Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 4/2001


Beteiligungsgerechtigkeit für Entwicklungsländer in der
internationalen Finanzordnung

Lukas Menkhoff

Das Thema einer neuen internationalen Finanzarchitektur verschwindet mehr und mehr in Fachzirkeln. Nachdem zuletzt keine Finanzkrisen mit gravierenden Folgen für die Industrieländer aufgetreten sind, hat sich die Politik verabschiedet und die Reform an zuständige Fachgremien verwiesen. Dies mag dazu beitragen, die Diskussion zu versachlichen und abseits politischer Schaukämpfe notwendige Reformen voran zu treiben. Allerdings wird das Ergebnis aus diesem Reformprozeß durch die institutionellen Vorgaben zu Themen und Teilnehmern limitiert. Es wird im folgenden die These begründet, daß diese "Versachlichung" zu einer thematischen Verengung führt, die zu Lasten schwacher Marktteilnehmer geht: Industrieländer profitieren weitaus stärker als Entwicklungsländer. Wenn die Staatengemeinschaft eine internationale Finanzordnung schaffen wollte, die nicht nur partiell effizient, sondern auch "gerecht" ist, so müßten die Akzente anders gesetzt werden.

Die damit unterstellte potentielle Konkurrenz zwischen Effizienz und Gerechtigkeit ist ein in der wirtschaftspolitischen Debatte bekanntes Thema. Grundsätzlich stellt Gerechtigkeit ein übergeordnetes Ziel staatlichen Handelns dar, das in der Zielhierarchie oberhalb ökonomischer Ziele rangiert. Dagegen ist Effizienz als solche kein "Endziel", sondern eher eine Nebenbedingung der Politik: Was immer das Gemeinwesen anstrebt, es sollte möglichst effizient getan werden. Die ökonomische Fachdiskussion ist typischerweise genau auf dieses Effizienzdenken gerichtet. Das ist keine Überraschung, sondern leitet sich direkt aus dem Selbstverständnis der Ökonomie ab, wie es beispielsweise im "ökonomischen Prinzip" zum Ausdruck kommt, ein vorgegebenes Ziel mit möglichst geringem Aufwand zu erreichen. Insofern kann man einer ökonomischen Fachdiskussion schwerlich vorwerfen, wenn sie sich genau auf die Effizienzfragen im Rahmen einer vorgegebenen Zielsetzung konzentriert. Dies ist jedoch nicht erkennbar. Inwieweit die politische Vorgabe einer "gerechten" internationalen Finanzordnung die derzeitige Diskussion beeinflussen würde, soll im folgenden für das Kriterium der Beteiligungsgerechtigkeit gezeigt werden.

Im ersten Schritt ist zu klären, was Gerechtigkeit im Zusammenhang mit einer internationalen Finanzordnung im Unterschied zu Effizienz bedeuten kann. Im nächsten Schritt wird eine Position zum benutzten Verständnis von Beteiligungsgerechtigkeit entwickelt, die keinerlei normative Festlegung benötigt außer der gleichartigen Berücksichtigung ungleicher Marktteilnehmer. Dies bildet drittens den Hintergrund für eine Analyse von Zielsetzungen in der derzeitigen Fachdiskussion. Im Kontrast dazu wird viertens nach den möglichen Zielen schwacher Marktteilnehmer gefragt. Fünftens schließlich ergeben sich daraus Anhaltspunkte für eine im hier verwendeten Sinne gerechtere internationale Finanzordnung.

Effizienz und Gerechtigkeit internationaler Finanzordnungen

Privatwirtschaftliches Handeln bedarf einer Ordnung, damit das Ergebnis im besten Interesse der Gesamtwirtschaft liegt. Dieses Denken in einem Spannungsverhältnis zwischen privatem und staatlichem Handeln kommt deutlich in den Theorien der die Fachdiskussion lange Zeit prägenden ordoliberalen Freiburger Schule und im Konzept der sozialen Marktwirtschaft zum Ausdruck. Die Überzeugungskraft dieser Idee ist darin erkennbar, daß ein staatlicher Ordnungsrahmen für ansonsten freies privates Wirtschaften geradezu selbstverständlich scheint. Die Diskussion dreht sich immer nur um die Gewichtung des Rahmens im Vergleich zur privaten Initiative, aber nicht um die Vorteilhaftigkeit einer Ordnung.

Dabei ist es wiederum Konsens, daß gerade die Finanzmärkte einer starken Ordnung bedürfen, um gut zu funktionieren. Ein zentrales Element solch einer Finanzmarktordnung ist die Einrichtung einer Bankenaufsicht, die dafür sorgt, daß Kreditinstitute nicht in Verfolgung eigener Interessen eine allzu riskante Geschäftspolitik betreiben, die die Interessen der Gesamtwirtschaft verletzt. Es geht hier nicht darum, die Banken vor eigenem Leichtsinn zu schützen, sondern die Volkswirtschaft vor den egoistischen Motiven einzelner Unternehmen. Da das Gewinnmotiv eine starke Antriebskraft ist, soll es nicht außer Kraft gesetzt, sondern im Interesse aller begrenzt werden.

