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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 4/1998

RAINER FREITAG-WIRMINGHAUS
"Great Game" am Kaspischen Meer

Vorläufige Fassung / Preliminary version

In den vergangenen Jahren haben sich in Zentralasien und im Kaukasus einige dynamische und richtungsweisende Veränderungen ergeben. Die Region um das Kaspische Meer ist aufgrund ihrer Energieressourcen zu einer weltweit beachteten Zone geworden, in der sich ein neues Kräftegleichgewicht herausbildet. Der Kampf um die Erdöl- und Erdgasreserven hat dabei den Begriff von einem neuen "Great Game" geprägt, dessen Auswirkungen vom Balkan bis nach China reichen. Die Bedeutung der Region im globalen Zusammenhang ist gestiegen, der von einigen vorhergesagte Abstieg zu einer "grauen Zone" der Weltpolitik hat nicht stattgefunden. In der internationalen Wahrnehmung läßt sich um das Kaspische Meer herum die "Geburt einer neuen Region" beobachten. Das Meer, das eigentlich die Kaukasusregion von Zentralasien trennt, verknüpft heute beide Teile zu einem großen euroasiatischen Wirtschaftsraum mit der Kaspischen Region im Zentrum. Diese könnte nach dem Persischen Golf zum zweiten Hauptgebiet für Hydrokarbonreserven in der Welt aufsteigen. Der wachsende weltweite Bedarf und die Möglichkeit einer für den Westen wichtigen Alternative zum Nahen Osten kommen dieser Entwicklung entgegen.

Begleitet wird diese durch eine heftige Renaissance geopolitischen Denkens, was der Region heute in der Welt eine gewisse Einzigartigkeit verleiht. Die "Rückkehr der Geopolitik" im Südkaukasus und der Kaspischen Senke ist gekennzeichnet durch das Wirken dreier traditioneller Akteure in der Region, nämlich Rußlands, der Türkei und Irans, und durch das neue Engagement des Westens mit seinen multinationalen Konzernen; ferner vom Übergang der Neuen Unabhängigen Staaten (NUS) von puren Objekten zu eigenständigen Akteuren. Durch das Auftreten der Multinationalen Unternehmen hat die postsowjetische Transformation eine neue Dynamik bekommen. Auch die russische Führung ist gezwungen umzudenken und die früheren Sowjetrepubliken als tatsächlich unabhängige Staaten anzuerkennen. Die Strategie, zumindest im Südkaukasus einen Grad der Instabilität aufrechtzuerhalten, der auswärtige Mächte davon abschrecken soll, sich zu engagieren und zu investieren, geht nicht mehr auf.

Generell kann man die heutigen Veränderungen an folgenden Punkten festmachen:

  • Für die neuen Staaten sind ihre Öl- und Gasressourcen die einzige Möglichkeit, den wirtschaftlichen Niedergang aufzuhalten.
  • Die NUS sind - in unterschiedlichem Maße - eigenständiger geworden und gehen untereinander und mit auswärtigen Kräften neue Partnerschaften ein, während die GUS einen Bedeutungsverlust hinnehmen mußte.
  • Öl als politische Waffe im Kampf um Unabhängigkeit wurde bisher am erfolgreichsten von Aserbaidschan ausgenutzt. Als Ergebnis der Ölverträge ist Baku zum regionalen Ölzentrum geworden.
  • Rußland mußte einen deutlichen Rückgang seines Einflusses hinnehmen.
  • Durch das Engagement der westlichen Staaten und ihren gestiegenen Einfluß haben sicherheitspolitische Kalkulationen einen größeren Stellenwert bekommen.
  • Der Kaukasus und Zentralasien sind zu einer Einflußzone der USA geworden.

Noch ist das Transportproblem für den Öl- und Gasexport das entscheidende Hindernis für den wirtschaftlichen Aufschwung. Die Frage, auf welchem Weg das kaspische Öl den Weltmarkt erreichen wird, ist im geopolitischen Gerangel wegweisend für die zukünftige Gestalt der Region. So wäre der Aufbau eines multiplen Pipelinesystems von Interesse. Doch hängt die Geschwindigkeit der Energieentwicklung am Kaspischen Meer von politischen Faktoren ab, die nicht im Bereich der Ölgesellschaften liegen. Alle potentiellen Pipelines sind mit Problemen behaftet, alle führen durch politisch unsichere Gegenden, benötigen wegen der Beschaffenheit des Geländes und der Länge hohen finanziellen und technischen Aufwand. Sie bergen in sich politische Risiken, ihre Wahl ist von unzähligen Kombinationen verschiedener Interessen und Rücksichten sowie technischer und wirtschaftlicher Faktoren abhängig. Dem Transitland wird ein gewaltiges Einflußmittel in die Hand gegeben.

Die Wahl der Pipelinestrecken kann auch die Weichen für zukünftige Konflikte stellen, denn die meisten vorgeschlagenen Routen sind so abenteuerlich, daß sie leicht "pipe dreams" bleiben könnten. Die Annahme, daß Pipelines Stabilität bringen, wie sie z.B. dem amerikanischen Vorschlag einer "Friedenspipeline" von Aserbaidschan durch Armenien in die Türkei zugrunde liegt, könnte sich leicht als Wunschdenken erweisen. Die Realität kann auch umgekehrt verlaufen: Pipelines können gefährliche Instabilität erzeugen, wogegen Stabilität gerade eine Voraussetzung für Pipelines sein muß. Die Gefährdung der Pipeline Baku-Noworossijsk durch die tschetschenischen Rebellen weist auf den größten Unsicherheitsfaktor sämtlicher Pipelineträume: Der Kampf um die Routen steht in Wechselwirkung mit den Konflikten der Region und wirkt als deren Katalysator. Gerade Tschetschenien, wo Moskau eine schnelle "Lösung" brauchte, hat gezeigt, daß der Ölfaktor sogar neue Konflikte provoziert. Auch die auswärtige Einmischung in Afghanistan ist nicht mehr zu trennen vom Kampf um eine Gaspipeline von Turkmenistan durch das Bürgerkriegsland nach Pakistan. Inwieweit die Kriegsparteien durch Ölgesellschaften benutzt werden, darüber läßt sich nur spekulieren.

Die Schaffung eines großen euroasiatischen Wirtschaftsraumes mit der Kaspischen Region im Zentrum ist mit enormen Möglichkeiten, aber auch mit vielen Gefahren verbunden. Eröffnen Pipelines und neue Verkehrswege, neue Friedensmöglichkeiten? Können gerade im Kaukasus transnationale Ziele die nationale Fixierungen zurückdrängen oder erleben wir eine neue Stufe der Internationalisierung von Konflikten im Gefolge der Globalisierung in der Region?

Manche Experten stellen den Begriff des "Great Game" sowie den der Geopolitik an sich infrage, indem sie auf die Traditionalität dieser Termini hinweisen. Die Politik werde heute im Zeitalter der Globalisierung mehr und mehr von Kräften bestimmt, die keine Staaten sind. Aber die Kritik, daß hier mit Kategorien aus dem letzten Jahrhundert operiert wird, klingt bisweilen überzogen. Betrachtet man den Kampf um die Kontrolle des kaspischen Öls mit seinen unüberschaubaren politischen und wirtschaftlichen Rivalitäten und Intrigen, seinen täglich neuen Überraschungen, seinen Spekulationen, Falschmeldungen, Übertreibungen und kurzlebigen Analysen, dann hat der Begriff des "Großen Spiels" zweifellos seine Berechtigung. Der frühere amerikanische Sicherheitsberater Brzezinski hat Eurasien mit einem Schachbrett verglichen, auf dem der Kampf um die globale Vorherrschaft ausgetragen wird. Treffender wäre noch der Vergleich mit einem Poker-Kartenspiel. Da es viele Spieler gibt, gibt es auch viele Möglichkeiten für wechselnde Allianzen, Spannungen und Rivalitäten.

Im neuen "Großen Spiel" geht es heute aber nicht mehr um Eroberung, sondern um Management. Geopolitisches Denken hat eine neue Dimension bekommen. Es umfaßt heute Konkurrenz und risikomindernde Kooperation, wie sie auch von den multinationalen Konzernen vorgeführt wird. Dabei soll keiner die absolute Kontrolle über die Region erlangen, die Weltgemeinschaft soll ungehinderten Zugang haben. Das heißt aus amerikanischer Sicht z.B.: man muß Rußland an der Monopolisierung hindern, darf es aber auch nicht ausschließen. Wir erleben eine Mischung ökonomischer und geopolitischer Aspekte, nationaler Interessen und transnationaler Ziele der "global players". Wenn die Bedeutung der Ressourcen oft übertrieben dargestellt wird, muß noch etwas anderes als der ökonomische Gewinn dahinter stecken. Noch sieht es so aus, daß bei allen Akteuren das geopolitische Denken die Oberhand behält. Ihre Motive gilt es zunächst einmal darzustellen.

