Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 3/2001

 

Reinhard Palm[1]

Race to the Bottom oder Race to the Top?
Sozialsiegel und Verhaltenskodizes als Mittel zur sozialen Gestaltung der Globalisierung

Das Beispiel Rugmark

Die Kinderarbeit im Teppichgürtel Indiens ist zurückgegangen, so Shahid Ashraf in dieser Ausgabe der IPG. Die lokal aktiven deutschen Nichtregierungsorganisationen (NRO) melden denselben Trend. Dieser Erfolg ist dem gemeinsamen Handeln von NRO, Unternehmen, der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der deutschen und indischen Regierung zu verdanken. Zentrales Element war das Sozialsiegel Rugmark.[2]

Zunächst hatten indische und deutsche NRO, insbesondere Brot für die Welt, Misereor und terre des hommes, Öffentlichkeit und Verbraucher auf die Missstände aufmerksam gemacht. Zusammen mit dem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderten Indo-German Export Promotion Project (IGEP) entwickelten sie das Rugmark-Siegel für Teppiche, die ohne Ausbeutung von Kindern gefertigt wurden. Bald nahmen Handelshäuser und Importeure Rugmark-gesiegelte Teppiche in ihr Sortiment auf. Als Reaktion gründeten die deutschen Teppichimporteure und Einzelhändler die Initiative ‘Care und Fair’, die zwar kein Sozialsiegel vergibt, sich aber im Rahmen einer nicht überwachten Selbstverpflichtung gegen Kinderarbeit engagiert.[3]  Auch indische Unternehmer unterstützen die Ausbildungs- und Rehabilitationsprogramme beider Initiativen. Inzwischen dürfte etwa die Hälfte der in Deutschland verkauften indischen Teppiche entweder durch Rugmark gesiegelt oder von Care & Fair-Mitgliedern importiert sein. Unter öffentlichem Druck verstärkte auch die indische Regierung ihr Engagement gegen illegale Kinderarbeit.

Ohne das Sozialsiegel Rugmark wäre der Erfolg nicht zustande gekommen: Nur das Siegel bot den Produzenten einen Anreiz zur Umstellung ihrer Produktion auf Arbeitsweisen ohne Kinderarbeit (Haas 1998). Können die Erfahrungen von Rugmark verallgemeinert werden? Können freiwillige, marktkonforme Instrumente wie Sozialsiegel oder Verhaltenskodizes von Unternehmen einen Beitrag zur Verbesserung sozialer Standards leisten?

Es wird viel über die negativen sozialen Auswirkungen der Globalisierung – die Internationalisierung von Produktion, Handel und Kommunikation – geschrieben. Die Globalisierung eröffnet aber auch neue Wege, soziale Standards weltweit zu verbessern. Globalisierung wird heute auch gestaltet und sozial reguliert, wobei neue Akteure, Politikforen und Instrumente an Bedeutung gewinnen: Die neuen Akteure sind Nichtregierungsorganisationen im Verbund mit Unternehmen, die Politikforen sind vielschichtige Aushandlungsprozesse, oft in der Form von „Politiknetzwerken“, die neuen Instrumente sind Sozialsiegel (Label) und Verhaltenskodizes für Unternehmen. Sozialsiegel (Sozial-Label) garantieren produktspezifisch, dass bei der Produktion eines Gutes bestimmte soziale Bedingungen eingehalten wurden (Beispiele sind Transfair, Rugmark, Flower Label Programm). Soziale Verhaltenskodizes von Unternehmen sind freiwillige Selbstverpflichtungen, in der Produktion bestimmte soziale und ökologische Richtlinien einzuhalten. Diese Kodizes sollen in Übereinstimmung mit internationalen Standards (etwa der ILO-Konventionen zu Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Vereinigungsfreiheit) formuliert sein und die Anwendung der Regeln (Verantwortlichkeit im Unternehmen, Gültigkeit gegenüber Lieferanten, Folgen bei Nichteinhaltung etc.) sowie die Modalitäten der Überwachung definieren.

Sozialsiegel und Verhaltenskodizes können wirksame Instrumente zur sozialen Steuerung der wirtschaftlichen Globalisierung sein. Ihr Potenzial ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Bei ihrer Ausweitung kommt staatlichem Handeln, das sich allerdings nicht mehr im traditionellen ordnungspolitischen Rahmen bewegt, eine wichtige Rolle zu. 

Verbreitungsgrad und Qualität von Sozialsiegeln und Verhaltenskodizes sind unterschiedlich (Kapitel „Bestandsaufnahme und Entwicklungstendenzen). Ihre beobachtbaren sozialen Auswirkungen sind zum Teil sehr ermutigend, insgesamt aber (noch?) begrenzt (Kapitel „Soziale Auswirkungen von Siegeln und Kodizes“). Andererseits ist das Potenzial zur Steuerung durch Sozialsiegel und Verhaltenskodizes hoch (Kapitel „Sozialsiegel und Verhaltenskodizes statt Sozialklausel“), zumindest wenn Siegel und Verhaltenskodizes bestimmte Anforderungen erfüllen (Kapitel „Anforderungen an Siegel und Kodizes“). [4] In Zukunft wird es darauf ankommen, das Potenzial durch eine stärkere Vernetzung der Initiativen (Kapitel „Agenten des Wandels:...“) und durch die verbesserte Umsetzung der Anforderungen an Siegel und Kodizes (Implementierungsmechanismen, Konsumentenverhalten u.a.) besser zu nutzen (Kapitel „Handlungsfelder für Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat“).

Sozialsiegel und Verhaltenskodizes: Eine Bestandsaufnahme

Sozialsiegel: Fairer Handel in die Supermärkte

Mit der Einführung gesiegelten Kaffees (1990 durch Max Haavelaar in den Niederlanden und 1993 durch Transfair in Deutschland) wurde das Konzept des fairen Handels in die Supermärkte getragen. Das Volumen fairen Handels hat sich in den neunziger Jahren etwa verfünffacht. [5]  Sozialsiegel sind inzwischen in den meisten OECD-Ländern eingeführt. Die internationale Dachorganisation FLO (Fair Trade Labelling Organizations International) hat 17 nationale Mitgliedsorganisationen (14 europäische Länder, Kanada, Japan und die USA). Deutsches Mitglied ist Transfair Deutschland.[6] Zur Zeit werden Kaffee, Tee, Kakao, Honig, Zucker, Orangensaft und Bananen gesiegelt. FLO/Transfair siegelt also im wesentlichen „Kolonialwaren“ bzw. Agrarprodukte (inklusive weiter verarbeiteter Produkte). Dabei schwanken die Marktanteile zwischen einem Prozent für Kaffee in Deutschland und etwa 15 Prozent für Bananen in der Schweiz. Der Einzelhandelsumsatz gesiegelter Produkte wird auf 500 Millionen DM geschätzt, davon entfallen 130 Millionen DM (ohne Rugmark) auf Deutschland (Piepel 2000).

Neben Transfair/FLO gibt es weitere Sozialsiegel: Unter dem erwähnten Rugmark-Siegel wurden inzwischen über 2 Millionen Teppiche importiert, der jährliche Umsatz liegt bei 120 Millionen DM. Der Marktanteil in Deutschland liegt bei 16 Prozent der indischen Teppichimporte. Das Flower Label Programm (FLP) ist ein soziales und ökologisches Siegel, das von der Menschenrechtsorganisation FIAN (Food First International Action Network) in Zusammenarbeit mit dem Verband des Deutschen Blumen-Groß- und Importhandels e.V. (BGI) und einigen Gewerkschaften gegründet wurde. Die gesiegelten Blumen sind in mittlerweile über 700 Läden erhältlich.[7] Zudem enthalten einige wenige Ökosiegel auch soziale Standards (Textilzeichen Naturtextil), und ihre Einführung etwa im Biolandbau wird zur Zeit diskutiert.

