Zehn Thesen: Wie die Hochschule der Zukunft aussieht

Vortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Hoch, Rektor der Universität Bonn in der Veranstaltung "Hochschule der Zukunft" vom 02.12.2021

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
 

als ich die Einladung zu dieser Tagung vor einer Weile angenommen hatte, stand fest, dass sie nach der Bundestagswahl stattfinden wird. Nicht fest stand allerdings, dass bis dahin bereits der Koalitionsvertrag steht. Das gibt mir jetzt die Gelegenheit zu einer grundsätzlichen Bemerkung vorab. Wir als Universität Bonn, explizit auch als Mitglied der German U15, begrüßen das Formulierte im Koalitionsvertrag unter der Überschrift „Innovation, Wissenschaft, Hochschule und Forschung“. Allem voran begrüßen wir die explizite Würdigung der Universitäten und Hochschulen als „Herz des Wissenschaftssystems“ und „Rückgrat der Wissenschaftslandschaft“.

Vor allem aber freuen wir uns über einen Großteil der sich hieraus konkret ergebenden Vorhaben für die nächste Legislatur. Ich sehe diese als große Chance, den Wissenschaftsstandort Deutschland, die Universitäten und Hochschulen, für die Zukunft zu stärken. Ich möchte dies als Anerkennung verstanden wissen, dass ich hier einen Aufbruch erkenne und einen Anspruch für eine wissenschaftspolitisch gewollte Wende. Einen ähnlichen Anspruch hatte die damalige SPD-geführte Bundesregierung vor bald 20 Jahren, die die Exzellenzinitiative federführend mit-angestoßen hat.

Der Ausdruck unserer Freude hinsichtlich des Koalitionsvertrags wird noch größer werden, wenn das Geplante dann auch umgesetzt wird. Hierfür wünsche ich den Wissenschaftspolitikerinnen und -politikern von Herzen viel Erfolg!

Die „Hochschule der Zukunft“ zu entwerfen ist in der heutigen zeitlichen Rahmung natürlich eine Herausforderung. Sehen Sie meine folgenden Gedanken und Eindrücke daher primär als Anstöße und Impulse mit Fokus auf die Institution der Universität. Ich freue mich auf die weiteren, tiefergehenden Diskussionen hierzu im Verlauf dieser Tagung.

Lassen Sie mich zunächst einige grundlegende Gedanken voranstellen, die aus meiner Sicht jedoch mittelbare und unmittelbare Auswirkungen auf die Hochschule der Zukunft haben. Hierzu ein Blick zurück.

Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Professor Martin Stratmann, hielt anlässlich der Eröffnung des akademischen Jahres 2021 bei uns an der Universität Bonn einen Vortrag mit dem Titel: „The Roaring Twenties“. Er erinnerte darin sehr eindrücklich an „die Blütezeit der Wissenschaft und Technik“ zum Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Gerade an den deutschen Universitäten herrschte damals eine Aufbruchsstimmung und ein immenses

Tempo angesichts der neuen technologischen Möglichkeiten, großen gesellschaftlichen Herausforderungen und Aufgaben dieser Zeit. Wissenschaft und Forschung bestimmten wie nie zuvor das Leben und die Zukunft der Menschen.

Diese Aufbruchsstimmung ist mit der heutigen durchaus vergleichbar. Dies spiegelt sich unter anderem in den großen Transformations- und Veränderungsprozessen, in denen sich die Gesellschaften insgesamt, aber im Speziellen auch die Universitäten und Hochschulen selbst befinden, wie die Digitalisierung, neue Arbeitskulturen, verstärkte Kooperationen und neue Fördermechanismen.

Vieles verändert sich. Vieles ist in der Wissenschaft, in der Forschung und der Lehre, heute jedoch ebenso aktuell wie vor Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten. Diese Aspekte dürfen beim Blick nach vorn in die Zukunft nicht verloren gehen. Einen dieser für mich wesentlichen Aspekte will ich bewusst voranstellen. Und hierzu blicke ich weit zurück, in die Geschichte, in das Archiv unserer Universität.

Karl Wilhelm Gottlob Kastner, erster Professor der Chemie an der Universität Bonn, nach deren Gründung im Jahre 1818, hatte einen Studenten. Dieser war niemand geringeres als Justus von Liebig, der von Kastner ebenfalls zur Professur begleitet wurde. Liebig wiederum hatte zwei herausragende Schüler: August Wilhelm Hofmann und Friedrich August Kekulé. Beide wurden ebenfalls Professoren an der Bonner Universität, alle drei haben durch ihre bahnbrechenden Forschungen die Entwicklung der Chemie maßgeblich geprägt. Kekulé scharte seinerseits als Lehrer zahlreiche herausragende Nachwuchswissenschaftler um sich, wie unter anderem die späteren Nobelpreisträger Emil Fischer und Otto Wallach.