Warum gelten diese Überlegungen nicht für beliebige andere Unternehmen? Drei Gründe sprechen für eine besondere Stellung des Finanzsektors: Erstens sind Kreditinstitute wegen ihrer vergleichsweise geringen Eigenkapitalbasis besonders empfänglich für riskante Geschäftspolitik und zugleich besonders gefährdet in ihrer Existenz, zweitens übertragen sich Risiken schnell auf andere unbeteiligte Institute und drittens hat der Finanzsektor für das Funktionieren einer Marktwirtschaft zentrale Bedeutung.

Weil also der Markt im Finanzsektor in gewisser Hinsicht versagt, greift der Staat regulierend und damit stabilisierend ein. Genau an dieser Stelle liegt das derzeitige Defizit der internationalen Finanzordnung: Im Vergleich zu den sich rasch internationalisierenden Märkten hinkt die staatliche Rahmensetzung hinterher. Es läßt sich also allein aus ökonomischen Effizienzüberlegungen ableiten, daß die in vielen Industrieländern bewährte Regulierungspraxis der Finanzmärkte auf die neu entstandenen Felder ausgedehnt werden soll (vgl. die Überblicke in Eichengreen 1999, Frenkel und Menkhoff 2000 sowie Radtke und Reszat 2000). In diesem Sinne ist die Forderung nach einer Verschärfung der Aufsicht durch Ausdehnung auf Offshore-Zentren und die Einbeziehung von Hedgefonds gut begründet. Von Gerechtigkeit muß bis zu dieser Stelle noch keine Rede sein; man kann diesen Gesichtspunkt aber zusätzlich in die Diskussion einbringen.

Der Anstoß dazu kommt von prominenter Seite: zum einen von Nichtregierungsorganisationen, im folgenden kurz NGOs, zum anderen von den großen Kirchen Deutschlands. Beide Gruppen kritisieren im obigen Sinne die Effizienz der bestehenden Ordnung, gehen aber auch darüber hinaus: Typisch für NGOs ist eine Oxfam-Studie zur Reform des Internationalen Währungsfonds und damit implizit der internationalen Finanzordnung, in der das Ziel der Armutsbekämpfung absolute Priorität gegeben wird (Watkins 2000). Diese Zielsetzung folgt offensichtlich aus der Gerechtigkeitsvorstellung, daß es in erster Linie auf das Wohlergehen der Ärmsten in einer (Welt)Gesellschaft ankommt oder daß eine Ordnung nicht akzeptabel ist, in der teilweise menschenunwürdige Zustände herrschen. Einen etwas breiteren Blickwinkel wählt die sozialethische Perspektive der Kirchen, die die Dominanz ökonomischen Denkens, sprich ökonomischer Effizienzüberlegungen, in der Debatte kritisiert und für Solidarität und Gerechtigkeit als entscheidende Maßstäbe plädiert (Wort der Kirchen, 1997, S.7). Dabei spielt die "vorrangige Option für die Armen" immer eine herausgehobene Bedeutung (vgl. deutlich in Sachverständigengruppe 1999, S.14).

Im Zuge von Finanzkrisen haben sich die Lebensverhältnisse großer Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern (etwa Bauern) dramatisch verschlechtert, so daß sie häufig wie ein Spielball anonymer Mächte wirken. Selbst wenn man argumentiert, daß den heutigen Krisen langfristige Chancen gegenüber stehen, würden die jetzt betroffenen Bauern kaum davon profitieren. Man kann deshalb postulieren, dass eine gerechte Ordnung gerade auch auf diese Gruppen Rücksicht nehmen sollte.

Beteiligungsgerechtigkeit bei ungleichen Marktteilnehmern

Die Auffassungen über Gerechtigkeit gehen weit auseinander, vor allem wenn es nicht mehr nur um abstrakte Bekenntnisse, sondern um konkrete Handlungen geht. In der ökonomischen Theorie wird das Problem meist umgangen, zumal es keinen konsensfähigen Zugang geben dürfte. Folglich sind die in der Ökonomie dominierenden Vorstellungen über effiziente Organisation von Märkten auch frei von einem normativen Anspruch, gerecht zu sein.

Dennoch genügen funktionierende Märkte gewissen Gerechtigkeitsvorstellungen. So spielen sozialer Status und Macht für die Preisbildung keine Rolle und der Marktzugang für jedermann schafft in dieser Hinsicht Chancengleichheit. Obwohl also Märkte primär eine auf Effizienz bedachte Einrichtung sind, stellen sie doch entstehungsgeschichtlich zugleich ein Emanzipationsinstrument für mehr Beteiligungsgerechtigkeit dar. Die wohlfahrtssteigernde Wirkung kommt jedoch nur bei funktionierenden Märkten zustande und perfekt funktionieren Märkte eigentlich niemals. Sind dann im konkreten Fall die Abweichungen vom Ideal so erheblich, daß Märkte ihren Beitrag zur Beteiligungsgerechtigkeit nicht mehr zu leisten imstande sind? Hier liegt ein ökonomischer Zugang zur Frage nach einer "gerechten" internationalen Finanzordnung erlaubt. Gerecht bedeutet demnach, daß die Marktteilnehmer in gleicher Weise von der Existenz eines Marktes profitieren können.

