Interviews erfolgreich führen

Kluge, gehaltvolle und dynamische Interviews sind die Königsklasse des Journalismus. Die gute Nachricht ist: sie zu führen kann gelernt werden.

Nur Mut!

 

Journalist_innen seien Leute, die fragen, ohne Antworten zu bekommen, soll der amerikanische Schriftsteller und Journalist Norman Mailer gesagt haben. Politiker_innen hielt er für Menschen, die antworten, ohne gefragt zu sein. Das klingt auf den ersten Blick ziemlich entmutigend für alle, die sich aufmachen, ein spannendes und interessantes Interview zu führen. Denn egal, ob das Interview für Onlinemedien, Radio, Fernsehen oder eine Zeitung geführt wird: Im Wesentlichen geht es darum, den Dingen auf den Grund zu gehen und die Glaubwürdigkeit des Interviewten zu beleuchten.

Es geht aber auch darum, ein gutes Gespräch zu führen, das Rezipient_innen gerne lesen, hören oder anschauen oder sie im besten Fall elektrisiert, weil es spannend oder neu ist. Journalist_innen stellen stellvertretend die Fragen für ein Publikum, das in der Regel nicht vor Ort ist. Der deutsche Radiopreis für das beste Interview ging dieses Jahr Philipp May, dem der Laudator bescheinigte, es werde nachgefragt, um „Ansichten und Überzeugungen offenbar werden zu lassen“. Eine Begründung, die das Wesen eines gelungenen Interviews schön umschreibt.

Nicht nur im Politikbereich unterliegen Interviews einem Dilemma: Gerade erfahrene Vertreter_innen aus der Politik haben eine sehr klare Agenda und wissen in der Regel genau, welche Botschaft sie setzen wollen. „Was interessiert mich die Frage, ich habe meine Botschaft“, lautet die Devise. Aus journalistischer Sicht ist es sicher beklagenswert, dass das Gegenüber so offensichtlich die Frage ignoriert, um das eigene Anliegen an den Mann und die Frau zu bringen. Die andere Seite der Medaille gehört zum Gesamtbild aber auch dazu: Eingefordert wird die abwägende und differenzierte Antwort, die allerdings besonders bei elektronischen Medien schnell an Zeitlimits stößt. Kurz soll die Antwort sein, schön knackig formuliert und dabei auch noch alles Wesentliche enthalten. Komplexe Sachverhalte werden auf weniger als 30 Sekunden eingedampft, um als O-Ton in einem Beitrag in Frage zu kommen.

Interviews finden in der Regel unter definierten Rahmenbedingungen statt. Sie sind - kein Gespräch am Küchen- oder Kneipentisch,  auch, wenn einige Formate das simulieren. Die Kanzlerin oder der Finanzminister schlendern - nicht mal eben auf ein Glas Wein in der Redaktion vorbei, um entspannt über die großen Linien der Außen- oder Finanzpolitik zu plaudern.

Das Interview ist auch kein Wettbewerb darum, wer klüger oder schlagfertiger ist und am Ende siegreich vom Feld geht. Das mag bei einer launigen Diskussion im Freundeskreis oder am Kneipentisch anders sein.

Das Interview hat vor allem das Ziel, ein Publikum zu informieren oder dessen Erkenntnisse zu mehren. Anders als in privaten Gesprächssituationen, die von wechselseitigen Fragen und Antworten leben, verläuft das journalistische Interview im Idealfall nach dem Prinzip Frage - Antwort. Die Rollen sollten dabei ganz klar verteilt sein. Nun ja: zumindest theoretisch. Denn gelegentlich versuchen die Interviewten, den Spieß mit einer Gegenfrage (die in einem „normalen“ Gespräch völlig okay wäre) umzudrehen. Das hat die Journalistin Bettina Schausten in einem Interview mit  Christian Wulff erlebt: Auf eine Gegenfrage des damaligen Bundespräsidenten antwortete sie, dass sie für die Übernachtung in ihrer Wohnung auch von Freunden 150,00 Euro kassieren würde. „Der Präsident versuchte, das Thema durch seine Gegenfrage an mich auf eine rein privat-menschliche Ebene herunter zu brechen, was ich durch meine spontane Antwort blockiert habe“, sagte Schausten dazu später dem Berliner „Tagesspiegel“ .

Wer sich nicht auf die Genialität des Augenblicks verlassen will, also darauf, dass die richtigen oder weiterführenden Fragen spontan vom Himmel fallen, kommt um eine gute Vorbereitung nicht herum. Die erfordert Zeit, mitunter viel Zeit. Zu dieser Vorbereitung gehört, sich über die Rollen der Beteiligten Klarheit zu verschaffen. Wesentlich ist, kritisch nachzufragen und mit zugespitzten Formulierungen zu arbeiten. Aber es gilt: Hart in der Sache und weich zu den Menschen zu sein. Wie gesagt: Ein Interview ist kein Duell.

