Vom Frauenwahlrecht zur Parität - ein Beitrag von Elke Ferner

Bild: Elke Ferner / Bild von spdfraktion.de (Susie Knoll / Florian Jänicke)

Am 19. Januar 1919 konnten Frauen in Deutschland zum ersten Mal bei einer nationalen Wahl wählen und gewählt werden. Sie erhielten damit die vollen staatsbürgerschaftlichen Rechte. Knapp 9 Prozent der Abgeordneten in der Nationalversammlung waren damals Frauen.

Heute - 100 Jahre später - beträgt der Frauenanteil im Deutschen Bundestag noch nicht einmal 31 Prozent. Das ist ein Rückgang im Vergleich zur Bundestagswahl 2013; der Frauenanteil ist auf das Niveau von 1998 gesunken. Weder im Deutschen Bundestag noch in einem einzigen Landtag haben Frauen jemals die Hälfte der Mandate inne gehabt.

Es ist an der Zeit, endlich die Macht gerecht aufzuteilen: jeweils zur Hälfte auf Frauen und Männer

Nicht erst in 100 Jahren, sondern jetzt! Die Chancen, ein Paritätsgesetz auch in Deutschland auf den Weg zu bringen, sind so gut wie nie zuvor. Wegen der vielen Überhangmandate und den daraus resultierenden Ausgleichsmandaten wird derzeit eine Wahlrechtsänderung diskutiert. Eine Wahlrechtsreform ohne Parität darf es nicht geben. Viel zu lange wurde die Hälfte der Bevölkerung von der gleichberechtigten politischen Teilhabe ausgeschlossen. Das muss jetzt beendet werden. Selbst in den Parteien, die parteiinterne Quoten haben und die ihre Listen paritätisch besetzen, sind nicht automatisch die Hälfte der Mandate mit Frauen besetzt - weil es für die Direktmandate keine Vorgaben gibt. Werden wenige Mandate über die Liste verteilt, sinkt in der Regel der Frauenanteil in den Fraktionen. Nur mit Freiwilligkeit oder parteiinternen Regelungen, die nur für die Listen gelten, werden wir nicht weiter kommen. Die Beispiele in anderen Ländern in und außerhalb von Europa zeigen, dass Paritätsgesetze ihre Wirkung entfalten und dass damit der Frauenanteil in den Parlamenten signifikant steigt.

Der Ruf nach einer gesetzlichen Regelung wird lauter

Der Deutsche Frauenrat mit seinen 60 Mitgliedsverbänden hat am 17. Januar 2019 den Aufruf #MehrFrauenindieParlamente gestartet. Bei den über 200 Erstunterzeichner_innen sind zahlreiche frühere Bundesministerinnen, Landesministerinnen, parl. Staatssekretärinnen von CDU, CSU, SPD, Linken, Grünen und FDP ebenso wie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vertreten. (www.mehrfrauenindieparlamente.de).

Sie streiten gemeinsam für eine Wahlrechtsänderung, die Parität bei Listen- und Direktmandaten sicherstellt.

Brandenburg geht voran

In Bandenburg wird der Landtag das erste Paritätsgesetz in Deutschland noch im Frühjahr beschließen - zwar nur für die Listen, aber ein erster großer Schritt ist damit gemacht. Brandenburg wird damit Gleichstellungsgeschichte schreiben.

Parität ist eine Frage des politischen Willens

Die Frage, ob es eine solche Wahlrechtsänderung gibt oder nicht, ist in erster Linie eine politische Frage. Wenn man eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in den Parlamenten sicherstellen will, wird es auch einen Weg geben, dies rechtlich abzusichern.

Da es politisch nicht opportun ist, diese politische Forderung "einfach so" abzulehnen, wird schon mal vorsorglich das Totschlagargument „Das ist verfassungswidrig“ ausgepackt - auch von früheren Verfassungsrichtern. Dabei sollten gerade diese wissen, dass es seit 1994 den Zusatz zu Artikel 3 Abs. 2 GG gibt:  „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Dieser Verfassungsauftrag und die von niemandem bestreitbare Tatsache, dass Frauen in den Parlamenten unterrepräsentiert sind, sind Grund genug für eine gesetzliche Regelung. Die Abwägung, ob dies ein gerechtfertigter Eingriff in andere Rechte wie die Parteienfreiheit und die Wahlrechtsgrundsätze ist oder nicht, ist bisher vom Bundesverfassungsgericht noch gar nicht getroffen worden. Es gibt durchaus juristische Auffassungen, die dies für gerechtfertigt halten.

Kein Argument ist zu simpel

Das Argument „Frauen sollen wegen ihrer Qualifikation und nicht wegen ihres Geschlechts ein Mandat bekommen“ verkennt die Tatsache, dass wenn es nur um Qualität ginge, schon jetzt mehr als die Hälfte der Abgeordneten Frauen wären. Frauen brauchen die Quoten nicht, um in den Positionen zu bleiben; sie brauchen die Quoten, um überhaupt in die Positionen hineinzukommen.

Auch das Argument „Der Frauenanteil in den Parteien beträgt ja keine 50 Prozent, deshalb können Frauen auch nicht die Hälfte der Mandate beanspruchen“ trägt nicht. Parteien machen ja keine Politik für ihre Mitglieder, sondern für die Bevölkerung und die besteht nun mal zur Hälfte aus Frauen. Und im Übrigen sollten sich die Parteien Gedanken darüber machen, welche Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, damit sich mehr Frauen politisch engagieren (können) - Männer, die ihren Teil an familiären Verpflichtungen wahrnehmen wollen, übrigens auch.

Vielfalt statt Einfalt

Mittlerweile hat es sich überall rumgesprochen, dass Vielfalt der Schlüssel zum Erfolg ist. Gemischte Teams sind erfolgreicher, weil alle Talente und Sichtweisen mit einbezogen werden.  Wir können es uns nicht mehr länger leisten, dass die Hälfte der Bevölkerung in den Parlamenten, in den Führungspositionen in Wirtschaft und Verwaltung sowie in Wissenschaft und Kultur hoffnungslos unterrepräsentiert ist.

Deshalb: Mehr Frauen in die Parlamente mit einem Paritätsgesetz jetzt!

 

Elke Ferner
Mitglied im Vorstand des Deutschen Frauenrates

Elke Ferner war von 1990 bis 2017 mit einer Unterbrechung Mitglied des Deutschen Bundestages, zuletzt parlamentarische Staatssekretärin und langjährige Bundesvorsitzende der ASF.