Zu internationalen Finanzmärkten hat der Bauer im Entwicklungsland faktisch keinen Zugang. Denn er verfügt nicht über das Wissen, sich an den Märkten zu beteiligen. Darüber hinaus hat er im allgemeinen auch nicht die materiellen Zugangsmöglichkeiten. Um dies konkreter durchzuspielen: Die Vorteile, die sich für ein Schwellenland durch Integration in internationale Finanzmärkte ergeben, bestehen in einem erleichterten Zugang zu neuem Kapital sowie in vielfältigen Chancen der verbesserten Finanzsektorentwicklung: aufgrund erhöhten Wettbewerbs, einer erweiterten Produktpalette, erleichterten Wissenstransfers u.a.. Theoretisch könnten die Bauern leichter und billiger Kredit bekommen bzw. ihr Geld besser anlegen. Praktisch allerdings wird das Bankwesen im ländlichen Raum durch Einbindung in internationale Finanzmärkte kaum berührt.

Neben möglichen Vorteilen führt die internationale Finanzmarktintegration aber auch zu bekannten Risiken: Vor allem wird die Volkswirtschaft damit von ausländischen Entwicklungen abhängiger. Plötzlich bestimmt die New Yorker Börse darüber mit, wohin sich die Zinsen im jeweiligen Entwicklungsland bewegen. Ferner kann es bei großen Umkehrungen von Kapitalströmen – wie sie bspw. im Fall einer Finanzkrise vorkommen – zu Kreditknappheiten und abrupten realen Wechselkursänderungen kommen. Letztere beeinflussen Importgüterpreise, wie vielleicht Dünger, und Exportgüterpreise von Agrarprodukten. Zusammen genommen treten bis dahin unbekannte Preisrisiken an den einheimischen Finanzmärkten auf. Denen unterliegt selbst der Bauer auf dem Land, doch schützen kann er sich dagegen kaum.

Dies unterscheidet den Bauern fundamental vom Investmentbanker, der von internationaler Finanzmarktintegration gleich mehrfach profitieren kann: Erstens gewinnt letzterer durch die neuen Geschäftsfelder bei einer Ausdehnung in weitere Länder. Zweitens verfügt der internationale Investor über gute Diversifikationsmöglichkeiten, die durch Anlage in einem Schwellenland tendenziell noch steigen. Drittens versteht der Investmentbanker die Chancen und Risiken der Märkte, auf denen er sich bewegt – zugespitzt gesagt, lebt sein Geschäft geradezu von der Volatilität dieser Märkte, denn je größer die Preisbewegungen, desto wertvoller ist sein Wissensvorsprung.

Sozusagen in der Mitte zwischen dem Bauern im Entwicklungsland und dem New Yorker Investmentbanker steht der städtische Großunternehmer im Entwicklungsland. Im Unterschied zum Bauern hat er vielleicht die Möglichkeit von der neuen Bankenkonkurrenz zu profitieren und bspw. auf günstige Fremdwährungskredite zurückzugreifen oder seine Wertpapiere international zu platzieren. Zudem kann er manche Risiken begrenzen, indem er sich entsprechend beraten läßt. Ein einfaches Beispiel dafür sind Exporterlöse in Fremdwährung, die Kreditrückzahlungen in Fremdwährung begleichen helfen.

Zusammenfassend kann die Teilnahme an internationalen Finanzmärkten eine ökonomisch reizvolle Angelegenheit sein. Allerdings gibt es offensichtlich unfreiwillige Marktteilnehmer, wie die erwähnten Bauern, die zwar nicht unmittelbar an diesen Märkten handeln und dort nicht einmal handeln könnten, wohl aber von ihren Auswirkungen betroffen werden. Gerecht ist dies kaum.

In dieser Situation mag eine Effizienzanalyse zu einer anderen Schlußfolgerung als eine Gerechtigkeitsanalyse kommen. So unumstritten der prinzipielle Reformbedarf der internationalen Finanzordnung ist, so strittig sind Umfang und Ausrichtung angemessener Reformen. Um also den Unterschied zwischen Effizienz und Gerechtigkeit auf einen Punkt zu bringen, soll der Fall radikal vereinfacht werden: Eine Effizienzanalyse mag den ökonomischen Nettonutzen bestimmter Maßnahmen quantifizieren und deshalb zugunsten einer Verbesserung der bestehenden Finanzordnung plädieren. Eine Gerechtigkeitsanalyse dagegen wird den Nettonutzen – ausgehend von der Gleichheit der Menschen – nicht in aggregierten ökonomischen Größen bewerten, sondern nach dem Nettonutzen der Mehrzahl der Menschen fragen. Eine noch weiter gehende Variante könnte sogar im Sinne der Oxfam-Studie nach dem Nutzen für die Ärmsten fragen. Effizienz zielt demnach auf maximale Steigerung des Sozialprodukts, egal wem sie zugute kommt, während Beteiligungsgerechtigkeit darauf abzielt, alle Betroffenen gleichermaßen am Fortschritt teilhaben zu lassen.

Unter identischen Annahmen über die Wirkungen von Politikoptionen mag die Gerechtigkeitsanalyse deshalb zu vollkommen anderen, die Finanzmärkte stärker einschränkenden Empfehlungen kommen. Die Ursache liegt in der unterschiedlichen Gewichtung der Wirkungen: In vielen Entwicklungsländern ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit regional stark konzentriert, so daß bspw. nur 20% der Bevölkerung für 80% der Wertschöpfung verantwortlich sind. Deshalb mag – in extremer Vereinfachung – 80% der Wirtschaft von einer internationalen Einbindung profitieren, oben stellvertretend anhand des städtischen Unternehmers skizziert, so daß die Effizienz steigt. Gleichzeitig werden 80% der Bevölkerung eher negativ berührt, so daß die Beteiligungsgerechtigkeit vermindert wird. Entscheidend für diese Diskrepanz ist die Heterogenität der Marktteilnehmer, denn wären diese vollkommen gleichartig, dann würde sich zwischen Effizienz- und Gerechtigkeitsanalyse kein Unterschied ergeben. Wo steht in diesem Spannungsfeld die derzeitige Reformdiskussion der meisten Fachleute?