In Interviews ist es der journalistische Job,  beim Gegenüber  auf den Busch zu klopfen. Das wird von Interviewpartner_innen häufig durch ausweichende Antworten oder nichtssagenden Floskeln erschwert. „Können diese auch durch insistierende Nachfragen nicht aufgebrochen werden, erfolgt der Informationstransfer fast ausschließlich  über die Frage selbst“, schreibt  Manfred Buchholz, Journalist und ehemaliger Vorsitzende des deutschen Journalistenverbandes. Denn auch Fragen seien Informationen, durch die Zuschauende das erfahren, was „im wörtlichsten Sinne fragwürdig ist“. (Quellenangabe: Gerhard Schult / Axel Buchholz Hrsg.: „Fernsehjournalismus“, Seite 233) Dann erfahren die Rezipient_innen etwas über Hintergründe, selbst wenn die Fragen nur unzureichend beantwortet werden. Aufpassen sollte man allerdings mit komplizierten Ausführungen. Die Frage solle klar zu verstehen sein und dürfe nicht mehrere Aspekte enthalten. Denn die Gefahr ist groß, dass nur der Teil der Frage beantwortet wird, der dem oder der Interviewten gerade in den Kram passt.

Stichwortzettel mit einer thematischen Gliederung und Ergänzungen, auf zum Beispiel farbigen Karteikarten, geben dem Interview eine Struktur und verhindern das Zerfransen. Für den inhaltlichen und zeitlichen Ablauf sind die Interviewer_innen verantwortlich.

Als Stichwortgeber  ausschließlich den Zettel abzulesen, reicht nicht aus. Im Vordergrund steht das Gespräch, nicht der Zettel. Interviews leben vom Zuhören, was die wesentlichste Voraussetzung dafür ist, überhaupt gezielt nachfragen zu können. Der vorbereitete „rote“ Faden sollte also bisweilen zu Gunsten des „blauen“ Fadens zur Seite gelegt werden, wenn sich im Gespräch neue Aspekte auftun.

Nur wer zuhört, kann auf die Äußerungen von Interviewten schnell reagieren, kann kritisch nachhaken und Worthülsen entlarven. Um nicht ins Spekulative abzugleiten, bieten sich hier Feedbackfragen an. Ein Beispiel dafür ist das Interview, das Marietta Slomka im Februar 2020 mit dem thüringischen FDP-Abgeordnete Thomas Kemmerich führte. Kemmerich war vormittags überraschend mit den Stimmen der AFD zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Abends stellte er sich den Fragen im „Heute Journal“. Als er in einem Nebensatz bekannte, dass damit zu rechnen war, dass er mit Stimmen der AFD gewählt werden würde, insistierte Slomka prompt: „Habe ich Sie richtig verstanden, sie haben damit gerechnet, dass das passiert“? Auch ihr weiteres Nachhaken drehte sich um diesen Aspekt. Der Branchendienst „Meedia“ kommentierte das Interview später bildhaft mit den Worten: „Aus Versehen die Wahrheit rausgerutscht? Böser Fehler! Slomka – hellwach – stürzte sich auf diesen Satz wie der Bussard auf die verfettete Feldmaus.“

Reaktionsschnell den Finger in die Wunde zu legen, ist eine Möglichkeit, um im Interview Widersprüche rauszuarbeiten. Dass man auch etwas weniger forsch nachfassen kann, zeigt ein Interview des Journalisten Christoph Heinemann im Deutschlandfunk mit der AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Als die Bundestagsabgeordnete auf seine Frage, welches Gesundheitssystem denn weltweit besser als das deutsche auf die Pandemie vorbereitet sei, ausweichend antwortet, fragt er ein zweites Mal stoisch fast wortgleich nach. Seinen dritten Versuch startet er mit einer Feedbackfrage, („Sie sehen weltweit kein anderes Land offenbar, das besser vorbereitet wäre als Deutschland? Habe ich das richtig verstanden?), der die Antwort „Südkorea hat viel schneller reagiert…“ folgt. Immerhin ist auch das eine Antwort.

Spontanes Reagieren im Interview setzt eine gründliche Auseinandersetzung mit der Sache und der Person voraus. Um dem Eindruck zu entgehen, dass das Interview eigentlich eine verschleierte Diskussionsveranstaltung ist (Rollenverständnis!), sollten die Positionen oder Wertungen anderer benannt werden und auf dem Stichwortzettel landen. Wer Gesprächspartner_innen mit Kritik, den Positionen anderer Menschen, Parteien oder Organisationen konfrontiert, wird nicht so schnell dem Vorwurf ausgesetzt, parteiisch zu sein. „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache - auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört“, hat der verstorbene Journalist und Moderator Hanns Joachim Friedrichs gesagt. Allerdings beleben Zuspitzungen auch hier das Geschäft, wie zuletzt der amerikanische Wahlkampf zeigte, in dem es zu einem regelrechten Schlagabtausch zwischen Trump und der Moderatorin kam.

