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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 4/1998

FRANZ WALDENBERGER
Japan: das Erfolgssyndrom als Krisenursache

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Im Kontrast zum Glanz des Wirtschaftswunderlandes vergangener Jahre und Jahrzehnte erscheint die aktuelle Lage der japanischen Wirtschaft in einem tiefen Schatten. Es drängt sich die Frage auf, wie es dazu kommen konnte, wie der Erfolg von damals mit den Problemen verknüpft ist.

Der seit Beginn der 90er Jahre - mit Ausnahme des kurzzeitigen Booms 1996 - zu beobachtende Wachstumsschwäche liegen mehrere Faktoren zugrunde. Die durch den Zusammenbruch der "bubble economy" bedingte und durch die Globalisierung der Finanzmärkte verschärfte Krise des Finanzsystems, die Unstetigkeit der Fiskalpolitik, die starken Schwankungen im Außenwert der japanischen Währung und die Wirtschaftskrise in Südostasien zählen zu den offensichtlichsten Problemverursachern. Hinzukommt ein tiefer liegendes Strukturproblem, das sich zum Teil in der Krise des Finanzsystems äußert, aber auch in anderen Bereichen von Wirtschaft und Politik Anpassungs- und Reformdruck entfaltet. Es wird in Japan unter der Überschrift "Das Ende des Aufholsystems" diskutiert. Gemeint ist damit, daß zentrale Institutionen des japanischen Wirtschaftssystems, die sich im Kontext des industriellen und technologischen Aufholprozesses bis Mitte der 70er Jahre entwickelt und bewährt haben, heute, wo Japan in vielen Bereichen längst zur Spitze vorgestoßen ist, ihre Funktionalität eingebüßt haben und sogar grundlegend reformiert werden müssen, um die Entwicklungsfähigkeit der Wirtschaft nicht zu gefährden. Die Diskussion bezieht sich auf die im Ausland viel beachteten Strukturmerkmale des Beschäftigungssystems, der Industrieorganisation und der Beziehung zwischen Ministerialbürokratie und Wirtschaft.

Rückblick: Eine sehr erfolgreiche, aber auch ungleichgewichtige Entwicklung

Weltmeister im Strukturwandel

Auch die seit 1993 zu beobachtende Wachstumsschwäche der japanischen Wirtschaft kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Japans Wirtschaftsentwicklung in den letzten 45 Jahren überaus erfolgreich verlief. Unter allen OECD-Ländern verzeichnete Japan über diesen Zeitraum das höchste Wirtschaftswachstum. Japan lief dabei den führenden westlichen Industrienationen nicht davon, sondern schloß vielmehr zu ihnen auf. Zu Beginn der 60er Jahre erreichte sein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf noch weniger als 50% des damaligen westdeutschen Niveaus, heute liegt es gleichauf. Das Land verbesserte seine relative Einkommensposition innerhalb der OECD von Rang 22 im Jahr 1960 auf Rang 6 im Jahr 1996 (Berechnet nach OECD-Daten. Umrechnung der nationalen Währungen nach Kaufkraftparitäten.). Japans Aufstieg ist um so beachtlicher, als es über keine nennenswerte Rohstoffbasis verfügt und seine bis in die 90er Jahre hinein wichtigsten Exportmärkte in Nordamerika und Europa denkbar weit entfernt lagen.

Wachstum fordert Strukturwandel. Japans erstaunliches Wachstum ist auf seine besondere Fähigkeit zu strukturellem Wandel zurückzuführen. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Wandels werden deutlich, wenn man bedenkt, daß das heute zu den technologisch führenden Industrienationen der Welt zählende Land bis zu seinem Beitritt zur OECD im Jahr 1964 noch den Status eines Entwicklungslandes im Rahmen des GATT und IMF innehatte.

Die strukturelle Entwicklung läßt sich grob in drei Phasen unterteilen. Da ist zunächst die Phase der Industrialisierung. Sie drückt sich im raschen Wandel der sektoralen Beschäftigtenstruktur aus (Tabelle 1). Noch Mitte der 50er Jahre, als der Wiederaufbau nach dem Krieg schon weitgehend abgeschlossen war, lag der Beschäftigtenanteil des primären Sektors (Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei) bei über 40%, einem Wert also, der in Deutschland, das sich ja auch relativ spät industrialisierte, bereits um die Jahrhundertwende unterschritten wurde. Heute liegt der Wert bei 5% und damit nur noch unwesentlich über dem deutschen Niveau.

Tabelle 1.

Sektoraler Wandel der Beschäftigtenstruktur (Beschäftigtenanteile in Prozent)

1955

1974

1996

Land- und Forstwirtschaft, Fischerei

41

13

5

Industrie

25

37

33

Dienstleistungen, einschl. Staat

33

50

62

Quelle: Economic Planning Agency (1991; 1994), eigene Berechnungen.

Die zweite Phase der strukturellen Entwicklung Japans beginnt in den siebziger Jahren und beschreibt die Bewältigung der beiden Ölkrisen. Eine sieben Länder umfassende Vergleichsstudie der OECD belegt, daß Japan bei der Umstellung seiner Produktionsstruktur auf technologieintensive Bereiche in diesem Zeitraum am erfolgreichsten war. Logische Konsequenz dieser Überlegenheit waren Anteilsgewinne auf den Weltmärkten für Hochtechnologieprodukte (Tabelle 2).