In den letzten Jahren ist der Umsatz von Produkten mit Sozialsiegeln allerdings in eine Krise geraten.[8] Vor allem stockt es bei der Ausweitung des fairen Handels: Die bislang  sozial gesiegelten Produkte sind in erster Linie einfache Rohstoffe aus dem Süden für den Norden. Da die Weiterverarbeitung der Rohstoffe vor allem in den Industrieländern stattfindet, bietet die soziale Kontrolle der Produktionskette im Süden keine besonderen Schwierigkeiten.[9] Wenn der Umfang des fairen Handels aber steigen soll, muss ihm auch die Industrieproduktion geöffnet werden. Hierbei werden die Sozialsiegel vom Stoffstrommanagement der Konzerne lernen und die soziale Gestaltung stärker über Produktionsstandards (wie heute schon bei Bananen und Tee) steuern müssen. Dies wird dazu führen, dass Sozialsiegel im Industriebereich stärker als in der Agrarproduktion auf Verhaltenskodizes aufbauen werden.

Verhaltenskodizes von Unternehmen: Selbstverpflichtung wozu?

In der Vergangenheit sind alle Ansätze der Vereinten Nationen, das Verhalten transnationaler Unternehmen an bestimmte Regeln zu binden, gescheitert. In den letzten Jahren dagegen haben sich viele einzelne Unternehmen freiwillig Verhaltenskodizes unterworfen. Auch wurden zunehmend firmenübergreifende Ansätze umgesetzt. Dabei gibt es zwischen firmeneigenen und unternehmensübergreifenden Ansätzen erhebliche Unterschiede.

Die OECD hat in einer noch nicht veröffentlichten Untersuchung ermittelt, dass sich von den 100 größten transnationalen Unternehmen fast alle in den Bereichen Umwelt- und Arbeits-/Gesundheitsschutz und etwa vier Fünftel im Bereich der Arbeitsbeziehungen einem Verhaltenskodex oder vergleichbaren Unternehmensleitlinien unterworfen haben. Allerdings werden bei nur einem Viertel der untersuchten Unternehmen alle Kernarbeitsnormen[10] abgedeckt. Nur ca. 15 Prozent unterwerfen sich explizit externen Standards, und ebenso niedrig ist der Anteil derjenigen, die ihre sozialen Verpflichtungen dokumentieren (social reporting). Etwa die Hälfte der Unternehmen hat arbeitsrechtliche Richtlinien auch für die Zulieferer erlassen, von denen wiederum nur die Hälfte verpflichtenden Charakter haben. Andere Analysen zeigen, dass zwar in 75 Prozent der Verhaltenskodizes Arbeits- und Gesundheitsschutz und in 45 Prozent Kinderarbeit, aber in nur 15 Prozent Koalitionsfreiheit erwähnt werden (ILO 1998 und OECD 1999). Zudem ist fraglich, ob diese Kodizes in ihrer Mehrheit mehr als unverbindliche Absichtserklärungen sind: Nur drei Prozent der firmeneigenen Kodizes sehen ein externes Monitoring vor.

Bei der Betrachtung der unternehmensübergreifenden Verhaltenskodizes ergibt sich ein anderes Bild (vgl. u.a. Wick 2001). Diese Kodizes gelten nicht nur für mehrere Unternehmen, sondern sehen oft auch ein von den einzelnen Firmen unabhängiges Monitoring vor. Derartige Kodizes sind vor allem in den letzten Jahren – teilweise auf Druck von NRO und Gewerkschaften – entstanden.[11] Sie führen meist alle Kernarbeitsnormen auf, mit Verweis auf die internationalen Regelwerke. Zudem enthalten sie Bestimmungen zu Arbeitsschutz, Arbeitszeiten und existenzsichernden Löhnen. Unterschiede zwischen den Kodizes finden sich bei der Implementierung (zum Beispiel ihre Verbindlichkeit für Zulieferer) und bei den Monitoringverfahren: Letztere reichen vom üblichen Einsatz von Wirtschaftsprüfern bis hin zu mehrstufigen Überprüfungsverfahren, an denen Gewerkschaften und NRO beteiligt sind. Allerdings sind Implementierung und Monitoring auch in diesen Fällen oft nicht ausreichend.

Soziale Auswirkungen

Sozialsiegel und Fairer Handel: Besserstellung der Produzenten

Bislang sind zu den Auswirkungen von Sozialsiegeln nur wenig empirische Studien erschienen. Es gibt jedoch Studien zu den Auswirkungen des Fairen Handels generell, die sich auf gesiegelte wie nicht gesiegelte Produkte beziehen.[12] Die genauesten Aussagen liegen für die bislang nicht gesiegelten Produkte des Kunsthandwerks vor (Hopkins 2000, siehe umfassend für die Wirkungen des Fairen Handels Misereor et al. 2000). Hier konnten die Produzenten im Schnitt ein um zehn Prozent höheres Einkommen erzielen, als mit anderen Aktivitäten zu erwirtschaften gewesen wäre. Bei 40 Prozent der Produzentengruppen betrug die Einkommenssteigerung 45 Prozent, bei manchen bis zu 200 Prozent. Der Faire Handel ist oft das einzige monetäre Einkommen, das die vornehmlich in der Subsistenzlandwirtschaft tätigen Produzenten beziehen. Aufgrund der langfristigen Verträge und der Vorabzahlungen fließt das Einkommen kontinuierlicher als im konventionellen Handel. Die Effekte fairen Handels reichen aber weiter: 90 Prozent der Handwerker erwarben neue Produktionsmittel, Ausbildung und Erziehung der Kinder wurden verbessert. In der Selbstorganisation der Produzentengruppen wurden bedeutende Fortschritte erzielt. Die Position der Frauen verbesserte sich allerdings nur zum Teil. Kritisch ist auch, dass die Produzentengruppen durchschnittlich zu 75 Prozent vom Fairen Handel abhängen und nur vier Prozent ihrer Verkäufe auf den konventionellen Exportmarkt gehen. Diese Abhängigkeit ist allerdings bei sozial gesiegelten Lebensmitteln wie Tee oder Kaffee in der Regel geringer.

Nichtmonetäre Aspekte wie Organisationsentwicklung und Beratung sind oft wichtiger als höhere Einkommen. Um diese Aspekte hatten sich die Sozialsiegel aufgrund der hohen Kosten zunächst weniger gekümmert. Allerdings versuchen FLO/Transfair nun mit lokaler Beratung, der regionalen Organisierung der Produzenten und der Vereinbarung von Entwicklungsplänen die entwicklungspolitische Komponente von Sozialsiegeln zu stärken.

Auch wenn seine Wirkung insgesamt nur schwer abzuschätzen ist, ist der Faire Handel heute in Deutschland sicherlich die breiteste entwicklungspolitische Bewegung. Ohne ihn wäre auch die Diskussion um das Verhalten transnationaler Konzerne weniger weit gediehen. Insofern hat der Faire Handel auch Anteil an  der Verbreitung von Verhaltenskodizes.

Verhaltenskodizes: Bessere Arbeits- und Sozialstandards?