Gerade bei stockendem Gesprächsverlauf hilft es, die Fragearten zu variieren. Offene Fragen bringen den Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin in der Regel zum Reden, bergen aber die Gefahr, dass der Redefluss kein Ende nimmt. Geschlossene Fragen, auf die nur mit ‚ja‘ oder ‚nein‘ zu antworten ist, halten den/die Gesprächspartner_in enger am Thema. Sie fordern eine klare Antwort ein: „Frau Ministerin, trifft es zu, dass Sie den Staatssekretär entlassen werden?“ Sie eignen sich gut, um einen Sachverhalt zuzuspitzen oder abzuschließen. Kommt selbst trotz mehrfacher Nachfrage keine befriedigende Antwort, ist auch das eine Antwort, die Rezipient_innen interessieren dürften.

Erfahrene Interviewgäste interessiert es allerdings selten, ob sie mit einer offenen oder geschlossenen Frage konfrontiert werden. Sie geben  die Antwort, die sie geben wollen, weil sie ihre Botschaft platzieren wollen.

Vor allem weniger geübte Interviewpartner_innen sind häufig froh, wenn sie freundlich, aber bestimmt mittels Fragen zum Thema zurückgeführt werden. Zumal Zwischenfragen signalisieren, dass das Thema interessant ist und nicht gelangweilt abgewickelt wird.

Grundsätzlich gilt: Fragen sollten klar und eindeutig formuliert werden, sodass  Gesprächspartner_innen sie auch verstehen.

Menschen sind auf Sauerstoff angewiesen und machen Sprechpausen, um zu Atmen. Diese natürlichen Pausen bieten sich an, um mit einer Frage reinzugehen. Unterbrechen lässt sich auch gerne die Person,  die mit dem eigenen Namen oder  ihrer Funktion angesprochen wird.

Auch ein bewusster Einsatz der Gestik signalisiert, dass der/die Interviewpartner_in doch bitte zum Ende kommen soll. Rollende Augen, verzweifelt gen Zimmerdecke gewandt, sind ungeeignet, weil sie missverständlich sind.  Ebenso wie ein andauerndes freundliches Nicken, das als Aufforderung verstanden werden kann, doch bitte unbedingt weiter zu sprechen. In schriftlichen Interviews ist es einfacher, den Text später auf eine druckfähige und lesbare Länge einzudampfen. Allerdings ist damit ein Aufwand verbunden, den man sich gerade unter Zeitdruck gut ersparen kann.

Der schwierigste Teil eines Interviews ist der Einstieg. Ähnlich wie bei Überschriften entscheidet der nämlich darüber, ob das Interview weiter angeschaut, gelesen oder gehört wird.. Dabei sind provokative Fragen besonders zum Einstieg möglich aber kein Selbstzweck. Wer zum Beispiel einer renommierten Virologin, die in einem regelmäßigen Podcast Fragen zur Corona-Pandemie beantwortet, gleich zu Beginn des Interviews die Frage stellt:

„Ihnen ist klar, dass Sie die Quotenfrau sind“ und im weiteren Verlauf des Interviews behauptet, der Podcast „klang ein wenig nach Volkshochschule“, legt wohl größeren Wert auf forsch vorgetragene Behauptungen als auf Fakten. Hier werden der Interviewten und der Leserschaft unbegründete Behauptungen vor die Füße geknallt. Gerade beim Thema Corona hätte es wohl mehr als eine spannende Frage gegeben, die das Leser_inneninteresse weckt.

Ein kurzer Smalltalk vor dem Interview verbessert in der Regel die Gesprächsatmosphäre auch während des Interviews. Wer das Thema allerdings im Vorfeld vertieft, muss damit leben, dass der Satz fallen kann: „Wie ich Ihnen gerade schon einmal gesagt habe ...“ Zuhörer_innen, die bei diesem Vorgespräch nicht dabei waren, fehlt der Bezug. Unerfahrenen oder aufgeregten Gesprächspartner_innen hilft es, wenn sie die Einstiegsfrage vorher kennen. Das nimmt etwas Druck aus dem Kessel. Denn gerade Menschen, die selten interviewt werden, hilft ein nettes Vor-Geplänkel um die Nervosität in den Griff zu bekommen. Das kommt schließlich auch dem gesamten Interview zu Gute.

Kluge, gehaltvolle und dynamische Interviews sind die Königsklasse des Journalismus. Die gute Nachricht ist: sie zu führen kann gelernt werden.

Nur Mut!

Volker Engels

Studium der Sozialarbeit in Dortmund und Berlin (Dipl.) und der Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin (MA). Seit vielen Jahren Tätigkeit als Journalist für Zeitschriften und Zeitungen in Berlin; Co-Autor des Buchs „Die Lobby regiert das Land“. Als Kommunikationstrainer gibt er unter anderem Seminare zu den Themen Rhetorik, Auftritt oder Interviews.

www.volkerengels.de

Bild: People Gathering von Hivan Arvizu lizenziert unter Unsplash License

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