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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 4/1998

Kai Hafez (Hrsg.):
Der Islam und der Westen. Anstiftung zum Dialog
Frankfurt/Main 1997
Fischer Taschenbuch Verlag, 239 S.

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Selten wird Politikwissenschaftlern soviel spontane öffentliche Aufmerksamkeit und Akzeptanz beschert wie dem Harvard-Professor Samuel Huntington mit seinem Menetekel vom 'Kampf der Kulturen'('Clash of Civilizations'), der insbesondere zwischen dem Westen und dem Islam heraufzuziehen drohe. Verwunderlich ist dies kaum, vermag sich doch Huntingtons Krisen- und Bedrohungsszenario reibungslos einzupassen in das dominante westliche Alltagsverständnis über 'den Islam' und politische Entwicklungen in der islamischen Welt, das von Zerrbildern, Stereotypen und Mißverständnissen geprägt ist.

Es ist ein enormes Verdienst des vorliegenden, von dem Islam- und Politikwissenschaftler Kai Hafez herausgegebenen Sammelbandes, den gängigen Vorurteilen, falschen Vereinfachungen und Fehlperzeptionen ein differenziertes und komplexes Bild der islamischen Welt entgegenzusetzen, und damit Ausgangspunkt und Ermutigung für einen ernstgemeinten Dialog werden zu können, zu dem die Offenheit und Bereitschaft gehört, sich produktiv 'verunsichern und irritieren' (11) zu lassen.

In seiner Einleitung skizziert Kai Hafez Stationen der wechselvollen Beziehungsgeschichte zwischen der islamischen und der westlichen Welt, beleuchtet Divergenzen und Kongruenzen, sowie Chancen und Barrieren eines Dialogs.

Die Beiträge des ersten Teiles beschäftigen sich mit grundlegenden und länderübergreifenden Fragestellungen, die in den derzeitigen intra- und interkulturellen Diskursen besonders brisant sind. So wird differenziert herausgearbeitet, daß islamisch begründete Staats- und Gesellschaftsentwürfe keineswegs eine prinzipielle Antithese zur Moderne (Reinhard Schulze), zu Demokratie (Gudrun Krämer), zu Menschenrechten (Heiner Bielefeldt) und zu einer Besserstellung der Frauen (Irmgard Pinn) darstellen; darüberhinaus wird gezeigt, daß islamische Prinzipien in der Ökonomie einer Integration in die kapitalistische Weltwirtschaft nicht entgegenstehen müssen, da sie mit einem breiten Spektrum ökonomischer Ansätze kompatibel sind, nicht zuletzt mit marktwirtschaftlichen Konzepten (Volker Nienhaus).

In einem sehr inspirierenden Beitrag skizziert Thomas Scheffler, wie sich auf dem Hintergrund je spezifischer soziopolitischer Entwicklungsdynamiken in der islamischen und westlichen Welt unterschiedliche Einstellungen zu staatlicher und privater politischer Gewalt herausgebildet haben. Seine Ausführungen entziehen essentialistischen Auffassungen über eine angebliche besondere Affinität 'des Islam' zu Gewalttätigkeit überzeugend den Boden und verweisen auf die Verantwortung westlicher Politik bei der Schaffung und Aufrechterhaltung autoritärer, gewalterzeugender Herrschaftsstrukturen in der islamischen Welt.

Der zweite Teil des Sammelbandes widmet sich Fallstudien zu einzelnen Regionen und Ländern der islamischen Welt, ihrer politischen Dynamik und ihrem Verhältnis zum Westen, sowie der je unterschiedlichen innen- und außenpolitischen Bedeutung des 'islamischen Faktors'. Im Hinblick auf den Iran (Andreas Rieck) und Algerien (Annette Jünemann) werden die Schwierigkeiten und Chancen eines Dialogs mit dem Westen beleuchtet, die Beiträge zur Türkei (Erhard Franz), zu Bosnien (Catherine Samary) und Zentralasien (Rainer Freitag-Wirminghaus) zeigen, wie vielgestaltig und vielfältig determiniert islami(sti)sche Bewegungen historisch und aktuell in Erscheinung treten und politisch Boden gewinnen oder verlieren.

Nicht zuletzt die Fallstudien zum Israel-Palästina-Konflikt (Alexander Flores) und zum Irak (Henner Fürtig) führen eindrücklich die Mitverantwortung des Westens an der Entstehung und Fortdauer struktureller und manifester gewaltförmiger Konflikte in der Region vor Augen und verweisen darauf, daß hegemoniale westliche Machtinteressen allemal Vorrang gegenüber den offiziell proklamierten Menschenrechtsprinzipien zu haben scheinen.

'Doppelte Standards' des Westens kritisiert schließlich auch ein Beitrag über die Bemühungen Pakistans, sich als Atommacht zu etablieren (Munir D. Ahmed). Hier hätte ich mir allerdings eine analytisch tiefergehende, weniger apologetische Betrachtungsweise der offiziellen pakistanischen Politik gewünscht, wie auch ein kritischeres Hinterfragen der legitimatorischen Abschreckungslogik.

In einem nachdenklichen Nachwort plädiert Udo Steinbach für eine Bewußtseinsänderung, einen Verzicht auf politische Hierarchien und kulturelle Dominanzattitüden, als Voraussetzung für eine wechselseitig befruchtende Kommunikation der Kulturen.

Im Anhang findet sich auszugsweise die Rede abgedruckt, die Bundespräsident Herzog im Oktober 1995 anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Annemarie Schimmel gehalten hat.

Insgesamt bietet der Sammelband eine Fülle von Informationen, mit denen festgefügte eurozentrische Vorurteile und Denkgewohnheiten erschüttert werden können. Das gebotene vielfarbige ideengeschichtliche und länderspezifische Mosaik macht überzeugend deutlich, daß die 'islamische Welt' weder einen monolithischen Block bildet, noch daß 'der Islam' der für die Dynamik der Region zentral bestimmende Faktor ist. Stellenweise hätte eine stärkere Einbettung der diversen kulturellen Diskurse in die konstitutiven sozialen Strukturzusammenhänge und eine präzisere Vermittlung mit den jeweiligen Interessenlagen der politischen Akteure die Erklärungskraft der entsprechenden Beiträge stärken und die Gefahren diskurstheoretischer Beliebigkeit schwächen können.

Dessen ungeachtet stellt das Buch einen anspruchsvollen und aufklärerischen Beitrag und Anreiz zu einem interkulturellen Dialog dar; insofern kann ich mich dem Wunsch Udo Steinbachs nur anschließen, daß die Informationen des Buches "in Schulen, bei den politischen Parteien, im Umgang mit Medien und - natürlich - im Alltag" umfassend genützt und umgesetzt werden mögen (219).

Renate Kreile
Tübingen


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