Rußland zwischen strategischen und ökonomischen Interessen

Deutlich, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung in den einzelnen Staaten, ist eine neue Stufe der Ablösung von russischer Bevormundung zutage getreten. Rußlands ökonomische Bedeutung hat zugunsten anderer Partner abgenommen. Feststellbar ist auch ein allgemeiner Trend zu einer Verminderung der militärischen Präsenz Rußlands, wenn man einmal Armenien außer Acht läßt. Aserbaidschan ist frei von russischem Militär, Usbekistan baut eine starke eigene Armee auf, Georgien und Turkmenistan wollen die russischen Grenztruppen ersetzen.

Auf dem Energiesektor treffen sich Rußlands strategisches und ökonomisches Interesse. Die Verbindung beider zeigt sich im Bestreben, die militärische Oberhoheit im Kaukasus zu besitzen, mit der man die zukünftigen Pipelines kontrollieren kann. Durch die Osterweiterung rückt die NATO näher an die russischen Grenzen, damit wird der Kaukasus und die Kaspische Region vom strategischen Gesichtspunkt aus noch wichtiger. Die teilweise Kontrolle der Ölversorgung des Westens würde die globale Rolle Moskaus stärken. Da Moskau auf dem Energiesektor eine globale Schlüsselrolle anstrebt, erfolgte zeitgleich mit dem Druck auf die NUS die Intensivierung der ökonomischen Beziehungen zu den arabischen Ölstaaten, die Kampagne gegen das Irak-Embargo und die Anfänge der Kooperation mit Iran. Mit Irak wurden Ölverträge abgeschlossen, die Moskau bei einer Aufhebung der Sanktionen eine führende Rolle im irakischen Ölgeschäft garantieren. Es würde von einer Aufhebung der UN-Sanktionen gegen Irak in doppelter Hinsicht, in ökonomischer und politischer profitieren.

Moskau kann andererseits immer noch versuchen, den Entwicklungsprozeß am Kaspischen Meer aufzuhalten oder zumindest zu verschleppen. Dazu läßt sich der Streit um den ungeklärten Status des Kaspischen Meeres aktivieren, d.h. der Streit darüber, ob das Meer gemeinschaftlich genutzt wird - diesen Standpunkt vertraten bislang Rußland und Iran -, oder ob das Meer in nationale Sektoren mit alleinigem Nutzungsrecht der Anrainerstaaten aufgeteilt werde. Letzteres wurde vehement von Aserbaidschan und Kasachstan und mit Abstrichen von Turkmenistan vertreten. Moskau kann nicht nur den Karabachkonflikt schüren oder den Separatismus der Abchasen in Georgien unterstützen, sondern auch den Gashahn zudrehen, Pipelines sperren, auf die Länder wie Turkmenistan und Kasachstan noch angewiesen sind, oder hohe Transittarife verlangen. Für Baku gibt es keine Garantie dafür, daß eine Hauptpipeline für sein Öl über Rußland im Falle einer Verschlechterung der Beziehungen nicht von Moskau einseitig geschlossen wird.

Der innerrussische Mangel an Kooperation - es gibt mehrere Zentren, von denen Außenpolitik betrieben wird - macht dabei für die übrigen Beteiligten die Position Moskaus undurchsichtig und unberechenbar. Am deutlichsten hat sich das bisher im Tschetschenienkrieg gezeigt. Die Kräfte, die in geopolitischen Konzepten denken und von der festgefahrenen Situation in Karabach profitieren, sind nach wie vor sehr stark. Der pragmatische und kooperative Ansatz des Energiekomplexes, der von der Prämisse ausgeht, daß man der Kooperation Bakus mit den Ölkonzernen wenig entgegenzusetzen hat, läuft hingegen darauf hinaus, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Auch in Rußland selbst läßt sich eine Modernisierung des Energiesektors ohne ausländische Investitionen nicht bewerkstelligen. Letztlich wird sich Moskau der globalen Kommerzialisierung seiner Energiewirtschaft kaum verschließen können, weil es sich langfristig in die Weltwirtschaft integrieren möchte. Gerade die Modernisierung des Energiekomplexes könnte der Schlüssel dafür sein.

Aserbaidschan ist jedoch inzwischen mit Hilfe der Türkei, vor allem aber durch westliche Unterstützung der russischen Vormachtstellung entkommen. Moskau ist im Kaukasus zweifellos in der Defensive. So war es zu einem Wechsel seiner Strategie gezwungen, was sich in seiner Teilnahme am Ölgeschäft in Baku, im Verzicht auf Einmischung und zuletzt sogar in der Änderung seiner starren Haltung in der Sektorenfrage des Meeres niederschlägt. Man beharrt nicht mehr auf der Position der gemeinsamen Nutzung des Meeres, sondern hat sich mit Kasachstan nach der Formel "Aufteilung des Meeresbodens, gemeinschaftliche Nutzung der Wasseroberfläche" geeinigt.

Letzteres bedeutet allerdings nicht, daß der Streit damit gelöst ist. Die Zugeständnisse beziehen sich nur auf einen Teil des Problems und sind aus ökonomischen Gründen, nicht aus politischer Überzeugung erfolgt, wobei ein Großteil russischer Politiker sie nicht mitträgt. Moskau hat auch deutlich gemacht, daß die Energieentwicklung am Kaspischen Meer nicht ohne seine Einwilligung weitergeht, es besteht weiter auf seiner Schlüsselrolle. Eine von Aserbaidschan, der Türkei und den USA geplante transkaspische Pipeline will es nicht hinnehmen. Während es ökologische Gründe vorschiebt, geht es darum, daß diese Pipeline die Position Bakus weiter stärken würde und den Streit um die Hauptpipeline für das aserbaidschanische Öl - entweder von Baku nach Noworossijsk am Schwarzen Meer oder zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan - zugunsten der Route nach Ceyhan entscheiden würde.

Bisweilen sprechen auch Reformer wie Kirijenko von der Notwendigkeit eines multiplen Pipelinesystems, in dieser Frage gibt es jedoch keine einheitliche Linie. Obwohl sich der pragmatische Ansatz der profitablen Kooperation, der auf ökonomische Einflußnahme zielt, zunächst durchgesetzt hat, sind die Kräfte, die um ihre angestammte Einflußzone fürchten, nach wie vor sehr stark. Man kann sich auch eine Wiederbelebung der militärpolitischen Drohpolitik vorstellen. Auch äußere Einwirkungen könnten einen Schwenk zurück zur harten Linie verursachen, wie der Militärvertrag mit Armenien als Reaktion auf die aserbaidschanisch-amerikanische Kooperation zeigt. Armenien hat dabei durch seine aus dem antitürkischen Trauma erwachsene Unterordnung unter Rußland kaum Möglichkeiten zur Flexibilität. Die militärische Kooperation kommt einer militärischen Allianz sehr nahe und ist ein Druckmittel gegenüber der Türkei und Aserbaidschan, auch hinsichtlich zukünftiger Pipelines. Russisches Militär wird weiterhin ein Faktor der Instabilität im Kaukasus bleiben. Eine Mischung beider Elemente der Außenpolitik ist in Zukunft am wahrscheinlichsten, ein russischer Analytiker hat dies "Politik des selektiven Engagements" genannt. So gibt es auf der einen Seite den Versuch der Annäherung an Aserbaidschan, auf der anderen zum Ausgleich noch stärkere Kooperation mit Armenien. Dies ist auch ein Ausdruck der Schwäche und zeigt, daß man keine eindeutige Hegemonie mehr gewinnen kann.

Hoffnungen und Erwartungen der Türkei

Nach dem Fehlschlag der euphorischen und zum Teil pantürkischen Zentralasien- und Kaukasuspolitik Ankaras zu Beginn der neunziger Jahre und der darauffolgenden Desillusionierung türkischer Erwartungen sowie dem Zwischenspiel der Vernachlässigung Zentralasiens durch die Regierung Erbakan spielen die NUS wieder eine wichtige Rolle in der türkischen Außenpolitik, diesmal aber auf einer realistischen Basis. Neuerdings hat das Militär auch die Kaukasuspolitik in Angriff genommen, insbesondere da die Pipelinepolitik in eine entscheidende Phase tritt.

Ein Hauptinteresse der Türkei bleibt die Eindämmung des russischen Einflusses. Beide Kontrahenten werfen sich vor, sich jeweils in die inneren Konflikte, sprich Tschetschenien und Kurdenproblem, einzumischen. Die proarmenische Politik Moskaus ist immer auch eine antitürkische. Im Spiel sind auch das Zypernproblem und die griechisch-armenische Allianz. Die Türkei pflegt zwar eine deutliche politische Rivalität mit Rußland im Kaukasus und Zentralasien, in wirtschaftlicher Hinsicht ist die Kooperation mit Rußland jedoch weitaus wichtiger und umfangreicher als die mit den turksprachigen Staaten. Man sieht an diesem Beispiel, daß äußerste Rivalität und gute ökonomische Kooperation in der Region durchaus möglich sind. Im Auf und Ab von Kooperation und Rivalität hat sich letztere unter anderem im Streit um die Nutzung des Bosporus als Passage für Öltanker niedergeschlagen.

