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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 4/1998

Ludwig Watzal:
Friedensfeinde. Der Konflikt zwischen Israel und Palästina in Geschichte und Gegenwart
Berlin 1998
Aufbau Taschenbuch Verlag, 303 S.

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Hundert und ein Jahr nach der Verkündigung des zionistischen Anspruchs auf Palästina und fünfzig Jahre nach der Staatsgründung Israels sind die Palästinenser von der Gründung eines eigenen Staates weiter entfernt als jemals zuvor. Selbst der im September 1993 eingeleitete "Friedensprozeß" erweist sich zusehends als die Fortsetzung der israelischen Okkupation im "legalistischen" Gewand. Die Palästinenser befinden sich auf dem tiefsten Punkt in ihrer Geschichte. In Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten wird zum Wohle dieses "Friedens" weiter gefoltert, ohne das dies die Weltöffentlichkeit sonderlich stören würde. Diese und andere provokante Thesen finden sich in dem soeben erschienen Buch von Ludwig Watzal.

Der Autor ist Redakteur der angesehenen Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" in Bonn. 1994 hatte Peter Glotz diese umfangreiche Studie über die Menschenrechtsverletzungen Israels an den Palästinensern in Bonn vorgestellt: "Frieden ohne Gerechtigkeit?" (Böhlau Verlag, Köln) brachte Watzal einigen Ärger ein. Dieser kulminierte in einem offiziell verhängten Reiseverbot als Leiter einer Israelstudienreise für Journalisten im Mai 1997 durch das Bundesinnenministerium.

Watzals Buch umfaßt fünf Kapitel, die alle sehr provokante Thesen enthalten. Sie klingen für deutsche Ohren ungewöhnlich, sind aber alle durch Aussagen israelischer Politiker belegt. Ein Blick in das sechsseitige Personenregister zeigt, daß sich dort fast ausschließlich Israelis und Palästinenser befinden. Auch die Literatur ist zu 95 Prozent Englisch, dies ist ein Beleg dafür, daß sich im deutschsprachigen Raum wenig substantielles zu diesem Konflikt findet.

Im einleitenden historischen Kapitel geht es dem Autor darum, die Geschichte seit der "zionistischen Landnahme" (Dan Diner) nachzuzeichnen, aber auch aufgrund neuerer Quellen völlig anders zu interpretieren. So sieht er im Zionismus nicht nur eine Befreiungsbewegung, sondern auch einen erneuten Versuch, ein anderes Volk zu kolonisieren. Auch seine Darstellung der diversen Kriege, die Israel führte, erscheinen in einem anderen Licht. Es waren nicht nur Verteidigungskriege, sondern ihnen lagen auch immer expansive Motive zugrunde, insbesondere was die Eroberung der Golan-Höhen anbelangt.

Das wichtigste Kapitel behandelt den "Friedensprozeß", den der Autor als verheerend für die Palästinenser und als einen großen Erfolg israelischer Diplomatie sieht. Watzal gehörte zu den ersten Kritikern dieses Prozesses in Deutschland, wie nicht nur die Einleitung seines Buches von 1994 zeigt. Der Autor stellt alle Abkommen, die zwischen Israel und Palästina unterzeichnet worden sind, vor. Diese Analyse und Interpretation ist in Deutschland völlig unbekannt. Seine kritische Haltung wurde durch die Entwicklung voll bestätigt. Watzal behauptet, daß die veröffentlichte Meinung deshalb so falsch lag und liegt, weil die Abkommen nicht gelesen werden. "Nach der Lektüre dieser Abkommen fällt es schwer, etwas Positives in ihnen zu finden." Alle Schwierigkeiten, die angeblich in der Person Netanyahus jetzt auftauchen, hätte es auch unter Peres gegeben, weil sie in den Abkommen angelegt sind. Watzals kritische Einwände lassen sich nur schwer widerlegen, weil er seine These fast immer mit Zitaten von israelischen Politikern belegt, die anscheinend in Israel anders reden als vor einem nordamerikanisch-europäischen Publikum. Dem Autor ist es ein wichtiges Anliegen, Rabin und Peres von ihrem "Friedenssockel" zu stoßen, auf den sie seiner Ansicht nicht gehören. Eine solche Meinung wagt in Deutschland ansonsten niemand zu vertreten. Anhand von neun Karten wird das Desaster für die Palästinenser offensichtlich.