Bislang liegen keine systematischen Analysen der Wirkung von Unternehmens-Verhaltenskodizes auf die Beschäftigten, ihre Familien und das Umfeld vor. Einzelfallbeschreibungen belegen, dass Unternehmen in vielen Fällen ihre eigenen Richtlinien nicht einhalten (Ascoly et al. 2001). Allein die Verabschiedung von Verhaltenskodizes und die Androhung von Sanktionen bewirken jedenfalls wenig. Notwendig wären ein systematisches Monitoring und die Vereinbarung (und Kontrolle) von auf individuelle Produktionsstätten abgestimmten “corrective action plans“. Die sozialen Verhaltenskodizes müssten in die gesamte Geschäftspolitik der Unternehmen integriert werden; beim Monitoring wären externe Organisationen einzusetzen, um Interessenskonflikte innerhalb des Unternehmens zu vermeiden und die Glaubwürdigkeit der Überwachung zu demonstrieren.

Sind diese Voraussetzungen gegeben, so können Verhaltenskodizes - das zeigen erste Erfahrungen[13] - sehr wirksame Instrumente zur Verbesserung von Arbeits- und Sozialstandards sein.[14] Verhaltenskodizes sind zudem ein kostengünstiges Instrument, da mit relativ begrenzten Mitteln starke Wirkungen erzielt werden. Dabei machen die Unternehmen oft die Erfahrung, dass sich höhere soziale Standards auch für sie rechnen. Positive Folgen sind unter anderem Produktivitätssteigerungen und Marketingeffekte.[15] Diese „win-win-Optionen“ bieten interessante Perspektiven für die Unternehmensförderung in der Entwicklungszusammenarbeit.

Sozialsiegel und Verhaltenskodizes: Ein angemesseneres Instrument als Sozialklauseln

Sozialsiegel und Verhaltenskodizes können die negativen Auswirkungen der Globalisierung - präziser der Internationalisierung der Produktion – begrenzen helfen. Beide Instrumente sind in einem politischen Kontext, in dem der Einsatz von Sanktionsinstrumenten, oft als „Sozialklauseln“ bezeichnet, gefordert wird – ebenfalls, um die negativen Folgen der Globalisierung in Grenzen zu halten – von besonderem Interesse.

Siegel und Kodizes für ein “race to the top“

In der Theorie ist alles klar: Die Öffnung der Märkte wird zu einer effizienteren internationalen Arbeitsteilung und zu globalen Wohlfahrtsgewinnen führen. Die Preise der Produktionsfaktoren und die Lohnniveaus gleichen einander an; dies bedeutet für die Arbeiter im Süden höhere Löhne und Einkommen. Tatsächlich haben empirische Studien gezeigt, dass eine offene Handelspolitik nicht nur generell die Wohlfahrt erhöht, sondern auch die Armen hiervon überproportional profitieren (Dollar et al. 2000; WTO 2000). In der Regel ist ein höheres Wohlstandsniveau auch mit höheren Sozialstandards verbunden.

Es ergibt sich aber ein weniger eindeutiges Bild, wenn man umgekehrt die Wirkungen von Sozialstandards auf Wachstum, Beschäftigung und andere wirtschaftliche Größen betrachtet. Hier muss klar zwischen den Kernarbeitsnormen (s. Fußnote 10) und Sozialstandards im weiteren Sinne unterschieden werden. Während höhere Kernarbeitsnormen mit den meisten wirtschaftlichen Parametern wie Wachstum, Beschäftigung und Auslandsinvestitionen positiv verbunden sind, können weiter reichende Sozialstandards (Arbeitszeiten, Löhne, Sozialversicherung) die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen (eine aktuelle Auswertung empirischer Ergebnisse zum Zusammenhang von Sozialstandards bzw. Kernarbeitsnormen und wirtschaftlicher Entwicklung siehe Windfuhr 2001).

Obwohl die Theorie und einige empirische Studien einen positiven Zusammenhang zwischen der Internationalisierung der Produktion und Sozialstandards anzeigen, gibt es zahlreiche Beispiele für Weltmarktproduktion mit massiver Verletzung von Sozialstandards und Menschenrechten. So haben einige asiatische Länder Exportzonen eingerichtet, in denen gezielt Kernarbeitsnormen wie die Gewerkschaftsfreiheit außer Kraft gesetzt werden.

Theoretisch kann die internationale Mobilität des Kapitals – vor allem über ausländische Direktinvestitionen – zu einem „race to the bottom“ führen. Es könnte für Länder sinnvoll sein, zumindest vorübergehend die Sozialstandards zu drücken, um sich im Standortwettbewerb um Investitionen Vorteile zu verschaffen.[16] Denn – so die Hoffnung – die positiven Entwicklungseffekte des angezogenen Kapitals werden zumindest langfristig die Auswirkungen niedrigerer Sozialstandards mehr als kompensieren. Wenn viele Länder diese Strategie verfolgen, werden die Standards weltweit sinken. Das einzelne Land wird dann keine Vorteile mehr aus niedrigeren Standards ziehen können; deren Nachteile freilich bleiben bestehen.[17] Die Konkurrenz um ausländische Investoren kann aber auch zu höheren Sozialstandards führen. So haben die Regierungen Bangladeschs und Indiens wegen des drohenden Rückzugs ausländischer Investoren ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der Kinderarbeit verstärkt. Auch die chinesische Regierung hat den Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte vor allem aufgrund der Befürchtung unterzeichnet, Investoren könnten sich – dem Beispiel der Firma Levis folgend – wegen der Menschenrechtslage aus China zurückziehen.

Sozialsiegel und Verhaltenskodizes für multinationale Unternehmen können anstelle eines „race to the bottom“ ein „race to the top“ starten. Wenn zum Beispiel der Verhaltenskodex eines europäischen Handelshauses von seinen ausländischen Tochterunternehmen und Lieferanten die Einhaltung von Sozialstandards fordert, müssen die Töchter und Zulieferer an Standorten produzieren, an denen diese Standards eingehalten werden. Damit wäre den transnationalen Konzernen der Anreiz zu Produktionsverlagerungen genommen, die der Umgehung von Sozialstandards (zum Beispiel in Exportzonen) dienen. Eine solche freiwillige Regulation wäre nicht nur für die Entwicklungsländer positiv, sondern hätte eine globale Dimension: Der Druck zur Senkung von Sozialstandards weltweit würde sinken.

Siegel und Kodizes gegen „Sozialdumping

Siegel und Verhaltenskodizes sind auch deswegen bedeutsam, weil sich andere handelspolitische Instrumente wie die Sozialklauseln als entweder kontraproduktiv oder schwierig anwendbar herausgestellt haben. Handelspolitische Instrumente lassen sich dahingehend  unterscheiden, ob sie den Handel eines ganzen Landes beeinflussen (länderbezogene Instrumente) oder auf einzelne Produkte bzw. Produzenten abzielen (produktbezogene Instrumente). So argumentiert Kuschnereit in diesem Heft, Sozialklauseln seien zur Bekämpfung der Kinderarbeit unter anderem deshalb ungeeignet, weil sie in der Regel länderbezogen sind. Sie sind außerdem kaum zu implementieren und verstoßen gegen Grundnormen des internationalen Handels (Nichtdiskriminierung gleicher Produkte). Produktbezogene Sanktionen oder Anreize wie ein Sozialsiegel dagegen können wirksam sein, da sie zielgerecht an den konkreten Produktionsbedingungen in bestimmten Unternehmen ansetzen.

Die Sozialklausel als handelspolitische Sanktion richtet sich gegen ganze Länder. Es ist aber kaum begründbar, warum ganze Länder „Sozialdumping“ begehen sollten. Dumping bezieht sich der internationalen Definition zufolge auf Waren, die unterhalb ihres “normalen“ Werts auf dem Markt eines anderen Landes verkauft werden (vergleiche GATT Artikel VI). Sozialdumping wäre entsprechend der Versuch eines Landes, die Märkte anderer Länder mit „unnormal“ niedrigen Sozialstandards zu erobern.