Tabelle 2.

Die Rolle technologieintensiver Produktionsbereiche

Jahresdurchschnittliche Umsatzwachstumsrate (%)

Anteile am
Weltexport (%)

     

1980

1992

Japan

(1975-85)

14,69

16,5

20,0

USA

(1977-85)

7,74

24,1

23,5

Deutschland

(1978-86)

4,02

15,8

14,3

Quelle: OECD (1992; 1994).

Die dritte Phase ist gekennzeichnet durch Japans wirtschaftliche Integration in Ostasien. Sie beginnt Mitte der 80er Jahre und äußert sich in zwei Sachverhalten. Ostasien steigt in diesem Zeitraum zur wichtigsten Handelsregion Japans auf, eine Position, die bis zu Beginn der 90er Jahre Nordamerika vorbehalten war (Tabelle 3). Die intensivere Handelsverflechtung mit Ostasien bedingte eine deutliche Strukturverschiebung auf der Import- und Exportseite der japanischen Handelsbilanz (Tabelle 4). Auf der Importseite stieg der Anteil der Industrieprodukte von 28 auf 57%. Eine noch raschere Zunahme erlebten darunter Produkte der Maschinen- und Geräteindustrien, deren Anteil um mehr als den 2,5-fachen Wert stieg. Auf der Exportseite ist ein deutlicher relativer Rückgang bei Konsumgütern zu verzeichnen, der allerdings durch einen erheblichen Zuwachs bei den Kapitalgütern mehr als kompensiert wurde.

Tabelle 3.

Regionale Verteilung des Volumens von Importen und Exporten (in Prozent)

1985

1995

USA/Kanada

32,9

27,3

EU

10,8

15,3

Ostasien

25,4

39,0

Übrige Länder

30,9

28,4

Quelle: Statistics Bureau (1995; 1996), eigene Berechnungen.

Die regionalen und güterwirtschaftlichen Veränderungen der Handelsstruktur sind Ausdruck des sich neu entwickelnden Musters der Arbeitsteilung zwischen Japan und seinen ostasiatischen Nachbarn. Die Veränderungen auf der Importseite reflektieren den Verlust arbeitsintensiver Produktionsstufen im verarbeitenden Gewerbe und hier insbesondere in den inländischen Maschinen- und Geräteindustrien. Diese fielen zu einem großen Teil den Importen von Vor- und Endprodukten aus Niedriglohnländern im asiatischen Raum zum Opfer. Die Veränderungen auf der Exportseite spiegeln den gleichen Prozeß wider. Der relative Einbruch bei langlebigen Konsumgütern ist auf den Ausbau der Produktion im ostasiatischen Raum zurückzuführen. Eben dieser Ausbau der Produktionskapazitäten induzierte die rasche Zunahme der japanischen Kapitalgüterexporte.

Tabelle 4.

Güterstruktur des Außenhandels (in Prozent)

Import

 

Export

 

1985

1995

 

1985

1995

Rohstoffe u. Nahrungsmittel

69,0

40,8

Kapitalgüter

46,5

61,6

Industrieprodukte
(Maschinen u. Geräte)

28,1

(9,6)

57,0

(25,3)

langlebige Konsumgüter

29,9

16,5

Sonstige

2,9

2,2

Sonstige

23,6

22,4

Quelle: Statistics Bureau (1995; 1996), eigene Berechnungen.

Höhere Reallöhne bei mehr Beschäftigung

Japans in den letzten 25 Jahren unter Beweis gestellte Fähigkeit zu strukturellem Wandel zeigt sich eindrucksvoll in der Entwicklung von Reallöhnen und Beschäftigung. Üblicherweise gehen wir davon aus, daß zwischen beiden Größen ein Trade-off besteht. Ein rascheres Wachstum der Reallöhne geht zu Lasten eines rascheren Wachstums der Beschäftigung. Wenn wir die Erfahrung von Deutschland und den USA im Zeitraum zwischen 1970 und 1995 vergleichen, wird uns dies bestätigt (Tabelle 5). In Westdeutschland stieg in dieser Zeit das Realeinkommen pro Beschäftigten um 60%, während es in den USA stagnierte (5%). Dafür erzielten die USA einen Zuwachs an Beschäftigung von 65%, der die westdeutsche Entwicklung (14%) deutlich in den Schatten stellt. Japan schaffte es in diesem Zeitraum beide günstigen Extreme zu kombinieren: ein höherer Reallohnanstieg als in Deutschland mit einem fast so hohen Beschäftigungswachstum wie in den USA.

Tabelle 5.

Relative Veränderung des Realeinkommens pro Arbeitnehmer und der Zahl der Arbeitnehmer zwischen 1970 und 1995 (in Prozent)

Reallohn
(Preise von 1990)

Zahl der Arbeitnehmer

USA

5

65

Japan

75

59

Deutschland (West)

60

14

Quelle: Sachverständigenrat (1997, statistischer Anhang), eigene Berechnungen.

