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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 2/1999

 

ANDREAS WITTKOWSKY

Der Nationalstaat als Rentenquelle
Determinanten der ukrainischen Politik

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Die wirtschaftliche Krise ist inzwischen die wichtigste Bedrohung der 1991 unabhängig gewordenen Ukraine. Der Machtkampf vor den ukrainischen Präsidentschaftswahlen im Oktober 1999 führt zu politischen Blockaden, die eine schnelle Lösung behindern. Obwohl eine detaillierte Prognose der mittelfristigen Entwicklung der Ukraine schwierig ist, lassen sich in der jüngeren Geschichte einige grundlegende Determinanten der ukrainischen Politik erkennen, die auch zukünftig prägend sein werden: (i) Der nationale Konsens der Ukraine beruhte auf einem fragilen 'historischen Kompromiß' zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren. Ihr Verhältnis zum Nationalstaat und ihre politischen Orientierungen werden bis heute von sehr unterschiedliche Erwartungen bestimmt, die einen Konsens über die Entwicklungsrichtung des Nationalstaats auch in Zukunft unwahrscheinlich machen. (ii) Die ukrainische Politik ist stark von wirtschaftlichen, oft kurzfristigen Interessen geprägt. Dabei steht im Vordergrund der Verteilungskampf um die Renten-abwerfenden Pfründe, die mit der Einflußnahme auf den ukrainischen Staat zu erwerben sind. Dieses "rent-seeking" hat in der Vergangenheit durchaus zur politischen Konsolidierung des Nationalstaats - ungeachtet aller brisant erscheinenden ethnischen Konfliktlinien - beigetragen. (iii) Die ukrainischen Akteure konzentrieren sich im wesentlichen auf interne Prozesse. Deshalb hat sich auch im Außenverhältnis, wo direkt nach der Unabhängigkeit noch stark ideologisch gefärbte Auseinandersetzungen über die Abgrenzung der Ukraine von Rußland dominierte, zunehmend pragmatisches Interessenhandeln durchgesetzt. Diese drei Determinanten werden die ukrainische Politik auch nach den Präsidentschaftswahlen prägen. Dabei dominieren inzwischen die negativen Aspekte des rent-seeking, da sie der wichtigste Blockadefaktor für Reformen sind. Letztere haben nur dann eine Chance, wenn sich im politischen Prozeß Gruppen durchsetzen, deren Eigeninteressen mit Transformationserfordernissen übereinstimmen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition juliag | April 1999