„Sozialdumping“ – wie Dumping überhaupt – hat für ein ganzes Land keinen Sinn, da der Export unter Wert (also unter den Herstellungskosten) dem Exporteur Verlust bringen würde. Dumping eines Landes wäre nur als Mittel einer strategischen Handelspolitik sinnvoll, um Konkurrenten aus dem Markt zu drängen und auf Dauer Marktanteile zu sichern. Dies ist aber bei den für Entwicklungsländer relevanten Märkten nicht möglich.[18] (Sozial-)Dumping entsteht also nicht als Strategie ganzer Länder, sondern einzelner Produzenten in einem (Entwicklungs-)Land. So können einzelne Produzenten (zum Beispiel in Exportförderzonen) die sozialen Standards in ihrer Produktion drücken, um ihren Marktanteil zu Lasten anderer Produzenten und auf Kosten der Bevölkerung zu erhöhen. Dies wäre der Fall, wenn Produzenten ihre Kosten durch Kinderarbeit drücken – und damit die Entwicklungschancen der Kinder wie der ganzen Gesellschaft beeinträchtigten.

Entwicklungspolitisch sinnvolle Maßnahmen gegen „Sozialdumping“ müssen also produktbezogen sein und dürfen kein ganzes Land seiner Exportchancen berauben. Im Gegensatz zu den traditionellen Antidumpingmaßnahmen im GATT/WTO sollten sie Produzenten, die unter „normalen“ Standards bzw. zu normalen Kosten produzieren, nicht treffen und den Export der Produzenten mit hohen Standards fördern. Siegel und Kodizes erfüllen prinzipiell diese Anforderungen: Sie setzen zielgerecht an den sozialen Standards bestimmter Produkte oder Produzenten im Herstellerland an. Sie stimulieren den Export der Produzenten, die besonders hohe Standards einhalten, und sanktionieren Firmen, die gegen die Standards verstoßen (Ausschluss als Zulieferer). Insofern sollten die Unternehmen – bei richtiger Konstruktion des Siegels bzw. des Kodex – schon aus Gewinninteresse von „Sozialdumping“ Abstand nehmen.

Anforderungen: Verbraucherinformation und Anreize zur Produktionsumstellung

Siegel und Kodizes müssen den Verbraucherinnen und Verbrauchern wirksam und glaubwürdig Informationen über die sozialen Bedingungen der Herstellung eines Produkts vermitteln. Andernfalls läge „Marktversagen“ vor, da die Verbraucher ihrer Präferenz für soziale Produkte nicht folgen könnten. Darüber hinaus müssen Siegel und Kodizes hohe Standards enthalten, um den Unternehmen einen Anreiz zum Umstieg auf sozialverträgliche Produktionsweisen zu geben.

Verbraucherinformation

Konsumenten kaufen Produkte, die ihren individuellen Präferenzen entsprechen. Über die Hälfte aller Menschen geben in Umfragen an, dass sie sozial oder ökologisch hergestellte Produkte nicht nur vorziehen, sondern auch bereit sind, mehr für sie zu zahlen. Warum setzt sich diese Präferenz aber nicht in höhere Nachfrage um?[19]

Die Verbraucher haben Informationsdefizite, und die Glaubwürdigkeit der verfügbaren Information kann unsicher sein (es herrscht „Informationsasymmetrie“). Wenn es keine glaubwürdigen Informationen über die soziale Qualität der Güter gibt, dann setzen sich meist minderwertige Waren durch (adverse Selektion), die billiger produziert wurden. Um das Informationsdefizit zu überwinden, müssen Siegel und Kodizes folgende Anforderungen erfüllen: [20]

-                      Sie müssen die gewünschten Informationen bereit stellen. Die gesiegelten Produkte müssen ohne Mehraufwand (Zeit für die Suche, Verbreitung im Einzelhandel) zu erwerben sein.

-                      Die Information darf selber nicht zu viel kosten, sonst würde die Bereitschaft, für sozial gefertigte Produkte einen höheren Preis zu zahlen, schon durch die Kosten der Informationsbereitstellung beeinträchtigt. Bei den Produzenten in den Entwicklungsländern würde dann nichts mehr ankommen.

-                      Die Informationsübermittlung muss glaubwürdig sein, um beim Kauf  Unsicherheit zu reduzieren.

Siegel und Verhaltenskodizes erfüllen diese Kriterien grundsätzlich. Dabei sind Siegel direkt auf das individuelle Produkt bezogen. Sie übermitteln den Verbraucherinnen und Verbrauchern direkter Information über die Eigenschaften des Produkts als dies ein Verhaltenskodex leisten könnte. Verhaltenskodizes wirken indirekt und nur dann, wenn der Verbraucher ein Produkt einem Produzenten mit einem Verhaltenskodex zuordnen kann.  Andererseits stellt sich ein Unternehmen mit einem Kodex dem gesellschaftlichen Urteil. Daher kann ein Verhaltenskodex mehr noch als ein Sozialsiegel zu öffentlichem Druck auf ein Unternehmen führen. Somit sind zwar die direkten Wirkungen bei Siegeln stärker als bei Kodizes, die indirekten, über öffentlichen Druck laufenden Wirkungen dagegen können bei Kodizes stärker sein.

Die verwirrende Vielzahl von Siegeln und Verhaltenskodizes schränkt allerdings die Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher ein. Im Interesse des Verbraucherschutzes müsste eine Harmonisierung vorgenommen werden. Darüber hinaus muss die Glaubwürdigkeit gesichert werden. Hierbei kann die Einbindung zivilgesellschaftlicher Gruppen (wie amnesty international, Misereor und Brot für die Welt) oder auch des Staates ein geeignetes Mittel sein.

Anreize zur Produktionsumstellung

Welche Anreize entstehen auf den Märkten, wenn ein Siegel oder ein Verhaltenskodex eingeführt wird? Wann wird es tatsächlich zu einer Verhaltensänderung der Unternehmen kommen? Ich möchte im Folgenden die Wirkungsmechanismen von Siegeln an einem einfachen Marktmodell erläutern. [21]

Bevor ein Siegel oder ein Kodex eingeführt wird, gibt es nur einen homogenen Markt für ein Produkt, bei dem der Käufer nicht differenzieren kann, ob es unter hohen oder niedrigen sozialen Standards produziert wurde. Selbst wenn er bereit ist, für eine sozial produzierte Ware mehr zu bezahlen, kann er diese Bereitschaft nicht umsetzen. Erst mit der Einführung eines Sozialsiegels (das Folgende gilt indirekt auch für einen Verhaltenskodex, wenn er mit einem Produkt in Verbindung gebracht werden kann) werden die verborgenen sozialen Produktqualitäten sichtbar. Wenn ein Siegel mit hohen Kriterien eingeführt wird, kann die Käuferin ihre höhere „soziale Zahlungsbereitschaft“ am Markt umsetzen, das heißt sich bewusst für eine teureres „ethisches“ Produkt entscheiden. Damit spaltet sich der Markt in ein “ethisches“ und in ein konventionelles Segment. Infolge der höheren Zahlungsbereitschaft für soziale Produkte werden deren Preise tendenziell steigen. Der hohe Preis ist auch für konventionelle Unternehmen ein Anreiz, auf die ethische Produktion umzusteigen und die Sozialstandards anzuheben. Und dies ist gewünscht: Die Marktdifferenzierung führt zu einer sozialeren Produktionsweise. Mittelfristig können die Preise gesiegelter Produkte infolge höherer Skalenerträge (sinkender Preis bei steigender Menge) auch wieder fallen und zusätzlich Nachfrage anziehen.

