Recht auf Lebensperspektive

Geflüchtete sind Menschen - dem muss die Flüchtlingsarbeit Rechnung tragen. Ulrike Krauses Studie liegt nun auch auf Englisch vor.

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In einer Fabrik in unmittelbarer Nähe einer großen Siedlung für Geflüchtete in Kawempe, Uganda, produzieren Ugander_innen und Geflüchtete gemeinsam Monatsbinden, die vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) an Geflüchtete verteilt und in ugandischen Geschäften günstig verkauft werden. Auch der Leiter der Fabrik hat eine Fluchtgeschichte. Viele seiner Mitarbeiter_innen können hier zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Uganda eigenständig für ihren Lebensunterhalt sorgen, sich beruflich aus- und weiterbilden. Die „MakaPads“ sind günstiger als andere Monatsbinden, weil sie aus vor Ort verfügbaren Materialien – Papyrus und Altpapier – hergestellt werden, und sie sind biologisch abbaubar. Dass es sie gibt, ist für viele Frauen und Mädchen ein Segen – andere Produkte sind so teuer, dass sie sie sich nicht leisten könnten. Deshalb gehen viele nicht arbeiten oder in die Schule, wenn sie ihre Periode haben.

Die „MakaPad“-Fabrik ist ein Beispiel für Projekte, die sowohl geflüchteten Menschen als auch der lokalen Bevölkerung zugutekommen  – in ihrem Fall durch Arbeitsplätze und ein Produkt, das die Lebensqualität von Frauen und Mädchen deutlich verbessern kann. Hier kommt zusammen, was selten zusammen gedacht wird: Flüchtlings- und Entwicklungsarbeit. Vor allem ist die Fabrik ein Ausdruck der Erkenntnis, dass viele der in der Siedlung lebenden, geflüchteten Menschen noch lange dort bleiben werden und nicht nur Hilfsgüter, sondern auch Arbeits- und Entwicklungsperspektiven brauchen.

Solche Projekte sind zukunftsweisend, betont Ulrike Krause in ihrer Studie „Entwicklungsorientierte Flüchtlingsarbeit – Aus der Vergangenheit lernen und für die Zukunft planen“. In ihr nimmt sie Maßnahmen des Flüchtlingsschutzes unter die Lupe, vor allem Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft in Aufnahmeländern des Globalen Südens. Anders als die „MakaPad“-Fabrik basieren die meisten auf der Annahme, dass der Status „Flüchtling“ eine Übergangssituation kennzeichnet, dass geflüchtete Menschen also nach relativ kurzer Zeit freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren, dauerhaft in ihr Aufnahmeland integriert werden oder in einen sicheren Drittstaat umziehen. Das wäre wünschenswert, hat aber mit der Lebensrealität vieler geflüchteter Menschen wenig zu tun. Nur 1,82 Prozent aller „Flüchtlinge“ haben im Jahr 2014 eine dauerhafte Lösung gefunden, während knapp 45 Prozent sich bereits seit fünf Jahren oder länger „auf der Flucht“ befanden.

Flüchtlingshilfe als wohltätige Geste

Zu den „Langzeitfluchtsituationen“ kommen akute Krisen hinzu und überfordern das humanitäre System. Es wird überwiegend humanitäre Nothilfe praktiziert und selten mit Entwicklungsorganisationen zusammengearbeitet. Hilfsorganisationen sorgen dafür, dass es in Lagern für geflüchtete Menschen Nahrung, Wasser und sanitäre Anlagen gibt. Sie versuchen, die akuten, kurzfristigen Bedarfe der dort Lebenden zu decken. Diese Arbeit ist unabdingbar und wichtig. Aber sie greift zu kurz und geht mit einem Menschenbild einher, das aus Geflüchteten Hilfsempfänger_innen macht. Mittelfristige Perspektiven und Entfaltungsmöglichkeiten schafft sie nicht. Das hat zum Teil dramatischen Folgen für Menschen, die über Jahre hinweg von externen Strukturen abhängig bleiben, oftmals keine Möglichkeit haben, zu arbeiten oder sich weiterzubilden, und auch sonst mit weitreichenden Restriktionen leben müssen.