Im Ringen um die Hauptpipeline für das aserbaidschanische Öl besitzt Rußland durch seine militärische Position im Kaukasus, sein vorhandenes Pipelinesystem und die Aktivitäten seiner Konzerne einen Vorteil. Für Ankara spricht die Kontrolle über den Bosporus, die Unterstützung der US-Regierung und die Sympathien Bakus.

Die Türkei ist jedoch abhängig von russischen Gaslieferungen, in Zukunft muß sie 60% ihres Energiebedarfs importieren. Für die Erhöhung der russischen Gaslieferungen ist eine Unterwasserpipeline durch das Schwarze Meer nach Samsun geplant. Man will aber nicht abhängig von einer einzigen Quelle sein, deshalb heißt die Devise Diversifizierung der Routen und Offenhalten aller Möglichkeiten auf dem Weltöl- und Gasmarkt. In der Region ist die Türkei bedeutsam als größter Markt für Erdgas sowie als Transitland und Investor. Schon jetzt hat der Konkurrenzkampf zwischen den weltweit größten Erdgasproduzenten Rußland, Turkmenistan und Iran um den türkischen Markt begonnen.

Über die Türkei könnte das Gas auch nach Europa geliefert werden. Nach Meinung der Militärs ist die Errichtung der Route Baku-Ceyhan eine der wichtigsten Aufgaben für die Türkei. Doch zeitweise sah sie wie der vorläufige Verlierer im "Great Game" aus. Von den weitgesteckten und euphorischen Plänen der türkischen Zentralasien-Politik war die Hauptpipeline Baku-Ceyhan als wichtigstes Ziel übriggeblieben, und auch dieses drohte zu entgleiten. Nur mit dieser Pipeline könnte Ankara mehr als eine Nebenrolle spielen. Tansu Çiller bezeichnete sie als zweitwichtigstes Ziel ihrer Regierungsphase, machte sie zum nationalen Anliegen und drohte, den Bosporus zu schließen, falls Noworossijsk die Hauptpipeline bekäme. Zu den Folgen des Tschetschenienkrieges gehört es, daß Baku bzw. Aliev sich deutlich wieder auf Ceyhan festgelegt haben. "In meinem Herzen war ich immer auf türkischer Seite". Nachdem sieben türkische Außenminister in dieser Angelegenheit eine ungückliche Figur abgegeben haben, versucht man zusammen mit den USA realistischere Schritte zur Finanzierung und Koordination mit anderen Projekten zu unternehmen.

Die Pipelinefrage zeigt, daß die Türkei auch heute noch keine "entkrampften" Beziehungen zu den turksprachigen NUS entwickeln kann, daß sich im Gegenteil das komplexe Geflecht verschiedener Interessen und Kräfte noch weiter verdichtet hat, ein Geflecht, das nicht nur aus Pipelinerivalitäten besteht, sondern durch verschiedene andere Komponenten gekennzeichnet ist. Dazu gehören vor allem die gestiegene Abhängigkeit der türkischen Zentralasienpolitik von den USA, das Wechselspiel aus Kooperation und Rivalität mit Rußland mit seinen besonderen Empfindlichkeiten, die Energieabhängigkeit sowie die eingegangenen wirtschaftlichen Verflechtungen mit den NUS und die weiterhin betonten besonderen kulturellen Beziehungen zu den turksprachigen Staaten. Die türkische Regierung, besonders das Militär, arbeitet in enger Kooperation mit Washington - auch unter militärischem Aspekt als Gegengewicht zu Rußland und Iran. Obwohl die Türkei eine starke militärische Macht in der Region ist, ist sie auf Grund ihrer ökonomischen und politischen Schwäche im Bestreben, Rußlands Einfluß zurückzudrängen, auf die Unterstützung der USA angewiesen.

Unter den NUS ist Aserbaidschan nach wie vor das wichtigste Land für die Türkei. Das Verhältnis hat sich allerdings gewandelt, was man deutlich daran sieht, daß nach den enttäuschten Erwartungen und der Diskreditierung der Türkei in Aserbaidschan auch unter den aserbaidschanischen Turkisten die Türkei nicht mehr das Maß aller Dinge ist. Für sie ist Baku das internationale Zentrum des Turkismus.

Ankara sähe auch gerne die Pipeline nach Ceyhan durch Armenien verlaufen, zu dem es seine Beziehungen zwecks stärkerer Einflußnahme im gesamten Kaukasus normalisieren möchte. Der türkische Wunsch stößt in Baku allerdings bisher auf taube Ohren. Wie Armenien so hat auch Aserbaidschan die amerikanischen Vorschläge einer "Friedenspipeline", des kürzesten Weges ans Mittelmeer, immer abgelehnt. Eine Öffnung der türkisch-armenischen Grenze, so warnt Baku, würde unmittelbare Folgen für das Ceyhan-Projekt nach sich ziehen. Natürlich spielt die Türkei weiterhin aufgrund der ethnischen Gemeinsamkeit eine besondere Rolle für Baku, sie ist immer noch in der Karabachfrage der einzige Partner, der es vorbehaltlos unterstützt. Das Verwandtschaftsverhältnis ist aber nicht mehr eines zwischen großem und kleinem Bruder; Baku hat jetzt neue Freunde, wenn auch nur auf geschäftlicher Basis. Sowohl in türkischen als auch in armenischen Geschäftskreisen wird der Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen gewünscht. Dies geht aber nur, wenn diplomatische Beziehungen aufgenommen werden. Dazu müßte Jerewan offiziell auf territoriale Ansprüche gegenüber der Türkei verzichten. Der springende Punkt aber ist Aserbaidschan, denn die zweite Bedingung ist der Rückzug der Armenier aus den eroberten Gebieten in Aserbaidschan. Nach türkischen Vorstellungen könnte der gesamte Kaukasus ein wichtiger Wirtschaftspartner sein, wenn wirtschaftliche Kooperation unter seinen Staaten stattfinden würde.

Baku verlangt von Ankara eine aktivere Rolle im Friedensprozeß. Auch die Wirtschaftsbeziehungen zu Aserbaidschan haben sich nach aserbaidschanischer Auffassung enttäuschend entwickelt. Alle diese Klagen Bakus stehen aber im Zusammenhang mit dem Pokerspiel um die Hauptpipeline. Aliev macht immer wieder deutlich, daß die Rollen sich vertauscht haben, nicht mehr Baku ist der Bittsteller, sondern Ankara, denn Baku-Ceyhan ist und bleibt das Symbol für die Türkei als Mitspieler in der Region. Als türkische Gegengabe gibt es von 1,5 Milliarden Dollar, die die Türkei zusätzlich zur Finanzierung der Pipeline in den nächsten drei Jahren in die aserbaidschanische Wirtschaft investieren will.

Aliyevs Klagen sind nicht Zeugnis einer Krise zwischen beiden Ländern, sondern Ausdruck der Tatsache, daß ihre Beziehungen eine neue Qualität bekommen haben. Allerdings hat er allen Grund, gemischte Gefühle gegenüber Ankara zu hegen, waren doch Mitglieder des türkischen Geheimdienstes und sogar der türkische Botschafter in Baku 1995 an einem Putschversuch mit Wissen Tansu Çillers gegen ihn beteiligt. Die Türkei hält sich in Baku seit den Vorfällen von 1995 peinlich genau von innerer Einflußnahme fern. So ist das Verhältnis auch von einer Portion Mißtrauen geprägt, die Türkei ist in gewissem Maße den Unberechenbarkeiten und Empfindlichkeiten der autokratischen Führer in den NUS ausgeliefert.

Aserbaidschan als neues regionales Zentrum

Daß Baku zum Mekka der Öldiplomatie geworden ist, gibt dem Prozeß der Nationenbildung in Aserbaidschan eine neue Dynamik. Durch den Eintritt in die Weltgemeinschaft steigt die eigene Bedeutung, die Selbstidentifikation braucht sich nicht mehr nur an Berg Karabach oder am Behauptungswillen gegenüber Moskau zu orientieren.