In bestimmten Konstellationen können Siegel und Kodizes auch negative Wirkungen auf die sozialen Entwicklungen im Süden ausüben. So kann es zu Verdrängungseffekten kommen: Werden zum Beispiel Kinder durch erwachsene Arbeitskräfte ersetzt, kann dies zu einem Abwandern der Kinder in noch gefährlichere bzw. schlechter bezahlte Beschäftigungen führen, so lange keine Alternativen (kostenlose Schulen und Unterkunft) geboten werden können. Daher ist es gerade bei der Kinderarbeit wichtig, dass sie nicht einfach verboten wird, sondern dass Alternativen geschaffen werden und/oder den Kindern der Zugang zum Bildungswesen geöffnet wird.[22] Es sollte auch bedacht werden, dass Entwicklungsländer Siegeln oft kritisch gegenüber stehen und deren Missbrauch zu protektionistischen Zwecken fürchten. Dies wäre der Fall, wenn die Standards so definiert sind, dass sie nur von Produkten aus Industrieländern erfüllt werden können. Meines Wissens existieren aber solche Sozialsiegel bislang nicht.

Agenten des Wandels: Politiknetzwerke gegen das globale Koordinationsdefizit

Die bisherigen Ausführungen haben eine gewisse Diskrepanz zwischen dem theoretisch nachweisbaren Wirkungspotenzial von Siegeln und Verhaltenskodizes (Kapitel 3) und den empirisch nur begrenzt nachweisbaren sozialen Auswirkungen (Kapitel 1 und 2) deutlich gemacht. Diese Diskrepanz ergibt sich unter anderem daraus, dass die in Kapitel 4 genannten Anforderungen an Siegel und Kodizes nicht erfüllt werden. Im Folgenden wird unter dem Titel „Politiknetzwerke“ ein Ansatz vorgeschlagen, Siegel und Kodizes politisch durchzusetzen und praktisch zu implementieren.

Funktionsweise von Politiknetzwerken

Üblicherweise ist der Markt Koordinierungsmechanismus für wirtschaftliches Handeln. Wenn aber der Markt versagt, so dass sich die möglichen positiven Wirkungen der Internationalisierung nicht durchsetzen können („Race to the top“) oder negative Wirkungen erzeugt werden („Sozialdumping“), wird die Regulierung der internationalen Produktion notwendig.

Sozialsiegel und Verhaltenskodizes sind ein Koordinationsmechanismus zwischen Produzenten, Konsumenten und Staat, um Markt- und Politikversagen zu überwinden. Glaubwürdige und effiziente Information, Harmonisierung, angemessene Standards, Einbeziehung und Unterstützung des Südens – all dies ist nicht nur schwer umzusetzen, sondern auch in dem Sinne komplex, dass mehrere Akteure mit aufeinander abgestimmten und gegenseitig akzeptierten Vorgehensweisen agieren müssen. Insbesondere die Harmonisierung, Information und Überwachung müssen gesellschaftlich verankert sein, wenn Siegel und Kodizes von den letztlich entscheidenden Verbraucherinnen und Verbrauchern akzeptiert werden sollen.

Politiknetzwerke stimmen komplexe Handlungsansätze unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen aufeinander ab. Als freiwilliger Zusammenschluss „autonomer“ Akteure sind sie relativ hierarchiefrei. Sie überleben nur, wenn der Dialog- und Handlungsrahmen des Netzwerks allen Mitgliedern Vorteile bringt, die größer sind als ihre Kosten (Reinicke et al. 2000). Netzwerke haben vor allem die Funktion, den Informationsfluss zwischen den Akteuren zu optimieren und eine Koordination der Handlungen herbeizuführen, so dass ein gemeinsames Ziel möglichst effektiv und effizient erreicht wird. Konkret können Politiknetzwerke auf nationaler oder internationaler Ebene wirken, um Normen zum Beispiel für den internationalen Kaffeehandel oder die Sportbekleidungsindustrie zu diskutieren und diese mittels Sozialsiegel und Verhaltenskodizes umzusetzen.

Es ist erstaunlich, dass in Deutschland bislang keine wirksamen Politiknetzwerke für Sozialsiegel oder Verhaltenskodizes existieren. Erste Ansätze zeichnen sich allerdings bereits ab. So wurde von NRO, Gewerkschaften und Unternehmen unter aktiver Beteiligung des BMZ und anderer Ressorts ein „Runder Tisch Verhaltenskodizes“ gegründet, der best practices zur Implementierung und zum Monitoring von Verhaltenskodizes entwickeln will. Im Fairen Handel haben sich in den letzten Monaten Akteursbündnisse zur Vorbereitung der Fairen Woche (www.faire-woche.de) gegründet, die – wenn sie um weitere gesellschaftliche Gruppen und Wirtschaft erweitert würden – den Kern eines Politiknetzwerkes für Sozialsiegel bilden könnten.

Der Staat in Politiknetzwerken

Traditionell korrigiert im Falle von Marktversagen der Staat die Marktergebnisse und sorgt auf diese Weise für gesellschaftliche Kohärenz. [23] Im internationalen Kontext jedoch ist staatliches Handeln, das auf die Realisierung sozialer Normen zielt, schwach. Zwar sind internationale Standards gesetzt worden: die Menschenrechtspakte und die Konventionen der ILO, insbesondere die Erklärung zu den „Grundlegenden Prinzipien und Rechten bei der Arbeit“ von 1998. Aber die globale Durchsetzung dieser Konventionen ist unzureichend, da die entsprechenden Instrumente im Norden entwickelt werden, die Probleme aber im Süden liegen (Zuständigkeitsdefizit), die Partizipation des Südens bei der Durchsetzung der Normen nicht gewährleistet ist (Partizipationsdefizit), und die Anreize zur Einhaltung der Normen bei Wirtschaftsunternehmen schwach sind (Anreizdefizit). Daher sind neue Formen der global governance notwendig, bei denen Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft in Politiknetzwerken zusammenarbeiten, um die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen der globalen Marktwirtschaft zu schaffen und die Bereitstellung globaler öffentlichen Güter zu gewährleisten (siehe Kaul et al. 1999, kritisch hierzu Brand et al. 2000). Diese Koordinierungsmechanismen sind nicht nur vorübergehender Ersatz für einen international noch schwachen Staat. Vielmehr verhalten sich Politiknetzwerke und traditionelles staatliches Handeln komplementär zueinander. Daher werden auch die Instrumente der Netzwerke bzw. der nichtstaatlichen/halbstaatlichen global governance – zum Beispiel Siegel oder Kodizes – dauerhaft eine wichtige Rolle spielen.[24]

Auch wenn alle Beteiligten mit Siegeln und Verhaltenskodizes soziale Standards fördern wollen, sind doch ihre Interessen und Motivationen unterschiedlich, wenn nicht entgegengesetzt. Die Rolle des Staates liegt hier in der Moderation zwischen unterschiedlichen Interessen, etwa bei der konkreten Definition der Ziele (zum Beispiel Aussagen zu Löhnen) und der Art und Weise ihrer Durchsetzung (zum Beispiel die Frage des externen Monitoring). Auch entstehen selbst sinnvolle und funktionsfähige Netzwerke nicht von allein: Bei mehreren Initiativen zu Sozialsiegeln und Verhaltenskodizes war die staatliche Unterstützung (finanziell und politisch) unentbehrlich, und viele wurden ( wie die ETI, siehe Fußnote 13) vom Staat initiiert.