Im dritten Kapitel beschreibt Watzal die Lage der Menschenrechte unter der fortdauernden Besatzung Israels und unter Arafats Diktatur. Es gebe keinen Unterschied zwischen einer "linken" oder einer "rechten" israelischen Regierung. Es ist deprimierend zu lesen, was konkret vor Ort geschieht. Von öffentlichen Protesten aus Deutschland oder den USA ist nichts zu hören. Watzals Fazit: Die Lage hat sich für die Menschen weiter verschlechtert. Zwei repressive Regime machen ihnen das Leben schwer. Folter und Diskriminierungen stehen auf der Tagesordnung. Arafat hat sich als Diktator und Autokrat entpuppt. "Für Demokratie und Menschenrechte besteht unter den obwaltenden Umständen wenig Hoffnung."

Im vierten Kapitel geht es dem Autor um die außenpolitischen Verflechtungen Israels. Dies wird anhand der Beziehungen zu den USA, der EU, zur Türkei, zu Syrien und zu Deutschland aufgezeigt. Watzal behauptet, daß Israel eigene hegemoniale Ziele in der Nahost-Region verfolge. Als Juniorpartner der USA habe es quasi "Großmachtstatus" erlangt. Das neue Bündnis mit der Türkei wurde von den USA eingefädelt und richtet sich gegen alle friedensrenitenten Staaten in der Region: Syrien, Iran und Irak.

Intensiv und einfühlsam diskutiert der Autor die deutsch-israelisch-jüdischen Beziehungen. Er sieht einen Ausweg aus dem Dilemma dadurch, daß Deutschland zwischen dem Holocaust und der Politik Israels unterscheide, weil beides völlig andere Verantwortlichkeiten bedingten. Für den Holocaust sei das deutsche Volk verantwortlich, für die Unterdrückung und Ausbeutung der Palästinenser aber die diversen israelischen Regierungen.

Spannend ist das Kapitel über die israelische Innenpolitik. Der Autor sieht Israel auf den Weg in einen Gottesstaat. Das Land fundamentalisiert und radikalisiert sich zusehends. Es gebe eine Zusammenarbeit zwischen nationaler Rechter und religiösen Fundamentalisten. Höhepunkt dieser Verbindung war die Ermordung Yitzhak Rabins. Was Watzal in diesem Kapitel zutage fördert, ist erschütternd. Auch die Diskussion zwischen Zionisten und Postzionisten wird ausführlich behandelt. Der Autor sieht in den Postzionisten einen Glücksfall für Israel. Sie stellen zahlreiche Geschichtslegenden der traditionellen zionistischen Geschichtsschreibung in Frage. Vielleicht bedarf Israel vieler Postzionisten, um endlich mit den Palästinensern Frieden schließen zu können.

Nach "Frieden ohne Gerechtigkeit?" ist "Friedensfeinde" eine weitere ausgezeichnete Studie des streitbaren "Beilagen"-Redakteurs. Das Buch ist kritisch, aber fair gegenüber Israel. Die Palästinenser unter Arafat bekommen ebenfalls erhebliche Prügel. Einseitig ist das Werk gewiß nicht. Es nimmt eindeutig Stellung zugunsten von Demokratie und Menschenrechten. Jeder Israel-Interessierte sollte sich diese Lektüre antun.

Peter Mossmann
Institut für vergleichende Entwicklungspolitik
Bonn


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