Die zunehmende Kluft zwischen Export- und Binnenindustrien

Die zurückliegende Entwicklung der japanischen Wirtschaft verlief nicht in allen Wirtschaftsbereichen gleichermaßen erfolgreich. Es zeigt sich im Gegenteil eine deutliche Kluft zwischen den Exportindustrien des Landes und den überwiegend auf den Binnenmarkt konzentrierten Industrien. Einen ersten, wenn auch indirekten Hinweis hierfür liefert die Entwicklung der Handelsstruktur. Sie ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Spezialisierung Japans auf Produkte der Maschinen- und Geräteindustrien. Ausdruck der Spezialisierung ist nicht nur der im internationalen Vergleich sehr hohe Anteil dieser Gütergruppe am japanischen Export, sondern auch ihr auffallend niedriger Anteil am Import. Im Vergleich zu den USA und Deutschland zeichnet sich Japan durch ein sehr niedriges Gewicht des intraindustriellen Handels in diesem Bereich aus, das erst in jüngster Zeit in Zusammenhang mit der oben beschriebenen Integration in Ostasien zunimmt. Der Integrationsprozeß beruht allerdings, wie gesehen, eher auf einer intraindustriellen vertikalen Arbeitsteilung als auf einer horizontalen Verflechtung der Märkte.

Japan ist im klassischen Sinne der internationalen Arbeitsteilung spezialisiert auf Produkte der Maschinen- und Geräteindustrien. Es besitzt in diesen Industrien offensichtlich einen ausgeprägten komparativen Vorteil. Komparativen Vorteilen liegen Unterschiede in der Kosten- bzw. Produktivitätsstruktur von Ländern zugrunde. Tatsächlich wird Japans Spezialisierung im internationalen Handel begleitet von einer sich öffnenden Produktivitätsschere zwischen Export- und Binnensektor. Die Entwicklung der Preisstruktur ist hierfür ein guter Indikator (Tabelle 6).

Tabelle 6:

Entwicklung der Preisstruktur im internationalen Vergleich (1973 = 100)

Japan

Deutschland

USA

 

1980

1993

1980

1993

1980

1993

BIP-Index

160

205

132

208

159

291

Maschinen und Geräte

136

120

133

192

170

210

Exportgüter

137

105

136

178

181

239

Quelle: OECD (1995); eigene Berechnungen.

Aus Tabelle 6 geht hervor, daß die Preise für Exportgüter in Japan relativ zum Preisindex des BIP fast halb so billig geworden sind und daß die günstige Entwicklung der Exportpreise einhergeht mit einer fast ebenso günstigen Preisentwicklung bei den Produkten der Maschinen- und Geräteindustrien, die ja in diesem Zeitraum zum Hauptexportartikel Japans avancierten. In Deutschland und den USA haben sich die Preise für Exportgüter zwar ebenfalls günstiger entwickelt als der BIP-Preisindex. Die Differenz fällt jedoch wesentlich bescheidener aus. Die relative Verbilligung betrug in Deutschland 14% und in den USA 18%.

Die sich in der Preisstruktur abzeichnende und mit der Herausbildung des komparativen Vorteils deckende ungleichgewichtige Produktivitätsentwicklung der japanischen Wirtschaft wird selbst wieder zur Triebfeder strukturellen Wandels. Die zunehmend produktiveren Exportindustrien bestimmen den Wechselkurs. Zu Beginn der 70er Jahre kostete der Dollar noch 360 Yen. Mitte 1998 lag der Kurs zwischen 120 und 130 Yen. 1995 war er zwischenzeitlich sogar auf unter 100 Yen gesunken. Die unter Berücksichtigung der Handelsstruktur berechnete effektive Aufwertung der japanischen Währung belief sich zwischen 1984 und 1995 auf ungefähr 120% (OECD 1997: A41). Für Japans Wettbewerber auf den Weltmärkten bedeutete dies einen jährlichen Preisbonus von mehr als 7%.

Das durch die Aufwertung hervorgerufene Preis- und Kostengefälle zwischen In - und Ausland verschärft aus Sicht des Binnensektors die Konkurrenz durch Importe und verteuert aus Sicht des Exportsektors die Produktion im eigenen Land. Beide Wirkungsrichtungen erzeugen eine Dynamik strukturellen Wandels, die darauf hinausläuft, Produktion im Inland stillzulegen. Sie kommt in der oben beschriebenen, seit Mitte der 80er Jahre zu beobachtenden außenwirtschaftlichen Entwicklung Japans zum Ausdruck.

Es liegt auf der Hand, daß die sich weitende Produktivitätsschere kein auf Dauer tragfähiges Entwicklungsmuster darstellt. Die Maschinen- und Geräteindustrien beherbergen mit der Halbleiter- und Computerindustrie die leading industries der letzten 25 Jahre. Dennoch unterliegen auch diese Industrien Produktzyklen und können nicht auf Dauer Produktivitätszuwächse und Wachstum garantieren.

Erfolg und Ungleichgewicht: Ergebnis derselben Strukturen

Die institutionellen Rahmenbedingungen sind entscheidend

Wirtschaftswissenschaftliche Theorien stellen bei ihren Analysen von Wachstum und Außenhandel üblicherweise Produktionsfaktoren in den Vordergrund. Wachstum ist Ergebnis der Akkumulation von Kapital und technologischem Wissen. Komparative Vorteile resultieren aus Unterschieden in der relativen Knappheit von Produktionsfaktoren. Der Einfluß institutioneller Rahmenbedingungen wird durch die implizite Annahme, daß alle Volkswirtschaften über ein gleichermaßen entwickeltes System von Faktor- und Gütermärkten verfügen, aus den Modellen verbannt.