G-5-Prioritäten bestimmen die Reformdiskussion

Diskussionen reflektieren fast notwendigerweise die den Diskutanden eigenen Interessenpositionen. Insofern ist es bereits informativ, auf die Gesprächsteilnehmer in der aktuellen Debatte hinzuweisen. Als entscheidungsrelevante Foren dieser Debatte lassen sich vor allem zwei identifizieren: In erster Linie immer noch der Internationale Währungsfonds (IWF) in Washington, der für makroökonomische Anpassung sowie Kapitalmärkte zuständig ist, und seit 1999 das Forum für Finanzmarktstabilität (Financial Stability Forum, FSF) in Basel für aufsichtsrechtliche Fragen an Finanzmärkten.

Es zeigt sich, daß in beiden Organisationen die Industrieländer, darunter insbesondere die G5-Staaten (USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Vereinigtes Königreich), dominieren. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung stellen letztere Staaten die ständigen Vertreter im IWF-Exekutivdirektorium und halten ohne die weiteren Industrieländer zusammen über 40% der Stimmrechte im IWF. Eine besondere Rolle spielen wiederum die USA, die als einziges Land über eine Sperrminorität verfügen, immer den zweitwichtigsten Posten im IWF besetzen und aufgrund örtlicher Nähe starken personellen sowie intellektuellen Einfluß ausüben. Im FSF sind elf Staaten ständig und unmittelbar vertreten, wobei die G5 wiederum 15 von 25 Stimmen auf sich vereinigen. Entwicklungsländer verfügen hier über keine direkte ständige Partizipation. Zusammenfassend repräsentieren diese Organisationen, in deren Rahmen Reformentscheidungen vorbereitet oder umgesetzt werden, mit etwa zwei Drittel Anteil am Weltsozialprodukt recht gut die wirtschaftlichen Größenverhältnisse, aber mit gut 10% Anteil keinesfalls die Weltbevölkerung (vgl. Frenkel und Menkhoff 2000a, Tabelle 2).

Folglich kann es nicht überraschen, daß die Themen der Wirtschaftsmächte die Debatte beherrschen und damit eine implizite Zielsetzung vorgeben (vgl. kritisch Bhagwati 1998). Der Tenor geht dahin, die Marktverhältnisse in den führenden Industrieländer als Norm für den Rest der Welt vorzugeben und die obigen Organisationen dazu zu nutzen, diese Normen durchzusetzen. Unter Effizienzgesichtspunkten ist dieser Zielsetzung auf lange Frist nicht zu widersprechen, denn es gibt keine leistungsfähige Alternative zu funktionierenden Märkten und einem modernen Ordnungsrahmen für diese. In diesem Sinne dienen die Wirtschaftsmächte zu recht als Vorbild. Die Problematik der aktuellen Debatte kommt deshalb nicht in der langfristigen Zielsetzung, sondern in den unberücksichtigten Zielen schwächerer Marktteilnehmer zum Ausdruck: Erstens kann man aus der langen Frist nicht automatisch auf die besten Schritte für alle Länder in der kurzen Frist schließen (vgl. in diesem Sinne Frankel 1999) und zweitens funktioniert ein Reformprozeß nur bei glaubwürdiger Einbindung der Entwicklungsländer bzw. dem Gegenstück dazu, einer glaubwürdigen Selbstbindung der Industrieländer. Diese beiden fehlenden Aspekte sollen kurz erläutert werden.

Schaubild 1: Fortschritte bei der Reform der internationalen Finanzordnung, nach Themenfeldern

 

 

Institutio-nalisierte
Gespräche

Explizite Ziel-Mittel-Vorgabe

Weiche
Sanktio-
nierung

Unbedingte Sanktio-
nierung

Transparenz der Daten

x

x

   

Standards, Kodices

x

x

   

Vereinheitlichung der Regulierung

x

x

   

Ausweitung der Regulierung

x

x

   

Verbesserung der Regulierung

x

x

 

x

Kapitalverkehrsregulierung

x

     

Rolle des IWF

x

     

Einbeziehung des Privatsektors

x

     

Zielzonen, Koordinierung

       

Weltfinanzorganisation

       

Dunkle Felder markieren die von den Industrieländern – über IWF und FSF – besonders intensiv verfolgten Themen.