Private Netzwerke zwischen Unternehmen und NRO sind von niemandem gewählt; ihr Erfolg hängt im Wesentlichen von den Ressourcen der Unternehmen und der NRO ab, auch wenn sich letztere durch öffentliche Unterstützung legitimieren können und müssen. Der Staat kann jedoch auf seine demokratische Legitimation durch die Mehrheit der Wähler verweisen, die der begrenzten Legitimität von NRO oder Unternehmen überlegen ist. Allerdings repräsentiert ein Nationalstaat immer nur seine eigenen Bürger. Da es bei Sozialsiegeln und Verhaltenskodizes aber um die Beseitigung globaler Zuständigkeits-, Anreiz- und Partizipationsdefizite geht, müssen internationale Prozesse eingeleitet werden, an denen sich die Industrie- und die Entwicklungsländer beteiligen. Die Regierungen der Industrieländer sollten nicht nur Advokaten für die Interessen der Entwicklungsländer sein, sondern auch deren Teilnahme an Netzwerken ermöglichen. Politiknetzwerke entlassen also den Staat nicht aus der Verantwortung für die globale Durchsetzung von Sozialstandards, im Gegenteil, die ihm gestellte Aufgabe wird anspruchsvoller.

Handlungsfelder für die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft und den Staat

Im Norden: Politiknetzwerke für Harmonisierung, Implementierung und Monitoring

Verbraucherinformationen müssen glaubwürdig und zuverlässig sein und dürfen die Verbraucher nicht überfordern. Die wachsende Zahl von Siegeln und Verhaltenskodizes verwirrt die Konsumenten, daher sollten Siegel und Kodizes harmonisiert werden. Als ersten Schritt können sich die Akteure in Netzwerken (wie dem erwähnten „Runden Tisch Verhaltenskodizes“) auf gemeinsame Inhalte und Verfahren für Implementierung und Monitoring einigen. Unternehmensübergreifende Monitoringverfahren würden die Glaubwürdigkeit der Verbraucherinformation stärken. Zusätzlich sollten alle Akteure gemeinsam Informationskampagnen wie Aktionswochen (wie die im Herbst geplante „Faire Woche“) und andere Aufklärungsmaßnahmen durchführen. Zudem wäre zu prüfen, inwieweit ethische Produkte von staatlicher Seite gefördert werden können. Mögliche Instrumente liegen hier in der Handelspolitik und der staatlichen Nachfrage zum Beispiel über Beschaffungsrichtlinien – auch wenn hier die Handlungsspielräume durch WTO und EU begrenzt sind.

Den Süden in den Politiknetzwerken stärken

Um den Protektionismusvorwurf zu entkräften, sollten erstens internationale Standards zur Bezugsgröße gemacht werden, die von den Entwicklungsländern selbst ratifiziert wurden (Kernarbeitsnormen und Menschenrechte, siehe Fußnote 10). Zweitens sollten Vertreterinnen und Vertreter der Produzenten und Arbeiter aus dem Süden in die Normbildung und Überwachung einbezogen werden.

Ein wesentliches Problem für Kodizes und Siegel liegt darin, dass bislang kaum lokale Kapazitäten für die Beratung der Unternehmen und Landwirte bei der Umstellung sowie für das Monitoring bzw. die Zertifizierung gibt. Der Aufbau geeigneter Organisationen und entsprechende Schulungen würden nicht nur die Wirksamkeit und die Akzeptanz der Kodizes und Siegel stärken, auch könnten die oft prohibitiv hohen Kosten für Beratung, Audits etc. drastisch gesenkt und auf diese Weise die Produktion unter einem Siegel oder Kodex erleichtert werden. Zudem sollten die Produzenten, insbesondere kleine und mittlere Produzenten, bei der Umstellung der Produktion unterstützt werden. Hier muss durch Beispiele und Beratung gezeigt werden, dass höhere Sozialstandards mit höherer Produktivität einhergehen können.

Stärkung der Arbeiter und Kleinproduzenten

In der laufenden Diskussion wird die zentrale Rolle von Genossenschaften bzw. Gewerkschaften bei der Umsetzung von Sozialsiegeln und Verhaltenskodizes bislang zu wenig beachtet. Gerade bei Verhaltenskodizes fehlt es an Strategien, die eigentlichen Nutznießer, die Arbeiterinnen und Arbeiter, deren Familien und andere Betroffene im Unternehmensumfeld (zum Beispiel bei von Verhaltenskodizes verbotenen Umweltverschmutzungen von Unternehmen) dabei zu unterstützen, ihren aus Verhaltenskodizes zu ziehenden Nutzen zu maximieren. Oft wissen die Beschäftigten oder Betroffenen gar nicht, ob Ihr Unternehmen einem Kodex folgt bzw. unter einem Siegel produziert. Wenn sie es wissen, sind ihnen ihre damit verbundenen Rechte oft nicht bekannt. Die Gewerkschaften im Norden standen den Kodizes und Siegeln zu lange kritisch gegenüber und haben es bis auf wenige Ausnahmen versäumt, ihre Kollegen im Süden bei deren Nutzung zu unterstützen. Auch den politischen Stiftungen kommt bei der entsprechenden Aufklärung und Ausbildung von Arbeitnehmervertretungen im Süden eine wichtige – und noch nicht ausreichend wahrgenommene – Rolle zu.

Ausblick

Globalisierung ist nicht nur eine Bedrohung. Vielmehr macht es erst die international integrierte Produktion und Verflechtung von Kultur und Kommunikation möglich, Solidarität zwischen Nord und Süd „mit dem Einkaufskorb“ zu üben. Erst mit der Globalisierung können NRO und Unternehmen Sozialsiegel und Verhaltenskodizes als Steuerungsinstrumente einsetzen (Sassen 2001). Die Steuerung der Globalisierung durch freiwillige, marktförmige Instrumente sollte nicht nur als Reaktion auf staatliche Regulationsdefizite im internationalen Raum verstanden werden, sondern als neue Chance für die Zivilgesellschaft.

Ob Siegel und Kodizes die soziale Lage der Menschen in Entwicklungsländer wirklich verbessern, hängt letztlich davon ab, ob die Konsumenten Mehrausgaben für soziale Produkte zu tragen und Druck auf transnationale Konzerne auszuüben bereit sind. Der Nachfragedruck reicht heute allenfalls aus, um die Konzerne zu kleinen und wenig kostenintensiven Produktionsänderungen zu zwingen. So wie bei den Sullivan Principles (siehe Fußnote 14) wird sich der ökonomische Druck dann verstärken, wenn sich Investmentfonds an Verhaltenskodizes orientieren. Mit dem Aufbau einer privaten Altersvorsorge wird auch die Relevanz ökonomischen Drucks seitens ethischer Investoren steigen. Man sollte aber auch anerkennen, dass zumindest bei den Vorreitern der multinationalen Konzerne ein gutes Stück eigene Überzeugung im Spiel ist, wenn sie kostenintensive Monitoringstrukturen aufbauen oder wenig rentable Produkte mit Sozialsiegeln in ihr Sortiment aufnehmen.

Alle Akteure müssen noch lernen, gemeinsam zu handeln. Wenn sie in Politiknetzwerken zusammenarbeiten wollen, müssen sie ihre unterschiedlichen Interessen kennen und wechselseitiges Vertrauen aufbauen. Der Staat bekommt neue Aufgaben der Netzwerksteuerung bzw. der global governance, die bislang meines Erachtens nur teilweise akzeptiert sind.