Von den NUS hat es Aserbaidschan - mit dem Westen im Rücken - bisher am besten geschafft, die Ölwaffe einzusetzen. Vor Abschluß des "Jahrhundertvertrages" mit einem Konsortium westlicher Ölgesellschaften im September 1994 war der russische Druck auf Baku gewachsen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Elçibey war Aliyev zeitweise bereit, Moskau gewisse Konzessionen zu machen. Moskau versuchte, durch Entsendung von Friedenstruppen nach Berg Karabach militärisch nach Aserbaidschan zurückzukehren und gleichzeitig einen hohen Anteil im Konsortium zu erlangen. Entsprechend wurden die westlichen Ölfirmen eine Weile hingehalten. Baku erhoffte sich dadurch eine neutrale Rolle Rußlands bei einer Wiedereroberung der von den Armeniern Karabachs besetzten Gebiete. Doch deren Eroberungen hielten an, sogar nachdem Aserbaidschan Mitglied der GUS geworden war. Die Enttäuschung darüber und die Drohung der westlichen Partner, sich zurückzuziehen, resultierte in einem erneuten Schwenk der aserbaidschanischen Politik mit einer deutlichen Hinwendung zum Westen und zur Türkei. Die Formel "Anteile im Ölgeschäft gegen Rückgabe der besetzten Gebiete" scheiterte an den russischen Forderungen nach Militärstützpunkten und Grenztruppen, Forderungen, die nicht selten von gleichzeitigen armenischen Offensiven begleitet waren. Nach Angaben Aliyevs hat Moskau wiederholt vorgeschlagen, im Austausch mit Militärbasen in Aserbaidschan die besetzten Gebiete zu befreien.

Die Zukunft des Landes soll nach dem Willen der gegenwärtigen Führung nicht mehr nur in die Hände der Türkei, sondern in die des Westens gelegt werden, dieser soll Garant der Unabhängigkeit sein. Diese eindeutige Orientierung am Westen ist das erklärte Ziel quer durch alle Schichten der Gesellschaft und politische Lager. Durch die geknüpften Verbindungen zu Israel ist Baku zusätzlich so etwas wie eine Erweiterung der Achse Washington-Ankara-Tel Aviv. Aserbaidschan ist im "Great Game" vom Objekt zu einem Mitspieler geworden, der sogar Ankara jetzt unter Druck setzen kann.

Aserbaidschan konnte nach seinem Orientierungsschwenk zum Westen russischen Forderungen nach Militärstützpunkten widerstehen und im Streit um den legalen Status des Meeres hart bleiben.

Auf der anderen Seite war Aliyev unter vermutlichem US-Druck zum ersten Mal bereit, direkte Gespräche mit den Armeniern Karabachs in Erwägung zu ziehen. Hier beginnt sich möglicherweise die Einsicht Raum zu schaffen, daß Karabach de jure ein Teil Aserbaidschans sein könnte, de facto aber ein unabhängiger Staat, sozusagen als Preis, den Baku für die Stabilität unter dem Schutz der USA und der OSZE zu zahlen hat. Im Falle weitreichender Konzessionen in der Karabachfrage würde es allerdings Probleme mit der nationalistischen Opposition geben, für die nach wie vor das nationale Anliegen Karabach Vorrang vor zukünftigen Öleinnahmen hat. Für sie werden die Ölverträge fraglich, wenn der Westen nicht die territoriale Integrität Aserbaidschans garantiert. Der nach vierjährigem Aufenthalt in Nachitschewan nach Baku zurückgekehrte Elçibey drohte im Falle einer Regierungsübernahme mit einer Annullierung der Ölverträge. Sollte es zu großen Konzessionen kommen hinsichtlich Berg Karabachs, könnte die nationalistische Opposition, eigentlich hundertprozentiger Befürworter des prowestlichen Kurses, nicht mitziehen. Die aserbaidschanische Oppositionskoalition lehnte den Friedensplan der Minsker Gruppe, die innerhalb der OSZE für den Friedensprozeß zuständig ist, vom September 1997 ab. Die Regierung hatte diesen begrüßt, Jerewan ihn zunächst noch unter Präsident Ter-Petrosjan unter Vorbehalten akzeptiert, die armenischen Vertreter Karabachs ebenso wie der neue armenische Präsident Kocharjan allerdings abgelehnt.

Auch für die Führung war die Vergabe der Hauptpipeline an die Türkei oder Rußland immer mit der Unterstützung ihrer Position im Karabachkonflikt verknüpft. Der Ölreichtum schafft die materielle Voraussetzung für die nationale Souveränität und stellt das politische Instrument für deren Aufrechterhaltung zur Verfügung. Nicht umsonst fürchten die Karabacher die kommenden Einnahmen Aserbaidschans.

Sowohl in Armenien als auch in Aserbaidschan gibt es Hindernisse für den Friedensprozeß, auf die die OSZE keinen Einfluß hat. Konzessionen der eigenen Bevölkerung klar zu machen, ist schwierig. Wo zwar starke politische Führer sind, aber nur ein schwacher Staat mit unausgeprägten Strukturen, können oppositionelle Gruppen alle Erfolge der Diplomatie zunichte machen. Um diesen Risikofaktor auszuschalten, werden dann nur der weitere Ausbau autoritärer Strukturen und Repressionen gegen die Opposition als Mittel angesehen. Leicht entsteht dann die Meinung in Oppositionskreisen, westlichen Staaten komme es im Prinzip doch eher auf Stabilität als auf Demokratie an.

Neue Allianzen

Noch kann Baku Moskau nicht ganz zurückweisen, denn es gibt bisher keine Alternative zur bestehenden Pipeline nach Noworossijsk, die Strecke nach Georgien wird erst 1999 fertiggestellt sein. Der pragmatische Aliyev versucht, die Handelsbeziehungen zu stärken und russische Gesellschaften - je nach dem wie es die politischen Umstände gerade opportun erscheinen lassen - ins Ölgeschäft einzubeziehen. Doch sind inzwischen andere Partner wichtiger geworden. Im Gegensatz zur GUS, die immer mehr an Bedeutung verliert, liegt den neuen Allianzen keine Interessenrhetorik zugrunde, sondern eine tatsächliche Gemeinsamkeit der Interessen. Die NUS sind nicht bereit, ihre neue Eigenständigkeit zugunsten einer Integration in alte Strukturen zu opfern.

Die neue strategische Allianz Aserbaidschan-Georgien-Ukraine - zuletzt ist auch noch Moldavien dazugestoßen - umfaßt neben der Kooperation im Energiebereich auch die militärische Zusammenarbeit, eingedenk des militärischen Potentials der Ukraine und ihrer besonderen Beziehung zur NATO. Sie ist als Gegengewicht zur russischen Militärpräsenz in der Region und als langfristige Perspektive einer Sicherheitskonzeption außerhalb der GUS-Strukturen gedacht. Es besteht auch die Absicht des Aufbaus einer gemeinsamen Friedenstruppe für den Kaukasus. Die strategische Partnerschaft äußerte sich auch in der gemeinsamen Ablehnung der Revision des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE), in der Moskau zusätzliche Militärposten in Flankenzonen zugestanden wurden. Diese als Besänftigung Moskaus gedachte Änderung wurde erst auf amerikanischen Druck hin vom aserbaidschanischen Parlament ratifiziert.

Von der EU wird diese Allianz durch das Projekt des "Euroasiatischen Transportkorridors" (TRACECA) unterstützt, das durch neue Pipelines, Straßen und Eisenbahnen Usbekistan, Turkmenistan, Aserbaidschan, Georgien und die Ukraine unter Umgehung Rußlands verbinden soll. Die "Neue Seidenstraße" nimmt damit konkrete Formen an. Wichtig ist diese Konzeption auch für die Sicherheit der zukünftigen Pipelines. In diesem Zusammenhang steigt die Bedeutung Georgiens, das keine nennenswerten Vorräte an Öl und Gas besitzt, als Transitland. Die Partnerschaft zwischen Georgien und Aserbaidschan, die sich beide als europäische Länder begreifen, hat das Ziel, durch Kooperation mit dem Westen die Integration beider Länder und des Kaukasus in europäische Sicherheitsstrukturen voranzutreiben. Beide haben die NATO-Osterweiterung befürwortet, obwohl ein Beitritt für sie unrealistisch ist. Die USA gewähren Hilfe bei der Ausbildung der aserbaidschanischen Armee. Während in Georgien der Widerstand gegen die russischen Militärstützpunkte gewachsen ist, drängt Baku die NATO angesichts der russischen Truppen in Armenien, die drei südkaukasischen Staaten differenziert zu betrachten.

Diese hoffen, ein ähnlich spezielles Verhältnis zur EU und zur NATO zu bekommen wie die Baltischen Staaten. Auch Europa möchte die drei Staaten des Südkaukasus auf irgendeine Weise an europäischen Strukturen teilhaben lassen. Voraussetzung für eine Aufnahme in den Europarat sind bestimmte Auflagen der Gesetzgebung in den neuen Staaten, die Baku und Tiflis durch ein Abkommen zwischen ihren Parlamenten in die Wege geleitet haben. Dies soll nach Schewardnadze der erste Schritt zum Konzept eines "Friedenskaukasus" sein mit dem Ziel eines Kaukasischen Commonwealth inklusive eines Kaukasischen Parlaments. Armenien hat zwar den Dialog mit Kiew verstärkt und nimmt am NATO-Partnerschaftsprogramm für den Frieden teil, seine Priorität bleibt allerdings die Orientierung auf Moskau.