Bei der Erklärung der japanischen, wie wohl auch jeder anderen realen Wirtschaftsentwicklung, wirft diese Vorgehensweise nur einen geringen Erkenntnisgewinn ab. Natürlich wurde Japans rasches Wachstum durch Kapitalakkumulation und technischen Fortschritt getragen. Dies beantwortet aber lediglich die Frage nach dem Verlaufsmuster des Prozesses. Hiermit gewinnt man keinen Einblick in die Art und Weise, wie Strukturwandel hervorgebracht und bewältigt wurde. Ähnliches gilt für die Frage nach dem komparativen Vorteil der japanischen Wirtschaft. Ökonometrische Analysen ergeben, daß Japans komparativer Vorteil bei Produkten mit einer relativ hohen Technologieintensität liegt (Petri 1995). Diese Erkenntnis führt aber nur zu einem neuen Problem: Japans Spezialisierung im Handel ist dort am stärksten ausgeprägt, wo bei anderen Industrieländern das Gewicht des intraindustriellen Handels am höchsten ist.

Wenn wir die interessanten Fragen angehen wollen, müssen wir uns auf eine tiefere Erklärungsebene begeben und uns mit den institutionellen Rahmenbedingungen befassen. Damit sind drei Themenkomplexe angesprochen: Über welche besonderen Institutionen verfügt das japanische Wirtschaftssystem? Wie haben sie sich herausgebildet? Wie haben sie die Entwicklung der japanischen Wirtschaft beeinflußt?

Unterentwickelte Faktormärkte und Regulierungssysteme

Wie jede andere Volkswirtschaft, so verfügt auch Japan aufgrund seiner spezifischen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung über ein eigenes Set von institutionellen Rahmenbedingungen. Die folgende Liste faßt die hierzu in der Literatur zu den wichtigsten Bereichen zusammengetragenen Ergebnisse zusammen.2

Arbeitsmarkt und Beschäftigungssystem. Auffallendes Merkmal sind die fehlenden bzw. unterentwickelten Märkte für qualifizierte Arbeitnehmer in Produktion, Verwaltung und Management. Damit verbindet sich die Beobachtung, daß sich die Karrieren qualifizierter Arbeitnehmer nicht an Berufsbildern, sondern an der Zugehörigkeit zu einem Unternehmen und den von diesem gebotenen internen Aufstiegsmöglichkeiten ausrichten. Entsprechend sind die Interessen der Beschäftigten auf Unternehmensebene organisiert und werden nicht durch Industrie- oder Berufsgewerkschaften wahrgenommen.

Kapitalmärkte, Finanzsystem und Corporate Governance. Wie Deutschland, so verfügt auch Japan über ein bankdominiertes Finanzsystem und damit einhergehend über ein Insider-System der Unternehmenskontrolle.

Zulieferstrukturen und Vertriebssystem. Die Organisation der Arbeitsteilung zwischen Lieferanten und Abnehmern ist durch langfristige und dabei oft auch exklusive Geschäftsbeziehungen gekennzeichnet. Gleiches gilt für die Beziehung zwischen Hersteller und Handel. Umgekehrt formuliert: Sowohl in der Produktion von Vorprodukten als auch in der Organisation des Vertriebs finden sich in Japan relativ wenige unabhängige, große und spezialisierte Unternehmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen am "offenen" Markt anbieten.

Beziehung zwischen Verwaltung und Wirtschaft. Die Grenzlinie zwischen den regulatorischen Aufgaben und Befugnissen der Ministerialbürokratie und der Sphäre unternehmerischer Selbstbestimmung wird selten klar gezogen. Einerseits sind die Zuständigkeitsbereiche und Handlungsbefugnisse der Bürokratie oft nur sehr vage gesetzlich fixiert, was breite Interpretations- und Ermessensspielräume bedingt. Andererseits verfügt die Verwaltung bei der Verfolgung ihrer Ziele häufig nur über schwache Sanktions- und Kontrollmittel. Ausdruck hiervon ist die Praxis der rechtsunverbindlichen "administrativen Führung" als Instrument staatlicher Regulierung. Die in der Beziehung angelegte gegenseitige Abhängigkeit erzeugt einen hohen Grad an Interesseninterdependenz. Dieser äußert sich beispielsweise in der als "amakudari" (etwa: Abstieg der Götter) bekannten Praxis des Wechsels frühpensionierter Ministerialbeamter in die Privatwirtschaft.

Märkte und staatliche Regulierung besitzen Merkmale einer öffentlichen Infrastruktur im Sinne einer gemeinsamen Nutzung, des freien Zugangs und der Nichtdiskriminierung. Eben darin unterscheiden sie sich von privaten Organisationsformen und Regelungsmechanismen, die eine stärker diskriminierende Trennung zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern vornehmen. Die knappe Zusammenschau der Strukturmerkmale der Faktormärkte, der Industrieorganisation und der Regulierung zeigt, daß diese Infrastrukturfunktion in Japan eher unterentwickelt ist. Kompensiert wird das Defizit durch private Netzwerke und Regelungsmechanismen: interne Arbeitsmärkte, abnehmerspezifische Zuliefersysteme, herstellerkontrollierte Vertriebssysteme, Intermediation auf den Finanzmärkten, nicht-öffentliche Mechanismen der Unternehmenskontrolle, relationale und konsensuale Instrumente der Regulierung.