Warum erläutere ich Ihnen diesen historischen Stammbaum so ausführlich? Weil er eindrucksvoll verdeutlicht, was sich seit Generationen bewahrheitet: herausragende Forschende und Lehrende ziehen talentierte Studierende an. Die talentierten Studierenden können wiederum Großes in Wissenschaft und Gesellschaft leisten. Es zeigt sich daran, wie wichtig und wie fruchtbar ein enges, direktes Verhältnis vom Lehrenden zum Studierenden oder Mitarbeitenden sein kann. Hieraus kann etwas Innovatives entstehen, das weit über den persönlichen Diskurs zweier Forschender auf die Wissenschaft als Ganzes ausstrahlt. Ein Kernelement unserer Zukunftsfähigkeit ist daher das Verhältnis der Lehrenden zu den Studierenden. Dieses „Lehrer-Lernenden“-Verhältnis, wie es Wilhelm von Humboldt einst nannte, ist und bleibt eine der fundamentalen Grundlagen für die Zukunftsfähigkeit unserer Universitäten und Hochschulen.

Doch kann ein solches Verhältnis überhaupt noch hergestellt werden?

Die Universität Bonn hatte nach ihrer Gründung vor mehr als 200 Jahren nur rund 800 Studierende. In den 1880er Jahren stieg die Zahl auf über 1.000. Bis 1964 lag die Zahl nie höher als 14.000, bis sie dann ab Anfang der 1980er Jahre auf über 40.000 anstieg. Hier hat sie sich bis heute eingependelt. Gleichzeitig ist die Zahl von rund 550 Professorinnen und Professoren seit den 1960er Jahren gleichgeblieben. Damit beträgt die Betreuungsrelation hier bei uns rund 1 zu über 80, während sie im Vergleich in Oxford etwa 1:11 beträgt.

Hinzu kommt die Herausforderung, dass Evaluationen und Administration unseren Alltag im hohen Maße bestimmen. Insbesondere betrifft dies jene unserer Forschenden und Lehrenden, die sich voll ihrer Wissenschaft und ihren Studierenden widmen sollten.

Es gab in den letzten Jahren einen massiven Wandel der Erwartung und einhergehend unserer Rollen von Seiten der Politik und der Gesellschaft. Früher wurde Wissenschaft zumeist als von der Politik und der Gesellschaft getrenntes System verstanden. Der Kontakt und der direkte Austausch zwischen den „Welten“ erschienen eher gering. Heute erwarten Gesellschaft und Politik oftmals passgenaue Lösungen sowie ein hohes Maß an Kopplung und Kommunikation mit Universitäten und universitärer Forschung.

Viele der sich hieraus ergebenen neuen Aufgaben im Bereich Transfer haben wir, so mein Eindruck, erfolgreich an- und übernommen. Dabei haben wir den Kern unserer Aufgaben in Forschung und Lehre nicht vernachlässigt. Es muss aber klar sein, dass die Rolle von Universitäten und Hochschulen nicht die von „Wunscherfüllungsmaschinen“ sein kann, wie es Anna-Lena Scholz erst kürzlich sehr treffend in der ZEIT formulierte.

Dies bringt mich zu einem weiteren Gedanken: Grundlagenforschung ist auch in Zukunft der Motor des Fortschritts und die Voraussetzung von erfolgreichem Transfer und Translation.

Es gibt keinen stärkeren Innovationstreiber als die Grundlagenforschung, für die ein sprichwörtlicher „langer Atem“ notwendig ist. Exzellente Grundlagenforschung in aller Breite ist der Schlüssel für Krisenresilienz und Zukunftskompetenz. Dabei sind schnellerer Transfer und bessere Förderung von Start-ups ohne Frage absolut wichtig. Doch Voraussetzung für künftige Innovationen ist die Grundlagenforschung von heute. Der Erfolg von BioNTech ist hierfür ein herausragendes Beispiel.

Um dies zu gewährleisten, brauchen die Universitäten und Hochschulen in der Zukunft eine auskömmliche Garantie von Ressourcen für Forschung und Lehre.