Im Bemühen um die möglichst rasche und vollständige Erreichung funktionierender Finanzmärkte in allen Ländern machen die oben angesprochenen Organisationen erheblichen Druck. Schaubild 1 gibt einen Überblick über die Themenfelder, die in der umfassenden Debatte über eine neue internationale Finanzordnung angesprochen wurden, wobei die von IWF und FSF besonders verfolgten Themen dunkel hervorgehoben sind. Demnach sind "Transparenz der Daten", "Standards und Verhaltenskodices" sowie verschiedene Modifikationen der "Regulierung" der Finanzmärkte die tatsächlich verfolgten Themen, bei denen auch Fortschritte zu verzeichnen sind (vgl. Frenkel und Menkhoff 2000, Schaubild 9). Der IWF organisiert die Bereitstellung verläßlicher und zeitnaher volkswirtschaftlicher und finanzmarktbezogener Daten. Verschiedene Organisationen formulieren Standards und Verhaltenskodices, bspw. für gutes Rechnungswesen, und suchen Unterstützung dafür bzw. schaffen durch die oft erstmalige Formulierung Anreize zur Verhaltensänderung. Das Feld der Regulierung wird stark von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel und dem bei ihr angesiedelten FSF vorangetrieben (vgl. bspw. Meister 2001). Es geht weit über die Regulierung von Banken hinaus, wenngleich hier die internationale Standardisierung besonders weit gediehen ist. Fortschritte im Zuge der Einrichtung des FSF beziehen sich auf die geplante Ausweitung der Regulierung durch Berücksichtigung von sogenannten Highly Leveraged Institutions (HLIs), das sind besonders risikofreudig operierende Akteure an Finanzmärkten wie z.B. Hedge Fonds. Fortschritte werden ferner bei der internationalen Vereinheitlichung der Regulierung angestrebt, indem zum einen immer mehr Schwellenländer bei der BIZ mitarbeiten und zum anderen das heikle Thema der nicht regulierten Off-shore-Zentren angegangen wird. Am weitesten schließlich ist die ständige Verbesserung der Bankenregulierung gediehen. Bedenkt man ihren freiwilligen Charakter, so ist die Einigung auf immer komplexere, weltweite Standards ein erstaunliches Beispiel für funktionierende freiwillige Kooperation.

Im Kontrast zu den oben genannten Erfolgen bei der Verbesserung des Regelwerks für die Marktakteure – mikroökonomische Governance – steht der Stillstand bei möglichen gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen zur Verbesserung des Marktergebnisses – den Themen makroökonomischer Governance. Im Schaubild 1 sind dies die fünf Themenfelder im unteren Bereich, angefangen bei der Einrichtung von "Zielzonen" bis zur Gründung einer "Weltfinanzorganisation". So gibt es am Zustand des Weltwährungssystems massive akademische Kritik, z.B. von Mundell (2000) anläßlich der Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises (vgl. auch Filc 1997 oder Flassbeck 2000), die aber keinen Niederschlag in den entscheidungsrelevanten Gremien findet. Die wohl ausschlaggebende Differenz der beiden hier unterschiedenen Ordnungsbereiche liegt im Hinblick auf unser Thema in den jeweils betroffenen Akteuren: Bei der mikroökonomischen Governance müssen sich die privaten Akteure in eine Ordnung fügen, bei der makroökonomischen Governance sind eher die Staaten angesprochen. Im ersten Fall unterliegen die Institutionen der Industrieländer bereits in großem Umfang den angestrebten Bedingungen wie einer modernen Bankenregulierung, so daß größere Änderungen auf die Institutionen in Schwellen- und Entwicklungsländer zukommen. Im zweiten Fall sind die Industrieländer die relevanten Akteure um deren Einbindung in eine Ordnung es gehen könnte, doch dazu sind sie nur sehr beschränkt bereit. Insofern reflektiert der aktuelle Diskussionsstand die Interessen der Industrieländer und damit ihre Ziele recht gut.

Reformprioritäten aus der Warte von Entwicklungsländern

Aus der Sicht schwächerer Akteure, d.h. konkret von Entwicklungsländern, ergeben sich nicht direkt gegensätzliche, aber doch andere Ziele. So sind sie in ihren institutionellen Gegebenheiten so weit vom heutigen Standard der Finanzmärkte entfernt, daß sie zwar die Zielrichtung der Industrieländer teilen mögen, aber ihr Augenmerk viel stärker auf geeignete Zwischenschritte gerichtet sein muß. Man kann durchaus die Problematik der Finanzsektormodernisierung auf andere Bereiche, wie bspw. das Bildungswesen oder den Verkehr übertragen. Im Bildungswesen ist das Ziel der Entwicklung klar umsetzbar, indem nach heutigen Standards alle Menschen eine sekundäre Ausbildung erhalten sollen und ein großer Anteil studiert. Trotz dieser Klarheit sind die Verhältnisse in den meisten Länder der Welt anders und kein Beschluß internationaler Organisationen kann dies kurzfristig ändern. Erreichbar ist allein eine mehr oder weniger schnelle Bewegung auf das Ziel hin. Etwas anders ist der Fall eines Verkehrssystems gelagert, da es hier moderne und tradierte Formen nebeneinander gibt. Doch auch in diesem Bereich mag der wünschenswerte Fortschritt klar, aber dennoch nicht realisierbar sein. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum diese Restriktion im Finanzsektor nicht gelten sollte. Die Bedingungen moderner Industrieländer sind nicht kurzfristig herstellbar oder nur zu unverhältnismäßigen Kosten.