Die Charakterisierung mag verständlich machen, warum sich die Literatur zum japanischen Wirtschaftssystem so deutlich in zwei Lager spaltet: in die Bewunderer und in die Kritiker. Die Bewunderer heben die persönlichen Beziehungen und die engen, auf Harmonie bedachten Formen der Kooperation und des Interessenausgleichs hervor, die sie in einem System "anonymer" Markt- und Rechtsbeziehungen vermissen. Die Kritiker betrachten die Kehrseite, nämlich die Exklusivität und die diskriminierende Wirkung privater Organisationsformen als Verstoß gegen marktwirtschaftliche und rechtsstaatliche Grundsätze.

"Entmachtung" der Märkte in den 30er Jahren

Natürlich erfüllen auch in anderen Ländern Märkte, Regulierung und Recht nicht die idealerweise ihnen zugedachten Infrastrukturfunktionen und müssen durch private Regelungsmechanismen ergänzt werden. Allerdings scheint es, daß Japan im Vergleich zu ähnlich entwickelten Industrieländern in größerem Umfang auf private Netzwerke zurückgreift. Hierfür gibt es verschiedene Gründe.

Überraschend ist, daß die institutionellen Rahmenbedingungen der japanischen Volkswirtschaft im wesentlichen ein Produkt der Kriegs- und Nachkriegszeit sind. Arbeitsmärkte zeichneten sich seit Beginn der Industrialisierung und noch bis in die 30er Jahre durch einen hohen Grad an Mobilität gerade auch bei qualifzierten Fachkräften aus (Gordon 1985). Größere Unternehmen finanzierten sich vor dem Krieg überwiegend über Kapitalmärkte und nicht durch Bankkredite (Horiuchi 1996). Erst im Zuge der in den 30er Jahren einsetzenden Kriegswirtschaft entstanden mit den heutigen Zuliefersystemen vergleichbare Strukturen, wenn auch unter anderen Vorzeichen und mit im Ergebnis weitaus geringerem Erfolg (Nishiguchi 1994). Auch zentrale Institutionen in der Beziehung zwischen Verwaltung und Privatwirtschaft, etwa das Instrument der administrativen Führung oder der zweiten Karriere frühpensionierter Ministerialbeamter in der Privatwirtschaft entwickelten sich erst nach dem Krieg (Ôyama 1996).

Für die Entstehung und Verbreitung zeichnen mehrere Faktoren verantwortlich: ökonomische Sachzwänge, historische Erfahrungen, politische Interessen und günstige äußere Bedingungen. Die ökonomischen Sachzwänge waren entscheidend durch Japans Position als industrieller Spätentwickler geprägt. Die Aufholerposition bedeutete in Verbindung mit der beachtlichen Größe des Binnenmarktes ein erhebliches Wachstumspotential. Die wichtigsten Engpässe bei dem Versuch, dieses Potential auszuschöpfen, waren Kapital und die Fähigkeit, ausländische Technologien zu adaptieren. Die Sachzwänge wurden durch die Wirtschaftspolitik in den 50er und 60er Jahren zusätzlich verschärft. Restriktive Kontrollen ausländischer Direktinvestitionen behinderten die direkte Zufuhr ausländischen Kapitals und Know-Hows.

Die Abschottung des japanischen Binnenmarktes hatte noch eine weitere Konsequenz. Sie erzwang aufgrund von Importbeschränkungen den Aufbau eigener Zulieferindustrien. Auftraggeber und Hauptabnehmer statteten die Teilehersteller mit Maschinen, Know-How und beschafften für sie zum Teil auch Material und Rohstoffe. Die Zuliefernetzwerke der japanischen Industrie entstanden also nicht als Ergebnis einer Verdrängung bereits bestehender Märkte, sondern sind letztlich die Konsequenz privatwirtschaftlicher Strategien industrieller Entwicklung. Ähnliches läßt sich für die Seite der Distribution sagen. Auch hier konnte nicht auf bereits entwickelte Vertriebswege und unabhängige Handelsorganisation zurückgegriffen werden. Hersteller sahen sich gezwungen, eigene und damit zunächst private Vertriebsnetze aufzubauen.

Auch die institutionellen Merkmale des japanischen Beschäftigungssystems stehen in einem engen Zusammenhang zum industriellen und technologischen Aufholprozeß. Der Import und die Adaption ausländischer Technologien erforderte erhebliche Anstrengungen bei der Ausbildung und Qualifizierung der Beschäftigten. Mangels erfolgreicher staatlicher Initiativen sahen sich Unternehmen vor die Aufgabe gestellt, Arbeitskräfte selbst fachlich auszubilden. Hierbei sahen sie sich einem grundsätzlichen Problem gegenüber. Wie konnten sie sicherstellen, daß die von ihnen ausgebildeten Fachkräfte nicht nach der Ausbildung zur Konkurrenz abwanderten. Schon in der Anfangsphase der Industrialisierung experimentierten größere Industrieunternehmen mit verschiedenen Anreizmechanismen zur Bindung qualifizierten Personals: Koppelung der Löhne an das Dienstalter, Zurückhalten von Lohnanteilen als Sicherheit. Allerdings geschah dies nicht mit letzter Konsequenz und Abwerbungen oder Abwanderungen qualifizierter Arbeitnehmer waren in Boomzeiten die Regel.

