Geschichte

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Die Reichskriegsflagge. Zur Geschichte eines Symbols der radikalen Rechten

Seitdem die „Corona-Leugner“ auf ihren Demonstrationen wiederholt die Reichskriegsflagge gezeigt haben, ist die Politik alarmiert. Über ein Verbot der Flagge wird debattiert. Doch was hat es mit der Flagge auf sich? Woher kommt sie, was symbolisiert sie, und wie ist sie nach 1945 genutzt worden?

Bild: “Der letzte Mann” von Hans Bohrdt (Reproduktion auf einer Bildpostkarte, ca. 1916); Rechte: gemeinfrei.

Die Flagge der Kriegsmarine

Als auf dem Weg zur Bildung eines deutschen Nationalstaats 1867 der Norddeutsche Bund entstand, benötigte dieser eine Flagge für die Handelsmarine und eine für die wenigen, zumeist in preußischem Besitz befindlichen Kriegsschiffe. Als Farbenschema wählte man schwarz-weiß-rot, dabei die preußischen Farben schwarz-weiß und das von den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck benutzte rot kombinierend. Die Kriegsflagge fügte das Eiserne Kreuz hinzu, und rückte den preußischen Adler ins Zentrum. Schwarz-weiß-rot erschien hier nur in der mastseitigen oberen Ecke, der sogenannten Gösch.

Bei der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 behielt man beide Flaggen bei. Erst 1903 kam es zu minimalen Änderungen im Design der Flagge für die Kriegsmarine. Allerdings wurde 1892 deren Name geändert: Diese Flagge hieß von nun an die „Reichskriegsflagge“. Ihre rein technische Funktion war zu diesem Zeitpunkt noch unverändert. Der Zweck der Flagge war es, deutsche Kriegsschiffe auf internationalen Gewässern nach internationalem Seerecht eindeutig erkennbar zu machen. Sie ist von „schwarz-weiß-rot“ zu unterscheiden, die sich erst mit Verzögerung von der Flagge der Handelsmarine zu einem Nationalsymbol des Kaiserreichs entwickelte.

Eine symbolische Bedeutung erhielt die Reichskriegsflagge erst mit dem massiven Ausbau der Kriegsmarine mit den Flottengesetzen der Jahre ab 1898. Die Flotte rückte nun in das Zentrum der nationalistischen Imagination und Kollektivsymbolik, vor allem bei der radikalen Rechten, die sich ab 1900 formierte, beim Flottenverein ebenso wie beim Alldeutschen Verband. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs gewann die Reichskriegsflagge noch eine stärkere Präsenz. Sie erschien auf Bildpostkarten und in Propagandafilmen für die Kriegsanleihezeichnung, aber auch in Reklame für Schokolade und Sekt.

Symbol eines „katastrophischen Nationalismus“

Das Gemälde „Der letzte Mann“ von Hans Bohrdt fasst die Kollektivsymbolik der Reichskriegsflagge zu dieser Zeit bündig zusammen. Es zeigt einen Matrosen des leichten Kreuzers SMS Leipzig inmitten der Seeschlacht bei den Falklandinseln am 8. Dezember 1914. Sich auf den Resten seines untergehenden Schiffes mühsam aufrecht haltend, streckt er den gewaltigen Kriegsschiffen der Royal Navy die Reichskriegsflagge entgegen. Die Flagge ist hier ein Symbol des Trotzes und nationalen Stolzes im Moment des sicheren Untergangs. Sie steht für einen „katastrophischen Nationalismus“ (Michael Geyer).

Die Weimarer Republik benutzte die kaiserliche Reichkriegsflagge bis Ende 1921 für ihre auf kleine Reste zusammengeschrumpfte Kriegsmarine, weil sich die Suche nach einem Flaggensymbol verzögerte, aber auch weil die Marineleitung den Wechsel verzögerte. Erst 1922 kam eine Flagge mit schwarz-rot-gold, den Farben der Republik, in Gebrauch.

Mittlerweile war die alte Reichskriegsflagge des Kaiserreichs bereits als Symbol bei all jenen rechtsradikalen Gruppen und Verbänden in Gebrauch, welche die Republik mit Gewalt beseitigen wollten. Das zeigte sich im März 1920 beim Kapp Putsch, als die Marinebrigade Ehrhardt mit wehender Reichskriegsflagge in Berlin einzog. In Bayern bildete sich der faschistische Bund Reichsflagge, 1923 in Reichskriegsflagge umbenannt. Eines seiner Mitglieder, Heinrich Himmler, hielt am Tag des Hitlerputsches in München, dem 9. November 1923, eine Fahnenstange mit der Reichskriegsflagge empor.

Die Reichskriegsflagge – seit 1945 Ersatz für die Hakenkreuzfahne

In der Bundesrepublik sind Symbole von NS-Organisationen verboten. Die Reichskriegsflagge in der von 1867 bis Ende 1918 – de facto bis 1921 – benutzten Version ist davon nicht betroffen. Aber auch die von 1933 bis 1935 im NS-Unrechtsstaat benutzte Reichskriegsflagge – sie zeigt das Eiserne Kreuz auf schwarz-weiß-rotem Grund – fällt nicht unter das Verbot von NS-Symbolen nach §86a des Strafgesetzbuches. Denn sie enthält kein Hakenkreuz.

Dies hat Altnazis und Neonazis seit den 1950er-Jahren die Möglichkeit gegeben, die Reichskriegsflagge des Kaiserreichs als Symbol ihrer antidemokratischen Gesinnung zu benutzen. Bis in die 1980er-Jahre hinein kam dies nur vereinzelt vor. Seit der Wiedervereinigung 1990 war die Reichskriegsflagge aber oft zu sehen. Bei Demonstrationen der neonazistischen NPD und ihrer Unterstützer kam sie regelmäßig zum Einsatz. Aber auch Hooligans in Fußballstadien, Skinheads und andere lose vernetzte rechtsradikale Gruppen haben sie seit 1990 oft gezeigt. Die Benutzung der Reichskriegsflagge durch die „Corona-Leugner“ ist also nur der letzte Schritt in einer symbolpolitischen Entwicklung, die bis 1919 zurückreicht. Seitdem dient die kaiserliche Reichskriegsflagge als Symbol für eine radikale Ablehnung der parlamentarischen Demokratie und der als Rechtsstaat verfassten Republik.

Sollte das öffentliche Zeigen der Reichskriegsflagge verboten werden? Eine Antwort auf diese Frage muss unterscheiden, zwischen der von 1867 bis 1918 (1921) gültigen Version und der vom NS-Staat in den Jahren 1933 bis 1935 benutzten Variante. Letztere ist ein Hoheitszeichen des NS-Unrechtsstaates. Dass ihre Nutzung immer noch legal ist, verweist auf die problematische Konstruktion des §86 StGB, der auf NS-Organisationen abhebt, aber Symbole des NS-Staats nicht zwingend einschließt.

Für die von 1867 bis 1918 benutzte Reichskriegsflagge ist eine Antwort schwieriger. Für ein Verbot spricht, dass diese Flagge seit den 1950er-Jahren kontinuierlich als ein Ersatz für verbotene NS-Symbole dient, und dabei an ihre rechtsradikale Verwendung seit 1919 anschließt. Aber ein Verbot dieser Flagge hat hohe rechtliche Hürden, und es wird nicht verhindern können, dass rechtsradikale Gegner des demokratischen Rechtsstaats dann auf andere Symbole ausweichen.


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