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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 4/1998

Franz Kolland / Erich Pilz/ Andreas Schedler / Walter Schicho (Hg.):
Staat und zivile Gesellschaft. Beiträge zur Entwicklungspolitik in Afrika, Asien und Lateinamerika
Frankfurt a. M. 1996
Brandes & Apsel, 248 S.

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Wenn lang gepflegte Entwicklungskonzepte versagen, wenn die Welt sich nicht mehr in der Ordnung zu präsentieren scheint, die sie einmal hatte, dann beginnt in der westlichen Welt die Suche nach noch unverbrauchten Begriffsformen ökonomischer und politischer Zuversicht. Manche dieser Begriffe entstehen, indem einfach ein "Neo"-Präfix ihrem alten Namen zugefügt wird, andere wiederum erscheinen sensationell originär und unverbraucht. Als neuer Stern am Himmel der Hoffnungsträger leuchtet seit einigen Jahren für den Bereich Entwicklungspolitik - und nicht nur hier - der Begriff "Zivilgesellschaft".

Die Zivilgesellschaft, so könnte man diesen Terminus grob definieren, ist alles das, was die staatliche Sphäre nicht abdeckt. Sie kann sowohl als Zwischenstufe zwischen Staat und Privatssphäre betrachtet werden, also sich auf gesellige Aktivitäten außerhalb der Familie beziehen, als auch eine politische Komponente beinhalten. Wird Gesellschaft als unpolitische Einheit definiert, so übernimmt die Zivilgesellschaft in Form von Interessenverbänden und NGOs den nichtstaatlichen Bereich politischer Kommunikation. Der Begriff "Zivilgesellschaft" erweist sich als flexibel und sehr weitläufig und läßt sich entsprechend mit vielen Hoffnungen füllen. Komplementär dazu verhält es sich mit den Vorstellungen vom Staat. Das Staatsmodell vieler Entwicklungsländer wird als defizitär wahrgenommen oder wie Andreas Schedler es beschreibt: "Der Süden als negatives Zerrbild des Nordens, als eine mehr oder minder exotische Sammlung von Abwesenheiten, von Dingen die "noch nicht" da, sondern erst zu "entwickeln" sind" (S. 236). Der Traum der wirtschaftlichen Modernisierung, die unweigerlich auch einen im westlichen Sinne modernen Staat entwickeln würde, hatte sich vor allem auf dem afrikanischen Kontinent nicht verwirklicht. Stattdessen sah man das Geld für Entwicklungsprojekte in die Hände patriarchalischer Alleinherrscher, korrupter Bürokratien oder an Militärregime fließen.

"Wie böse ist der Staat? Und wie gut die zivile Gesellschaft?" ist darum eine der Ausgangsfragen, die Schedler, einer der Herausgeber des sozialwissenschaftlichen Sammelbandes "Staat und zivile Gesellschaft", stellt. Das Herausgeberteam und mit ihm zusammen zehn weitere Autoren versuchen anhand von Beispielen aus drei Kontinenten, zum Thema Entwicklungspolitik das Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft näher zu bestimmen. Die zentralen Fragen, die ihren Überlegungen zugrunde liegen, beziehen sich auf das Wechselspiel von Stärke und Schwäche, d.h. bedingt ein schwacher Staat automatisch eine starke Zivilgesellschaft, und auf die Ausrichtung auf Gemeinwohlorientierung oder Eigennutzenmaximierung. Die Aufsatzsammlung ist als Einstieg in den Themenkomplex konzipiert und richtet sich als Publikation in der Reihe "Historische Sozialkunde", die seit 1992 halbjährig erscheint, an Journalisten, Entwicklungspolitiker, Lehrer und Studenten. Die jeweiligen Themenkomplexe Lateinamerika, Afrika und Asien werden nacheinander behandelt. Übersichtsdarstellungen, die sich mit den neueren Entwicklungen in den jeweiligen Kontinenten befassen - für Afrika etwa Walter Schichos Aufsatz "Mythos Zivilgesellschaft: Die `Dritte Kolonisierung´ Afrikas" - werden durch anschließende Einzelfallstudien u.a. zu Ländern wie Zimbabwe, Brasilien und Afghanistan sinnvoll ergänzt. Abgerundet wird das Bild von allgemeinen Überlegungen zum Ziel künftiger Entwicklungspolitik, so etwa Hannes Wimmers Aufsatz "Die Modernisierung des Staates als Entwicklungsproblem", und abschließenden Betrachtungen über den Schutz von Menschenrechten.