Erst nach dem Krieg gelang die Entwicklung stabiler interner Arbeitsmärkte zur Lösung des Qualifizierungsproblems. In der Hochwachstumsphase konnten Unternehmen "lebenslange Beschäftigung" garantieren. Der günstige Altersaufbau der Bevölkerung ermöglichte die Finanzierung mit dem Dienstalter steil ansteigender Löhne. Noch 1965 waren knapp 42% aller Beschäftigten weniger als 30 Jahre alt. Unterstützend hinzu kamen die sich in den 50er Jahren herausbildenden Unternehmensgewerkschaften. Sie haben das System nicht nur als Gegengewicht und Kontrolle der Unternehmensleitung stabilisiert, sondern auch, indem sie zur Disziplin und Unternehmenstreue der Stammbelegschaft beitrugen.

Dynamische Effizienz - statische Ineffizienz

In der Entstehungsgeschichte deutet sich die enge Beziehung zwischen den Institutionen des japanischen Wirtschaftssystems und dem raschen Wachstum und Strukturwandel bereits an. Die internen Arbeitsmärkte und die privaten Netzwerke in der Industrie erfüllten wichtige dynamische Funktionen. Die Unternehmensbindung der Fachkräfte und die langfristigen Kooperationsbeziehungen in der Industrie erlaubten die rasche Umsetzung und Diffusion neuer Technologien und erhöhten die Fähigkeit und Bereitschaft zu strukturellem Wandel.

Strukturwandel erfordert die Umlenkung von Produktionsfaktoren in neue Industrien. Im Fall des Faktors Kapital bedeutet dies Abschreiben und Neuinvestieren. Für den Faktor Arbeit gilt ähnliches. Sein bisheriges Fachwissen verliert an Wert. Er muß weiterlernen und umlernen, um sich neu zu qualifizieren. Japans Ausbildungs- und Beschäftigungssystem ist darauf gut vorbereitet. Die unternehmensinterne Ausbildung kann rasch auf sich ändernde Arbeitsinhalte reagieren, insbesondere dann, wenn diese durch training-on-the-job erlernt werden können. Im Kontext der internen Arbeitsmärkte identifzierten sich die Beschäftigten als Mitarbeiter eines bestimmten Unternehmens und weniger als Ausübende eines bestimmten Berufs. Ihr Schicksal als Arbeitnehmer ist tatsächlich weniger an die Zukunft einer bestimmten beruflichen Qualifikation, sondern vielmehr an die Zukunft ihres jeweiligen Unternehmens gebunden. Unter diesen Bedingungen sind sie eher bereit, strukturellen Wandel mitzutragen. Die Ausbildung durch das Unternehmen und der Wettbewerb um den internen Aufstieg schafft eine besondere Lernkultur. Die Auswirkungen hiervon zeigen sich bereits beim Übergang vom Bildungssystem in das Erwerbsleben. Entscheidendes Einstellungskriterium sind weniger spezielle im Bildungssystem erworbene Fertigkeiten und Kenntnisse eines Bewerbers, sondern die durch den Besuch einer angesehenen Universität signalisierte Lernfähigkeit und Lernbereitschaft. Er verkauft dem Unternehmen, das ihn fachlich aus- und weiterbildet, sein Lernpotential.3

Es ist bekannt, daß Beschäftigungsstabilität und interner Aufstieg nur für die Stammbelegschaft in den größeren Unternehmen tatsächlich in vollem Umfang gilt. Aber für die Innovationskraft einer Industrie mag es ausreichen, wenn den Begabtesten 30 oder 40 Prozent entsprechende Anreize und Entfaltungsmöglichkeiten geboten werden.

Vergleichbar den internen Arbeitsmärkten bieten auch die Zuliefernetzwerke der Industrie günstige Voraussetzungen für gemeinsames Lernen und kontinuierliche Produkivtätssteigerungen. Die lange Kenntnis des Geschäftspartners erleichtert den Austausch neuer Ideen und die Durchführung gemeinsamer Forschung und Entwicklung. Die exklusiven Geschäftsbeziehungen schaffen das notwendige Vertrauen, sich auf Neues einzulassen.

Japans beachtlicher technologischer Aufholprozeß hat unter Beweis gestellt, daß es über hervorragende Lerninstitutionen verfügt. Aber wie eingangs beschrieben, waren bei ihrer Nutzung nicht alle Industrien gleichermaßen erfolgreich. Voraussetzungen zum Lernen reichen eben nicht aus, es muß auch genügend "Lernstoff" geben. Angesprochen ist damit das Innovationspotential einer Technologie oder Industrie. Dieses war in den Maschinen- und Geräteindustrien nicht nur in Form von Produktinnovationen (Transistor, Halbleiter, neue Maschinen, Konsumgüter), sondern auch in Form von Prozeßinnovationen (Übergang von der Massenproduktion zur flexiblen Fertigung) mehr als ausreichend vorhanden. In anderen Industrien, beispielsweise der Chemie, die ja auch zu den forschungs- und entwicklungsintensiven Branchen zählt, scheint der Lernstoff für die Lernkultur japanischer Institutionen weniger geeignet gewesen zu sein (Waldenberger 1996). Und schließlich gibt es eine Reihe von Industrien, in denen die Rate des technischen Fortschritts gering ist oder durch staatliche Regulierung gering gehalten wurde. Beispiele für letzteren Fall waren bis vor kurzem das Finanzsystem und das Distributionssystem.

