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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 2/1999

 

Vorläufige Fassung / Preliminary version

DIRK MESSNER (Hg.):

Die Zukunft des Staates und der Politik. Möglichkeiten und Grenzen politischer Steuerung in der Weltgesellschaft

Bonn 1998

Verlag J.H.W.Dietz Nachfolger, 348 S.

 

Als Folge zunehmender ökonomischer und kommunikationstechnologischer Globalisierung scheinen die Politik und die traditionell auf den Nationalstaat bezogene Demokratie an Gestaltungskraft zu verlieren. Von einer "Demokratie am Wendepunkt" ist die Rede, weshalb sich Politik- und Sozialwissenschaftler seit einigen Jahren verstärkt mit der Frage auseinandersetzen, wie das "Regieren im 21. Jahrhundert" aussehen könne.

Der vorliegende Sammelband mit dem etwas ambitiösen Titel "Die Zukunft des Staates und der Politik" setzt sich in drei Teilen mit den Auswirkungen von Globalisierung auf das Politische auseinander. Ausgangsüberlegung ist, daß die Globalisierung institutionell eingerahmt und gestaltet werden müsse, um eine "Entmachtung der Politik" zu verhindern. Auch wenn noch ungewiß ist, wie die "zukünftige Weltgesellschaft" aussieht, so werden in ihr mit Sicherheit neue Formen der Koordination und Kooperation eine wichtige Rolle spielen. Für den Leser ist es von Vorteil, daß die 13 Autoren aus unterschiedlichen Weltregionen nicht den Versuch unternehmen, die "Globalisierung" insgesamt zu deuten, sondern sich vergleichsweise konkret mit ihren Auswirkungen auseinandersetzen.

Der erste Teil beschäftigt sich unter theoretischen Gesichtspunkten mit Politik und Demokratie in einer "entgrenzten Welt". Herausgeber Dirk Messner weist eingangs darauf hin, daß Globalisierung zu Prozessen von sozialer Desintegration führen könne und skizziert vier Sichtweisen mit Blick auf die Zukunft des Nationalstaates. Ein völliger Abschied vom Nationalstaat sei nicht zu erwarten, wahrscheinlicher sei die Transformation der Politik in eine Global-Governance-Architektur, wobei der Nationalstaat intern Aufgaben an die lokale Ebene abgeben dürfte und gleichzeitig Integrationsaufgaben an internationale Organisationen übergehen sollen. Den Nationalstaaten ist in diesem Zusammenhang die Rolle eines "Interdependenzmanagers" zugedacht, während die Politik zunehmend von Netzwerkstrukturen durchzogen wird. Auch Lothar Brock sieht Chancen für eine Demokratisierung in staatenübergreifenden Räumen. Dagegen weist Elmar Altvater auf die unterschiedlichen Bedingungen von Politik und Ökonomie hin: Die Politik besteht im Kern aus der Setzung und der Regelung des Handelns politischer Subjekte, während die Ökonomie selbstreferentiell und auf qualitative Steigerungen ausgelegt sei. Die künftige "transnationale Zivilgesellschaft" werde auch nicht konfliktfrei ausfallen.

Teil Zwei setzt sich mit der Frage auseinander, wie die Politik und die Zukunft des Staates in verschiedenen Weltregionen aussehen könnten. Der französische Ökonom Michel Albert schreibt über die Aussichten des europäischen Entwicklungsmodells in einer globalisierten Welt und die Besonderheiten des rheinischen Modells, das er für ein kaum nachahmbares Meisterwerk hält. Es sei erstaunlich, welch hohe Zusatzkosten (Lohnnebenkosten) die deutsche Industrie verkraften mußte. Darüber hinaus konstatiert er auch in der Bundesrepublik eine Ablehnung der Globalisierung als einer weiteren (Nord)Amerikanisierung, allerdings hätten sich die europäischen Führungseliten dieser Herausforderung erst sehr spät gestellt. Hoffnungen setzt er in den Euro, der mit der Schaffung eines einheitlichen Währungsraumes wiederum die Voraussetzungen für ein gemeinsames Handeln bilden könne. Der Beitrag von William Julius Wilson unterstreicht die Unterschiede zwischen den USA und Europa: Während die nordamerikanische Wirtschaft zwischen 1973 und 1991 35 Mio. Arbeitsplätze vor allem im Dienstleistungsbereich geschaffen habe, waren es in Europa im selben Zeitraum nur 8 Mio., und während die US-Bürger überwiegend der Meinung seien, daß die Individuen selbst für ihre wirtschaftliche Lage verantwortlich sind, wurde diese Aufgabe in Europa zunehmend den Wohlfahrtsstaaten übertragen, was sich zur Zeit in einem zähen Widerstand der Arbeiter und der Mittelschichten gegen den Abbau von sozialen Sicherungssystemen äußere. Im Unterschied zu zahlreichen Bildungspolitikern in der Bundesrepublik ist Wilson der Ansicht, daß "in Japan und Deutschland die meisten Gymnasiums- und Hochschulabgänger mit Qualifikationen ausgestattet sind, die mit den Anforderungen des hochtechnisierten Marktes der Weltwirtschaft Schritt halten" (143). Die USA und Europa sollten voneinander lernen, die Europäer etwa insofern, eher Beschäftigung als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Es folgen Aufsätze zu China, Afrika und Lateinamerika, wobei sich der letztgenannte allerdings weitgehend auf Chile beschränkt.

