Was bleibt vom Arabischen Frühling?

Online-Buchbesprechung mit Martin Schulz, MdB und Franz Maget

13. November 2020: Bei der Online-Buchbesprechung "Zehn Jahre Arabischer Frühling - und jetzt?" diskutierten Martin Schulz und Franz Maget die Aussichten einer krisengeschüttelten Region - und richteten einen dringenden Appell an die europäische Union.

Warum hat sich die Demokratie in den Ländern des Arabischen Frühlings nicht durchgesetzt? Auf diese Frage hat Martin Schulz, ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, eine klare Antwort: "Weil die meisten Menschen noch immer in Armut leben und sich ihre wirtschaftliche Situation zuletzt oft noch verschlechtert hat", sagte Schulz bei der Online-Buchbesprechung von Franz Magets Buch "Zehn Jahre Arabischer Frühling- eine Bilanz". Wo Menschen hungerten, so Schulz, könne sich Demokratie nur schlecht entwickeln.

Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung München und Regensburg nahmen 181 Teilnehmer online an der Buchbesprechung "Zehn Jahre Arabischer Frühling - und jetzt?" teil. Der Buchautor Franz Maget war 23 Jahre lang SPD-Abgeordneter im Bayerischen Landtag, zuletzt Landtagsvizepräsident und Fraktionsvorsitzender der BayernSPD. Nach seiner Zeit in der bayerischen Politik bereiste Maget die Länder des Arabischen Frühlings als Berater des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und als Sozialreferent an den Deutschen Botschaften in Tunis und Kairo. Seine Gespräche und Erfahrungen hat er nun in seinem neuen Buch festgehalten. Auch er zieht wie Schulz eine gemischte Bilanz zehn Jahre nach den hoffnungsfrohen Demonstrationen in der Arabischen Welt: In Tunesien habe sich seitdem eine wackelige Demokratie mit einer relativ offenen Zivilgesellschaft etabliert, während sich Libyen in einen zerfallenden Staat verwandelt habe und im Jemen und Syrien grausame Bürgerkriege herrschten, so Maget.

Was schief gegangen sei, fragte Eva Nagler, die Moderatorin der Veranstaltung und Leiterin des Regensburger Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie selbst habe die Demonstrationen von mehrheitlich jungen Menschen im Jahr 2011 als hoffnungsvolles Zeichen für einen Aufbruch in Richtung freiheitliche Demokratie erlebt. Auch er habe die Demonstrationen damals als "gigantische Bewegung gesehen", so Schulz. Doch da sich ihre Hoffnungen auf wirtschaftliche Entwicklung nicht erfüllt hätten, hätten viele Menschen wieder auf Autokraten gesetzt, die ihre Bedürfnisse vermeintlich besser stillen können - etwa in Ägypten. Maget sieht zudem die mangelnde Demokratieerfahrung der meisten nordafrikanischen und Nahost-Länder als Grund für die ausbleibende Demokratisierung. Allein in Tunesien gäbe es freie Wahlen und eine aktive Zivilgesellschaft. Maget gab auch zu bedenken, dass die meisten der Demonstranten beim Arabischen Frühlings nicht vorrangig für Demokratie auf die Straße gegangen waren, sondern sich in erster Linie für Freiheitsrechte, wirtschaftliche Entwicklung, freien Journalismus - und gegen Korruption und machtgierige Eliten ausgesprochen hatten.

Schulz wie Maget setzten sich in der Veranstaltung dafür ein, die Region nicht allein zu lassen. Vor allem die Zivilgesellschaft und demokratische Kräfte in den einzelnen Ländern müssten mit Geld und Know-How unterstützt werden, so Schulz und Maget. Es müssten wirtschaftliche und soziale Grundlagen dafür geschaffen werden, dass die mehrheitlich jungen Menschen in ihren Ländern bleiben. Dafür setzt Maget auf die Stärkung von berufsbildenden Einrichtungen, digitaler Infrastruktur oder nachhaltiger Wasserversorgung. "Früher verstanden die Menschen das Mittelmeer als verbindendes Element zwischen Europa und Afrika. Lasst es uns wieder als gemeinsamen Raum für Handel und Austausch ansehen", plädierten Schulz und Maget.

Text: Julia Egleder

Die Aufzeichnung der Vorträge (Dauer  59:59):
 

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