Für die Entwicklungspolitik haben die Aufgaben der Netzwerksteuerung auch zur Entwicklung neuer Instrumente geführt, die bisher weder in der eigenen Organisation noch im Budget vorgesehen waren. Es gibt erste Ansätze des BMZ, die über die Finanzierung des Aufbaus von Sozialsiegeln bzw. Pilotmaßnahmen für Verhaltenskodizes hinausgehen. So war das BMZ bei der Gestaltung und Umsetzung des Forstsiegels des Forest Stewardship Council aktiv, hat bei der World Commission on Dams mitgewirkt und zusammen mit anderen Gruppen den oben erwähnten „Runden Tisch Verhaltenskodizes“ gegründet. Eine interessante Perspektive kann sich aus den beiden jüngst verabschiedeten freiwilligen internationalen Richtlinien für das Verhalten von Unternehmen ergeben, dem Global Compact des UN-Generalsekretärs Kofi Annan und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen. Zwar sind diese nicht als Verhaltenskodizes für Unternehmen konzipiert worden und haben auch kein regelmäßiges Monitoring. Sie können aber als normative Basis für Verhaltenskodizes genutzt und durch ein Politiknetzwerk implementiert und überwacht werden.

 

Literaturliste:

·         Akerlof, G.A. (1970): “The Markets for ‚Lemons‘: Quality Uncertainty and the Market Mechanism”, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 84

·         Ascoly, Nina et al. (2001): Overview of Recent Developments on Monitoring and Verification in the Garment and Sportswear Industry in Europe, Amsterdam

·         Barcelo, J. (1993): “A History of GATT Unfair Trade Remedy Law – A Confusion of Purposes”, in: World Trade, Bd. 16

·         Basu, Chau, Grote (1999): Guaranteed Manufactured without Child Labour, Bonn

·         Bhagwati, J. (1995): Trade Liberalization and ‚Fair Trade‘ Demands: Adressing the Environmental and Labour Standards, Issues, New York

·         Boyden, J./ Myers, W. (1994): Exploring Alternative Approaches to Combating Child Labour: Case Studies from Developing Countries, Florenz

·         Brand, U. et al. (2000): Global Governance, Münster

·         Brühl, T. et al. (2001): Privatisierung der Weltpolitik, Bonn

·         Dollar, D. and Kraay, A. (2000): Growth is Good for the Poor, Washington

·         OECD (1999): “Codes of Corporate Conduct: An Inventory”, TD/TC/WP (98) 74/final

·         OECD (im Erscheinen): “Codes of Conduct: Exploring their Economic Significance”

·         Gravelle, R./Rees, R. (1994): Microeconomics, 2nd Edition, Essex

·         Haas, D. (1998): Mit Sozialklauseln gegen Kinderarbeit? Das Beispiel der indischen Teppichproduktion, Berlin

·         Hopkins, R. (2000): Impact Assessment Study of Oxfam Fair Trade

·         Illi, H. (2000): Soziale und ökologische Gütesiegel und Verhaltenskodizes – Handlungsoptionen staatlicher Förderung, DIE, Berlin

·         ILO 1998: “Overview of global developments and office activities concerning codes of conduct, social labelling and other private sector activities addressing labour issues”

·         Kaul, I. et al. (1999): Global Public Goods – International Cooperation in the 21st Century, New York

·         Krugman, P et al. (1994): International Economics, 3rd Edition, New York

·         Kulessa, M. (1995): „Handelspolitische Standards zum Wohle der ‚Dritten Welt‘?“ INEF-Report 12, Duisburg

·         Liubicic, Robert L. (1998): “Corporate Codes of Conduct and Product Labelling Schemes: The Limits and  Possibilities of Promoting International Labor Rights through Private Initiatives”, in: Law & Polica in International Business, Vol. 30

·         Mattoo, A./Singh, H. (1994): “Eco-Labelling: Policy-Considerations”, in: Kyklos, Vol 47.

·         Messner, D. (1995): Die Netzwerkgesellschaft, Köln

·         Messner, D. (1998): Architektur der Weltordnung - Strategien zur Lösung globaler Probleme

·         Misereor, Brot für die Welt, Friedrich-Ebert-Stiftung (2000): „Entwicklungspolitische Wirkungen des Fairen Handels“, Aachen

·         Palm, R. (1997): „Möglichkeiten und Grenzen des Fair Trade Labelling – Am Beispiel von Bekleidung aus Simbabwe“, (nicht verlegt, erhältlich beim Verfasser)

·         Piepel, K. (2000) „Sozialsiegel und Verhaltenskodizes – Eine Standortbestimmung“, Fair Trade Policy No.2, Aachen

·         Reinicke et. al (2000): Critical Choices: The United Nations, Networks and the Future of Global Governance, Ottawa

·         Sabel, Charles et al. (2000): “Ratcheting Labor Standards: Regulation for Continuous Improvement in the Global Workplace”, Social Protection Working Papers, Worldbank, Washington

·         Todd Sandler (1997): Global Challenges: An Approach to Environmental, Political, and Economic Problems

·         Sassen, S. (2001): „The Power of Soft Law“ – Rules and Ethics for a Globalized Economy“, Vortrag vor der Bundestags-Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ am 12.02.2001

·         Schuknecht, L. (1990): „Protectionism – an Intra-National Prisoners‘ Dilemma“, in: Außenwirtschaft, 45. Jg, Heft 1

·         Wick, I. (2001): Workers‘ tool or PR ploy? A guide to codes of international labour practice, Bonn, Siegburg

·         Wiemann, J. (1999): Impact of market-driven environmental standards on differentiating and upgrading exports of developing countries, Berlin

·         Windfuhr, M. (2001): Mindestsozialstandards und Beschäftigungsförderung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, DIE, Bonn

·         WTO (2000): Trade, Income Disparity and Poverty, Genf


[1] Der Autor ist Referent im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Referat Globalisierung, Handel und Investitionen. Der Artikel gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder. Ich danke Christian Calov, Michael Fiebig, Daniel Haas, Ulrike Hopp, Heike Paqué, Olaf Paulsen, Alfred Pfaller, Klaus Piepel und Jürgen Zattler für Hinweise und Anregungen.

[2] Rugmark ist ein Sozialsiegel, das den Einsatz illegaler Kinderarbeit bei der Produktion von Teppichen verbietet und dieses Verbot auch überwacht. Hierfür müssen die Exporteure 0,25 Prozent  des Exportwertes und die Importeure ein Prozent des Importwertes für Überwachung und Sozialmaßnahmen (Schulen und Rehabilitationszentren) bezahlen.

[3] Care und Fair ist kein Sozialsiegel, sondern eine freiwillige Selbstverpflichtung, sich gegen Kinderarbeit zu engagieren. Es finden keine Kontrollen statt, ob bei der Produktion Kinderarbeit eingesetzt wird. Die Mitglieder verpflichten sich, ein Prozent des Importwertes für soziale Maßnahmen zu spenden.

[4] Die ökonomischen Aspekte sind bei Palm 1997 vertieft. Der weniger theoretisch interessierte Leser möge die Kapitel 3 und 4 überspringen.

[5] Allerdings stiegen auch die Umsätze über andere Vermarktungswege wie Weltläden und Solidaritätsgruppen sowie der Großkundenabsatz (Kantinen) stark an. Diese sind beständiger als der Einzelhandelsabsatz.

[6] Einen guten Überblick über soziale und ökologische Siegel sowie den Fairen Handel in Deutschland bietet die mit Hilfe von BMZ/GTZ erstellte website http://www.eco-fair-trade-net.de des Fair Trade e.V. (gedruckt unter ‘Im Zeichen der Nachhaltigkeit’ erhältlich). Der faire Handel lässt sich in das Segment der Produkte mit Sozialsiegeln (Kaffee, Tee usw.) und in nicht-gesiegelte Waren unterteilen. Letztere sind meist wenig standardisierte Agrar- und Handwerksprodukte, die nach bestimmten Kriterien “fair“ gehandelt und insbesondere über die „Weltläden“ vertrieben werden.