Wenn wir uns die Universität der Zukunft also nun einmal metaphorisch konstruieren, dann bilden Grundlagenforschung, Kontinuität, Planungssicherheit und eine perspektivische Verlässlichkeit für eine auskömmliche Grundfinanzierung ganz sicher das Fundament, auf dem alles basiert, worauf meine Hochschule der Zukunft entstehen soll. Ich bekenne mich ohne jeden Zweifel klar zum Wettbewerbsgedanken im Wissenschaftssystem. Dennoch: die Universitäten und Hochschulen der Zukunft sind grundsätzlich auf ein zeitgemäßeres Finanzierungsmodell angewiesen, das sich mit ambitionierten Mittelzuwächsen bei größtmöglicher Autonomie verbindet. So kann die Spannung an der Konfliktlinie zwischen befristeten Zuwendungen und nachhaltigen, langfristigen Finanzierungen, weiter entschärft werden. Dies gilt auch hinsichtlich der Befristungssituation an Universitäten und Hochschulen und den diesbezüglichen Anliegen der #IchbinHanna-Bewegung. Für mich finden die „Förderlogiken der Zukunft“ also eine bessere Balance zwischen attraktiven Wettbewerben einerseits und größerer Autonomie und Freiheit andererseits.

Ich sehe diesbezüglich außerordentlich positive Ansätze im Koalitionsvertrag, wie die Steigerung der Programmpauschale, die Dynamisierung des Zukunftsvertrages, den Ausbau und die Verstetigung des Tenure-Track-Programmes und die Stärkung des Professorinnenprogramms. Ein weiterer wesentlicher Schritt, den ich mir für die Zukunft wünschen würde, wäre die Berücksichtigung von herausragenden Forschungsleistungen als einen entscheidenden Faktor der Grundfinanzierung, im Gegensatz zur derzeitigen primären Kopplung an die Studierendenzahlen.

Ein letzter, eher allgemeiner Gedanke: Eine Differenzierung macht das Wissenschaftssystem der Zukunft erfolgreich und wettbewerbsfähig.

Die Arbeitsteilung und Aufgabendefinition der verschiedenen Typen von Universitäten und Hochschulen muss wieder klarer definiert werden. Hierbei folge ich ausdrücklich der Analyse von Peter-André Alt, dem Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, die er vor kurzem in der Zeitschrift „Forschung und Lehre“ veröffentlicht hat. Die Profile zwischen den verschiedenen Hochschultypen gehen mittlerweile in einander über. Überspitzt formuliert: Wenn alle alles machen sollen, dann führt das zu einer Verwässerung des Systems, die weder im Interesse eines wettbewerbsfähigen deutschen Wissenschaftsstandorts sein kann noch im Interesse der Wissenschaftseinrichtungen selbst, die kaum zu unterscheiden sind und damit an Attraktivität und Exzellenz verlieren.

Es bleibt unbestritten, dass wir die Qualität in der Breite brauchen – und auch vorweisen können. Darüber hinaus braucht es aber eben auch international sichtbare Spitzeninstitutionen mit exzellenter Forschung, die im immer härteren globalen Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben und den Wissenschaftsstandort Deutschland als Ganzes repräsentieren. Die Exzellenzstrategie hat sich in diesem Kontext bewährt. Sie ist ein Beispiel dafür, wie es gelingen kann, passgenaue Förderformate für die unterschiedlichen Typen und Profile von Universitäten und Hochschulen erfolgreich zu entwickeln.

Nachdem ich nun die wesentlichen Rahmungen und Grundlagen eines zukunftsfesten deutschen Wissenschaftssystems dargelegt habe, will ich nun konkreter die Hochschule der Zukunft selbst skizzieren.

Die Hochschule der Zukunft braucht neue wissenschaftliche wie organisatorische Ansätze, um den großen Herausforderungen und Fragen unserer Zeit zu begegnen.

Ich bin überzeugt, dass die Strukturen und Organisationsformen unserer Institutionen nicht per se veraltet sind, wenngleich sie zum Teil seit Jahrhunderten gewachsen sind. Die Basis unserer Leistungsfähigkeit ist und bleibt die Stärke unserer Neugier-getriebenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihren jeweiligen Einzeldisziplinen. Gleichzeitig werden wir Megathemen wie die Bewältigung von Pandemien, Klimawandel, Klima-Adaptation und Resilienz, Planetary Health, Bioökonomie oder Digitalisierung, nur mit disziplin-übergreifenden Lösungsansätzen wissenschaftlich bewältigen können. An der Universität Bonn haben wir mit unseren sechs Transdisziplinären Forschungsbereichen über die bestehenden und bewährten Fakultäten hinaus, zusätzliche Explorations- und

Innovationsräume entwickelt. Fakultäts- und fächerübergreifend und unter Einbindung außeruniversitärer Partnerinnen und Partner widmen sich diese den Fragen unserer Zeit aus unterschiedlichen Perspektiven. Ein solches Konzept impliziert eine zukünftig immer stärkere und nachhaltigere Vernetzung – lokal, regional, europäisch und weltweit.