Die beiden anderen Staaten des Südkaukasus sehen in der Zusammenarbeit mit der Türkei nicht nur die Kooperation im Energiebereich, sondern auch in einer Sicherheitspartnerschaft. Generalstabschef Karadayi und Schewardnadze sind sich einig in der Absicht, ebenfalls eine "peacekeeping force" zu bilden. Gemeinsame Manöver von Türkei und Georgien an der georgischen Küste, Militärabkommen Ankaras mit Georgien und Aserbaidschan unterstützen gleichlautende US-Ambitionen. Dies ist auch zu sehen vor dem Hintergrund des Ausbaus der Beziehungen zu Israel, sowohl von Ankara als auch von Baku. Tel Aviv hofft, über Ceyhan zukünftig auch kaspisches Öl zu beziehen. Für Georgien, das gemeinsam mit Aserbaidschan und der Türkei die Route Baku-Cehan über Georgien unterstützt, obwohl die Strecke Baku-Supsa selbst eine Alternative für die Hauptpipeline darstellt, ist die Türkei ein Gegengewicht zu Rußland, eine Transportbrücke nach Europa und inzwischen auch der größte Handelspartner.

Ein Ausbau der Achse Baku-Tiflis-Kiew würde Auswirkungen auf die gesamte GUS-Struktur haben, sie würde statt Kooperation die Konkurrenz fördern. Die Achse - potentiell und von der Absicht her erweitert durch Taschkent - löst in konservativen Kreisen Moskaus Alarm aus. Gegenachsen wie die zwischen Iran, Turkmenistan und Armenien - spekulieren kann man weiter mit Griechenland oder Syrien - zeigen die Fragwürdigkeit derartiger Gebilde auf. In der Realität überschneiden sich solche Konstrukte, klare Linien scheitern an der vielschichtigen Verflechtung. Demgegenüber erleben wir gerade, daß sich die Konkurrenz zwischen den kaspischen Staaten zu artikulieren beginnt und sich wohl noch verschärfen wird. Jerewan würde sich im Prinzip auch gerne am Euroasiatischen Transportkorridor beteiligen, auf der Suche nach weiteren Partnern vertieft es seine Beziehungen zu Griechenland als Brücke zu Europa. Griechenland bietet seine Hilfe für eine Gaspipeline von Iran nach Armenien an. Iran bildet die Brücke Armeniens nach Zentralasien, beide Partner sind Bundesgenossen gegen die Türkei.

Um sich die Gunst der Ukraine erhalten, die von einer Hauptpipeline nach Ceyhan weniger profitieren würde als von einer nach Georgien, versucht Ankara, die Ukraine in ihre Pipelinepläne miteinzubeziehen, z.B. durch den Vorschlag, einen Teil des Öls aus der geplanten Hauptpipeline nach Ceyhan über Georgien abzuzweigen und über das Schwarze Meer nach Odessa zu transportieren, oder durch eine weitere Pipeline von Ceyhan nach Samsun. Letztere würde der Ukraine die Möglichkeit eröffnen, auch Öl aus dem Nahen Osten zu beziehen. Für Baku ist eine zweite Linie übers Schwarze Meer nach Odessa aus Gründen der Diversifizierung seiner Routen wichtig. Es gibt bereits weitergehende Pläne für den Transport des Öls in die Baltischen Länder und Polen.

Kasachstan und Turkmenistan

Neben seiner Bedeutung als Land mit den drittgrößten Erdgasvorkommen der Welt zeichnet Turkmenistan seine wichtige geostrategischen Lage aus. Durch den Ausbau der Eisenbahnverbindung nach Iran ist das Land zur "Pforte Zentralasiens" geworden.

Die Entwicklung der off-shore Ölreserven im turkmenischen Sektor des Kaspischen Meeres liegt hinter der Aserbaidschans weit zurück, auch weil hier die Exportfrage noch weniger geklärt ist. Setzt man die gewaltigen Mengen an Erdgas mit der geringen Einwohnerzahl in Beziehung, sind die theoretischen Voraussetungen für ein "zentralasiatisches Kuwait" gar nicht so schlecht. Dennoch steht das Land vor dem Bankrott, während seine Bevölkerung weiter verarmt. Der Grund liegt im russischen Pipelinemonopol. Hier zeigt sich exemplarisch das ganze Dilemma des kaspischen Region: das Fehlen von Transportwegen und das langsame Tempo der Entwicklung. Die russischen Leitungen wurden für den Export gesperrt, nachdem Präsident Niyasov die für den Transport zuständige russisch-turkmenische Gesellschaft wegen hoher russischer Transportgebühren auflöste. Turkmenistan fühlte sich von russischer Seite beim Export auf den europäischen Markt behindert. Niyasov warf Rußland die Aufteilung des Marktes vor: für Rußland den Westen, für Turkmenistan die zahlungsunfähigen GUS-Staaten. Turkmenistans spezielles Dilemma ist seine Abhängigkeit von drei Ländern: Rußland, Iran und den USA. Vorrangiges Ziel der turkmenischen Anstrengungen muß die Errichtung einer Gasleitung nach Westen sein. Vom großen Projekt einer Pipeline über Iran und die Türkei nach Europa gibt es jedoch bisher nur ein kurzes Teilstück in den Iran. Die USA wollen diese Pipeline verhindern und fördern das Alternativpipelineprojekt durch das Kaspische Meer nach Baku. Das Problem dabei ist der Streit zwischen Aserbaidschan und Turkmenistan um Ölfelder und die Linie, die ihre nationalen Sektoren trennt. Dieser Streit wird bis zur Lösung noch einige Zeit brauchen. So wird Aschchabad zwischen amerikanischem und iranischem Druck hin und hergeworfen, während mit Rußland ein Wettlauf zum türkischen Markt beginnt. Ob für zwei Pipelines in die Türkei Platz ist, eine von Turkmenistan und eine von Rußland, bleibt zweifelhaft. Aschchabad bemüht sich verzweifelt, es allen, Teheran, Moskau, und Washington, recht zu machen. Dies ist allerdings zum Mißerfolg verurteilt.

Die USA haben lange Druck auf Turkmenistan ausgeübt, um das von allen wohl abenteuerlichste Pipelineprojekt voranzutreiben, eine Gaspipeline über Afghanistan nach Pakistan. Die afghanischen Taliban wollen denjenigen die Pipeline bauen lassen, der die Konstruktion schneller fertigstellen kann, d.h. derjenige, von dem sie am schnellsten Geld bekommen würden. Alle drei involvierten Gesellschaften unterhalten intensive Kontakte zu den Bürgerkriegsparteien. Die USA sind die treibende Kraft bei den Friedensgesprächen, Iran bekämpft die Taliban und unterstützt die anderen Gruppen mit Geld und Waffen. Allerdings haben die internationalen Finanzorganisationen in letzter Zeit deutlich gemacht, daß sie im Bürgerkriegsland keinen Dollar investieren werden. Auch Iran will das Projekt bremsen, denn dieses weitet den amerikanischen Einfluß in seinem Rücken aus und sabotiert die eigenen Pipelinepläne mit Turkmenistan.

Gerade Pakistan braucht dringend neue Quellen an Erdgas, hier zeigt sich das Dilemma Turkmenistans, seine Abhängigkeit von den Nachbarn und der großen Politik, am deutlichsten. Die südasiatische Nuklearkrise, ausgelöst durch die indischen und pakistanischen Atomwaffenversuche, vermindert drastisch die ohnehin schlechten Chancen des Pipelineprojekts, da nun auch Pakistan aufgrund des US-Sanktions-Gesetzes keinen Finanzier mehr finden wird. Eine Schließung des pakistanischen Gasmarktes nicht nur für Turkmenistan, auch für Iran, ist ein großer Verlust für den regionalen Energiehandel. Da auch der iranische Markt für turkmenisches Gas durch das von Washington tolerierte Gasprojekt im Süden Irans mit der französischen Gesellschaft Total und der russischen Gazprom wegfällt, ist Turkmenistan wieder auf Rußland zurückgeworfen.

Kasachstans Verhältnis zu Rußlands ist komplizierter als das Aserbaidschans oder Turkmenistans. Auf Grund seiner geographischen und demographischen Situation (36% Russen) ist seine zukünftige Existenz als Staat nur unter russischen Garantien gesichert. Zur symbiotischen Beziehung mit Rußland auf dem Erdölsektor bei russisch kontrollierter Ölindustrie im Norden Kasachstans gibt es keine Alternative.

