Nepal: Arbeiter im Tourismussektor verlieren ihren Lebensunterhalt

Die letzten Touristen verlassen Nepal. Ihre Guides bleiben zurück. Wie bewältigen die Beschäftigten im Tourismussektor die COVID-19-Krise?

 

Bild: Guides in Nepal von Gavin Yeates / flickr lizenziert unter CC BY 2.0

Reisen und Tourismus sind zentrale Säulen der Wirtschaft Nepals. Die Regierung hatte eine große Werbekampagne gestartet, um den Sektor weiterzuentwickeln: Visit Nepal 2020. Anfang März wurde die Kampagne abgesagt. Der nepalesische Tourismussektor erzielte 2018 einen Umsatz von 240,7 Milliarden Rupien (ca. 2 Milliarden US-Dollar), was 7,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Der Sektor unterstützt direkt und indirekt mehr als eine Million Arbeitsplätze, und es wurde erwartet, dass die Zahl im Jahr 2020 steigt. Jetzt sind viele Hotels, Resorts, Fluggesellschaften, Reise- und Trekking-Unternehmen gezwungen zu schließen.

Arbeiter im Tourismussektor stehen mit leeren Händen dar

Suman Prasad Parajuli, Präsident der Gewerkschaft für Arbeitnehmer in Trekking, Reisen, Rafting, Luftlinien, Kultur, Archäologie, Kurierdienste und Fracht (UNITRAV) schlägt Alarm: » Insgesamt arbeiten im Trekking-Sektor rund hunderttausend Menschen, die erwartungsgemäß ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Etwa 70.000 Trekking-Träger, 22.000 lizenzierte Trekking-Führer und 4.000 Bergsteigführer sowie viele Köche und Reinigungskräfte werden arbeitslos sein. Ebenso betroffen sind fünftausend Reiseleiter, dreitausendfünfhundert lokale Führer, zehntausend Transportunternehmen, Rafting-Führer und ausgelagerte Jobs bei Fluggesellschaften.«

Nachdem der internationale Reiseverkehr in den letzten Wochen zum völligen Stillstand gekommen war, halten sich immer noch Tausende von Touristen im Land auf. Einige Regierungen haben begonnen, ihre gestrandeten Staatsbürger nach Hause zu bringen. Einige von ihnen sitzen immer noch in bekannten Touristenzielen fest, wie beispielsweise in der am Seeufer gelegenen Stadt Pokhara, die sich in der Nähe der Annapurna Gebirgskette befindet, einer der beliebtesten Regionen für Trekking.

Von der Hand in den Mund

Während die letzten Touristen abreisen, bleiben ihre Führer und Träger zurück: »Nepal ist eines der bekanntesten und sichersten Reiseziele für Berg- und Bergsteigaktivitäten wie Trekking und Wandern. Es gibt auch viele andere Sehenswürdigkeiten, aber Besucher aus Europa und Asien kommen hauptsächlich zum Trekking. Mehr als tausend Trekking-Führer und Träger sind jetzt aufgrund des Lockdowns in Pokhara arbeitslos«, sagt Bijay KC, Präsident von UNITRAV Pokhara. Die meisten von ihnen haben wenig Schutz und oft nur sehr begrenzte Ersparnisse: »Sie sind Tagelöhner und leben von der Hand in den Mund«, erklärt Dipesh Prasad Thapaliya, Reiseführer und Sekretär der Organisationsabteilung von UNITRAV.

Arbeitnehmer brauchen Unterstützung, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten

Während sich das Land im Lockdown befindet, dürfen die Menschen nur zum Einkaufen von Lebensmitteln das Haus verlassen. Die Mittelschicht des Landes, die zum Großteil in Häusern im Besitz der Familie wohnt, kann diese Herausforderungen wahrscheinlich für einige Zeit ertragen. Die meisten von ihnen haben sich in den letzten Wochen eingedeckt und auf den Lockdown vorbereitet. Viele Nepalesen erinnern sich noch allzu gut an die Erdbeben von 2015 und die folgende Not. Für Tagelöhner sind die Zeiten jedoch bereits hart. Wie lange können sie mit wenig bis gar keinen Ersparnissen und ohne signifikante staatliche Unterstützung durchhalten? Was sind die Konsequenzen?

Dipesh Prasad Thapaliya befürchtet das Schlimmste: »Es gibt Tausende von Arbeitern im ganzen Land, die ihren Lebensunterhalt mit Tagelöhnen bestreiten. Es ist schwer für sie zu überleben, besonders in den Stadtgebieten, in denen sie jetzt wegen des Lockdowns festsitzen. Sie können nicht einmal in ihre Dörfer zurückkehren. Diese Wirtschaftskrise könnte sowohl physische als auch psychische Probleme zur Folge haben, die sogar noch gefährlicher sein könnten als das Coronavirus.«

Die Gesamtauswirkung auf die nepalesische Wirtschaft ist schwer vorherzusagen, aber einige unmittelbare Auswirkungen der Krise sind bereits spürbar. Die Gemüsepreise haben sich in der letzten Woche verdoppelt, die Preise für andere wichtige Lebensmittel sind um zehn bis 20 Prozent gestiegen. Propangas ist schwer zu bekommen. Nepal ist stark auf importierte Waren angewiesen, die hauptsächlich aus Indien kommen. Das enorme Handelsdefizit Nepals wurde größtenteils durch Überweisungen von Arbeitnehmern aus dem Ausland finanziert, die rund 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen.

Es ist möglich, dass sich der Tourismussektor nicht so bald erholen wird. In der Zwischenzeit muss der Lebensunterhalt der Menschen gesichert werden. Für die Beschäftigten in der nepalesischen Tourismusbranche ist jedoch keine schnelle Lösung in Sicht.

 

Jonathan Menge ist Direktor des FES-Büros in Nepal und koordiniert die Arbeit zur Geschlechtergerechtigkeit in Asien.

Samira Paudel ist Projektkoordinatorin bei der FES Nepal.

 

Dieser Artikel erschien im Original in Englisch als Teil des #FESAsiaCoronaBrief.