Meine Hochschule der Zukunft ist besser inklusiver und diverser, und dadurch wissenschaftlich leistungsstärker. Voraussetzung hierfür ist die Herstellung von Chancengerechtigkeit, die garantiert, dass Studierende, Forschende, Lehrende und Beschäftigte, gleiche Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Entfaltung ihrer Potentiale haben – ohne Ansehen ihrer Person, ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer Orientierungen. Es geht hierbei um eine Frage der Gerechtigkeit einerseits, und allein das reichte als Begründung aus. Ich bin aber auch zutiefst davon überzeugt, dass mit einem hohen Maß an Vielfalt letztlich eine größere wissenschaftliche Leistungsfähigkeit unserer Universitäten und Hochschulen einhergeht. Nur wenn wir die Potentiale von Talenten in der ganzen Breite einer Generation erkennen, fördern und gewinnen, beginnend in den Schulen, werden wir leistungsfähig und exzellent bleiben können. Die geplante und lange überfällige Reform des BAföGs und des Ausbaus von Wohnraum für Studierende, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, spielen in diesem Kontext eine erhebliche Rolle. Kurz gesagt: Viele sollen die Chance bekommen, in meine Hochschule der Zukunft zu kommen.

Was Universitäten und Hochschulen der Zukunft brauchen, sind Campusse als Orte der Begegnung. Sie sollen Platz für Forschung, Lehre und Betrieb sein, aber auch attraktives und preiswertes Wohnen, Freizeitmöglichkeiten, moderne Mobilität und umfassende Angebote für Familien räumlich vereinen. Funktionieren kann dies, wenn bei der Entwicklung unserer Städte und Regionen die räumlichen und baulichen Bedarfe der Universitäten und Hochschulen als integrale Bestandteile begriffen werden. So werden diese auch für die ganze Gesellschaft geöffnet. Die Attraktivität der Hochschule der Zukunft misst sich zukünftig stärker denn je auch an der adäquaten Gestaltung und dem Angebot ihrer Campusse.

So unterschiedlich die Voraussetzungen an den verschiedenen Standorten auch sein mögen, glaube ich, dass wir hier gerade im internationalen Vergleich noch immensen Aufholbedarf haben. Das bereitet mir große Sorgen. Die ausbleibenden notwendigen Sanierungen, die sich in Bonn konservativ gerechnet auf 1,2 Milliarden Euro belaufen, und die Instandhaltungen unserer Gebäude stellen uns im Alltag vor immer größere Probleme. Dies wird gerade auch bei der Rekrutierung neuer Köpfe zu einem spürbaren Wettbewerbsnachteil.

Ich denke, wir werden hier um eine stärkere Unterstützung und Beteiligung des Bundes nicht herumkommen können, welche wir uns bereits in diesem Koalitionsvertrag gewünscht hätten. Gerade auch, wenn wir unsere Campusse und Infrastrukturen soweit wie möglich klimaneutral und nachhaltig bewirtschaften wollen.

Denn selbstverständlich wird die Hochschule der Zukunft eine nachhaltige Institution sein.

Die Transformation unserer Universitäten und Hochschulen hin zu nachhaltigen Institutionen ist eine der zentralen Aufgaben bis 2030 und darüber hinaus. Mein Eindruck ist, dass diese

Herausforderungen an den zahlreichen Standorten mit großer Kreativität und Leidenschaft angenommen werden. Wir in Bonn adressieren diese „Mammutaufgabe“ mit einer gesamtuniversitären Nachhaltigkeitsstrategie 2030 sowie einem neuen Prorektorat für Nachhaltigkeit samt angegliederter Stabsstelle, welche eines der ersten überhaupt in Deutschland ist.

Wie sieht die Lehre an der Hochschule der Zukunft aus?

Die Pandemie hat uns allen gezeigt, dass Lehre und Forschung, aber explizit auch die Leitungs- und Gremienarbeit, essentiell vom persönlichen Austausch und der physischen Begegnung leben. Daher wird auch in Zukunft Präsenz das Miteinander an Universitäten und Hochschulen ohne jeden Zweifel prägen. Gleichzeitig konnten wir spätestens in der Pandemie beobachten, dass digitale Elemente und auch innovative Lehrformate bei Studierenden und Lehrenden in der Breite eine beachtenswerte Resonanz und Akzeptanz finden. Der sinnvolle Einsatz digitaler Elemente als Ergänzung – Stichwort: das „blendend learning“ – bietet Chancen, die wir an vielen Stellen noch nicht ausreichend nutzen. Gerade auch in Bezug auf die Internationalisierung, zum Beispiel im Hinblick auf gemeinsame Studiengänge mit Partnern in aller Welt, liegt ein immenses Potential, das wir in Zukunft fruchtbar machen müssen.

