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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 3/1999

Vorläufige Fassung / Preliminary version

JOHN STEINBRUNER
Die Folgen des Kosovokriegs
(Original: The Consequences of Kosovo)

Das Kosovo-Engagement der NATO droht in eine verhängnisvolle Richtung mit äußerst schwerwiegenden Folgen für den Frieden in Europa zu driften. Aber noch ist es möglich, dem Ganzen eine konstruktive Wende zu geben. Dazu ist es notwendig, bereits begangene Fehler einzusehen und umgehend zu revidieren. Die NATO müßte die Bombardierung von Zielen in Jugoslawien einstellen und nie wieder aufnehmen. Bomben können die serbischen Repressionen gegenüber den Albanern allenfalls sehr langfristig beenden. Die vielen Opfer, die sie selbst fordern, sind nicht zu rechtfertigen. Angesichts des mittlerweile endemischen Konfliktes zwischen den Bevölkerungsgruppen im Kosovo und des Fehlens konsensfähiger politischer Lösungskonzeptionen ist das einzige Mittel zur Wiederherstellung grundlegender Rechtsnormen vorerst die Stationierung einer bewaffneten Ordnungsmacht. Diese müßte sich zwar auf die militärischen Kapazitäten der NATO stützen, aber mit einem UNO-Mandat versehen sein. Politisch dauerhafte Löungen werden schwierig sein. Aber es wäre langfristig sicherlich konstruktiver, wenn die unmittelbare Befriedung nicht den leichten Weg einer Trennung der ethnischen Gruppen einschlagen, sondern von vornherein ein von Rechtsnormen geleitetes Zusammenleben durchsetzen würde. All das wäre jedoch nur der erste Schritt. Die Gründe für die Virulenz des ethnischen Konfliktes liegen in der extremen Armut und wirtschaftlichen Isolierung der gesamten Region. Der Westen ist gefordert, mit Wiederaufbauhilfe nicht nur die Kriegsschäden zu beheben, sondern einen zügigen wirtschaftlichen Entwicklungsprozeß einzuleiten und langfristig zu unterstützen. Unter anderem muß er seine eigenen Märkte für die künftigen Exporte der Region öffnen. Der Kosovokonflikt deckt im übrigen die grundlegenden Schwächen gegenwärtiger Friedenspolitik auf. Die Weltgemeinschaft hat angesichts der fortschreitenden Globalisierung ein starkes Interesse daran, daß lokale Konflikte nicht eskalieren und daß grundlegende Rechtsnormen weltweit eingehalten werden. Aber sie setzt sich zu unentschlossen hierfür ein und sieht Eskalationsprozessen im Vorfeld zu lange tatenlos zu. Es ist noch nicht gelungen, den neuen Imperativ der Durchsetzung allgemeiner Rechtsstandards mit dem Prinzip der nationalen Souveränität in Einklang zu bringen. Gelingt die konstruktive Wende im Kosovo nicht - und vieles spricht dafür, daß es so kommt - droht die ungelöste albanische Frage die gesamte Balkanregion dauerhaft zu destabilisieren. Noch schlimmer jedoch sind die Auswirkungen auf die Entwicklung Rußlands. Die schleichende Antagonisierung dieses Staates durch rücksichtslos-expansive westliche Machtpolitik - so die russische Perzeption - erreicht mit dem Jugoslawien-Einsatz der NATO eine neue Stufe. Rußland wird sich zunehmend bemüßigt sehen, ein militärisches Gegengewicht zur NATO-Macht zu schaffen. Die desolate Wirtschaftslage aber zwingt jede russische Aufrüstung zur Konzentration auf das nukleare Gefechtspotential. Mehr kann sich das Land nicht leisten. Potentielle Konflikteskalationen werden damit zur tödlichen Gefahr für Europa.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition julia gudelius | Juni 1999