Die institutionellen Rahmenbedingungen des japanischen Wirtschaftssystems decken sich nicht mit dem Ideal offener Märkte. Interne Arbeitsmärkte und exklusive Geschäftsbeziehungen gewähren Schutz vor direktem Preiswettbewerb. Aus der Wettbewerbstheorie wissen wir, daß Schutz vor direktem Preiswettbewerb eine wichtige Voraussetzung für Innovationswettbewerb sein kann. Die japanischen Maschinen- und Geräteindustrien haben den fehlenden Preiswettbewerb durch dynamische Effiziengewinne mehr als kompensiert. Allerdings standen sie dabei zumindest auf den Absatzmärkten ihrer Endprodukte im Inland und im Ausland auch in intensivem Preiswettbewerb. Vor allem die Binnenindustrien waren durch Wettbewerb von außen weitaus besser geschützt. In regulierten Bereichen wurde die Schutzwirkung durch die Verflechtung zwischen Bürokratie und Wirtschaft weiter gestärkt.

Für die sich ausweitende Produktivitätsschere zwischen Binnen- und Exportindustrien scheinen letztlich mehrere Faktoren verantwortlich zu sein: die den direkten Preiswettbewerb tendenziell dämpfenden, bestimmte Formen des Lernens begünstigenden institutionellen Rahmenbedingungen, die ungleichen Innovationspotentiale einzelner Industrien, der ungleiche Wettbewerbsdruck zwischen Export- und Binnenindustrien, der Preis- und Innovationswettbewerb dämpfende Einfluß der Regulierung.

Beispiel Finanzsystem

Die aktuelle Krise des Finanzsystems beleuchtet auf das deutlichste die Probleme des japanischen "Modells". Hier laufen viele der oben beschriebenen institutionellen Besonderheiten zusammen.

Eine unterentwickelte Marktinfrastruktur. Wie in Deutschland, so dominiert auch in Japan die Intermediation durch Banken und Versicherungen. Angesichts des durch den Fortschritt bei den Informations- und Kommunikationstechnologien geförderten Handels von Finanzprodukten über Märkte ist das japanische wie auch das deutsche Finanzsystem international ins Hintertreffen geraten. Die deutschen Universalbanken scheinen für die Herausforderung allerdings besser gerüstet als die durch eine lange Trennbanktradition geprägten japanischen Banken.

Die Grenzen der relationalen und konsensualen Regulierung. Das japanische Finanzsystem liefert als traditionell hoch regulierter Bereich eine Paradebeispiel für die Intransparenz staatlichen Verwaltungshandelns und für die Interesseninterdependenz zwischen Ministerialbürokratie und Privatwirtschaft. Die um Interessenausgleich und Konsens bemühte Regulierungspraxis war außerstande, die durch den Zusammenbruch der Bodenpreise ausgelöste Finanzkrise auch nur ansatzweise zu bewältigen. Die Politik der Verschleierung und des Abwartens auf eine Belebung der Märkte hat letztlich zu weiteren Verunsicherungen geführt und die Probleme nur noch verschärft. Eine Lösung ist nur durch eine grundsätzliche Neuordnung zu erreichen. Der Start der neuen, organisatorisch vom Finanzministerium getrennten Aufsichtsbehörde im Juni 1998 war ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung.

Die Grenzen unternehmensbasierter Ausbildungssysteme. Der Strukturwandel im Finanzsystem verändert die Qualifikationsprofile der Bankmanager. Operationen an Finanzmärkten, der Handel mit neuen Finanzprodukten und die Kontrolle der damit verbundenen Risiken erfordern Fachkenntnisse, die im traditionellen Kunden- und Einlagengeschäft nicht gefordert waren. Die nötigen Qualifikationen beinhalten überwiegend theoretisches Wissen, training-on-the-job ist bestenfalls zweitrangig von Bedeutung. Unternehmensbasierte Ausbildungssysteme sind für die Heranbildung solcher Qualifikationen denkbar ungeeignet. Hier sind vor allem die Universitäten gefordert. Die Finanzinstitute müssen allerdings dafür sorgen, daß sie für solche Spezialisten interessante Karrieren anbieten.

Defizite der Rechtsordnung. Ein großes Hindernis bei der Lösung des Problems der faulen Kredite im japanischen Bankensektor stellt die Veräußerung der den Krediten als Sicherheit dienenden Grundstücke dar. Das japanische Grundstücks-, Hypotheken- und Konkursrecht war auf die nach dem Zusammenbruch entstandenen Rechtslagen ebenso wenig eingerichtet wie die Gerichte und Notare kapazitätsmäßig darauf vorbereitet waren. Auch der Einsatz juristisch geschulter Fachleute in eigens zur Veräußerung solcher Grundstücke gegründeten Organisationen hat daran wenig ändern können.