Insgesamt erscheint die Flüchtlingshilfe als wohltätige Geste des Globalen Nordens, der Aufnahmeländer im Süden freiwillig unterstützt. Entsprechend ist auch die Finanzierung dieser Maßnahmen organisiert: Staaten entscheiden frei darüber, wie viel Geld sie für welche Hilfsmaßnahmen zur Verfügung stellen, knüpfen Mittel an Auflagen. Im Ergebnis bleiben zentrale Organisationen wie das UNHCR oder das Welternährungsprogramm chronisch unterfinanziert. Würden wir Geflüchtete nicht als Bittsteller_innen, sondern als Menschen betrachten, die Rechte haben, für deren Einhaltung die internationale Staatengemeinschaft verantwortlich ist, dann müssten wir nicht nur Finanzierungsfragen anders beantworten.

Menschenrechtsbasierte Ansätze betrachten Geflüchtete als Akteur_innen

Was sich auch verändern würde, wäre die Art, wie Maßnahmen des Flüchtlingsschutzes konzipiert werden. Statt bei humanitärer Soforthilfe stehen zu bleiben, kämen die geflüchteten Menschen als Akteur_innen in den Blick, die selbstverständlich auch einen Anspruch auf Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten haben. Geflüchtete müssten in die Entwicklung und Umsetzung von Projekten einbezogen werden, denn sie sind Expert_innen dafür, was sie konkret brauchen. Neben kurzfristigen Hilfsaktionen müsste es viel mehr langfristige Maßnahmen geben, die über mehrere Jahre laufen. Und gendersensible Ansätze müssten verstärkt Frauen und Männer in den Blick nehmen, auf die sich Erfahrungen von Flucht und Vertreibung ganz unterschiedlich auswirken.

Krauses Vorschläge gehen noch weiter. Sie plädiert dafür, Flüchtlingsarbeit durch eine Entwicklungsorientierung zu erweitern. Dieser Ansatz ist nicht neu, wurde in der Vergangenheit aber nie konsequent umgesetzt. Er würde bedeuten, dass Maßnahmen der Flüchtlingshilfe nicht nur mit und für geflüchtete Menschen, sondern auch mit und für die lokalen Bevölkerungen konzipiert werden. Zum Beispiel könnten Angebote zur beruflichen Weiterbildung offen für Geflüchtete und für die alteingesessene Nachbarschaft sein – und damit ganz nebenbei noch dazu beitragen, dass Menschen einander begegnen und Vorurteile abbauen.

Entwicklungsorientierte Flüchtlingsarbeit kann, so Krause, eine Triple-Win-Situation erzeugen: Geflüchtete erhalten eine Lebensperspektive in ihrem Aufnahmeland. Davon profitieren auch lokale Gemeinschaften, denn der Flüchtlingsschutz trägt zur regionalen, nachhaltigen Entwicklung bei. Und nördliche Geber- und südliche Aufnahmeländer können Lasten und Verantwortungen fair teilen und ihre Zusammenarbeit auf der Basis von Prinzipien wie Nachhaltigkeit, Menschenrechte und Good Governance förden.

Auch der Globale Norden kann von einem Perspektivwechsel profitieren

Krause spricht über den Globalen Süden, aber ihre Ansätze und Vorschläge sind für alle Länder relevant. Ihre Forderung, „duale Systeme“ zu vermeiden, lässt sich als allgemeines Plädoyer gegen die Lager-Unterbringung lesen, zumindest als Plädoyer gegen Lager, in denen menschenunwürdige Zustände herrschen, die vollständig von der lokalen Bevölkerung isoliert sind oder ohne deren Einbindung eingerichtet werden. Solche Lager gibt es noch immer viele in Deutschland. Und auch für deutsche Akteur_innen ist wichtig, anzuerkennen, dass die meisten Geflüchteten sich in Langzeitsituationen befinden und das Recht auf eine Lebensperspektive haben – zum Beispiel, indem ihr Zugang zum Arbeitsmarkt weiter verbessert wird.

 

Kontakt: Felix Braunsdorf, Referent für Migration und Entwicklung

Publikation auf Deutsch: Entwicklungsorientierte Flüchtlingsarbeit : aus der Vergangenheit lernen und für die Zukunft planen / Ulrike Krause. - Berlin : Friedrich-Ebert-Stiftung, Globale Politik und Entwicklung, April 2016. - 16 Seiten = 230 KB, PDF-File.

Publikation auf Englisch: Development-oriented refugee assistance : Learning from the past to plan for the future / Ulrike Krause. - Berlin : Friedrich-Ebert-Stiftung, Global Policy and Development, August 2017. - 14 Seiten = 250 KB, PDF-File.