Herkunft und Ausbildung
Geboren als Simon Buttermilch 1824 in Polnisch-Lissa (heute Leszno) in der preußischen Provinz Posen, konvertierte Born 1860 zum Protestantismus. Ist es angemessen, in einer Reihe über Juden und Jüdinnen in der Arbeiter_innenbewegung über jemanden zu schreiben, der in seiner rund 150 Seiten starken Autobiografie nicht ein einziges Mal die Worte Jude, Judentum oder jüdisch gebrauchte, geschweige denn seine Konversion und seinen Namenswechsel thematisierte? Doch, wie viele Beispiele dieser Blogreihe zeigen, war das ein häufig wiederkehrendes Muster: Man streifte sein Judentum ab, entweder indem man konvertierte oder/und sich von der Religion als Deutungs- und Identifikationsrahmen löste. So gesehen, passt Stephan Born hervorragend in die Reihe „Jüdische Menschen in der Arbeiter_innenbewegung“.
Stephan Borns Abkehr vom Judentum lässt sich vermutlich aus seinem familiären Hintergrund erklären, denn bereits seine Eltern wandten sich dem Reformjudentum zu. In Leszno lebte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine starke jüdische Minderheit, die rund 40 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Im jüdischen Viertel gab es seit 1799 eine Synagoge, vermutlich die älteste Synagoge Großpolens, aus deren Talmudschule bedeutete Rabbiner hervorgingen. Aus Leszno stammte auch Leo Baeck, dessen Vater dort bereits als Rabbiner und Religionslehrer tätig war. Die Familie Buttermilch löste sich jedoch von traditionell-rabbinischen Anschauungen. Allerdings erfolgte noch keine Abkehr von der jüdischen Religion, sondern eine Ausrichtung auf das Reformjudentum. Stephan Borns Vater Meir Buttermilch schickte seine Söhne auf das Gymnasium; dem ältesten ermöglichte er ein Medizinstudium. Leidtragender dieser Entscheidung war allerdings Stephan, da der Maklerfamilie nun das Schulgeld fehlte, um ihm weiterhin den Besuch des Gymnasiums zu ermöglichen. Stattdessen absolvierte Stephan ab 1840 in Berlin eine Lehre zum Buchdrucker – eine Ausbildung, die er sich selbst gewünscht hatte. In diesen Zeitraum fällt auch der Namenswechsel zu „Born“, den neben Stephan und seinen Brüdern auch Meir Buttermilch wählte; allerdings gab nur Stephan sich auch einen neuen Vornamen. Die Konversion zum Protestantismus erfolgte bei Stephan Born vermutlich erst im Jahr 1860 bei seiner Heirat mit Friederike Julie Agnes Temme, der Tochter eines in die Schweiz emigrierten preußischen Juristen.
Der Jugendliche und junge Erwachsene Stephan Born war ehrgeizig und bildungsbeflissen. Er absolvierte seine Lehrzeit und suchte doch mehr im Leben. So suchte er Berliner Bibliotheken auf, besuchte in seiner Mittagspause Vorlesungen an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, ging ins Theater, versuchte sich an ersten schriftstellerischen Arbeiten und trat dem Berliner Handwerkerverein in der Sophienstraße bei, „eine Bildungsstätte für heranwachsende Revolutionäre“, wie er in der autobiografischen Rückschau den Verein charakterisierte.
Wie sehr sich Born schon in dieser frühen Zeit mit der sozialen Frage beschäftigte, zeigt die von ihm anonym veröffentlichte Broschüre über den „Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen“. Darin wandte er sich gegen ein von oben eingesetztes, patriarchales Unterstützungswesen. Stattdessen sollte ein emanzipatorischer Reformprozess angestoßen werden. Aus eigener Kraft und durch Vereinigung sollte sich die Arbeiterschaft von „Rohheit und Unkultur“ befreien und „Gerechtigkeit ohne Blutvergießen“ erlangen.
Arbeiterverbrüderung und Revolution von 1848
Gedanklich so ausgerüstet, ist es kein Wunder, dass Born auf seiner Gesellen-Wanderschaft zu den „Hotspots“ westeuropäischer Demokratiebewegungen in Leipzig, Brüssel und Paris wanderte. Er bewegte sich in einem Umfeld, in dem ihm Menschen wie Robert Blum und Friedrich Engels begegneten. Born wurde Mitglied des Bundes der Gerechten, der sich später in Bund der Kommunisten umbenannte. Engels jedenfalls war von dem jungen Buchdrucker angetan, sah in ihm aber auch einen noch formbaren Propagandisten des Bundes der Kommunisten: „Pauke ihn noch etwas ein“, schrieb er an Karl Marx im Oktober 1847, „wenn er [Born] [nach Brüssel] hinkommt; der Kerl ist von allen für unsre Sachen am zugänglichsten und wird auch in London gute Dienste leisten, wenn er noch etwas präpariert wird.“
Stephan Born machte seine Sache in London beim zweiten Kongress des Bundes der Kommunisten ohne Frage sehr gut, noch dazu, da mit ihm „die Deutschen durch einen Arbeiter repräsentiert sind“, wie Engels feststellte. Doch schon wenige Monate später mussten Marx und Engels feststellen, dass Born seine eigenen Vorstellungen von der Lösung der sozialen Frage und sozialer Konflikte hatte. Bereits im Vorfeld als auch in der Revolution selbst hatten sich zahlreiche Handwerker- und Arbeitervereine gegründet, teils noch in der Tradition der Gesellenvereine, teils sich aus ihnen lösend. Born erkannte das Potenzial dieser Selbstorganisation für den Emanzipationsprozess der Arbeiterschaft. Nach seiner Ansicht brauchte es nicht den blutigen (Klassen-)Kampf. Reformen waren nach seinem Verständnis der erfolgversprechendere Weg, der nach seiner Auffassung auch näher an den Erwartungen der organisierten Arbeiterschaft zu liegen schien.
Als Netzwerker gelang es Born Ende August/Anfang September 1848 mit weiteren Mitstreitern auf einem Kongress, die Allgemeine deutsche Arbeiterverbrüderung aus der Taufe zu heben. Organisatorisch war die Arbeiterverbrüderung mit einer Zentrale in Leipzig ausgestattet, die über Bezirks- und Lokal-Komitees über alle deutschen
Staaten vernetzt sein sollte. Rund 170 Vereine mit insgesamt ca. 15.000 Mitgliedern gehörten ihr an. Sozialpolitisch ging es um die Stärkung der Selbsthilfe der Arbeiter durch selbstorganisierte Arbeitsbüros. Die Produktion sollte gemeinschaftlich in Produktivgenossenschaften erfolgen. Politisch forderte die Arbeiterverbrüderung das allgemeine und gleiche Wahlrecht für Männer. Ein laizistisches Schulsystem und die Abschaffung von Schulgeld lassen zumindest noch indirekt etwas von Stephan Borns Herkunft und dem Abbruch seiner Schullaufbahn erahnen