Der dritte Teil greift die Frage nach einem eventuellen Ende politischer Steuerung auf. Wolfgang Streeck weist darauf hin, daß im Nachkriegssystem erstmals Freihandel, Marktwirtschaft und Sozialstaatlichkeit miteinander verbunden wurden. Dagegen laufe das europäische Integrationsprojekt auf eine Entpolitisierung der Ökonomie und den Umbau des Sozialstaats der Nachkriegszeit zum Wettbewerbsstaat hinaus, was sich weitgehend in einer Liberalisierungspolitik niederschlägt. Wenn es nicht – analog zur Globalisierung der Ökonomie – zu einer Internationalisierung des Staates komme, dann müsse "alle politische Energie darauf verwendet werden, die soziale Handlungsfähigkeit des Nationalstaates zu verteidigen" (244)! Klaus Esser geht der Frage nach, inwieweit sich nationalstaatliches Handeln im Übergang von der Industrie- zur Informationsökonomie verändert: Während der Nationalstaat von professionellen Politik- und Systemmanagern geführt wird, sind es in den informationsverarbeitenden Unternehmen Informationsmanager, die auch in der Politik an Einfluß gewinnen. Notwendig sei nicht ein Rückzug des Staates, sondern vielmehr ein starker Staat, der in Zusammenarbeit mit privaten Akteuren Wirtschafts- und Sozialpolitiken umsetzt. Gerade das Beispiel der Forschungs- und Technologiepolitik zeigt, daß in Deutschland stärkere Initiativen notwendig sind, die z.B. in der Schweiz bereits erfolgt seien. Der abschließende Beitrag von Meghnad Desai über "Global Governance" versucht kein Fazit des Bandes, sondern stellt einige Aspekte globalen Regierens heraus, wie etwa die Herrschaft des Rechts.

Den Beiträgen des Bandes, von denen einige bereits an anderer Stelle erschienen sind, liegt kein einheitlicher Tenor zugrunde. Eine Reihe von Autoren könnte sich sicherlich mit dem Begriff "Netzwerkgesellschaft" von Dirk Messner anfreunden, dessen Konturen allerdings undeutlich sind. Kritisch ließe sich dagegen einwenden, daß es nicht nur auf Kooperation angelegte und damit positive Netzwerke gibt, sondern daß hier auch Formen nichtdemokratischer Einflußnahme möglich sind. Auch in einer Netzwerkgesellschaft wird sich die Frage der politischen Autorität, der Machtkontrolle und der demokratischen Legitimation stellen, so daß es von daher kein Verschwinden der Politik geben kann.

Einige der Autoren scheinen von einer gewissen Zwangsläufigkeit von der ökonomischen zu einer politischen Globalisierung auszugehen. Dies ist allerdings nicht sicher: In einigen Weltregionen gibt es Zeichen einer Renationalisierung, darüber hinaus vertreten einzelne europäische Staaten sehr viel deutlicher nationale Interessen, als dies die Mehrheit der politischen Öffentlichkeit und der Wissenschaftler in der Bundesrepublik bisher getan haben. Interessant wäre es auch gewesen, wenn sich ein Aufsatz mit den Einstellungen der Bürger bzw. einzelner sozialer Schichten zur Globalisierung auseinandergesetzt hätte. Einiges deutet darauf hin, daß die Angst vor einer Welt ohne Grenzen zumindest bei den unteren Bevölkerungsschichten in den Industrienationen wesentlich größer ist als bei den Intellektuellen und den Eliten. Die unerfreulichen Begleiterscheinungen sind wachsende Ressentiments, rechte Populisten und rechtsdikale Umtriebe. Unter diesen Umständen ist ein Ende der Politik nicht zu erwarten.

Nikolaus Werz

Universität Rostock


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