Institutionen-Dualismus statt vorschneller Modernisierung

Folglich sollte sich ein Ziel der Reformdiskussion explizit darauf richten, Uneinheitlichkeit institutioneller Verhältnisse im Finanzsektor zu ermöglichen. Vieles was aus moderner Sicht anachronistisch erscheint, ist nur eine angepaßte institutionelle Einrichtung. Beispielhaft sei auf die weit verbreitete Kreditvergabe innnerhalb von Familienverbänden und ihren Freunden verwiesen, unfreundlich als Vetternwirtschaft oder Crony-Kapitalismus bezeichnet. Der rationale Kern dieser Form an Kreditbeziehungen ist aber häufig das Fehlen von Marktinstitutionen, so daß es an Informationen über die Qualität von Kreditnehmern und an funktionierenden Kreditsicherheiten mangelt (bspw. Menkhoff 2000). Auch in Europa gab es in der frühen Industrialisierungsphase keine modernen Banken und Reste von "besonderen" Beziehungen haben sich bis zu den heutigen Hausbankbeziehungen erhalten. Während sich aber die alten Industrieländer Schritt für Schritt entwickeln konnten, stehen die heutigen Schwellenländer mit je einem Bein im 19. Jahrhundert und in der Gegenwart. Die Frage lautet deshalb, wie sich die alten Strukturen schrittweise so in neue überführen lassen, daß die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors gewahrt bleibt. Eine möglichst rasche Modernisierung erweist sich dabei meist als Scheinlösung, da dann weder die alten noch die neuen Strukturen gut funktionieren.

Gebremste Liberalisierung der Kapitalmärkte

Ein besonderer Aspekt in diesem Zusammenhang ist die außenwirtschaftliche Öffnung der Finanzmärkte, verknappt ausgedrückt die Kapitalverkehrsliberalisierung. Wieder handelt es sich um ein langfristig anstrebenswertes Ziel, mit dem aber Schwellenländer zwiespältige Erfahrungen gemacht haben. Problematisch ist häufig der geballte Zu- oder Abfluß von ausländischem Kapital, der die Anpassungsfähigkeit der heimischen Finanzmärkte überfordern kann. Es ist kein Zufall, daß die chilenischen Erfahrungen mit Kapitalverkehrsregulierung nach jeder Krise wieder intensiver diskutiert werden. Dabei liegt der Erfolg dieser Maßnahmen natürlich nicht allein darin, Finanzmärkte zu beschränken, sondern gleichzeitig auch funktionsfähig zu machen. Kritiker der chilenischen Erfahrungen verweisen deshalb gerne auf diesen letzteren Aspekt, doch vermutlich gehört für einen Erfolg beides zusammen, die Begrenzung und Entwicklung der Finanzmärkte.

Moderne Finanzmärkte sind aber nicht nur für sich zu beurteilen, sondern auch im Hinblick auf ihre Wirkung auf die sonstige Volkswirtschaft, die sogenannte Realwirtschaft. In vielen Phasen der jüngeren Wirtschaftsgeschichte haben Staaten aktiv Maßnahmen ergriffen, um die Realwirtschaft teilweise gegenüber den Finanzmärkten abzuschotten (vgl. Arestis und Demetriades 1997). Auf den ersten Blick mag das geradezu widersinnig erscheinen, da doch die Finanzmärkte die Hauptaufgabe der Kapitalallokation wahrnehmen und somit unmittelbar mit der Realwirtschaft verwoben sind. Der Grund für die Abschottung liegt deshalb in den unterschiedlichen Funktionsweisen begründet: Finanzmärkte sind durch vergleichsweise niedrige Informations- und Transaktionskosten gekennzeichnet, so daß die Marktteilnehmer schnell und abrupt agieren. Die Anpassungskosten der Realwirtschaft sind dagegen ungleich höher, so daß die Veränderungen träger erfolgen. Das Problem kann im Zusammenspiel beider Sektoren entstehen.

Sind Finanzmärkte staatlich reglementiert, so kann man dies im weitesten Sinne als ein Regime mit hohen Anpassungskosten interpretieren, in dem folglich die Anpassungsgeschwindigkeit niedriger ist und – was hier besonders interessiert – näher an derjenigen der Realwirtschaft bleibt. Umgekehrt sind moderne Finanzmärkte ohne nationale Grenzen, fast ohne staatliche Restriktionen und mit den niedrigen Transaktionskosten heutiger Technologien extrem schnell. Hinzu kommt eine gewisse Eigendynamik der Finanzmärkte, so daß sie häufig zu Übertreibungen neigen. Eine moderne Realwirtschaft kann sich partiell dagegen schützen, beispielsweise indem der Finanzsektor Absicherungsprodukte gegen Kursschwankungen entwickelt oder Finanzmarktrisiken – als Kehrseite der Finanzmarktentwicklung – in unternehmerischen Strategien antizipiert werden. Genau diese Reaktion der Realwirtschaft ist in weniger entwickelten Ländern schlechter möglich. Dort bedarf die Realwirtschaft eines gewissen Schutzes vor extremen Preisrisiken, die aus dem Finanzsektor übertragen werden können. Die heutigen Industrieländer haben sich beispielsweise in einer Zeit entwickelt als Zinssatzänderungen von einem viertel Prozentpunkt viel waren, was heute kaum der Erwähnung wert ist. Zusammenfassend ist das Chance-Risiko-Verhältnis moderner Finanzmärkte für die Realwirtschaft in Entwicklungsländern ein Mißverhältnis.

