Am 11. und 18. Juni wählen die Franzosen die 15. Nationalversammlung der Fünften Republik. Bei der ersten Wahlrunde erreichte die neugegründete Partei „République En Marche“ von Präsident Emanuel Macron 32,32 Prozent der Stimmen. Dahinter folgen „Les Républicains“ (21,56 Prozent), der „Front National“ (13,2 Prozent) und „La France Insoumise“ (11,02 Prozent). Die sozialdemokratische Parti Socialiste erzielte 9,51 Prozent.
Die Wahlbeteiligung lag bei 48,7 Prozent und ist damit niedriger als noch vor fünf Jahren (2012: 55,4 Prozent). Am 2. Wahlgang, der am 18. Juni stattfindet, können alle Kandidaten teilnehmen, die im ersten Wahlgang mindestens 12,5 Prozent der registrierten Wähler für sich gewonnen haben.
Seit 2002 werden die Parlamentswahlen sechs Wochen nach den Präsidentschaftswahlen abgehalten, jeweils alle fünf Jahre. Dieser Wahlrhythmus soll die hohe Bedeutung der Präsidentschaftswahl im politischen System Frankreichs betonen und die Parlamentswahl der Präsidentschaftswahl unterordnen. Nachdem französische Präsidenten in den 1980er und 1990er Jahren dreimal in einer sogenannten „cohabitation“ eine Nationalversammlung an der Seite hatten, die sie nicht unterstützte, soll nun vermieden werden, dass der Präsident in der Nationalversammlung keine Mehrheit erhält.
Die Präsidentschaftswahl 2017 zeichnete sich durch drei Besonderheiten aus: die sehr schlechten Ergebnisse für die Kandidaten der traditionellen Parteien (den Sozialisten Benoît Hamon und den Republikaner François Fillon) und die sehr guten Ergebnisse radikaler Kandidaten (Marine Le Pen auf der extremen Rechten und Jean-Luc Mélenchon auf der extremen Linken) sowie der Sieg eines parteilosen Kandidaten - Emmanuel Macron, der seine Partei „La République En Marche!“ erst nach seinem Wahlerfolg gegründet hat. Die Frage dieser Parlamentswahlen wird sein, ob diese völlig neue Konstellation im politischen Wettbewerb dem neu gewählten Präsidenten eine stabile parlamentarische Mehrheit einbringt, oder wird er sich mit einer Koalitionsregierung auseinandersetzen müssen? Nach der ersten Runde ist allerdings von einer stabilen Mehrheit für Macron in der „Assemblée Nationale“ auszugehen.
Noch nie in der Fünften Republik hat eine gemäßigte Bewegung wie „En Marche!“, die sich für die Parlamentswahl in „La République en marche!“ umbenannt hat, eine Mehrheit in der Nationalversammlung erlangt. Doch zwei Faktoren sprechen dafür: die niedrigere Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen und die starke Zersplitterung des Parteiensystems.
Niedrige Wahlbeteiligung als Vorteil für Macron
Wie schon 2012 wird für die Parlamentswahlen eine 20 Prozent niedrigere Wahlbeteiligung erwartet als für die Präsidentschaftswahl (77,7 Prozent in der ersten Runde). Diese Demobilisierung der Wähler wird höchstwahrscheinlich zweierlei Folgen haben. Zum einen wird Macrons Partei gestärkt, denn nach einer Präsidentschaftswahl genießt die Partei des Präsidenten meist einen Popularitätsschub und die Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler bleibt von der einen zur anderen Wahl erhalten. Zum anderen wird unter den jungen Wählerinnen und Wählern die Wahlbeteiligung stark abnehmen, was sich für Mélenchons Partei „La France Insoumise“ und im geringeren Ausmaß auch für Le Pens „Front National“ negativ auswirken wird. Beide Kandidaten konnten in der stark personalisierten Präsidentschaftswahl mit landesweiten Themen und großer medialer Präsenz erfolgreich Wählerinnen und Wähler ansprechen, die nicht zu ihrer Kernanhängerschaft gehörten, doch in der Parlamentswahl wird ihnen das wegen des geringeren Wählerinteresses vermutlich nicht gelingen.
Eine Fortsdetzung der Zersetzung des französischen Parteisystems?
Mit einem Durchschnitt von 13,6 Kandidaten pro Wahlkreis (+2 gegenüber 2012) nimmt zudem die Fragmentierung des politischen Angebots sowohl auf der Linken wie auf der Rechten zu. Herausforderer (La République en Marche!, La France Insoumise und der Front National) sind bestrebt, von ihren guten Ergebnissen in der Präsidentschaftswahl zu profitieren, während traditionelle Parteien (Parti Socialiste, Les Républicains, Parti Communiste und die Grünen) ihre Parlamentssitze zu verteidigen versuchen. Infolge dieser Dynamik wurden weniger Wahlallianzen gebildet als in früheren Wahlen, und es dürften weniger Kandidaten zwischen der ersten und der zweiten Runde ihre Kandidatur zurückziehen. Anders als in der Präsidentschaftswahl, in der nur die beiden Bestplatzierten in die zweite Runde kommen, dürfen in den Parlamentswahlen alle Kandidaten, die mindestens 12,5 Prozent der Stimmen erreichen, in die zweite Runde einziehen. Dass einzelne Kandidaten verzichten und andere unterstützen, die in der ersten Runde besser abschnitten, ist daher ein wichtiges Element der französischen Parlamentswahlen. Sie erklärt auch die Unwilligkeit, Wahlallianzen von Parteien der Linken oder Parteien der Rechten zu bilden. Diese Alles-oder-nichts-Logik des Wahlsystems wird höchstwahrscheinlich die Kandidaten von La République en Marche! begünstigen.
Wenn sich der Trend aus den Umfragen und der ersten Wahlrunde bestätigt, könnten Macron und seine Partei somit die stärkste parlamentarische Mehrheit seit 1919 erlangen. Das würde das französische Parteiensystem weiter zersetzen, da eine traditionelle Blockbildung auf der Linken und auf der Rechten nicht mehr möglich sein wird.