[7] Liste der Blumenläden unter http://www.fian.de 

[8] So kann man die Krise als Konsolidierung nach Jahren schneller Expansion sehen. Zudem lässt möglicherweise die Bereitschaft nach, deutlich höhere Preise zu zahlen. Insbesondere ist aufgrund des extrem niedrigen Weltmarktpreises für Kaffee die Preisspanne zwischen fairem und konventionellem Kaffee im Moment besonders hoch.

[9] Ein nach Fair Trade-Kriterien hergestelltes Industrieprodukt (Bekleidung) wird in Kooperation mit der Katholischen Landjugendbewegung hergestellt und vertrieben (http://www.kljb.org).

[10] Die Kernarbeitsnormen werden in der Erklärung der ILO „Grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ und in der Konvention 182 zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit festgelegt. Sie beinhalten die Vereinigungsfreiheit und das Recht zu Tarifverhandlungen, das Verbot der Zwangsarbeit, das Verbot schlimmer Formen der Kinderarbeit und die Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz.

[11] Beispiele sind SA 8000 (http://www.cepaa.org) oder die Sozialcharta der Kampagne für Saubere Kleidung (www.cleanclothes.org)

[12] Zur Unterscheidung zwischen Fairem Handel im Allgemeinen und Sozialsiegel siehe Fußnote 6.

[13] Zum Beispiel durch die Ethical Trading Initiative (ETI). Sie ist – neben der Clean Clothes Campaign - der bemerkenswerteste Zusammenschluss von Unternehmen, NRO und Gewerkschaften, der über Pilotvorhaben versucht, „best practices“ bei der Implementierung und Überwachung von Verhaltenskodizes herauszufinden (http://www.eti.org.uk).

[14] Als Beispiel erfolgreicher Verhaltensrichtlinien können die Sullivan Principles gelten, zu denen sich bis 1982 147 Unterzeichner verpflichteten. Sie mussten bei ihren Aktivitäten in Südafrika die Rassendiskriminierung so weit wie möglich aufheben und Schwarze durch “affirmative action“ fördern. Der Kodex wurde von einer internationalen Prüfungsgesellschaft überwacht, die Ergebnisse wurden als “Sanktionierungsmechanismus“ publiziert. Im Ergebnis haben Hunderte von Unternehmen nichtdiskriminierende Methoden angewandt, 50 000 Schwarze wurden zusätzlich ausgebildet. Außerdem wurde die schwarze Gewerkschaftsbewegung gestärkt (Liubicic 1998). Die Anwendung der Sullivan Principles war für einige Investmentfons die Voraussetzung für ein Engagement.

[15] Vergleiche Weiser/Zadek: Conversations with Disbelievers (unter http://www.zadek.net ), siehe auch die homepage von Business for Social Responsibility (http://www.bsr.org ) und dem Kopenhagen-Center (http://www.copenhagencentre.org ).

[16] Diesen theoretischen Mechanismus begründet u.a. Bhagwati 1995, der allerdings die empirische Relevanz zurückweist.

[17] Dieses Modell entspricht der Theorie des Steuerwettbewerbs: Wenn Länder in einen ruinösen Wettbewerb um Steuersenkungen treten, ist eine Harmonisierung der Steuern auf ausreichend hohem Niveau notwendig. Entsprechend kann bei einem ruinösem Sozialstandardwettbewerb eine angemessene Harmonisierung der Sozialstandards notwendig sein.

[18] Dumping ist ökonomisch nur sinnvoll, wenn damit Marktanteile dauerhaft erobert und gesichert werden können und aus solchen Marktverzerrungen besonders hohe Gewinne in das Exportland transferiert werden können. Ein typischer Fall hierzu ist der von den Regierungen unterstützte Wettbewerb zwischen Boeing und Airbus. Bei typischen Exportprodukten von Entwicklungsländern (Bekleidung etc.) sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, da die Märkte nicht durch Markteintrittsbarrieren gesichert sind (vgl. Krugman 1994). Möglich ist aber Dumping als ein Mittel einzelner Produzenten, sich auf Kosten der Mehrheit Vorteile zu verschaffen. Zu solchen polit-ökonomischen bzw. spieltheoretischen Dumpingbegründungen vergleiche Schuknecht 1990.

[19] In Umfragen geben in der Regel zwischen 50 und 85 Prozent der Befragten an, mehr für Produkte bezahlen zu wollen, wenn sie umweltfreundlich und/oder sozial hergestellt wurden. 37 Prozent wollen bis zu 2,- DM mehr für fair gehandelten Kaffee ausgeben, der Marktanteil des Transfair gesiegelten Kaffees, der je nach Weltmarktsituation zwei bis vier DM mehr kostet, liegt in Deutschland jedoch nur bei einem Prozent (in der Schweiz und Niederlande bei ca. drei Prozent). Vermutlich zeigen die Umfragen zum Teil „sozial erwünschte“ Antworten, trotzdem kann dies die Differenz zwischen Präferenz und Kaufhandlung nicht vollständig erklären.

[20]Diese Anforderungen sind aus Überlegungen zur Informationsasymmetrie abgeleitet (Akerlof 1970 sowie Gravelle/Rees 1994).

[21] Die folgenden Ausführungen sind eine Übertragung der Ökosiegel-Analyse von Mattoo/Singh 1994 auf Sozialsiegel und Verhaltenskodizes. Siegel wirken direkt auf dem Markt, den sie für die Verbraucherinnen und Verbraucher sichtbar segmentieren. Der gleiche Effekt tritt auch bei Produkten aus Unternehmen mit einem Verhaltenskodex auf, wenn diese besondere Produkteigenschaft bekannt ist.

[22] Die theoretische Ableitung geben Basu, Chau, Grote 1999. Boyden, Myers (1994) zeigen in einer UNICEF-Studie, dass in Bangladesch 1993 die Angst vor Boykotten zu Massenentlassungen von Kinderarbeitern geführt hat, die in noch schlechtere Arbeitsverhältnisse abgedrängt wurden. Vgl. auch die Ausführungen bei Kuschnereit.

[23] Ökonomisch ist das Koordinierungsdefizit ein Marktversagen, das sich bei der Bereitstellung eines „öffentlichen Gutes“ - als welches soziale Standards verstanden werden können – ergibt. Da der Nutzen besserer sozialer Bedingungen allen zu Gute kommt (Nichtrivalität des Nutzens) und in der Regel niemand davon ausgeschlossen werden sollte (Nichtausschließbarkeit des Nutzens), handelt es sich um ein öffentliches Gut. Gäbe es staatliche Rahmenbedingungen, um dieses Marktversagen zu verhindern bzw. um soziale Mindeststandards durchzusetzen, wäre das öffentliche Gut auch öffentlich bereit gestellt. Die private Bereitstellung eines solchen öffentlichen Gutes stößt hingegen auf Grenzen. Sozialsiegel und Verhaltenskodizes können dieses Marktversagen korrigieren. Sie sind so gesehen Instrumente, die auf privater Basis das Gut „soziale Mindeststandards“ bereitstellen. Auch wenn der Nutzen hier universell ist (Nichtrivalität des Konsums), profitieren nur die Personen, die an dem Sozialsiegel oder Verhaltenskodex beteiligt sind (Ausschließbarkeit des Nutzens). Insofern sind Sozialsiegel ein Instrument zur Bereitstellung eines Clubguts bzw. eines Mautguts (vgl. Wiemann 1999).

[24] Eine gerade erschienene Studie setzt sich kritisch mit dem Wachsen nichtstaatlicher Regulation auseinander: Die Privatisierung der Weltpolitik (Brühl et al. 2001)


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