Vorrang makroökonomischer Regulierung

Die obigen Überlegungen lassen sich auch im Governance-Schema fassen: Je besser Finanzmärkte entwickelt sind, desto unwichtiger wird das Thema der makroökonomischen Governance. Umgekehrt gilt demnach, daß die Erfolgspotentiale staatlicher Eingriffe bei schlecht funktionierenden Märkte entsprechend höher sind. Die Nutzung dieses Zusammenhangs wird durch die relativ einfachere Handhabbarkeit vieler Makroinstrumente begünstigt: Beispielsweise ist Geldpolitik durch Veränderung des Refinanzierungssatzes der Banken einfacher zu handhaben als eine funktionierende Aufsicht über komplexe Risikopositionen von Kreditinstituten. Aus Sicht der Entwicklungsländer sollte also das Themenfeld makroökonomischer Governance stärker diskutiert werden, woran die großen Industrieländer aus verständlichen Gründen wenig Interesse haben.

Diese Interessendiskrepanz gilt nicht nur für die jeweils nationale, sondern auch für die internationale Ebene: Zinsschocks großer Länder, vor allem der USA, pflanzen sich auf den Weltfinanzmärkten fort, ebenso wie Wechselkursschocks. Die Ungleichheit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern kommt deshalb nur folgerichtig darin zum Ausdruck, daß große Zinserhöhungen in Industrieländern dort zwar eine Rezession, aber in Entwicklungsländern gleich eine handfeste Krise auslösen können (vgl. Frankel und Rose 1996). Diese Asymmetrie zwischen Marktteilnehmern trifft auch auf die Industrieländer untereinander zu: Im europäischen Rahmen hat Deutschland 1992 eine Hochzinspolitik im nationalen Interesse betrieben und damit die EWS-Krise ungewollt begünstigt. Im Weltrahmen können vor allem die USA nahezu ausschließlich im nationalen Interesse agieren und brauchen wenig Rücksicht zu nehmen, während die Folgen der US-Wirtschaftspolitik für die meisten anderen Marktteilnehmer ein wichtiges Datum darstellen. Je stärker eine Volkswirtschaft ist, d.h. je größer und entwickelter sie ist, desto mehr Freiheitsgrade hat ihre Wirtschaftspolitik. Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß eine Reduktion der Handlungsfreiheit durch Einbindung in eine Weltfinanzordnung – welcher genaueren Ausgestaltung auch immer - für die Länder ganz unterschiedliche Vor- und Nachteile bringt: Am wenigsten profitieren die USA davon, am meisten die Entwicklungsländer. Das Ziel von Entwicklungsländern muß also darin bestehen, die derzeitige Reformdiskussion stärker in Organisationen zu verlagern, in denen sie nicht faktisch marginalisiert sind.

Anhaltspunkte für eine gerechtere internationale Finanzordnung

Die Verbesserung der bestehenden internationalen Finanzordnung liegt im gemeinsamen Interesse der weltweiten Staatengemeinschaft. An diesem Ziel und an der grundsätzlichen Veränderungsrichtung gibt es wenig Kritik. Beteiligungsgerechtigkeit erfordert jedoch, die Ziele ungleicher Teilnehmer internationaler Finanzmärkte im Reformprozeß gleichermaßen zu berücksichtigen. Der derzeitige Reformdiskurs genügt diesem Minimalverständnis von Gerechtigkeit nicht. Vielmehr folgen die durchgeführten Reformen weitgehend den Zielvorstellungen der großen Industrieländer. Das Defizit liegt dabei nicht so sehr in den konkreten Maßnahmen, die im wesentlichen in die richtige Richtung weisen, sondern in den fehlenden Themen, die dem Reformprozeß "Schlagseite" geben. Eine stärker auch an den Zielen schwacher Marktteilnehmer, das sind vor allem Entwicklungsländer und dort wieder bestimmte Gruppen, ausgerichtete Reform sollte folgende Themen berücksichtigen:

·         Das Zielspektrum wird am einfachsten dadurch umfassender, daß man die Beteiligten an den Diskussionen teilhaben läßt. Wege dorthin können in einer Umverteilung der Stimmrechte im IWF sowie verwandten Organisationen liegen und im höheren Gewicht von Institutionen mit stärkerer Repräsentanz von Entwicklungsländern, wobei sich hier die G20-Gruppe anbietet (vgl. dazu Deutsche Bundesbank 2001).

·         Eine internationale "Ordnung" der Finanzmärkte wird nicht ohne Institutionen auskommen, die die Ordnung gegen die Interessen einzelner Staaten vertreten und durchsetzen. Legitimation kann diese Ordnung nur durch eine Kontrolle demokratisch gewählter Regierungen erhalten. In diesem Sinne ist zwar ein starker IWF, der aufgrund der Stimmrechtssituation eher Industrie- als Entwicklungsländer vertritt, besser als keine internationale Ordnungsinstanz, aber Reformbedarf ist unverkennbar.

·         Es wird die internationale Diskussion erleichtern, wenn bestehende Defizite "fair" benannt werden. Ein weniger entwickeltes Finanzsystem ist nicht schon deshalb pauschal ineffizient, weil es nicht modern ist, sondern es kann sehr wohl ein angepaßtes System sein. Umgekehrt weisen auch moderne Finanzmärkte Schwachstellen auf und können internationale Krisen auslösen, wie der IWF-Managing Director Köhler (2001) anmerkt. Unvoreingenommenheit hilft, die "Schuld" an Krisen nicht pauschal auf weniger entwickelte Länder abzuwälzen und die Stärken ihrer Finanzsysteme behutsam zu fördern.