Nach dem wirtschaftlichen Strukturwandel jetzt institutioneller Wandel

Verschiedene Gründe sprechen dafür, daß die institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen sich Japans Wirtschaft in den letzten 45 Jahren außerordentlich erfolgreich entwickelte, inzwischen erheblichem Reformdruck ausgesetzt sind. Da ist zunächst der Erfolg selbst zu nennen. Erfolg resultiert aus dem Ausschöpfen besonderer Entwicklungspotentiale. Nachdem dies erfolgt ist und solange sich keine neuen ähnlichen Potentiale an anderer Stelle auftun, verlieren die an der Erschließung beteiligten Erfolgsinstitutionen einen Teil ihrer Funktionalität. Eine zweite Triebkraft institutionellen Wandels sind Veränderungen in den äußeren Bedingungen. Eine dritte Ursache des aktuellen Reformdrucks ergibt sich schließlich aus dem Umstand, daß mit dem Erlahmen der Entwicklungsdynamik bis dato kaschierte institutionelle Defizite und Schwächen nun offener zutage treten.

Im Beschäftigungssystem sind schon deutliche Anzeichen institutionellen Wandels erkennbar. Triebfedern sind hierbei vor allem Veränderungen in der Altersstruktur der Erwerbstätigen und im wirtschaftlichen Umfeld. Japans alternde Bevölkerung und gedämpfte mittel- und langfristige Wachstumsperspektiven stellen die Unternehmenswachstum voraussetzenden Prinzipien der Beschäftigungsgarantie sowie der Entlohnung und Beförderung nach Dienstalter zunehmend in Frage. Visionen über neue Beschäftigungsformen und Experimente mit neuen Entlohungssystemen und Karriereverläufen haben Hochkonjunktur.

Der Wandel der Zulieferstrukturen in Richtung auf mehr Offenheit ist ebenfalls deutlich erkennbar. Er wird durch den zunehmenden Wettbewerbsdruck auf den Absatzmärkten vorangetrieben. Eine günstige Beschaffungspolitik wird immer mehr zum entscheidenden Preisvorteil. Sie zeigt sich bei einfachen Produkten im verstärkten Einkauf in Niedriglohnländern und bei technologisch anspruchsvolleren Teilen durch die Konzentration der Beschaffung auf weltweit führende Spezialanbieter.

Der Wandel des Distributionssystems geht ebenfalls in Richtung auf mehr Markt und mehr Offenheit. Auslöser sind hierbei zum einen Deregulierungsmaßnahmen, zum anderen innovative Handelsunternehmen, die die durch Deregulierung und neue Technologien geschaffenen Handlungsspielräume zum Ausbau herstellerunabhängiger Vertriebswege nutzen.

Wie bereits erwähnt ist das japanische Finanzsystem erheblichem strukturellen Anpassungsdruck ausgesetzt. Globalen Trends wird im Inland durch weitreichende Liberalisierungsmaßnahmen die Tür geöffnet. Durch Deregulierung verschafft man den heimischen Unternehmen mehr Spielraum, durch Restrukturierung dem Druck zu begegnen. Aber es zeichnet sich jetzt schon ab, daß in dem neuen japanischen Finanzsystem ausländische Institutionen eine bedeutende Rolle spielen werden.

Die seit Beginn der 80er Jahre zu beobachtenden Veränderungen im Finanzierungsverhalten der großen Industrieunternehmen und die gerade angesprochenen Veränderungen im Finanzsystem bleiben nicht ohne Auswirkung für das japanische Modell der Unternehmenskontrolle. Wie in Deutschland so wird sich auch in Japan das Insider-System öffnen müssen. Dies beginnt mit der Bilanzierung und Publikation nach internationalen Standards und endet möglicherweise mit dem Verlust der Kontrolle über die Anteilseignerstruktur des eigenen Unternehmens durch das Management.

Nicht erst seit der Finanzkrise und nicht allein im Bereich der Finanzmarktregulierung ist man sich in Japan darüber im Klaren, daß das einst vor allem vom Ausland so bewunderte Zusammenspiel zwischen Ministerialbürokratie und Privatwirtschaft ein Relikt vergangener Tage ist. Die Zukunftsformel heißt Verwaltungsreform. Ziele sind mehr Transparenz und Rechtssicherheit sowie eine höhere Effizienz. Der Anfang wurde mit dem 1994 in Kraft getretenen Verwaltungsverfahrensgesetz gemacht. Der Höhepunkt könnte das noch unter Hashimoto verabschiedete Gesetz zu einer umfassenden Verwaltungsstrukturreform sein. Es sieht vor, ab dem Jahr 2001 die Ministerien und Behörden der Zentralregierung radikal neu zu strukturieren und dabei ihre Zahl von derzeit 22 auf zukünftig 13 zu reduzieren.

Die japanische Wirtschaft tritt zur Zeit auf der Stelle. Aber ansonsten ist in dem Land sehr viel in Bewegung.

Literatur

Deutsches Institut für Japanstudien (Hg.) (1998): Die Wirtschaft Japans. Strukturen zwischen Kontinuität und Wandel. Berlin: Springer.

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Statistics Bureau, Management and Coordination Agency (1996): Monthly Statistics of Japan (418, April 1996): Nihon Tôkei Kyôkai.

Waldenberger, Franz (1996): Organisation und Evolution arbeitsteiliger Produktionssysteme. Erkenntnisse aus der Dynamik der japanischen Wirtschaftsentwicklung (unveröff. Habilitationsschrift), (erscheint demnächst als Band 21 der Monographien des Deutschen Instituts für Japanstudien).


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