dem DDRRR-Prozess unterordnen
und der gerichtlichen Verfolgung zu entkommen versuchen.
Hierdurch wiederum steigt der Druck auf Ruanda.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die
Machtteilung in Burundi nicht nach dem Textbuch
des Arusha-Abkommen zustande kommen wird. Der für
die Übergangszeit eingesetzte Präsident steht allerdings
wegen seines Engagements für eine Machtteilung mit
den Hutu unter erheblichem Druck von Seiten der
Tutsi-Militärs. Ein erneuter Ausschluss der Hutu-Gruppen
etwa durch einen Putsch gegen die Übergangsregierung
dürfte auch die Hutu-Rebellen, die inzwischen die
Waffen gestreckt haben, wieder auf den Plan rufen.
Damit aber würden sowohl der Kongo als auch Ruanda
wieder unter Druck geraten.
Ugandas unkontrollierte Militärs
Uganda hatte 1996 an der Seite Ruandas im Kongo
interveniert. Sicherheit, der Kampf gegen aus dem
Kongo operierende ugandische Milizen, ökonomische
Interessen sowie die langjährige Allianz mit Ruanda
können als Hauptmotive für Ugandas Eingreifen festgemacht
werden. Die Teilnahme an der zweiten Intervention
1998 erfolgte vor allem aus Loyalität zum ruandischen
Alliierten, als sich dieser plötzlich nicht mehr
nur dem Kongo, sondern auch Simbabwe und Angola,
die zur Verteidigung Kabilas eingegriffen hatten,
als Kriegsgegner gegenübersah. Uganda hatte den
MLC von Jean Pierre Bemba weitgehend aufgebaut und
damit einen wichtigen Alliierten im Kongo. Allerdings
brachte sich Uganda dadurch in Opposition zum früheren
Verbündeten Ruanda, denn der MLC war aus der Abspaltung
des durch Ruanda unterstützten Rassemblement pour
la Libération du Congo (RCD) entstanden.
Nach den
Zusammenstößen mit Ruanda in der mittelkongolesischen
Stadt Kinsangani und nach einer entsprechenden UN-Resolution
im Jahr 2000 zog sich Uganda aus dem Kongo zurück
– allerdings nicht vollständig. Zuvor hatten sich
ugandische Militärs äußerst aktiv am Diamanten-
und Goldhandel beteiligt. Wiederholt sahen sie sich
dem Vorwurf ausgesetzt, in die gewalttätigen Ressourcenkonflikte
zwischen den Gruppen der Hema und Lendu parteiisch
eingegriffen zu haben und für Massaker mit verantwortlich
gewesen zu sein.
Dass Uganda auch politische Flüchtlinge
aus Ruanda beherbergt, ist dem dortigen Kagame-Regime
ein Dorn im Auge. Während Ugandas Präsident Museveni
vor zehn Jahren noch Kagames Einmarsch in Ruanda
unterstützte, steht heute der Friede zwischen den
beiden Ländern in Frage. Es ist denkbar, dass die
neue Allianz der moderaten Hutu-Politiker mit der
ehedem extremistischen ALIR dazu führt, dass Hutu-Extremisten
Uganda als Fluchtort nutzen. Damit wäre eine neue
Konfliktdimension zwischen Ruanda und Uganda geschaffen,
die sich auch negativ auf den Ost-Kongo auswirken
könnte.
Post-War-Traumata – Kriegspropaganda
und ihre Langzeitwirkungen
Auch die psychologischen Wunden, die der Krieg
bei den Völkern Zentralafrikas hinterlassen hat,
können einen regionalen Frieden langfristig stören.
Der Krieg, die lange Besetzung des Kivu und anderer
Regionen durch Ruanda sowie die Propagandamaschinerie
vor allem unter Laurent Kabila haben im Kongo Hass
gegen die östlichen Nachbarn und Rassismus geschürt.
Die Kongolesen betrachten vor allem die – schon
im 19. Jahrhundert dort ansässigen – Tutsi-Gruppen
aus dem Kivu nicht
nur als Fremde, sondern nach dem Krieg auch als
Verräter, weil sie gemeinsame Sache mit Ruanda gemacht
haben. Schlachtrufe wie “wir werden sie erdrücken,
wenn wir wieder stark sind”, wie sie der Autor in
privaten Gesprächen in Kinshasa Anfang 2001 gehört
hat, sind ernst zu nehmende Warnungen. Das Gefühl
der Erniedrigung, das die Besetzung durch den kleinen
Nachbarn erzeugt hat, begünstigt neue Konflikte.
Ausblick:
Ohne internationales Engagement kein dauerhafter
Friede
Eine Perspektive für Frieden in der Region besteht,
doch darf sie nicht überschätzt werden. Die “Peace-Spoilers“
sind zahlreich, die “Peace-Makers” rar.
Trotz eines beschränkten Einflusses und insgesamt
eher schwachen Engagements der internationalen Gemeinschaft,
bleibt der beharrliche Einsatz der UN, Südafrikas
und anderer Hauptakteure seit 1999 entscheidend
für den Frieden im Gebiet der Großen Seen. Ein bedeutender
Beitrag wäre die Kontrolle des Handels mit den kongolesischen
Rohstoffen. Vor allem müssten Sanktionen gegen diejenigen
durchgesetzt werden, die den Kriegsherren die Beute
abkaufen.
Wichtig wäre auch die endgültige Entwaffnung der
Hutu-Milizen als Ausgangspunkt für eine darauf folgende
Rehabilitation und Reintegration. Dieses Ziel wird
wohl nicht allein mit Dialog zu erreichen sein.
Die Drahtzieher des Völkermordes in Ruanda, die
einen Teil der ALIR ausmachen, werden sich nicht
freiwillig entwaffnen lassen. Gelingt diese Entwaffnung
nicht, wird Ruanda mit hoher Wahrscheinlichkeit
wieder im Kongo intervenieren. Deshalb sollte die
internationale Gemeinschaft den DDRRR-Prozess wesentlich
ernster nehmen. Dazu gehört im Zweifel auch die
Aufstellung einer gewaltfähigen Spezialtruppe unter
Aufsicht der UN. Wenn die Bedrohung für Kigali sinkt,
sollte auch eine politische Öffnung für Ruanda möglich
werden. Das erfordert umfangreichen Dialog und Gesprächsoffenheit.
Soll ein Engagement für Frieden in Zentralafrika
erfolgreich sein, müssen zudem die Strategen der
Entwicklungszusammenarbeit regionaler denken. Zu
lange geschah im Ost-Kongo so wenig, weil der Zuständigkeitsbereich
in Kinshasa lag. Botschaften oder Entwicklungshilfeinstitutionen
hatten durch die Entfernungen und die Kriegssituation
keine Möglichkeit, dort tatsächlich aktiv zu werden.
In Regionen denken bedeutet auch, über durchlässige
Grenzen sowie über doppelte oder regionale Staatsbürgerschaft
nachzudenken. Wichtige Ansatzpunkte für eine Wiederannäherung
der verfeindeten Gemeinschaften finden sich außerdem
auf lokaler Ebene.
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Daniel Stroux *1966;
Politikwissenschaftler; Geschäftsführer,
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