Aufgrund der absoluten Abhängigkeit vom russischen Pipelinesystem konnte Rußland in fast jedem Geschäft auf dem Energiesektor seine Beteiligung erzwingen und sämtliche Operationen kontrollieren. Das Konsortium, das eine Pipeline ans Schwarze Meer nach Noworossisjk bauen soll, ist ein Paradebeispiel für die Verzögerung des gesamten Ölbooms am Kaspischen Meer. Hier feilschen die beteiligten Gesellschaften mit den Regierungen von Kasachstan und Rußland seit sechs Jahren um Anteile und Tarife. Rußland hat es am wenigsten eilig, denn mit jeder Pipeline verliert es ein Stück seiner Hegemonie.

Dennoch ist der Energiebereich das einzige Feld, auf dem man eine partiell unabhängige Politik inklusive verstärkter Kooperation mit Aserbaidschan zu verwirklichen versucht, während man in anderen Bereichen - militärisch und wirtschaftlich - gezwungen ist, die Zusammenarbeit mit Rußland noch zu intensivieren.

Die langfristigen Interessen von Kasachstan und Aserbaidschan sind nicht unbedingt die gleichen, auch hier könnte sich eine Konkurrenz entwickeln. Aserbaidschan muß sein Öl nach Westen transportieren, für Kasachstan könnte sich der expandierende chinesische und ostasiatische Markt als wichtigster zukünftiger Abnehmer erweisen. Für China sind die kasachischen Vorräte wegen ihrer Nähe attraktiver als die sibirischen. Wegweisend ist der 9,5 Mrd.-Dollar-Vertrag Kasachstans mit der Nationalen Ölgesellschaft Chinas vom September 1997. Auch er wurde als Jahrhundertvertrag gefeiert. Die Kooperation mit China könnte Kasachstan auch politisch aus der erdrückenden Umarmung durch Rußland befreien. Die Abhängigkeit Asiens von importiertem Öl wird bis 2010 von 50% auf 70% ansteigen, Rußland und Zentralasien werden die Hauptversorger sein. Dies wird die geopolitische Landschaft drastisch verändern, insbesondere wenn man an die ehrgeizigen Pipelineprojekte für das turkmenische Gas über China bis nach Japan und die geplante 3000 km-Pipeline von Kasachstan nach China denkt.

Die Ankunft der neuen Akteure China und auch Japan im "Great Game" demonstriert die Bedeutung der Region, gerade wenn man die japanische Risikofurcht vor der postsowjetischen Instabilität bedenkt. Nach langjährigen Analysen hat Japan die Kaspische Senke als eine Hauptquelle für seinen Energiebedarf erkoren. Man glaubt, daß die kaspische Region allmählich den Nahen Osten ersetzen wird und die führende Rolle in der künftigen Versorgung Asiens spielen wird. China wird eine bedeutende Funktion als der am meisten expandierende Energiemarkt haben und kann als Landbrücke die Exporteure Rußland, Kaspisches Meer und Naher Osten mit den Verbrauchermärkten in Ost- und Südostasien verbinden. China könnte der zukünftige Konkurrent der USA und Rußlands im Nahen Osten und Zentralasien werden.

Die neue Rolle des Westens in der Region

Für die USA und den Westen sind Aserbaidschan und Usbekistan die Länder, die dem russischen Hegemonialanspruch und dem iranischen Einfluß in der Region entgegentreten sollen. Gleich nach seiner Wiederwahl hatte Clinton die Partnerschaft mit Baku bekräftigt und sich mit der Unterstützung der aserbaidschanischen Position in der Statusfrage des Kaspischen Meeres in direkte Opposition zu Moskau begeben. Baku wird seitdem von Washington wie auch von London als strategischer Partner bezeichnet. Clinton sähe Aserbaidschan gern in das europäische Sicherheitssystem eingegliedert. Im Zuge der sich entwickelnden amerikanisch-russischen Rivalität im Kaukasus ist nach amerikanischer Vorstellung Aserbaidschan neben der Türkei eine entscheidende Rolle zur Konsolidierung der Region zugedacht. Auf der anderen Seite wünscht Aliyev, daß die USA den früheren Sowjetrepubliken Garantien für ihre Unabhängigkeit geben sollen.

Doch ist das Interesse des Westens keineswegs homogen. Die Ölgesellschaften denken wirtschaftlich, die US-Regierung denkt in strategischen Kategorien. Während Washington die Kampagne für die Route Baku-Ceyhan antreibt, favorisiert die Führung des Konsortiums des "Jahrhundertvertrages" (AIOC) den georgischen Hafen Supsa mit einem Weitertransport durch den Bosporus. Das AIOC geht davon aus, daß das aserbaidschanische Öl allein nicht unbedingt die Pipeline nach Ceyhan braucht, sie würde sich erst richtig lohnen, wenn Öl aus Kasachstan mit einer zusätzlichen transkaspischen Pipeline dazu käme. Doch für Kasachstan besitzt die Route nach Ceyhan noch keine Priorität. Man sieht zwar das Mittelmeer als Hauptabsatzgebiet, das Öl könnte aber auch am Schwarzen Meer verbraucht werden. Vor allem trifft Baku-Ceyhan aus finanziellen Gründen auf die Bedenken des AIOC, denn die Strecke nach Ceyhan ist die kostspieligste. Die Kritik am US-Beharren auf Baku-Ceyhan kommt außer von den Europäern und den US-Gesellschaften auch zunehmend von "think-tanks", die vorrechnen, daß sich die Sache aus kommerziellen Gründen nicht lohne. Trotz der enormen Bedeutung des Kaspischen Meeres und seines langfristigen strategischen Wertes rechtfertigten die bisherigen und zu erwartenden Erträge nicht die Kosten der Route Baku-Ceyhan. Unsicherheit hat auch die Tatsache verursacht, daß bei einem Konsortium die Probebohrungen bisher nur Gas, aber kein Öl zutage gefördert haben.

Hier zeigt sich eine Auseinandersetzung zwischen den Verfechtern einer Theorie der globalen transnationalen Wirtschaft, die ökonomischen Pragmatismus fordert, die Konzeption einer Polizeifunktion der USA und die strategischen geopolitischen Ambitionen Washingtons ablehnt, und den "Geopolitikern". Auch gibt es hier deutliche Differenzen zwischen den USA und Europa. Im "Caspian Energy Statement" vom 18. Mai zwischen den USA und der EU wurde Baku-Ceyhan nicht besonders betont. Die Europäer bevorzugen die Route durchs Schwarze Meer und den Bosporus. Sie wollen die Entscheidung rein von kommerziellen Erwägungen abhängig machen und sehen das Bosporusproblem als technisch lösbar an. Gemeinsame Anstrengungen von Bulgarien, Rumänien und Griechenland, die türkischen Restriktionen über die Bosporuspassage aufzuheben und Änderungen vorzuschlagen hinsichtlich des Rechts der Türkei, die Schiffe zu lotsen, betrachtet die Türkei als russisch-griechische Initiative gegen seine Ambitionen in Zentralasien.

All dies zeigt deutlich, daß eine Pipeline Baku-Ceyhan in erster Linie eine politische und strategische Pipeline ist, die man auch bauen will, wenn sie ökonomisch nicht rentabel ist. Der Primat der Politik über die Ökonomie zeigt, daß für die USA die Türkei eben eine andere strategische Bedeutung besitzt als für Europa. Die billigste Pipeline ist nicht die beste, entscheidet doch die Streckenführung über den Einfluß in der Region.

Die USA contra Rußland und Iran

Die Voraussetzung eines stabilen Ölgeschäfts ist die Befriedung der Region, deshalb gibt es verstärkte Friedensaktivitäten und die Bereitschaft, der Region mehr finanzielle Hilfe zukommen zu lassen. Rußland gilt als zu schwach und sein Ansehen als zu diskreditiert, um als Stabilisator aufzutreten. Andererseits führt das russische Potential zur Destabilisierung und Instrumentalisierung von Konflikten zur Notwendigkeit, Moskau in den Prozeß der Energieentwicklung zu integrieren und den Kooperationsprozeß zu beschleunigen. Ein Problem für die USA und Europa liegt darin, daß sich der Wunsch nach Stabilität, die man für die Ausbeutung der Schätze braucht, und der Anspruch, Demokratisierung und Menschenrechte einzufordern, nicht unbedingt ergänzen. Demgegenüber gibt es die historische Konstellation, daß sich das Streben nach Unabhängigkeit der NUS und das Bedürfnis nach neuen Energie- und Profitquellen gegenseitig ergänzen - auf Kosten der alten Hegemonialmacht. Die steigende Bedeutung des Westens wird dabei immer mit russischen Interessen und Ansprüchen kollidieren. Dies kann leicht dazu führen, daß eine neuen Krisenregion entsteht. Trotz aller wirtschaftlichen Unterstützung für die Regierung Jelzin möchte man schon lange nicht mehr Rußland den traditionellen politischen und wirtschaftlichen Vorteil in der Region zukommen lassen. Eher sieht man in Rußland inzwischen ein Hindernis für eine profitable Entwicklung.