Es wird kontrovers diskutiert und dies mit viel Freude und Gewinn für den Leser. So fordert etwa Wimmer als ersten Schritt in Richtung einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung eine grundlegende Modernisierung der maroden Staatsorganisationen, um damit Phänomenen wie Korruption, einer Monopolisierung der zentralen Ressourcen eines Landes oder der Entwicklung einer parasitären Staatsklasse zu begegnen. Hier wird man nachdenklich, ob nicht ein altes teleologisches Konzept (wirtschaftliche Modernisierung führt zu Demokratisierung) vorschnell durch ein neues (eine Modernisierung des Staates und seiner Institutionen führt automatisch zu einem Demokratisierungsprozeß innerhalb der Gesellschaft) ersetzt wird.

Das Prinzip der Demokratisierung, so zeigt es Jean Claude Willame, ist auch das neue Anliegen der Weltbank, besonders für den afrikanischen Kontinent, wie ihr Aufruf nach "good governance" zeigt. Ein starkes, moralisches und demokratisches System wird hier als Garant für eine gesunde Zivilgesellschaft gesehen. Jedoch autoritäre Systeme in Asien, die nur einen geringen Pluralismus erlauben, gleichzeitig aber ein bis vor kurzem stetiges Wirtschaftswachstum zeigten, machen klar, daß Demokratisierung und Entwicklung nicht zwingend Hand in Hand gehen und stellen damit Wimmers These zum Teil in Frage. Auch die schwere Wirtschaftskrise Asiens wirft neue Fragen auf. Willame bezeichnet die Demokratievorstellungen des Westens als überholt und als Export eines "Auslaufmodells". Seine Hoffnung beruht darauf, daß die Zivilgesellschaft Afrikas sich ihren eigenen Weg jenseits der westlichen demokratischen Moderne sucht.

Es sind jedoch vor allem die Einzelstudien, die das Konzept der Zivilgesellschaft mit Leben füllen. Die Untersuchung von Gabriele Rasuly-Paleczek über Afghanistan zeigt die Dynamik einer zivilen Gesellschaft in Ländern, in denen eine allumfassende staatliche Macht fehlt. Die lokalen tribal organisierten Gruppen pochen auf ihrer Autonomie und haben einen afghanischen Zentralstaat nur als ein weiteres ethnisches Machtgebilde wahrgenommen, nicht jedoch als ein übergeordnetes und theoretisch gemeinwohlorientiertes. Lokale politsche Führer konnten jedoch als Bindeglied zwischen Staatsinstitutionen und ihren eigenen Volksgruppen gewonnen werden. Die Lage seit dem Bürgerkrieg zeigt sich unübersichtlich.

"Fidel in Zivil"? Ein Blick auf Kuba bestätigt die These, daß sich das Verhältnis Staat zu Zivilgesellschaft als "Nullsummenspiel", wie Schedler es nennt, präsentiert. Ein starker autoritärer Staat zeigt wenig Interesse an einer aktiven, kontroversen Zivilgesellschaft. Und doch sind auch in Kuba vielerlei Ansätze ziviler Aktionen unterschiedlichster Ausprägung zu finden, etwa als soziale Netzwerke, um rationierte Lebensmittel zu erhalten oder als kleine privatwirtschaftliche Initiativen von Bauern, die ihr Gemüse auf dem Schwarzmarkt verkaufen.

Die Lektüre der Aufsätze macht Lust auf mehr, zeigt aber auch, daß sich die Diskussion über den Begriff Zivilgesellschaft erst am Anfang befindet. Wann und ob auch der Heiligenschein der zivilen Gesellschaft verblaßt, wird sich erst in der Zukunft zeigen.

Martina Ziebell
Freie Universität Berlin


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