·         Reformen müssen die institutionellen Restriktionen in Entwicklungsländern anerkennen. Liberalisierungserfolge hängen von ausreichender Marktentwicklung ab. Insofern gibt es kein weltweit bestes Reformtempo, sondern man kann davon ausgehen, daß für Entwicklungsländer weniger freie Finanzmärkte angemessen sind als für Industrieländer. Das Ziel der Entwicklung von nationalen Finanzmärkten kann deshalb nicht absolut gesetzt werden, sondern Uneinheitlichkeit der Entwicklungen ist selbstverständlich.

·         Nutzen und Kosten internationaler Finanzmärkte fallen in Industrie- und Entwicklungsländern nicht symmetrisch an, sondern entwickelte Länder profitieren stärker. Daraus folgt, daß Kapitalverkehrsregulierungen für Entwicklungsländer im allgemeinen selbstverständlicher Bestandteil ihrer Marktordnung sind.

·         Letztlich ist die internationale Finanzordnung nur ein Bestandteil internationaler Zusammenarbeit. Schritte von Entwicklungsländern im Bereich Finanzmarktliberalisierung, die im Interesse von Industrieländern liegen, müssen als ungerecht und im Grenzfall als erzwungen empfunden werden, wenn offensichtliche Liberalisierungsvorteile bspw. auf Agrarmärkten – bei denen allerdings Nutzen und Kosten anders verteilt sind – nicht realisiert werden (vgl. Köhler 2001, S.119). Nimmt man die warnenden Worte des unverdächtigen IWF-Generaldirektors zum Maßstab, so kann das derzeitige Verhalten der Industrieländer nicht als glaubwürdig bewertet werden.

Selbstbeschränkung der Industrieländer im Systeminteresse

Zusammenfassend wird hier von Industrieländern im allgemeinen - und je mächtiger diese sind umso mehr - erwartet, daß sie ihre derzeitige Machtposition nicht ausspielen. Warum sollten sie dies tun? Dafür könnten drei Gründe sprechen:

·         Aus sozialethischer Sicht, wie sie bspw. die Kirchen vertreten, oder aus Sicht der Armen dieser Welt, wie bei Oxfam argumentiert, ist die Angelegenheit klar: Selbstbeschränkung geschieht nicht aus Eigennutz, sondern in Verfolgung höherer Ziele.

·         Beschränkt man sich auf eine ökonomische Abwägung, so geht es um eine einfache Austauschbeziehung zwischen kurzfristigen Vorteilen und langfristigen Risiken: Die Vorteile der derzeitigen Strategie sind in ökonomischen Größen sehr limitiert, denn Entwicklungsländer und erst recht der finanzwirtschaftliche Austausch mit ihnen spielen aus ökonomischer Sicht nur eine nachrangige Rolle. Die möglichen Nachteile jedoch sind enorm und liegen in einer Überstrapazierung sozialer und politischer Anpassungsfähigkeit in Entwicklungsländern und daraus entstehenden Krisen (vgl. Köhler 2001, S.118).

·         Wenn man vielleicht früher eine Wirtschaftspolitik – wie sie im hiesigen Zusammenhang weitgehend praktiziert wird – als kalt, aber klug empfunden haben mag, so bestätigt die neuere ökonomische Forschung die Erfahrung, daß Kälte dumm sein kann. In langfristigen Interaktionen ist es oft klüger auf kurzfristige Vorteile zu verzichten, um langfristig eine tragfähige Basis zu sichern, die von beiden Seiten als fair empfunden wird.

Literatur

Arestis, Philip und Panicos Demetriades (1997), Financial Development and Economic Growth: Assessing the Evidence, Economic Journal, 107, 783-799.

Bhagwati, Jagdeesh (1998), The Capital Myth, The Difference between Trade in Widgets and Dollars, Foreign Affairs, 77, 7-12.

Deutsche Bundesbank (2001), Neuere institutionelle Entwicklungen in der wirtschafts- und währungspolitischen Kooperation, Deutsche Bundesbank Monatsbericht, 53:1, 15-34.

Eichengreen, Barry (1999), Towards a New International Financial Architecture, A Practical Post-Asia Agenda, Institute for International Economics, Washington, D.C.

Filc, Wolfgang (1997), Mehr Wirtschaftswachstum durch gestaltete Finanzmärkte. Nationaler Verhaltenskodex und internationale Kooperation, Internationale Politik und Gesellschaft, H.1, 22-38.

Flassbeck, Heiner (2000), Wanted: An International Exchange Rate Regime. The Missed Lesson of the Financial Crisis, Internationale Politik und Gesellschaft, H.3.

Frankel, Jeffrey (1999), No Single Currency Regime Is Right for all Countries or at all Times, Princeton Essays in International Finance, No.215, August, Princeton.

Frenkel, Michael und Lukas Menkhoff (2000), Stabile Weltfinanzen? Die Debatte um eine neue internationale Finanzarchitektur, Berlin et al.: Springer.

Köhler, Horst (2001), Address to Bundestag, IMF Survey, 30:8, 117-119.

Meister, Edgar (2001), Reformansätze in der Banken- und Finanzmarktregulierung – auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene, Deutsche Bundesbank Auszüge aus Presseartikeln, Nr.21, 4-6.

Menkhoff, Lukas (2000), Relationship Banking and Thailand's Crisis: the Difficult Transformation from Personal Relations to Market Relations, International Quarterly for Asian Studies (Internationales Asienforum), 31, 23-38.

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