Aber auch die US-Politik hat ihre unberechenbaren Seiten. Zwar nimmt das Gewicht der armenischen Lobby in den USA angesichts der wirtschaftlichen und strategischen Bedeutung Aserbaidschans ab, doch nach wie vor verhindert der Freedom Support Act (Section 907), der wegen der aserbaidschanischen Blockade gegenüber Armenien humanitäre Hilfe für Aserbaidschan verbietet und auf deren Aufhebung Wirtschaftskreise und die Regierung drängen, eine konstante Außenpolitik. Auch stößt der Druck Washingtons des öfteren an seine Grenzen. Als der armenische Präsident Ter-Petrosjan unter US-Drängen in der Karabachfrage nachgiebig wurde, führte dies zu seinem Rücktritt. Die US-Politik in der Region ist darüber hinaus die Gefangene der US-Nahostpolitik, d.h. der Eindämmungspolitik gegenüber Iran. Diese läuft eigentlich allen regionalen Zielen der USA im kaspischen Raum zuwider. Auch sie ist abhängig von amerikanischer Innenpolitik.

Washington möchte die NUS aus der Abhängigkeit von Moskau lösen. Am ehesten wäre das gewährleistet, wenn die NUS ihr Öl und Gas durch Iran auf den Weltmarkt bringen könnten, doch genau das versucht Washington unter allen Umständen zu verhindern. Seit 1995 ist der Druck, Iran in das Pipelinesystem aufzunehmen, gewachsen. Unter dem Drängen der Ölgesellschaften lockerte Washington seine Haltung ein wenig, zumal die Frage lautet, ob man den iranischen Energiekomplex in Zukunft den europäischen Gesellschaften überlassen soll. Konsequent durchzuziehen war diese Haltung nie. Kritiker in den USA weisen daraufhin, daß das amerikanische Embargo die russisch-iranische Allianz stärke. Sie befürworten eine vorsichtige Auflösung der containment-Politik., da diese der Konkurrenzfähigkeit der US-Firmen schade.

Für Moskau wäre eine wirkliche Richtungsänderung der US-Politik auf jeden Fall eine neue Herausforderung, denn die amerikanische Iranpolitik war bisher ein Pfeiler, auf dem die strategische Allianz Rußlands mit Iran ruhte. Letzterer liegt die Absicht zugrunde, in der Region ein Gegengewicht zur NATO-Osterweiterung aufzubauen, mit Iran, China und Indien in einer gemeinsamen anti-westlichen Haltung. Doch auch Moskau will Teheran keine Massenvernichtungsmittel oder weitreichende Trägersysteme in die Hand geben, denn Iran ist auch Konkurrent mit regionalen Ambitionen.

Iran ist wegen seiner geographischen Lage zweifellos zum Transitland prädestiniert. Pipelines durch Iran würden die Sicherheitsrisiken verringern und Rußlands Einfluß schmälern. Iran sieht sich als geo-ökonomisches Zentrum der Region und könnte mit einem Energieverteilungssystem den Golf, die kaspische Region, Rußland, Zentralasien, Pakistan und die Türkei verbinden. Man bietet Erfahrung auf dem Öl- und Gassektor, ein Marktpotential in den iranischen Nordprovinzen und Zugang zum Weltmeer. Wirtschaftlich rentabel sind auch Austauschgeschäfte, d.h. Iran verbraucht Öl aus Kasachstan oder Turkmenistan im Norden des Landes und bringt die gleiche Menge durch seine Häfen auf den Weltmarkt. Sogar Baku könnte wohl trotz seiner Spannungen mit Teheran davon profitieren.

Auch hier sind natürlich Investitionen notwendig, vom logistischen Standpunkt aus ist die Infrastruktur noch nicht ausreichend. Teheran will sich in der Region unentbehrlich machen, damit es immer schwieriger wird, Iran zu isolieren. Der Wunsch, in die Entwicklung am Kaspischen Meer einbezogen zu werden, ist stärker als die Furcht vor neuen Konkurrenten. Langfristig kommt für das iranische Gas der gleiche Markt in Frage wie für das turkmenische und das russische, nämlich die Türkei und Europa.

Als wichtigster Faktor der iranischen Außenpolitik fungiert die nationale Sicherheit eindeutig vor ökonomischen Interessen. Oberste Maxime ist die Nichtakzeptierung auswärtiger Akteure in der Region. Von den USA fühlt man sich nicht mehr nur im Golf bedroht, sondern jetzt auch im Norden. Besonderes Mißtrauen gilt deshalb dem Ausbau der amerikanisch-türkisch-israelischen Achse durch Baku. Aserbaidschan ist für Iran wegen der Millionen von Aseris im eigenen Land von unmittelbarem Interesse, nervös beobachtet man den nordaserbaidschanischen Nationalismus mit seinen irredentistischen Ansprüchen. Dazu bevorzugt Aserbaidschan einen Islam, der unter Aufsicht des Staates steht. Westlicher Einfluß und die Globalisierung bringen die westliche Kultur zu den schiitischen Glaubensbrüdern, für die das iranische Modell keine Anziehungskraft besitzt. So liegt ein wirtschaftlich starkes Aserbaidschan nicht im ureigensten iranischen Interesse.

Iran geht es um Teilhabe, um Ankoppelung an das zukünftige Pipelinesystems. Es geht um Anschluß an Modernisierung, an modernes Management und Technologie durch wirtschaftliche Kooperation mit dem Westen. Iran sieht sich als natürliches Zentrum der Region, dies sollte jede westliche Strategie berücksichtigen.

Noch lehnt Washington jede Route durch Iran strikt ab, neben dem abenteuerlichen Pipelineprojekt der Route Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan besteht es auf einer transkaspischen Pipeline sowohl für Öl als auch für Gas. Eine Gaspipeline von Turkmenistan durch das Meer und den Kaukasus in die Türkei wäre kürzer als die zwischen Turkmenistan, Iran und der Türkei vereinbarte Route durch Iran. Die Türkei braucht aber auch eine Leitung für das iranische Gas. Die USA möchten, daß die Türkei Gas aus Turkmenistan importiert und weniger aus Iran. Dieser amerikanische Druck auf die NUS, keine Ölprojekte mit Iran einzugehen, läßt sich langfristig kaum verwirklichen. Die gegenüber US-Ambitionen skeptischeren Länder Kasachstan und Turkmenistan sind nicht bereit, auf Kooperation mit Iran und auf eine Pipeline durch Iran zu verzichten.

Auch die europäischen Staaten sehen Iran als Zentrum des geopolitischen Kräftespiels, als Schlüssel zu Zentralasien, durch das die acht vom Weltmeer abgeschlossenen Staaten den Weltmarkt erreichen können. Die USA dagegen wollen mit Hilfe der kaspischen Energieressourcen das wirtschaftliche Wachstum in der Türkei fördern und durch die Route Baku-Ceyhan Aserbaidschan, Georgien und die Türkei an den Westen binden. Die Türkei soll zum Stabilitätsanker in der Region werden und ebenso wie Georgien auch am Erdölexport teilnehmen. Washingtons möchte, daß der Energiestrom im wesentlichen an Rußland vorbeigeht. Es befürwortet zwar eine multiple Pipeline-Politik, doch nur unter teilweiser Integration Rußlands. Pipelines durch Rußland sind solange eine gute Sache, solange sie nicht die einzigen sind.

So wird offiziell eine Politik der Kooperation mit Rußland propagiert, in der Realität aber versucht, das russische Monopol zu brechen, das Kaspische Meer als Alternative und Ersatz für den Nahen Osten aufzubauen und Iran von dieser Entwicklung fernzuhalten. Für Brzezinski ist es Amerikas Aufgabe, zu verhindern, "daß Rußland diesen geopolitischen Raum allein beherrscht". Auf der anderen Seite möchte man Rußland in die globale Wirtschaft integrieren und Reformen fördern, um es eine konstruktive Rolle in der Region spielen zu lassen. So werden auch die kaukasischen Staaten ermahnt, nicht zu deutlich gegen Moskaus Interessen aufzutreten. Daß dieser Balanceakt nicht immer gelingt, liegt auf der Hand.

Das Auftreten der Amerikaner, die die Region zu ihrer Einflußspäre gemacht haben, stärkt das traditionelle russische imperiale Denken. NATO-Manöver in Zentralasien oder der Ukraine und die militärische Kooperation mit Aserbaidschan zeigen, daß die USA ihre militärische Präsenz zementieren wollen, um ihre Ölinteressen zu sichern. Wenn Moskau aber ausgeschlossen wird, könnte es gefährlich reagieren. Ohnehin erweckt die US-Politik in Rußland ziemliches Mißtrauen, den Kaukasus als US-Einflußzone will Moskau so ohne weiteres nicht hinnehmen.

