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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 2/1999

 

BIRGIT SAUER

Die Neustrukturierung der Geschlechterverhältnisse im entgrenzten Markt

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Unter der Bezeichnung "Globalisierung" wird ein politisches Transformationsprojekt durchgesetzt, das dem Markt als Regulierungsprinzip wesentlich breiteren Raum gewährt und dementsprechend den Raum des politisch Verhandelbaren einschränkt. Der Übergang vom "keynesianischen Wohlfahrtsstaat" zum "schumpeterianischen Leistungsstaat" wird in den gesellschaftlichen Diskursen, die sich mit ihm befassen, überwiegend als geschlechtsneutral konzipiert. Er hat jedoch fundamentale Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis. In Bezug auf Frauenemanzipation sind diese Auswirkungen ambivalent. In mehrerlei Hinsicht unterhöhlt der Vormarsch des Marktes unter neoliberalen Zeichen frauenpolitische Fortschritte, die im Kontext des "keynesianischen Wohlfahrtsstaates" erzielt wurden. Denn Markt ist nur scheinbar geschlechterneutral. Er bedarf nach wie vor des "Haushalts" als der gesellschaftlichen Einrichtung, die - auf der Basis unbezahlter Frauenarbeit und einer daraufhin konstruierten Geschlechteridentität - für die menschliche Reproduktion zuständig ist. Der moderne westliche Wohlfahrtsstaat hat die prinzipiell nicht infrage gestellte Zuweisung von Geschlechterrollen dadurch etwas durchlässiger für Frauenemanzipation gemacht, daß er der Haushaltssphäre einen umfassenden ökonomischen Schutz zukommen ließ, der für Frauen eine gewisse Unabhängigkeit von der traditionellen Reproduktionsarbeit erschloß. Vor diesem Hintergrund wurde auch arbeitsmarktbezogene Gleichstellungspolitik wirksam. Diese vom Wohlfahrtsstaat erschlossenen Freiräume verengen sich nun. Gleichzeitig führen die neuen Marktverhältnisse aber auch zu einer Erosion der ausreichend bezahlten Vollzeitarbeit. Das Familieneinkommen reicht in vielen Fällen nicht mehr aus, um traditionelle Reproduktionsarbeit ökonomisch abzusichern. Dies treibt Frauen verstärkt auf Arbeitsmärkte, die ihnen tendenziell die schlechtbezahlten Jobs zuweisen. Die Geschlechterhierarchie spiegelt sich heute nicht mehr in Zugang zum und Ausschluß vom (Karriere verheißenden) Arbeitsmarkt wider, sondern in der Konzentration der Frauen im unteren Arbeitsmarkt-Segment. Allerdings unterminiert die ökonomisch bedingte Erosion des familiengestützten Patriarchats auch das ihr zugrundeliegende männliche und weibliche Rollenverständnis. Damit eröffnet sich zumindest die Chance für eine umfassende geschlechter-demokratische Neudefinition von Männlichkeit und Weiblichkeit. Der politische Kampf gegen die ungleiche Geschlechterordnung muß sich verstärkt auf Arenen außerhalb des Nationalstaates konzentrieren. Es geht heute weniger darum, das Private als den Ort der Unterdrückung zu politisieren, als den öffentlichen Bereich, der im Zuge von Entstaatlichung zunehmend männlich-oligarchischer wird, zu redemokratisieren.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition juliag | April 1999