Die Hochschule der Zukunft braucht Freiheit und den kontroversen Diskurs.

Vor 72 Jahren wurde in Bonn das Grundgesetz verkündet. So steht in Artikel 5 Absatz III: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Dieser Verfassungsartikel ist unmissverständlich und klar. So klar muss es auch für uns sein, diese Freiheit der Wissenschaft in Zukunft mehr denn je vor Aushöhlungen und Angriffen zu verteidigen, ob hier in Deutschland, in Europa oder in der Welt. Universitäten und Hochschulen der Gegenwart und Zukunft sind „Orte der Demokratie“. Hier herrscht ein Klima vor, dass „Diskurs und Debatte fördert“, wie es sich Bundespräsident Steinmeier einmal wünschte. Ich widerspreche allen nachdrücklich, die behaupten, die Meinungsfreiheit in der Gesellschaft wie an Universitäten und Hochschulen im Speziellen sei in Gefahr. Richtig ist jedoch, dass die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis davon lebt, dass Forschungsergebnisse, Thesen und Argumente diskutiert werden müssen. Wo es notwendig ist auch kontrovers und mit ganzer Leidenschaft. Dabei muss jedoch immer unter Beachtung unserer fundamentalen Grundsätze und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung debattiert werden.

Ich würde davor warnen, dass Politik allzu sehr in diesen Prozess eingreift und den Versuch unternimmt, Regeln zu setzen für den wissenschaftlichen Austausch. Dies gilt auch in Bezug auf Interaktionspartnerinnen und -partner in anderen Ländern. Wissenschaft ist für uns nicht denkbar ohne ethische Leitprinzipien und ohne Freiheit. Diese Freiheit verbindet sich mit einer Verantwortung, die jede und jeder einzelne von uns jeden Tag übernehmen und bewusst haben muss, um immer gewissenhaft abzuwägen, was im Rahmen des Rechts und geltender Kodizes ethisch vertretbar ist.

Ich will abschließend meine Gedanken in zehn Aussagen und Thesen zu meiner persönlichen Universität der Zukunft zusammenfassen.

1. Meine Universität der Zukunft bietet ihren Forschenden, Lehrenden und Studierenden bestmögliche Bedingungen zur Entfaltung ihrer wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit. Sie ermöglicht ihren Mitgliedern, mehr Zeit für Forschung und Lehre zu haben. Ein angemessenes Betreuungsverhältnis wird dazu erreicht.

2. Sie sieht als einen Kern ihrer Aufgabe, Forschungsergebnisse zum Nutzen der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, und damit ein Motor für Innovation und Fortschritt der Gesellschaften weltweit zu sein.

3. Sie sieht keinen Gegensatz zwischen Tradition und Moderne. Sie versöhnt innovative Forschungsräume mit gewachsenen und bewährten Strukturen.

4. Sie verfügt über ein zukunftsfestes, verlässliches Finanzierungsmodell, über eine auskömmliche Grundfinanzierung, die den Faktor Forschungsleistung berücksichtigt, und sie stellt sich Wettbewerben, die auf ihre Rolle und ihre Funktion im Wissenschaftssystem zugeschnitten ist.

5. Sie fördert die individuellen Potentiale ihrer Mitglieder in ihrer ganzen Vielfalt. Sie ist damit diverser, weiblicher, inklusiver, internationaler.

6. Sie verfügt über moderne Bauten und zukunftsfähige Infrastrukturen, über innovative physische wie digitale Lehr- und Lernräume, die sich möglichst optimal ergänzen.

7. Sie ist eine Institution, die den Diskurs fördert, ein Forum der freien Debatte, dessen Mitglieder sich ihrer Verantwortung für die Gesellschaft bewusst sind.

8. Sie ist eine nachhaltige Institution, die einen Beitrag dazu leistet, dass die Transformation hin zu einer nachhaltig wirtschaftenden Gesellschaft gelingt.

9. Sie ist Teil eines differenzierten Hochschulsystems, in dem unterschiedliche Hochschultypen klar definierte Aufgaben und Zuständigkeiten haben.

10. Wenn diese Punkte gelingen, dann ist meine Universität der Zukunft, und diese ganz persönliche Perspektive werden Sie mir am Schluss erlauben, international sichtbar und gehört zu den besten Hochschulen der Welt.


Auf die weiteren Diskussionen freue ich mich sehr – herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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