Unwägbarkeiten der weiteren Entwicklung

Eine wichtige Frage ist, ob auch Baku im Falle einer Normalisierung der amerikanisch-iranischen Beziehungen, wie sie sich in der Entscheidung vom Mai 1998, keine Sanktioen gegen die an einem Ölgeschäft im Iran beteiligten Firmen zu veranlassen, andeutete, den billigeren Weg über Iran vorziehen würde. Aus diesem Grund betonen die USA, daß sie Pipelines durch Iran nach wie vor ablehnen, denn eine Lockerung der Haltung gegenüber Iran birgt in sich auch eine Gefahr. Die USA wollen das Kaspische Meer unter allen Umständen als Alternative zum Nahen Osten aufbauen für den Fall, daß es hier einmal Probleme geben sollte. Die Verbindung mit Iran ist zwar für die NUS von Vorteil. Wenn aber Iran als Investitionsort attraktiver erscheint und westliche Technologien anzieht, könnte die Bedeutung der Kaspischen Region sinken. Manche sehen Iran nicht in erster Linie als Transitweg für das Kaspische Öl, sondern als Konkurrent für das kaspische Öl und Gas, der das Kaspische Meer in den Schatten stellen könnte.

Es gibt weitere potentielle Entwicklungen, die die Bedeutung der Region drastisch in Frage stellen könnten. Eine Aufhebung der Irak-Sanktionen könnte das Interesse der Ölgesellschaften wieder auf den Irak verlagern, der zusätzlich ebenfalls noch unerschlossene Vorkommen aufweist. Der Fall des Ölpreises stellt Aserbaidschan jetzt schon vor große Probleme. Aus dem "Great Game" könnte vielleicht auch schnell wieder ein "Regional Game" werden und neue Unsicherheiten in der Region verursachen. Was wäre, wenn sich die Reserven tatsächlich als geringer herausstellen sollten? Wird der Westen dann seine Zelte wieder abbrechen und die Region sich selbst überlassen? Was wird sein, wenn die NUS sich von innen her zu destabilisieren beginnen? Eine Abhängigkeit vom kaspischen Öl wird in Zukunft nicht entstehen. Auch wenn sich die USA der Unabhängigkeit der neuen Staaten verpflichtet fühlen, wie weit werden sie gehen?

Im Grunde weiß heute noch keiner, wie groß das Produktionsvolumen sein wird. Niemand kann wirkliche Zahlen nennen. Schätzungen der gesamten off-shore-Reserven gehen bis zu 200 Milliarden Barrel, seriöse Schätzungen bewegen sich um 75-90 Milliarden (9-10% der Weltreserven). Bisher nachgewiesen sind ungefähr Vorräte wie die der Nordsee, doch die Untersuchung mit modernen Mitteln ist erst jetzt begonnen worden. Das Kaspische Meer könnte theoretisch auch die zweitgrößten Reserven nach Saudi-Arabien vorweisen. Während der britische Außenminister Cook von 10% der Weltreserven redet, um anzukündigen, daß London seine diplomatische Repräsentation in der kaspischen Region noch weiter verstärken werde, spricht das Londoner Institut für Strategische Studien von 3%. Derartige Meldungen gehören zum Pokerspiel um Routen und Tarife, mit ihnen wird Politik gemacht.

Klar ist nur, daß, wenn der Höhepunkt der kaspischen Produktion in einigen Jahren erreicht sein wird, die Nachfrage bei gleichzeitigem Rückgang der Weltreserven zunehmen wird. Die Folge wäre ein Preisansteig und damit die Notwendigkeit alternativer Reserven. Die Frage ist aber, wo der hauptsächliche Bedarf legt. Man kann davon ausgehen, daß dies in Asien sein wird. Das bedeutet, Europa könnte seinen Bedarf durch den Irak decken. Das würde die Aufnahmekapazität für kaspisches Öl gering halten, da dieses auch teurer ist. Andererseits könnte im Jahre 2010 der Großteil des kaspischen Öls in der Türkei selbst verbraucht werden. Dennoch erscheinen zur Zeit aber die Bedingungen für einen gesicherten Rückfluß der Investitionen bei Projekten, die viel Geld kosten, aber beim jetzigen Ölpreis wenig Erlös versprechen, ungünstig.

Gerade weil die Relation zwischen Energiepolitik und regionalen Konflikten so ausgeprägt ist, sind politische Kompromisse im Zuge der kooperativen Entwicklung der Energieressourcen nicht zwangsläufig. Gibt es relevante Gruppen, die ihrer nach Meinung zu wenig davon profitieren, dann kann etwa der Bau einer neuen Pipeline gerade diese Spannung verschärfen. Z.B. kann die Unterstützung der aserbaidschanischen Position durch den Westen, hervorgerufen durch ökonomischen Interessen, auf der armenischen Seite eine Radikalisierung bewirken. Die Pipeline wird ein potentielles Angriffsziel.

Konfliktvermeidungsstrategien müssen auch berücksichtigen, daß das Konfliktpotential geprägt ist durch strukturelle Bedingungen, wie wirtschaftliche Dauerkrise, Flüchtlingselend sowie undemokratische Strukturen und Korruption. Die politische Kultur ist geprägt durch die Sowjetzeit.

Die Ölgesellschaften begreifen sich als Katalysator für die gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Der Multiplikationseffekt würde den Investitionen in den nächsten 15 Jahren zwangsläufig sekundäre Investitionen folgen lassen; d.h. mehr Einkommen, mehr Beschäftigung, mehr Steuereinnahmen. Doch auch wenn die Hauptproduktion bis 2010 auf vollen Touren läuft, wird in den nächsten zehn Jahren wenig Geld für das Sozialwesen und die Infrastruktur übrig sein. Zuerst wird in die Modernisierung des Ölsektors und in die ölverarbeitende Industrie investiert werden. Ob die Globalisierung nur eine Chance für eine kleine Schicht sein wird, ob die Konsortien ein Interesse zur Diversifizierung der Wirtschaft haben, muß sich erst noch erweisen. Das Ergebnis könnte auch eine Polarisierung der Gesellschaft sein mit dem unausweichlichen Anwachsen antiwestlicher Stimmungen.

Einheimische Kritiker befürchten, daß man zum Rohstoffzulieferer der transnationalen Multis degradiert werden könnte. Öleinkünfte führen meist zu einer starken Währung, die Folge ist ein Ansteigen der Importe. Dies zieht oft wiederum eine Vernachlässigung von Industrien, die keinen schnellen Profit bringen, nach sich. Dazu kommt, daß die Einkünfte in den Händen der Regierung bleiben, wobei sich die undemokratischen Strukturen weiter als Hemmnis für einen sinnvollen Aufbau erweisen könnten.

Ökonomisches Denken mag bei verschiedenen Beteiligten bewirken, daß enges machtpolitisches oder nationalistisches Denken eingeschränkt wird. Das wird aber nicht bei allen gesellschaftlichen Gruppen der Fall sein; clan- und regionalbezogenes Denken bewirkt, daß sich Gruppen ausgeschlossen fühlen, es werden neue Verteilungskämpfe entstehen.

Das "Great Game" ist eine Mischung aus kooperativen und rivalisierenden Motiven. Die multinationalen Gesellschaften sind zwar Konkurrenten, haben aber ein gemeinsames ökonomisches Interesse an der profitablen Erschließung der Ressourcen, damit auch ein Interesse an Stabilität, die nur durch Kooperation erreicht werden kann. Der Zeitpunkt aber, an dem auch bei den übrigen Akteuren das Interesse an Effizienz und Stabilität die nationalen und geopolitischen Motive übersteigt, ist kaum absehbar. Zu groß sind z.B. für Moskau die Versuchungen und Möglichkeiten zur Manipulation. Das wäre aber gerade ein Grund, Rußland und Iran in den kooperativen Prozeß zu integrieren. Die Wahl liegt zwischen einer kooperativen Ausbeutung und einem verlustreichen Kampf um die Reichtümer. Eine Verschärfung der Konflikte, sei es durch neue Waffenanhäufungen infolge der Öleinnahmen oder durch Machtkämpfe und Nachfolgestreitigkeiten ist ebenso wahrscheinlich wie eine Normalisierung und Stabilisierung durch Beteiligung aller an neuen Einnahmen. Ebensogut können wir auf lange Zeit einen Status quo mit ungelösten, eingefrorenen Konflikten erleben. Die ehrgeizigen Pipelineprojekte einer Anbindung Ostasiens, aber auch eine Änderung der Situation in Iran wird eine völlig neue Dynamik ins Spiel bringen. Der Ausgang des "Großen Spiels" ist absolut offen.


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